Was Essen und Trinken anbetrifft möchte ich ohne Bedenken

Was Essen und Trinken anbetrifft möchte ich ohne Bedenken den schweizerischen Gasthöfen, besonders denen auf dem Lande und in kleinen Städten, vor denen Deutschlands den Vorzug geben; viele und gute Gerichte, große Reinlichkeit und prompte Bedienung findet man fast überall. Dafür muss der Gast aber auch unchristlich bezahlen; obwohl Juden in der Schweiz, außer an einem Orte im Kanton Aargau, nicht geduldet sind, so ersetzen Wirte und viele Arbeiter deren Stelle trefflich; mögen sie die frömmsten Reformierten, oder Katholiken sein, so tragen sie doch jüdischen Wuchersinn und Übervorteilung in ihren christlichen Herzen, und bereichern sich, hauptsächlich durch die vielen Fremden und Reisenden, in sehr kurzer Zeit. Es ist nicht zu leugnen, das man für sein gutes Geld etwas Gutes hat, es steht dies aber gewöhnlich nicht im Verhältnis; was hilft es wenn ich die doppelte Anzahl der Schüsseln habe, die Gerichte vielleicht auch besser bereitet sind, als in Deutschland, ich dafür aber das Vierfache zahlen muss! Für Reiche, Engländer namentlich, die teuer leben wollen und an das Prellen auf ihren Reisen schon gewöhnt sind, denn besonders werden diese Insulaner von den Wirten und allen, mit denen sie auf dem Kontinent in Verkehr treten, jämmerlich geschoren, — für solche möchten Wirte übertriebene Rechnungen stellen; und obwohl sie auch unter den Reisenden einen gewissen Unterschied machen, so ist dieser doch immer zu gering. So viel ich von dem teueren Leben in schweizerischen Gasthöfen gehört hatte, überstieg die Rechnung in dem Züricher doch meinen Horizont, ich verließ ihn daher auf das Anraten mehrerer Freunde und Bekannten, die ich bald aufsuchte und fand, nach wenigen Tagen, und mietete mich in ein Privathaus ein, woselbst ich neben Zimmer und Aufwartung die Kost früh, Mittags und Abends hatte; dies um so mehr, da ich gesonnen war, längere Zeit in Zürich zu bleiben.

Eine derartige Pension hat viel Annehmliches, zumal wenn man eine gebildete, redliche Familie findet. Der Preis ist nicht übertrieben, je nach der eleganten Wohnung und bessern Kost zahlt man wöchentlich vier bis sechs Züricher Gulden, welcher vier Kreuzer mehr hat, als der rheinische. Hierfür hat man ein geheiztes Zimmer, zwei Mal zu essen und zwei Mal Kaffee, isst an dem frugalen, reinlichen Familientisch, wird mit der Familie, und durch diese mit andern bekannt und verschafft sich manche Annehmlichkeiten. Nur auf diese Art lernt man das innere häusliche Leben der Bewohner genau kennen, ihre Sitten und Gebräuche im engern Kreise, ihre Beurteilungen, Ansichten, ihren Ideenkreis. Ich hatte das Glück in das Haus einer redlichen Bürgerfamilie zu kommen, und fand neben Dienstbegierde Artigkeit und Teilnahme einen redlichen, religiösen Sinn, Heiterkeit und Zufriedenheit. Keine Spur von Misstrauen und Heimlichkeit; nach wenigen Tagen war die intimste Bekanntschaft geschlossen. Nicht überall mag es so sein, denn namentlich in neuerer Zeit ist man gegen Fremde sehr eingenommen, viele Regierungen tragen dazu bei diese Abneigung allgemein zu machen, und zu vermehren. „Die Fremden — man versteht hierunter in Spezies die Deutschen — bringen alles Unheil über unser Ländle!“ hört man oft sagen, eben so oft „an der Entsittlichung des Volks, an der immer mehr überhand nehmenden Sittenverderbnis sind nur die Fremden schuld.“ Was das Erstere betrifft, so kann es sich nur auf einige wenige deutsche Flüchtlinge, die teils als Lehrer, Ärzte usw. angestellt sind, als Schriftsteller ihren Unterhalt erwerben, oder als fleißige, gesuchte Arbeiter im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen, und vielleicht einige unklare Ideen von Freiheit und Republik in ihrem Hirn nähren und unvorsichtiger Weise, ohne Nachteil für irgend einen Staat, ausgesprochen haben, beziehen. Diese wenigen Unglücklichen sind wahrlich an nichts schuld, diejenigen, die das Asylrecht missbraucht haben, sind fortgewiesen, die Übrigen lasse man als unschädlich in Frieden. Wäre es nicht eine Schmach für die Regierungen, wenn diese geringe Anzahl Anlass zu Änderungen und Aufruhr geben könnte? Nein, es ist die Schwäche der eidgenössischen Regierungen selbst, welche die Schweiz auf den jetzigen demütigenden Standpunkt brachte. Dass die Fremden Unsitte und Verderbnis in die Schweiz gebracht haben sollen, ist noch lächerlicher, warum lasst ihr euch verführen, ihr Schweizerschönen! und warum lasst ihr euch bloß von Fremden verführen, sieht man nicht in Deutschland und Frankreich und besonders in den größeren Städten der Schweiz Gefallene eures Geschlechts, die sich gern jedem, vielleicht lieber dem Fremden, ihres vollen Geldbeutels und ihres geringeren Geizes wegen, überlassen?


