01. Alte Litauische Bäuerin

Litauen, altes heidnisches Land, mit Deinen Holzkreuzen, Deinen Volksliedern und Klagegesängen, den Dainos und Randos, die schon Herder und den jungen Goethe entzückten! Kein Volk lebt so stark seinen Toten wie Du. Geschenke gebt Ihr ihnen ins Grab mit und Waffen und Peitschen und Geld. Und Ihr deckt noch vier Wochen nach ihrem Ableben für die toten Seelen mit und werft Fleisch, Brot und Fisch unter den Tisch, und gießt Bier für sie unter die Bank, auf der Ihr sitzt. Oder Ihr setzt Euch auf die Gruft eines Gestorbenen und schluchzt und schreit ihm nach, wie diese Frau es tat, da ihr Mann tot war: „O, o warum bist Du gestorben? Hast Du nicht zu essen und zu trinken gehabt? Warum bist Du denn gestorben? Hast Du nicht ein gutes Weib gehabt? Hast Du nicht ein gutes Gehöft gehabt? Hab' ich nicht mit Dir Kornchen geschnitten? Hab' ich nicht mit Dir Heuchen geharkt? Hab' ich nicht mit Dir Haberchen gebunden? O, o warum bist Du gestorben?

O, ohuhn, mein Liebchen, mein Herzchen, jetzt hast Du all Deiner Winkelchen vergessen. Jetzt hast Du, mein Liebchen, mich allein gelassen mit meinen Kinderchen. Wo werd' ich die armen Häuptchen hinstecken? Warum kann ich nicht mit ihm in die schwarze Erde kriechen? Ich werde in der Welt nur Not leiden müssen. O, o warum bist Du gestorben?"


Blick' auf von der Erde, Mütterchen Litauen! Lass' die Toten ihre Toten begraben! Schütt'le den Staub von Dir ab! Schau' mit uns in die Zukunft, in unsere gemeinsame Zukunft!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland