Die Heimreise

Jetzt konnten wir die Zeit, wenn wir wieder, wenn auch nicht mit Schätzen reich beladen, doch an Erlebnissen reicher, bei den Unsrigen eintreffen würden, nach Wochen berechnen. Der Bootsmann, wenn er die Andern „kalendern“ sah, pflegte wohl zu sagen, sie sollten nur nicht rechnen, sie müssten doch zweimal rechnen. Aber das half nichts.

Wir hatten nämlich den Ostpassat bereits gekreuzt, und setzten nun unsern Kurs auf die „Western Eilande“ wie die Azoren genannt wurden, zu. Die Luft wurde schon kühler, dann und wann gab es Regentage, die Matrosen schmierten ihre Seestiefel, holten ihre Pelzjacken unter dem Bultsack hervor, und brachten die Südwester aus den Falten. In der Kajüte waren keine besondere Vorkehrungen für den Westpassat zu treffen. Die Pforten waren bereits in St. Thomas eingesetzt und gesurt worden, denn das Schiff war mit Kaffee beladen worden, die Kasten mit Grünte standen schon bei der Abfahrt in der großen Mars, das Seezeug des Alten lag immer zur Hand, die Kajüte selbst war bis auf einen Platz für den Tisch vollgestaut, die Mahagoniwände brauchten nicht poliert zu werden, und so gab es für Georg und mich nicht genug zu tun, weshalb er auch viel bei andern Arbeiten auf dem Deck und bei den Segeln lernen konnte. Bei Tage durfte ich ihm wohl helfen den Royl einzuknebeln, und als ich es ein paar mal getan hatte, konnte ich es schon allein. Wie schmal sah das Deck von oben aus, und welch ein eigentümliches Gefühl hat man, ehe man sich an den Anblick des Meeres aus der Dachdeckerperspektive gewöhnt. Bange war ich gerade nicht, denn ich wusste wohl was die Hände nur festhielten, darauf konnte man sich verlassen. Und der Alte stand in dem Rufe eines Mannes, dem man, wie die Matrosen sich ausdrückten, seinen Bultsack anvertrauen dürfe. Er hatte noch nie eine Stange über Bord gesegelt; er ließ die Segel zu rechter Zeit einnehmen, aber auch zu rechter Zeit wieder beisetzen. Deshalb kamen wir auch immer eben so weit wie die andern, die mit allerlei Beschädigungen den Hafen erreichten. Als wir uns dem Westpassat näherten, wurde die Vorbramstänge und die Besahnsstänge herunter genommen, auch die Bramleesegelspieren mussten ihren gewohnten Platz verlassen und der Aussenklüferbaum wurde eingenommen, alles Vorbereitungen die auf eine stürmische nahe Zukunft deuteten. Der alte Segelmacher erzählte mitunter schon von früheren Reisen, wie sie vor Top und Takel gelensst hätten, mit zwei Mann am Ruder, und wie sie um von vorn nach hinten zu kommen, recht gut ein kleines Fahrboot hätten gebrauchen können. Aber mit dem Triton hätten sie nie einen „Brecher“ hinten über gekriegt, der Alte wisse immer zu rechter Zeit beizudrehen. Auf der Heimreise hatten sie oft genug auf den Alten gescholten; das sei ein Menschenquäler, ein Sklaventreiber, damals hatten wir beinahe immer schönes Wetter. Jetzt aber wurde oft seine gute Seemannschaft gerühmt. Der alte Russe hatte eine Reise mit ihm gemacht, wo er in der Nordsee einmal drei Tage und Nächte nicht vom Deck gekommen sei, in seinem großen Seerock habe er sich wohl mal aufs Hühnerhock gelegt, aber immer sei er bei der Hand gewesen, mehrere Schiffe seien damals auch gestrandet oder in Nothäfen eingelaufen, sie seien aber ohne Schaden davon gekommen. Und eigen sei es, dass der alte Bär bei solcher Gelegenheit so nüchtern sei wie ein Fisch, den Leuten gönne