Was brachten euch, ihr Schweizer, dagegen aber die Fremden? Kultur, Sitte, Aufklärung und — viel Geld! Die meisten Lehrer an den Hochschulen und die bessern an den Gymnasien und Volksschulen — wenigstens in den nördlichen Kantonen — sind Deutsche, eure fleißigsten, und geschicktesten Arbeiter sind es ebenfalls. Und welche Summen haben reisende Engländer, Deutsche, Franzosen, Italiener, Russen u. s. w. in euer Ländle gebracht, was haben sie aus ihm fortgetragen? Was wäret ihr ohne Fremde, ohne andere Länder? Eure Fabriken, eure Baumwollen- und Seidenzeuge, eure Uhren und andere Artikel setzt ihr meist ins Ausland ab; sie können euch nicht nähren, eben so wenig als eure Butter, eure Milch und euer Käse allein, ihr bezieht Frucht- und Schlachtvieh aus euern Nachbarstaaten, namentlich aus Deutschland — verachtet deshalb die Fremden und besonders eure nächsten, sprach- und sinnverwandten Nachbarn, die Deutschen, nicht, folgt nicht euerm Hans Schnell, der die Deutschen in öffentlicher Ratsversammlung als „Vagabonden, die nicht fünf Batzen in der Tasche haben,“ charakterisierte. Freilich müsst ihr euch gestehen, dass ihr in Manchem, in Vielem hinter den verrufenen Deutschen, die der aufgehetzte Pöbel fast wie vogelfrei verfolgt, zurückbleibt, dass sie euch geistig weit, weit überlegen sind! —

Nachdem im Jahre 1830 die meisten aristokratischen und oligarchischen Regierungen der Schweiz, die zu Ende der neunziger Jahre gestürzt, durch Napoleons Vermittelungsurkunde von 1803 für immer getilgt zu sein schienen, nach dem Wiener Congress wieder ihr Haupt erhoben um abermals verjagt zu werden, — nachdem die erbärmlichen Vorurteile von Stand und Rang aufgelöst, die Regierung nicht mehr ausschließlich in den Händen tyrannischer, verfolgungssüchtiger, oft blutdürstiger Patrizier lag, auch der Landmann Sitz und Stimme haben und studieren durfte, verfolgten Fremden ein Asylrecht gestattet war: schien für die Schweiz eine bessere Morgenröte leuchten zu wollen, aber es war nur eine Abendröte, die oft Regen verkündigt. Die Herren, die sich des Ruders bemächtigt, dachten nur daran sich die Handhabung desselben zu sichern, nicht daran, was sie versprochen und heilig gelobt; es entstanden Wirren, die anstatt aufzulösen, von verschiedenen Parteiungen im Innern und von Außen noch mehr verwickelt wurden; die Aristokratie der Geburt war zwar aufgehoben, an deren Stelle trat aber die Aristokratie des Geldes. Die alten abgesetzten Patrizier, an dem steifen Gange, Perücken, altmodischer Tracht, Ordensbändern und im Gespräch an hochtönenden Titeln und alter Etiquette leicht kennbar, lachen ins Fäustchen, das Volk hasst sie, achtet aber nicht die jetzigen Gewalthaber, meint sogar, dass es in materieller Hinsicht früher besser bestellt gewesen sei.

Die dermaligen Regierungen, dem größten Teile nach, denn in jedem Kanton gestalten sie sich verschieden, hier demokratisch, dort republikanisch, bald despotisch, bald aristokratisch, dann wieder gemischt, — sehen ihre Schwäche, ihre erbärmliche Stellung den größeren Machten gegenüber recht wohl ein, wollen aber ihres Interesse wegen die Sache so und nicht anders, fühlen sich auch wohl zu schwach energische Maßregeln zu fassen: aber sie wollen nicht, dass dies gerügt, dass dies namentlich von politisch gebildeten, scharfsichtigen Fremden gerügt werde, deshalb hassen und verfolgen sie dieselben, hetzen das Volk gegen sie auf, verbinden sich mit Geistlichen und Laien und rufen: kreuziget, kreuziget!

Die Zürcher Regierung ist wohl eine der besten und freisinnigsten in dem ganzen Republikenbunde. Aber was kostete es, ehe man die alte, modrige von ihren Amtssesseln, die sie mit ihren Verwandten, Söhnen, Vettern und Brüdern einnahm, vertrieb! Schon in den neunziger Jahren und zu wiederholten Malen später hatte das Volk, vorzugsweise das Landvolk, welches in allen Stücken den Städtern nachstand, Unzufriedenheit gezeigt, sich sogar öffentlich empört. Zur Zeit der Direktorialregierung und des Kaisertums gaben die hochweisen, gestrengen und gnädigen Herren der Gewalt nach, bemächtigten sich aber durch Ranke, Bestechungen und Kriechereien schon 1814 und förmlich nach dem Wiener Kongresse ihrer frühern Autorität; die Stadt Zürich befand sich unter ihrer väterlichen Regierung gut, aber die armen Landleute, die Kantonsbürger! Es durfte Niemand von ihnen studieren ohne ausdrückliche Bewilligung der „Züriherrn,“ welche Bewilligung nur höchst selten, beinahe nie erteilt wurde; sie mussten ihre Bedürfnisse für einen gewissen Preis in die Stadt liefern, vorher aber an den Toren der Festung hohe Abgaben entrichten, sie mussten zahlen, sie allein, sie ihre Söhne zu dem Kontingent stellen, sie arbeiten für die reichen Herrn in der Stadt.

Nach der Julirevolution spukte es fast überall, so auch in der Schweiz, wo viele aufgeklärte Männer, denen das Wohl des Vaterlands am Herzen lag, viele Unzufriedene, Zurückgesetzte und Bedrückte sich verbanden und in den meisten Kantonen die alten Perückenregierungen stürzten. Auch das Landvolk von Zürich, besonders die nächsten Gemeinden am See, die sogenannten „Seebuben,“ kräftige Leute und treffliche Schützen, wollten nicht länger den Druck ihrer oligarchisch-aristokratischen Regierung dulden, sie verbanden sich und verlangten Änderung und Abhilfe. Aber die Herren in der Stadt und die vielen Gilden und Zünfte dachten anders, sie befanden sich gut und wollten es hinführo so haben, sie trotzten auf ihren Anhang, auf ihren Reichtum und auf ihre Walle, Gräben, Kanonen und Zeughäuser. An ihrer Hartnäckigkeit scheiterten alle Vermittelungsversuche, da brach das Landvolk in gerechtem Unwillen los und bedrohte die Stadt, umschloss sie und ließ keine Lebensmittel hinein. Nun wurde es den Leutchen drinnen bang, sie wollten nun nachgeben; was sie früher leicht erlangt, wurde ihnen jetzt schwerer, denn zeige man nur Furcht, so hat man schon verlorenes Spiel. Die ganze Regierung und Verfassung wurde in Folge der Festigkeit und Beharrlichkeit der Empörer gegen die „alte, gute Ordnung“ umgestoßen, die wichtigsten Stellen neu besetzt, neue Gesetze und Verordnungen erlassen, der Aristokratismus der Geburt aufgehoben, für Bildung und Aufklärung gesorgt, die Landleute den Städtern gleichgestellt und der Beschluss gefasst, die Festungswerke der Stadt zu schleifen.

