Singende Mäuse

Autor: Wiechmann, C. M. Dr. (?) Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1871
Themenbereiche
Enthaltene Themen: singende Mäuse, Singemaus, Hausmaus, Freunde der Naturgeschichte, Mecklenburg, Wiechmann
Dieser Beitrag von Dr. C. M. Wiechmann, entstammt dem „Archiv des Vereins der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg“ 24. Jahrgang aus dem Jahr 1871.
In neuerer Zeit ist wieder zweimal von „singenden Mäusen“ die Rede gewesen; ein mal finden wir einen als vorurteilsfreien Naturforscher bekannten Mann als Berichterstatter, während andererseits eine Dame von unseren kleinen musizierenden Haustierchen in einer Weise erzählt, die eine etwas poetische Auffassung durchblicken zu lassen scheint. Ich lenke die Aufmerksamkeit der Leser auf diese Abhandlungen mit dem Wunsche, dass es auch uns gelingen möge, eines solchen Sängers habhaft zu werden. In den Jahresheften des naturwissenschaftlichen Vereins für das Fürstentum Lüneburg, III, 1867, p. 144, teilt Herr Lehrer H. Steinvorth in Lüneburg mit, dass der Kaufmann Franke daselbst eine singende Maus eingefangen und solche dann in seinen Besitz gekommen sei. Es heißt wörtlich: Das Mäuschen ist noch jung und zeigt nichts Besonderes, als dass es auffallend rasch und, wie mir scheint, nicht natürlich und ruhig atmet. Es befindet sich in der Drahtfalle, mit welcher es gefangen ist, und in der ein langer gabelförmiger Draht, welcher Klappe und Feder verbindet, die ganze Länge durchzieht. Auf diesem sitzt das Tierchen gern, und indem es nun sein leises Gezwitscher anstimmt, ist die Erinnerung an einen Vogel zwiefach. Die Ähnlichkeit mit den leisen Tönen, wie sie die Hausschwalbe und der Garten-Laubvogel (Silvia hypolais) oft träumerisch in sich hineinsingen, ist wirklich so täuschend, dass ich nicht selten aufmerksam zuhören musste, ob die Töne von dem auf meinem Schreibtische stehenden Mäuschen herrührten oder in das offene nach dem Garten hinausgehende Fenster herschallten, und ich bin in der Tat verschiedene Male getäuscht. Von einem Gesänge, d. h. einer regelmäßigen Folge von Tönen, wie sie bei Vögeln vorkommt, kann gleichwohl hier nicht geredet werden; es ist aber ein buntes Zwitschern und Zirpen, das mit dem gewöhnlichen Quicken der Mäuse fast gar keine Ähnlichkeit hat, wohl aber bisweilen mit dem Zirpen der Heimchen. Ich vermute doch, dass es in einem krankhaften Zustande des Tierchens seinen Grund hat, da es wenig frisst und gar nicht die Munterkeit seiner Verwandten zeigt.

Den zweiten Bericht, der namentlich über die Art des Gesanges von Herrn Steinvorths Angaben sehr abweicht, finden wir unter der Überschrift „Das Singemäuschen“ in No. 4 der Gartenlaube von 1870, und nennt sich Henriette von Bayern als Verfasserin des Aufsatzes, der im Dezember 1869 in Rudolstadt geschrieben ist. Über den Gesang des Mäuschens, das sich zuerst in einer Holzkammer hören lies und dann in einem größeren Käfig gehalten ward, äußert sich die Dame also: „Was den sogenannten Gesang meines Mäuschens betrifft, so wird es mir schwer werden diesen zu beschreiben; ich vermag ihn um so weniger mit einem Vogelgesang zu vergleichen, als das Tierchen einmal so, einmal so singt; und immer wieder neue Erfindungen hören lässt, von so wunderbarer Art und so ganz eigentümlich, dass ich zur vollen Bewunderung hingerissen wurde. Nun hat doch auch jeder Vogel seine bestimmte und eigentümliche Art zu singen, und singt alles, was er singt, einstimmig. Das Mäuschen hingegen singt zweistimmig, das ist das Merkwürdigste. Es beginnt mit dem Triller des Kanarienvogels, schlägt dann wie eine Wachtel, gluckst wie ein Huhn, singt zuletzt in den weichsten Tönen die Scala zweistimmig, und durch alles dies hindurch hört man Basstöne und hohle Laute, wie von einer Unke. Bei Tage und des Abends singt sie weniger kräftig, weniger hübsch; sie gluckst viel oder singt auch lange hintereinander immer denselben Ton, kurz abgestoßen. Am schönsten und besten singt sie Nachts oder nach einer gehabten Aufregung, so einmal, als eine von den (ihr zur Geselle Schaft) zuerst eingefangenen Mäusen entkommen war. Diese vor dem Einbruch der Nacht wieder zu fangen, setzte ich die Singemaus mit ihrem Bauer an die Erde, als Lockvogel, und die Falle oben auf. Da um kletterte der Flüchtling den Bauer der Singemaus, welche in sichtbarer Unruhe hin und her lief und dabei (man mag die Überschwänglichkeit meiner Worte belächeln, aber man muss dieses Tierchen eben gehört haben) so wundervoll und so staunenswert in der Vielseitigkeit der Abwechslung mehrstimmig sang, wie ich es noch nie vernommen. Ein anderes Mal, als ich sie, von den anderen Mäusen entfernt und wieder allein gesetzt hatte, sang sie nichts als Klagetöne. Unterhaltend ist es, wenn sie namentlich Nachts etwas am Tage Gehörtes einüben will; sie trifft das zum Bewundern und es ist darum meine Absicht, mir einen recht guten Schläger anzuschaffen, der der Maus vorsingt und, wie ich nicht zweifle, eine sehr gelehrige Schülerin an ihr haben wird. Was die Persönlichkeit der Singemaus anlangt, so gehört sie zu den kleinen grauen Hausmäuschen; sie ist sehr klein, ganz grau, hat große hochstehende Ohren, sehr schwarze glänzende Augen wie Perlen und einen Höcker auf der Nase.“ Nach diesen Angaben würde sich die Lüneburger Maus zu der Rudolstädter verhalten wie etwa ein Jahrmarktsmusikant zu einem Salonvirtuosen.

Hausmäuse

Hausmäuse