er dann gern einen Schnaps überher, er trinke aber nichts wie Kaffee. — Damals konnte ich noch nicht wissen, was es zu bedeuten habe, wenn der Alte mitunter den ganzen Tag in seinem Ölmantel gehüllt, die lange Pfeife in Brand, unverwandt den Kompass beachtete, und den Wolkenzug zu studieren schien, und dann sobald sich ein schwacher Abglanz der Sonnenscheibe zeigte, seinen Sextant unter dem Mantel hervorholte. Oder wenn beide Steuerleute mit ihren Instrumenten dabei waren und Sonne und Mond zu gleicher Zeit am Himmel standen. Es war zu jener Zeit wo man den Chronometer auf Handelsschiffen noch nicht eingeführt hatte. Sich begegnende Schiffe hielten sich dann schwarze Tafeln einander hin, auf denen mit Kreide große Zahlen geschrieben standen. Der Bootsmann pflegte dann wohl seine Verwunderung auszusprechen, dass der Alte wieder recht habe, wenn wir nämlich bald darauf Land erblickten, wie dies auch mit den Azoreninseln Corvo und Flores der Fall war, nachdem uns Tags zuvor ein von dort kommendes nach New-York bestimmtes Schiff begegnet war. Dass man sich auf See verirren könne, davon hatte ich zu jener Zeit noch keine Idee.


Bald nachdem wir die Western Eilande hinter uns hatten, bekamen wir einen tüchtigen Sturm aus Westen und Nordwesten. Die Andern sagten es sei zu verwundern, dass wir so lange selbst in der Nähe des Golfs ziemlich ruhiges Wetter behalten hätten. Dieses Versäumnis wurde jetzt nachgeholt. Den übrigen Teil des Wegs bis zu den Gründen machten wir, wie die Andern sagten, mehr mit dem quer durchs Wasser treibenden, als dem Kurs steuernden Schiffe. Beim ersten Versuch mit dem Lot Grund zu finden, der Morgens nach dem Kaffee gemacht wurde, lief die Leine ganz aus, und das Lot kam ohne Sand wieder herauf, aber schon um Mittag warfen wir auf 100 Faden Grund. Das habe der Alte das erste Mal mit Willen getan, behauptete der Bootsmann, jetzt wisse er so viel genauer wie weit er sei. Nun erblickten wir auch wieder mehr Schiffe in der Nähe, teils entgegenkommende, teils mitsegelnde, und nach einigen Tagen kam die Englische Küste in der Nähe von Startpoint zu Gesicht. Der Segelmacher prophezeite bei Wight würden wir Ostwind bekommen, dort säßen die Hexen. Leider traf dies zu. Lotsen erzählten viel von Eis und zugefrorenen Flüssen, brachten auch Zeitungen an Bord, worin alles gedruckt zu lesen stand. Aber der Alte wollte vom Einlaufen in England nichts hören. Das sei viel zu teuer. Auch drehte sich der Wind und wir konnten die Nordsee erreichen, und auch bald die Mündung des heimatlichen Flusses, in welche wir eine Strecke hineinsegelten, ohne einen Lotsen zu finden. Die Inseln waren mit Schnee bedeckt. Aus der Ferne sahen die Strohdächer einzelnen stehender Häuser herüber. Die Ebbe kam uns entgegen und wir mussten Ankern. Bald kamen auch große Schollen Eises und ganze Eisfelder angetrieben, einige mit Spuren von Schlittschuhen, andere mit großen Kehrichthaufen darauf. Die Heimat schickte uns in der Tat wunderliche Boten entgegen, aber sie kamen doch aus der Heimat. Als sie sich aber mehrten und wir mit unserm Schiff ins Gedränge kamen, welches oft von den gewaltigen Stößen so erdröhnte, dass der Bootsmann meinte, das sei just so als wenn es im Theater donnere, da machte der Alte gar kein sehr freundliches Gesicht. Aber wir waren gefangen und mussten die Nacht ohne Widerrede aushalten. Am nächsten