Damit ist man jetzt eifrigst beschäftigt, Züchtlinge, Kettengefangene und Tagelöhner arbeiten unaufhörlich das zu zerstören, was vor gar nicht allzu langer Zeit mit ungeheueren Kosten aufgeführt ist. Man sagte mir, dass die Werke um Zürich, ein Platz der nie zu einer Festung passte, da er von vielen umliegenden Gegenden beschossen werden kann, beinahe in einem Kessel liegt, dessen begrenzende Höhen weder durch Forts gesichert sind, noch gesichert werden können — viele Millionen, ich hörte von wohlunterrichteten Männern 70 Millionen Gulden gekostet haben sollen, welche die Landleute bezahlen mussten, damit die gnädigen und gestrengen Herren in der Stadt sicher vor ihnen wären. Und sehe man viele der noch nicht abgetragenen ungeheueren Wälle an, die, um gegen die nahen, gegenüberliegenden Berge die Stadt zu decken und zu schützen, diese enorme Höhe haben mussten, und man wird jener übertrieben scheinende Angabe eher glauben. Wie viel wird es wieder kosten diese Massen niederzureißen und zu ebnen? Hätten die weisen Herren nicht vernünftiger gehandelt, wenn sie vor Zeiten die Landleute sich zu Freunden gemacht und diese Summen, sei es für sich selbst behalten, oder dem ohnehin beträchtlichen Stadtvermögen, vielleicht auch teilweise den rechtmäßigen Eigentümern hätten zukommen lassen? Das sehen die Deszendenten jener gewaltigen Machthaber noch heute nicht ein, mit Ärger und ohnmächtiger Wut betrachten sie ihr Werk zerstören, ihre nur gegen unkundige, geringe Streitkräfte haltbare Festung abtragen, sie vermeiden sogar die Spaziergänge, die sie vor dem Denkmal ihrer gefallenen Größe vorbeiführen, und ergehen sich außerhalb des Sihltores, wo die Werke noch unangetastet stehen; Geßners Monument mit den umgebenden Spaziergängen gewährt ihnen auf der einen Seite einen einladenden Spaziergang, in dessen Schatten sie über ihre gefallene Größe nachdenken und sinnen können, ihre frühere Stellung wieder einzunehmen, coûte qui coûte; und auf der andern Seite kann ihnen die gemauerte Richtstätte, neben welcher ein Häuschen mit den Marterwerkzeugen, dem Armensünderstühlchen u. s. w. in das Gedächtnis zurückrufen, wie Viele hier ihr schmähliches Ende durch Justizmord, durch Furcht und Bosheit von ihrer und ihrer Ahnen Seite gefunden haben und dass die jetzige Regierung milder, als die ihrige, denn sonst würden sie nicht so frei in Perücke und mit buntem Bande hier vorüberspazieren dürfen! — — —

In meiner Jugend, als ich noch stark die Geographie trieb und insonderheit die Haupt und Residenzstädte der verschiedenen Lander mit ihrer Häuser und Kopfzahl — man sollte nicht nach Seelen, sondern nach Köpfen rechnen, denn alle Menschen haben diese, ermangeln aber häufig jener — wissen musste, wurden, um nicht das Gedächtnis mit den damaligen dreizehn, oder neunzehn, oder schon dreiundzwanzig Hauptstädten der verschiedenen Kantone zu überfüllen und zu verwirren, gewöhnlich Zürich, Bern und auch wohl Luzern als die Hauptstädte der Schweiz angegeben. Die frühesten Eindrücke pflegen bleibend zu sein, ich dachte mir ihnen zufolge Zürich als eine ansehnliche, schöne und reiche Stadt, obwohl ich wohl wusste, dass Genf und Basel und Bern in diesen Hinsichten den Vorzug verdienten. Vielleicht wurden jene oben angeführten Städte nur um deswillen angegeben, weil in ihnen je nach zwei Jahren die Tagsatzung wechselt, Genf und Basel aber dieser Ehre nicht teilhaftig sind weil sie von dem Mittelpunkt der Schweiz zu entfernt und erst später dem eidgenössischen Bunde beigetreten sind. Mit ganz andern Erwartungen betrat ich daher das alte, krumme, unansehnliche, bergige Zürich; — die Altstadt, nördlich gelegen und durch die Limmat von der kleinen Stadt getrennt, zeichnet sich hierin vor letzterer noch aus, — nur wenige Straßen kann man mit Sicherheit befahren und sieht sich dennoch oft genötigt die Räder zu hemmen; die Hauser sind der Mehrzahl nach altmodisch, winkelig und ungefällig, wenige neuere Gebäude machen eine Ausnahme; außer dem Rat- und Zuchthause keine große, in die Augen fallende öffentliche Bauten; der Dom oder die Hauptkirche ist ein altes gotisches Gebäude ohne gefällige, jener Architektur eigene, leichte Formen. Reich ist die Stadt zwar und auch berühmt, jenes in Beziehung auf ihren Handel, ihre Gewerbe, Fabriken und Manufakturen und dieses als die aufgeklärteste, gebildetste Stadt der deutschen Schweiz — denn Genf verdient jedenfalls eine gleiche, wenn nicht bevorzugte Stellung, — von wo aus Gelehrsamkeit und Aufklärung in religiöser und wissenschaftlicher Hinsicht sich über die Nachbarkantone verbreitet hat. Die Mehrzahl der berühmtesten und gelehrtesten Schweizer gingen aus ihr hervor: Zwingli, Geßner, Lavater, Pestalozzi, Orelli u. A. In neuerer Zeit hat man diesen Ruhm und Ruf noch vermehren wollen und statt der früher n Akademie ein Universität errichtet. Man wird durch dieses Institut nicht viel gewonnen haben, einige akademische Lehrer, vornehmlich deutsche, und unter diesen zuvörderst Schönlein und Oken, ausgenommen, sind die übrigen, eben so wie die Hochschüler, die diesen Namen gar nicht verdienen, nicht weither; die Zahl letzterer betragt wenig über hundert, sie betragen sich als Schüler, sind roh, ungebildet, ohne Einigkeit, und Zusammenhang, schimpfen und schlagen sich, rufen, statt auf ehrenvollere, gebildeten, sich fühlenden Jünglingen geziemende Art mit Wort oder Tat ihre Handel zu schlichten, die Landjäger herbei, und lernen in Summa gewiss nicht viel.

Gewährt die Stadt, die über dem schmutzig und voller kotiger Gassen ist, keinen vorteilhaften Eindruck, so entschädigt dafür die herrliche Gegend, der schöne See, die reizende Umgebung. Die Schweiz ist voll von kleinern und größeren Seen, die durchgängig reizend, manche romantisch, andere wild und düster sind, aber alle haben ihre Eigentümlichkeiten, ihre Schönheiten. Der Züricher See gehört zu den größeren, mangeln ihm wilde und romantische Partien, so bieten seine Ufer dagegen ein freundlich mildes Bild: sanft anhebende Höhen mit Wein, Obst und üppigen Gewächsen bedeckt, freundliche, wohlhabende Dörfer, kleinere und größere, bescheidene und prächtige Villen. Die Farbe des Wassers, welches kristallhell, wechselt nach der Farbe des Bodens, bald zeigt sie sich grünlich, plötzlich erscheint sie rötlich, bald bläulich. Aus dem See, den man jetzt ebenfalls mit Dampfschiffen befährt, ergießt sich die helle Limmat, mit welcher sich die trübe Sihl am westlichen Ende der Stadt vereinigt; noch lange sträubt sich die Reine sich mit der Unreinen zu vermischen, bewahrt neben der Hässlichen lange Zeit ihre Schöne, aber sie kann ihrem Schicksal nicht entgehen, die böse Nachbarin verdirbt sie, drangt sich immer näher, zieht Teil nach Teil in ihre Netze und endlich sieht die Limmat schmutzig und gelb aus, wie die hässliche Nachbarin. —

Einen ganz andern Menschenschlag, wenigstens was Sitten, Charakter und Eigentümlichkeiten anbetrifft, als im Thurgau, fand ich in Zürich. Die Einwohner dieses Kantons, besonders der Stadt, sind schon wahre „Schwizzer,“ Sprache, inneres und äußeres Leben charakterisier sie als solche. Erstere ist zwar noch deutsch, aber so verstümmelt, wird so erbärmlich prononciert, mit so viel Provinzialismen, die man in keiner Grammatik, in keinem Wörterbuch finden wird, untermischt, dass es dem Deutschen, zumal dem Norddeutschen schwer fällt, die Züricher gut zu verstehen. Noch schlechter als die Männer, von denen manche in Deutschland waren, oder mit Deutschen Verkehr hatten, oder endlich die Sprache regelrecht erlernten, spricht das schöne Geschlecht; es gibt, wie in der Schweiz überhaupt, so auch in Zürich viele hübsche Weiber und Mädchen, welche letztern jeglichen Standes hier „Jungfern“ tituliert werden: man darf sie aber nicht sprechen hören und sehn, ihre hässlichen Kehllaute beleidigen unser Ohr und verzerren ihren Mund, darum ziehen die Gebildeteren auch vor französisch zu reden, worin sie sich ziemlich geläufig auszudrücken wissen, da diese Sprache den Schweizern bekanntlich nicht schwer fallt, und in der Schweiz richtig und gut gesprochen wird. Die Muttersprache leidet darunter sehr und wird, wie es in den Zirkeln der Vornehmen schon geschehen, immer mehr aus dem Lande verdrängt. Ein Beispiel dafür bieten mehrere Kantone, z. B. Freiburg, hier wurde vor der französischen Invasion durchgehends deutsch, jetzt wird mehrenteils französisch geredet.

Ein gewisses Misstrauen und Zurückhalten gegen Fremde, was ich im Thurgau nicht fand, nahm ich in Zürich wahr. Es hält schwer hier bekannt und vertraut zu werden; das Meiste trägt gewiss das Gefühl der geringeren Bildung, der hässlichen Sprache und ein gewisser Schweizernationalstolz bei; ist man jedoch erst bekannt und eingeführt, so wird man herzlich, teilnehmend und offen empfangen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Schweizer, neben manchen andern Tugenden von ihren berühmten Ahnen eine nicht zu verkennende Treue und Redlichkeit ererbt haben, mögen diese Vorzüge im Laufe der Zeit immer mehr schwinden, so trifft Man sie zur Zeit doch noch häufig an. Hiermit verbinden die Leutchen einen großen Gewerbsfleiß, Handel und Spekulationsgeist, sie sind von der Natur hierauf angewiesen, die ihnen herrliche Berge, Seen und Flüsse, aber wenig fruchtbares Land verlieh; außer den Viehzucht und Ackerbau treibenden Kantonen, deren Zahl nicht gar zu groß, müssen die übrigen sich auf Handel, Gegenstände der Kunst, auf Fabriken und Manufakturen legen. In diesem Punkt haben sie es durch Übung, Fleiß und Spekulationsgeist ziemlich weit gebracht, Schweizeruhren, Seiden- und Baumwollenstoffe, Galanterie- und Schnittwaren sind allbekannt und gesucht. Der Käse bleibt zwar ihr Haupt- und berühmtester Artikel, in der Bereitung desselben stehen sie bis jetzt noch unübertroffen da.