Morgen gelang es nicht ohne Gefahr die See wieder zu erreichen, bei Helgoland wurden Lotsen angenommen, um bei günstiger Gelegenheit den Versuch einzulaufen, zu erneuern, aber ein Tag verstrich nach dem andern, die Tage wurden zu Wochen, der Proviant ging auf die Neige, der Ostwind wurde zum Sturm und blies unser Schiff der Englischen Küste näher, es blieb zuletzt nichts anderes übrig, als in Harwich einzulaufen. Der Alte ging nach London und wir lagen ganz gemütlich auf der Rhede, England bekam ich zuweilen beim an Bord holen von Fleisch und Kartoffeln ganz in der Nähe zu sehen, mir fielen die mit Teppichen belegten Zimmer der Handwerksleute auf, in unsern Stuben wurde damals noch Sand gestreut, auch der Kohlenrauch war mir auffallend, eben so die großen Kartoffeln; sonst war mir eben nichts neu, denn wir hatten Englische Geographie ziemlich ausführlich gehabt; unser Lehrer war mal vier Wochen in England gewesen und seine Reiseroute von Dover nach London war uns Schülern sehr geläufig.

Da ich von England diesmal nichts zu sehen bekam, als die Schlachterladen und einige andere Verkaufsstellen mit Zubehör von Leuten und dergleichen, so freute ich mich als der Alte wieder anlangte und wir am folgenden Tage absegelten. Auch erreichten wir bald mit Hilfe unserer Helgoländer die Mündung des Flusses, wo ein Heimatlotse an Bord kam, der allerlei Neuigkeiten von bekannten Schiffen erzählte. Als wir im Hafen ankamen, hörten wir denn schon Einzelnes von den Angehörigen, wie neugierig waren wir gewesen, und wie wunderten wir uns, dass so wenig in der langen Zeit passiert war. In den Hauptsachen war eben Alles beim Alten geblieben. Mit mir freilich war eine große Veränderung vorgegangen, ich hatte ja eine Reise nach Westindien gemacht, was konnte ich davon den Geschwistern und Schulkameraden Alles erzählen. Wie würden sie die mitgebrachten „Seltenheiten“ anstaunen! Wie würden sie mich bewundern, der ich alle Gefährlichkeiten glücklich bestanden hatte. Ich glaubte alle Leute würden es mir ansehen können, dass ich so eben von St. Thomas komme. Als ich aber in der Stadt angekommen, auf dem Gemüsemarkt der alten bekannten Obsthändlerin die Zeit bot, und sie mir ganz ruhig antwortete ohne nach meiner Seereise zu fragen, da stimmten sich meine Erwartungen schon erheblich herab. Im elterlichen Hause freilich wurde ich mit großem Jubel empfangen. Während der ersten Tage durfte ich auch das große Wort führen; aber die Herrlichkeit dauerte nicht lange, und ich war wieder in die Geschwisterschar eingereiht wie einer ihres Gleichen. Die Schulkameraden taten mir und meiner mit Perlmutterknöpfen besetzten Jacke noch die meiste Ehre an. Auch mochten sie sich gern mit Muscheln und Seebäumen beschenken lassen, aber auch diese Herrlichkeit war bald vorbei. Ich war in ihren Augen wieder ein ganz gewöhnlicher Junge, der sich auf seine Fahrten nichts einbilden durfte, denn ich war ja nur als Spielvogel mitgewesen. Dass ich etwas vom Seedienst gelernt hatte, wollten sie doch nicht glauben, und beweisen konnte ich es ihnen durch die aufgeschnappten, ihnen durchaus unverständlichen Redensarten nicht. Ich fühlte mich bald wie ein Fisch auf dem Trockenen, und als der Sommer zu Ende ging, freute ich mich wieder in Dienst treten zu können, diesmal aber als wirklicher Kajütwächter.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Seebilder