Die Schweiz ist mit Ausnahme einiger Viehzucht treibenden Kantone, in welchen jedoch auch teilweise großer Wohlstand herrscht, und Tessin, ein sehr reiches Land, vielleicht verhältnismäßig das reichste. Fast jeder Kanton, außer Stadt Basel, hat nicht nur keine Schulden, sondern ein beträchtliches Gemeinvermögen, es gibt Städte, wie Bern, Neuenburg, Zürich usw., die viele, bis zwanzig Millionen Stadtgut haben. Dieses große Vermögen lag zur Zeit der ersten französischen Invasion 1793 meist ungenützt in barem Gelde da, die Franzosen bemächtigten sich dessen, wie natürlich, und rüsteten dafür ihre Flotten im Mittelmeere aus. Als die Schweizer bei der Direktorialregierung über das widerrechtlich genommene Gut Beschwerde führten, ward ihnen die Antwort: „ihr Schweizer solltet froh und stolz sein, denn jetzt habt ihr eine Flotte im Mittelmeer, die ihr früher noch nie besessen.“ Dadurch sind die Regierungen gewitzigt, zur Zeit soll in den Kassen der städtischen Kommunen nur wenig Geld, dagegen viele „Gildbriefe“ und „Zettel“ liegen und beträchtliche Grundstücke angekauft sein. — Man trifft im Lande durchgehends Wohlstand, eine Folge der wenigen Abgaben — in manchen Kommunen bekommen die Insassen und Bürger noch bedeutenden Zuschuss an Geld und Holz — der allgemeinen Tätigkeit, und der durchgehends eingeführten Sparsamkeit, die oft in Geiz ausartet. Große, verschwenderische Vergnügungen, Aufwand und Luxus kennt der Schweizer, oder doch die Mehrzahl, nicht, dagegen lässt er sich in seinem Hause nichts abgehen, selbst der ärmlichste Bauer und Tagelöhner isst zwei Mal täglich sein Fleisch und trinkt seinen Schoppen Wein. Diese Lebensart verbunden mit der Arbeitsamkeit und reinen Luft gibt einen kräftigen und gesunden Menschenschlag.

Leider hält der Schweizer zu viel auf irdischen Mammon; Geld und Gut sind sein höchstes Streben, die Würdigkeit eines Mannes wird nach den Tausenden seiner Gulden oder Franken, oder nach der Größe seiner Besitzungen, seiner Warenlager und der Zahl seiner Häuser geschätzt. Wer Geld hat, genießt Ansehen, wird freundlich, fast kriechend aufgenommen, aber wehe dem, der Geld in der Schweiz sucht, oder Aufnahme ohne baaria. „Respekt vor Euch, Ihr habt mich immer zahlt“ ist die höchste Ehre, die der Schweizer dem Fremden und Einheimischen zollt; für Geld kann man trefflich leben, Alles gut, reinlich und prompt haben. Klagt man über Teure, so bedenke man auch, dass es in einem Lande überhaupt anders ist, als in dem andern; hier hat das Geld größeren Werth als dort; hier sind die Produkte wohlfeiler, weniger Fremde, verhältnismäßig weniger Bewohner, — und wirft man den Leuten vor, dass sie dennoch zu übertrieben fordern und ansetzen, so erwidern sie ganz naiv: „Warum kommt Ihr Herren denn in unser Ländle, es muss doch wohl gut darinnen sün“.

Jene Wahrnehmung von der Liebe zum Besitz erstreckt sich bis ins innere Leben: der Wohlhabende mit weniger gefälligen Sitten, weniger Bildung, genießt Zutritt und Achtung; das Streben jeglichen Standes ist Erwerb und Sicherung des Besitzes. Dies macht oft einen widrigen Eindruck: Familienvätern und Müttern könnte man diese Sorge um das Zeitliche wohl nachsehen, aber selbst junge Männer, Jünglinge und Mädchen teilen die allgemein herrschenden Ansichten. Darum so viel kalte, konventionelle Ehen, darum so viel außereheliche Sünden. Das Weib genießt in der Schweiz — dies war früher bei weitem auffallender, als jetzt, die letzte Revolution scheint gewissermaßen die Weiber emanzipiert zu haben — hier zwar mehr, als dort, aber unverkennbar in Zürich, nur wenig Achtung, es war früher fast als Magd gehalten, der Servilismus, die rohe Behandlung arg. Auf die Bildung des weiblichen Geschlechts ward in der Regel wenig gegeben. — Pestalozzi schrieb für seine Landsleute umsonst. Obwohl in diesem Punkte noch immer viel zu tun übrig bleibt, so hat die Mehrzahl der „Züriherrn“ doch eingesehen, dass es gut sei, ihre Töchter und resp. Weiber noch für etwas Anderes, als für Waschen und Kochen und Kindergebären abzurichten, die Mädchenschulen sind um deswillen verbessert und viele Töchter werden in die „wälsche Schweiz“ in eine Pensionsanstalt oder zu Bekannten geschickt, um Sitte und Französisch zu erlernen. Es ist ein wahrer Jammer sich mit einer Schweizerin unterhalten zu müssen, die widerliche Sprache, die meist nur einseitige Bildung, die sich um Stadt- und Klatschgespräche, um Kinder und Küche und Putz dreht, — alles Andere ist gewöhnlich außer ihrer Sphäre, — die Ängstlichkeit, eine Folge des frühern Servilismus, der noch nicht überall verschwunden, und die Scheu einem Fremden gegenüber, machen, zumal wenn man nicht genau bekannt ist, eine Unterhaltung fast unmöglich, oder doch höchst einsilbig und langweilig; ein größerer Jammer aber noch ist es mit einer Schweizerin tanzen zu müssen, da ist weder von Takt, von regelmäßigen Bewegungen, noch von Anstand die Rede, die Kinder springen umher, wie die Kälber auf den Matten, treten sich selbst und Andere, tanzen neben und um einander, und so ohne Aufhören von sechs Uhr des Abends bis sechs Uhr des Morgens. Das Galoppieren, welches in Norddeutschland jede Stuben- und Viehmagd, wenn auch etwas schwerfällig, so doch mit richtigem Tritt und im Takt herausbringt, können die Zürcherinnen nicht kapieren, sie laufen und hüpfen von einem Ende des Saals bis zum andern, aber an ein regelmäßiges Drehen ist nicht zu denken *).

*) Man wolle übrigens wohl bemerken, dass hier nur von der deutschen Schweiz und insonderheit von Zürich die Rede sei, an andern Orten haben wir es anders gefunden, namentlich in der französischen Schweiz, die man strikte von der deutschen in Hinsicht auf Alles trennen muss.

Dagegen sind Mütter und Töchter sehr arbeitsam, das Beispiel der Männer, wie das allgemeine, wirkt auf das Treiben der züchtigen Hausfrau im häuslichen Kreise. Reinlichkeit, Sparsamkeit und eine vorzügliche Küche trifft man nirgends besser und wohleingerichteter, als in der Schweiz; rümpft nur die Nasen ihr deutschen Frauen und besonders ihr norddeutschen, die ihr meint, dass ihr die besten Hausfrauen, Wirtschafterinnen und Köchinnen wäret, gehet nach der Schweiz, oder schickt eure Töchter dahin, statt in städtische Pensionen, oder auf das Land, um das „Hauswesen“ zu erlernen, sie werden dort bessere Ausbeute sammeln. Die norddeutsche Hausfrau glaubt, dass schmutzige Kleider, frühes Aufstehen, selbst Handanlegen, Waschen und Scheuern die Ehre einer guten Haushälterin ausmachen, man sehe eine solche vor ihrer Mittags-, oder was noch schlimmer und häufiger der Fall sein , wird, vor ihrer Nachmittagstoilette; eine Magd, die gekleidet wäre, wie sie, dürfte in gar keine Schweizerküche treten, sie würde dieselbe durch ihr Äußeres verunreinigen. Die Hausfrau in der Schweiz kann sich immer vor Fremden sehen lassen, ihre Küche, ihr Keller und ihre Speisekammer sind immer geordnet und sauber, die Kinder reinlich gekleidet, das ganze Haus zu jeder Stunde aufgeräumt und Fremden zugänglich. Und was die Kochkunst anbetrifft, welche die deutschen Frauen erschöpft zu haben wähnen, da stehen die Schweizerinnen ihnen bedeutend voran; ich bin zu wenig in dieser edlen Kunst bewandert, sonst würde ich einige Regeln und Rezepte gern mitteilen, weiß aber so viel, dass ich nirgends besser gegessen habe, als in der Schweiz, obwohl ich in der Regel für die Mittagstafel in Gasthöfen einen halben Kronenthaler zahlen musste, dafür aber bis fünfzehn Schüsseln, oft mehr, und eine halbe Flasche, bisweilen eine ganze, sogar Wein á discretion hatte.

Auch ein Wort über die Sittlichkeit der Schweizer beiderlei Geschlechts. Über diesen Punkt hatte ich Mancherlei gehört, die Schweizerinnen, vorzüglich die Bernerinnen und französischen Eidgenössinnen waren mir als schön und zugänglich geschildert, natürlich, dass ich im rüstigsten, jugendlichsten Alter und unverheiratet mich dessen freute. Aber in Zürich, wie im Thurgau, traf ich wohl hübsche, aber sehr spröde Mädchen und Frauen, mochte meine Unbekanntschaft mit den Sitten und der schweizerischen Verführungsmethode, vielleicht auch, dass ich ein Ausländer war und an eine fortgesetzte, reelle Verbindung nicht zu denken, daran Schuld sein. In Zürich beklagte ich mich in einer lustigen Abendgesellschaft über meine Leiden und getäuschten Hoffnungen, ein Züricher „Junker“ belehrte mich und nahm sich meiner brüderlich an. Der mildherzige Samaritaner vertraute mir: man müsse nur erst bekannt sein, oder gerade durch die Türe ins Haus stürmen, je dreister und frecher, desto eher reüssiere man, die Schweizerinnen, obwohl sehr religiös und fromm, wären doch keine Heilige und wie alle Bewohnerinnen dieser Erde, ächte Sprösslinge der neugierigen Stammmutter Eva. Ja man muss nur erst bekannt sein, die Örter kennen, wohin die alten „Züriherren“ wallfahrten, alte Grauköpfe und junge Ehemänner, Junggesellen und Jünglinge. Ich will diese Gelegenheiten nicht nennen, man erforsche sie vor den Toren in der Unzahl der Weinhäuser und Pintenschenken, in deren jeder eine oder mehrere hübsche Züricherinnen, Bernerinnen, Französinnen und Deutsche zu treffen sind und besonders von Ehemännern besucht werden. Man muss aber bekannt sein! Anfangs tun Wirtsleute und Kellnerinnen spröde, aber man werde nur erst bekannt! Auch von verheirateten Frauen hörte ich viel reden, will aber das Meiste auf bösen Leumund schieben, der hier wie überall geschäftig ist. Es wäre übrigens ganz recht von den sittigen Weiblein, wenn sie sich ob der Untreue ihrer Eheherren rächten, während der Zeit, dass diese „im steinernen Tisch“ oder „im zählen Hüsli“ (gelben Haus), oder sonst wo saßen und nicht bloß ihren Schoppen tränken, sollten sie sich revangieren und ihren Cicisbeo einlassen. Und es soll so sein.

Die unverheirateten Damen dagegen, die „Jungfern“ wie sie durchgehend genannt werden, wie die verheirateten schlechtweg „Frauen,“ sind sehr behutsam und hüten sich vor außerehelichem Vorwitz. Die Folgen sind für beide Teile, wenigstens im Kanton Zürich, weniger in andern, wie im Aargau, wo der code Napoleon in diesem Falle entscheidet, sehr unheilbringend: der Verführer muss die Verführte heiraten, oder schwer zahlen, bekommt auch wohl noch auf einige Zeit einen einsamen Ort zur Abkühlung seiner Lüste zum Aufenthalt; die Gefallene wird allgemein bespöttelt und muss — Kirchenbuße tun! „Sie kann ja warten bis sie verheiratet ist,“ meinen wohlratend alte Weiber und erfahrne Männer.

Zu allen Zeiten muss die Fleischeslust, besonders nach verbotenen Früchten, in Zürich groß gewesen sein. Am Ende des Sees, da wo sich die Limmat aus ihm ergießt, steht ein uralter Turm, der Wellenberg, einsam und rings von Wasser umflossen. In dieses schauerliche Gefängnis wurden vor Alters die Ehebrecher gesetzt, die Ehebrecherinnen ersäufte man. Jetzt dient der Turm schweren Verbrechern zum Gewahrsam; er steht und trotzt vielleicht noch Jahrhunderten, aber das warnende, abschreckende Beispiel, wie es die Vater in jenem Punkte so streng nahmen, fruchtet nichts für die Söhne, war er in jener alten Zeit, wie die Chronik sagt, nie leer, wie überfüllt müsste er jetzt sein, man würde den Bau erweitern müssen, oder, wollte man alle Sünder der Art einsperren, so hatte man die Wälle der Stadt stehen, streng bewachen und keinen Züricher mannbaren Alters, und unter siebenzig Jahren hinaus gehen lassen sollen!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweizerskizzen