Kurz vor Weihnachten trat der Winter

Kurz vor Weihnachten trat der Winter mit seinem Gefolge, mit Schnee, Kälte usw. ein. Mit jeder Stunde, die ich gegen Süden zurücklegte, wähnte ich in ein freundlicheres, milderes Klima zu kommen, indem ich mich doch mit jedem Schritte, oder vielmehr mit jedem Fußtritt der Pferde, da ich es vorzog in dieser Jahreszeit, statt der sonst, besonders jungen Leuten sehr zu empfehlenden Fußreisen, zu fahren — dem Land, wo die Zitronen und Pomeranzen, die Myrthen und Lorbeeren wild wachsen und in stetem Grün und in Blüten prangen, näherte, — aber das Land der Kartoffeln und der Schwaben nahm kein Ende, noch immer begegneten mir ob der Kälte frierende und eilende Bauern und Bäuerinnen, für deren Reize, nämlich der letztern, der weitgepriesenen Schwäbinnen, ich zur Zeit gar keine Aufmerksamkeit hatte, zumal sie dem Auge auch ganz verborgen waren. Immer schlechter wurde an der württembergischen Grenze, in der Nähe des Bodensees, die Mundart des Volkes, dessen Zischen und Dehnen mir fast unverständlich war; wie kann doch nur die wohlklingende, ausdrucksvolle deutsche Sprache so entstellt werden! Die Schwaben behaupten zwar, dass ihr Jargon gemütlich, ihnen gut verständlich und auch wohlklingend sei, dasselbe sagen gewiss aber auch die Kaffern und Neuseeländer von dem ihrigen. In dem Grade, wie die Sprache schlechter, wurde der Wein besser — es handelt sich hier nämlich nur von dem Landwein —; der sogenannte Seewein, welcher an den Ufern des Bodensees produziert wird, hat einen lieblichen und sehr wohlfeilen Geschmack, besonders der „neue,“ was nicht von allen Weinen jenes Landes zu rühmen ist, denn manche ähneln sehr dem „in Norddeutschlands eisigen Gauen“ gewonnenen, andere dem Bieressig oder dem famosen Obstmost.

In Mörsburg oder Meersburg, hart am Bodensee, dem ehemaligen Sitz der Constanzer Bischöfe, langte ich am Weihnachtsabend an; es war stürmisch, kalt, dennoch ließ ich mich durch das Drängen und Mahnen der Wirtsleute, selbst der niedlichen Tochter des Hauses, sonst für mich ein fesselnder Magnet, von der Weiterreise nicht abbringen. Mit den bestellten Schiffsleuten, die mich auf das Schweizergebiet bringen sollten, wurde ich, nachdem ich ihre übertriebene Forderung in etwas heruntergebracht hatte, endlich einig. Vier kräftige Männer führten den Kahn, welcher des stürmischen Wetters wegen ziemlich groß war; deshalb, und weil die Fahrt bei Nachtzeit stattfand, musste auch das Dreifache der sonst gewöhnlichen Taxe entrichtet werden.


Der Boden- oder Konstanzersee, wie ihn die Nachbarn und durchaus nur die Franzosen nennen, ist bekanntlich der größte Deutschlands und der Schweiz, denn auch dieses Land macht Ansprüche an ihn, will gleich wie Baden, Württemberg, Bayern und ganz Deutschland ihn unter seine Besitzungen und Seen zählen. Wäre das Wasser Land, so würde dies strikter bestimmt sein, so aber könnte die Schweiz den See Deutschland füglich überlassen, da sie der Seen, groß und klein, in Fülle hat. In der Schweiz kommt ihm an Größe der Genfer am nächsten, an Schönheit, an wildromantischer Umgebung mögen ihn manche übertreffen, obgleich auch der Bodensee seine Vorzüge hat. Die Ufer, deutscher und schweizerischer Seits, sind fruchtbar, wohlangebaut und mit freundlichen Villen und Schlössern übersäet; jenes ist steiler und gibt bessern Wein, dieses dacht sich mehr ab, ist noch fleißiger bebauet und produziert nebst Wein geringerer Qualität, Getreide und treffliches Obst. Hier, im Thurgau, gewährt das sich sanft anhebende Gelände, besetzt mit freundlichen Landhäusern und Sommerpalästen, auf deren einem der Enkel Napoleons, der Sohn Louis Napoleons als Thurgauer Schützenhauptmann mit seiner erlauchten Familie lebte, und die Königin Hortensia starb, einen milden, wohltuenden Eindruck; dort begrenzen steilere, oft felsige, meist mit Wald bewachsene Höhen, auf, an und unter welchen ebenfalls trauliche Landsitze und größere Wohnungen der Großen prangen, die hellen, sich kräuselnden Fluten des fischreichen Sees. Die Gelände sind mit Reben bepflanzt, Alles atmet Heiterkeit und Wohlstand, eine reine, milde Luft weht vom hohen Himmel, Freiheit und ländliche Ungebundenheit herrscht an den Ufern — hier lässt sich's gut leben, deshalb wohnen hier so viele vertriebene, mit ihrem Vaterlande unzufriedene und die Natur liebende Fremde.

Alles dieses konnte ich zwar bei meiner Fahrt über den See nicht wahrnehmen, denn diese hatte statt, als das Licht des Tages schon lange verloschen, die Sterne matt funkelten, aus den nächsten Ortschaften und Häusern verstohlen hier und da ein helles Fenster erglänzte und dem öden Wintergemälde einigen Glanz verlieh: es war am Weihnachtsabend, zur Zeit wo in den meisten christlichen Familien Eltern und Kinder das freudigste, langersehnte Fest feiern, als ich, der einst auch glücklich und froh an diesem Tage, einsam bei unfreundlicher Winternacht das fremde Land erstrebte. Doch schon früher sah ich den herrlichen See in seiner Schöne, zu einer Zeit da er mit grünem Saum geschmückt, Alles um und auf ihm lebte: jetzt erblickte ich ihn öde, tot, Alles in tiefer Nacht; einige Tage später, an einem hellen Wintermorgen, befuhr ich ihn nochmals, um den Kontrast der beschneiten und grünenden Ufer recht lebhaft zu empfinden.

Schaukelnd und schwankend trieb das Boot von kundigen, gewandten Schiffern geführt nach dem Schweizergebiet. Die Ruderer befragten den Passagier in einem fast unverständlichen Kauderwelsch, ob er, nicht durch die heftige Bewegung Wehen verspüre, nach der Versicherung jedoch, dass der Befragte schon Seereisen auf Linienschiffen gemacht und nicht von der Seekrankheit ergriffen worden, bekamen sie eine gewisse Achtung vor ihm, ließen sich in ein freundliches Gespräch ein, und boten ihm sogar von ihrem mitgenommenen Branntwein an, der nach ihrer Versicherung sehr gesund und ein Schutzmittel gegen die Kälte sein sollte. Diese war in der Tat sehr fühlbar, und wurde durch den auf dem See wehenden, schneidenden Wind, welcher uns gerade entgegenblies, noch vermehrt; fast drei Stunden bedurfte es um die Schweizerküste bei Kreuzlingen zu erreichen. In dieser langen und langweiligen Zeit, doppelt verlängert durch Kälte, Wind und Dunkelheit, verschmähte ich nicht die dargebotene Spende der Schiffer, um Herz und Glieder zu erwärmen, setzte mich zu dem Ende auch an ein Ruder, welches mir einer meiner Führer kopfschüttelnd überließ, doch lächelnd bald wieder nahm. Dadurch trat ich immer näher in die Freundschaft der Männer, die mit mir einzig zwischen Himmel und Wasser schwebten, denn schon war nichts mehr von den beiderseitigen Ufern zu erkennen, nur noch bisweilen ein flackerndes Licht aus den Hütten am See, und aus Mörsburg, Konstanz, einigen Landsitzen und andern nahen Örtern. Ich erfuhr da Manches von dem See, seinen Fischen, von den anwohnenden Menschen: wie ersterer so tief und für Unkundige gefährlich zu befahren, in den allerkältesten Wintern, und dies vielleicht alle zwanzig Jahre und mehr nur ein Mal zufriere, hörte die gute, alte Zeit in Hinsicht der größern Menge der Fische, des bessern Verdienstes und besserer Menschen rühmen, besonders aber die hässliche, unchristliche Erfindung der Dampfschiffe tadeln, wodurch den Schiffern der Verdienst genommen, und die Fische, besonders die Lachse hier, wie im Rhein, vertrieben würden. Überall also Unzufriedene, kein Vorteil, aus dem nicht auch ein Nachteil entspränge! Als die Leute ihr Wissen und ihre Kenntnisse, so außer ihrem Gewerbe lagen, erschöpft und ausgekramt hatten, stockte die Unterhaltung; ich wickelte mich in meinen Mantel, streckte mich, das Gesicht nach Außen gekehrt, auf eine der Seitenbänke und zündete die Pfeife an, eine treffliche Erfindung gegen Langeweile, Kälte und für Einsame. Der im Wirtshause zu Mörsburg als Präservativ gegen die Winkerfahrt gerade nicht spärlich genossene Wein, und die milde Gabe von dem Lebenswasser der mich führenden Amphibien wirken vereint mit der heftigen Bewegung des Fahrzeugs auf meine Organe und versetzten mich in eine Stimmung, die ich so sehr liebe: in ein Vergessen alles Irdischen, aller Mängel, Entbehrungen und alles Unglücks, und führten mich in das Reich der Phantasien und Träume, die gemäß der Art, wie sie entstanden, denn auch ganz sonderbar, oft lächerlich waren. Ich übersah den dunkeln, wogenden Wasserspiegel, dachte dabei an das Meer; wie damals sah ich auch jetzt kein Ufer, in meiner Einbildungskraft dehnte sich das Gewässer weiter aus, ich wähnte auf dem Ozean zu sein. Das elende Boot dünkte mir ein Schiff — und wäre es nicht möglich, dass in einem Zeitraume von Jahren deren auf diesem See schwämmen? Wer vor fünfzig Jahren von Dampfschiffen, die ihn befahren würden, gesprochen hätte, wäre verlacht worden, wer weiß, ob nicht in weitern fünfzig Jahren größere Fahrzeuge, wohl gar bewaffnete, die Fluchen des tiefen (an manchen Stellen soll die Tiefe über tausend Fuß, und durchgängig, außer an den Ufern, sehr beträchtlich sein) Sees durchschneiden? Käme es z. B. den anwohnenden Potentaten einst in den Sinn sich zu Wasser bekriegen, den gegenseitigen Handel auf dem See stören, die Ufer in Kontribution setzen zu wollen, wer weiß! denn unter der Sonne ist Alles möglich. — Wie köstlich, so plötzlich eine Fregatte, oder nur eine Brigg durch eine gütige Fee, deren es gewiss in dem bläulichen Gewässer gibt, zu erhalten und auf einige Monate, bis das Handwerk gelegt, den Freibeuter zu spielen. Wie sollten da Konstanz, Lindau und die Städte und, Dörfer alle kontribuieren! Schade, dass die Insel Reichenau im Untersee durch die Enge bei Konstanz von dem größeren getrennt ist, sie gewahrte sonst einen herrlichen Punkt für die Seeräuber, vielleicht aber Meinau — — — Heda! he! Sie fallen noch ins Wasser! rief mir der Oberbootsmann zu, rüttelte mich aus meinen süßen Flibustierträumen und gab mir die nasse, aus dem See gerettete Mütze.

Wir waren dem Ufer nahe, freundlich lockte das Licht aus dem nur wenige Minuten entfernten, hart am See liegenden Wirtshause. Aber die schwierigste Passage kam noch, wir konnten wegen des seichten Wassers nicht landen, mussten wohl dreißig Schritte den See durchwaten. Ein Schiffer wollte mich tragen, ich verschmähte jedoch meinen gerade nicht leichten Leichnam dem Manne anzuvertrauen, und schämte mich schwach und furchtsam zu erscheinen. Konnte ich mich doch im Wirtshause umkleiden, die armen Schlucker mussten dagegen durchnässt in der Winternacht zurückkehren. Der zweite stieg ich aus dem Boot, das Wasser reichte nur bis an die Knie, alle vier Gefährten folgten der lockenden Aussicht auf einige Flaschen Wein und einen Imbiss, den ich ihnen versprochen.

So einladend das Gasthaus vom See aus erschienen, so wenig bewährte es sich im Innern, weshalb ich es andern Tages unter Glockengeläute vom nahen Kreuzlinger Kloster, in dessen Kirche die Gläubigen die freudige Geburt ihres Erlösers feiern wollten, verließ. Mit einem Bauernburschen, der meine ganze Habe auf einem kleinen Karren mit leichter Mühe führte, zog ich bei der offenen Klosterkirche, in welcher die andächtige Menge das ihnen unverständliche lateinische Gebet des Messe lesenden Priesters vernahm, vorbei, und bezog ein neues Gasthaus, an dessen Wirt ich ein Empfehlungsschreiben hatte. Obgleich die Wirte deshalb die Rechnungen nicht billiger stellen mögen, so würde ich doch Reisenden raten, sich, wenn auch nicht lediglich an Gastgeber, doch wo möglich überhaupt mit Empfehlungen zu versehen, da es schwer hält und lange währt sich selbst zu empfehlen; durch einen Gruß, durch einige Zeilen von befreundeten Personen ist man alsbald bekannt, wird sorgfältiger und freundlicher behandelt. Reisende, die durchaus in dem zu bereisenden Lande fremd sind, sollten es nie versäumen sich Empfehlungsbriefe zu verschaffen, bitter habe ich das Gegenteil empfunden!

Es war meine Absicht einige Tage am Bodensee, an welchen auch dieses Gasthaus fast unmittelbar stieß, und im Kanton Thurgau zu bleiben; Konstanz lag wenige Schritte von mir, das reiche Kreuzlinger Kloster ebenfalls; auch wollte ich nicht an den heiligen Weihnachtstagen meine Reise, die durchaus nicht pressierte, fortsetzen, vielmehr während der Lustbarkeiten des Festes Volk und Land etwas näher kennen lernen. Die Thurgauer, unter einer der freisinnigsten Verfassungen der Schweizerkantone lebend, gleichen der Nähe Deutschlands wegen beinahe in Allem ihren überseeischen Nachbarn; Sprache, Kleidung und Sitten sind fast die nämlichen, doch fühlen sie sich freier, dünken sich aufgeklärter und sind wohlhabender, da sie ein fruchtbares Land bewohnen, und beinahe gar keine Abgaben bezahlen. Es sind freundliche, gutmütige Menschen, so recht froh bei ihren Festen und gern mitteilend. Von Misstrauen gegen Fremde bemerkte ich nichts, außer bei dem schönen Geschlecht, was zu meinem Leidwesen sehr misstrauisch und zurückhaltend war. Das Völkchen, besonders der katholische Teil, ist etwas abergläubisch, geht sehr häufig in die Kirchen, verehrt die Priester und Mönche als Halbgötter, prellt dagegen aber die Reisenden nicht so arg, wie es in vielen andern mehr oder weniger religiösen Kantonen geschieht.

Das nahe Kloster Kreuzlingen nahm meine Neugierde sehr in Anspruch, denn bis dahin hatte ich noch nie das Innere einer solchen Anstalt gesehen und hörte jetzt zu meinem Vergnügen, dass dies in Kreuzlingen, wie in allen Klöstern der Schweiz, ausgenommen in Nonnenklöstern, für Männer ohne Anstand geschehen könne. Gleich selbigen Tags, am ersten Weihnachtstage, verfügte ich mich in die nahe, nicht gar große, aber sehr schöne Klosterkirche, um dem Nachmittagsgottesdienst, der mit Orgelklang, Hornmusik und Pauken glänzend begangen wurde, beizuwohnen. Jeder kennt die katholischen Gebräuche, dieses unverständliche Hermurmeln, dieses gedanken- und sinnlose Niederknien, dieses Klingeln, diese buntscheckigen Anzüge, mit denen öfter, als auf dem Theater gewechselt wird, und diesen erstickenden Weihrauchsdampf, der besonders an hohen Festen verschwenderisch aus den silbernen Rauchkesseln hervorströmt. Dies Alles zog mich, als bekannt, weniger an, als die Kirche selbst und die wirklich harmonische Musik, welche eine volltönender Gesang begleitete. Ich sah weder Spieler noch Sänger, avancierte deshalb so weit es möglich, drehte mich dann nach hinten, und erblickte auf dem Chor neben der Orgel singende und spielende Mönche, Knaben, Dorf- und Stadtmusikanten. Nach Beendigung der Zeremonien ließ ich die andächtige Menge hinauseilen, und postierte mich so, dass ich von den „Herren“ in schwarzen Kutten erblickt werden musste, besah sehr aufmerksam die Bilder, Leuchter, den Taufstein usw., und erreichte meinen Zweck. Ein junger Pater, der Gebildetste unter seines Gleichen, wie es mir wenigstens schien, näherte sich und fragte sehr höflich, ob ich das Kloster zu sehen wünsche. Nach einer noch zuvorkommenderen Bejahung führte er mich in der Kirche umher, zeigte mir den Ölberg, die größte Merkwürdigkeit, welcher in einer Seitenkapelle aufgestellt die ganze Leidensgeschichte Jesu vorstellt. Über zweihundert sehr künstlich aus Holz geschnitzte Figuren, Bäume, Häuser, Tempel, Berge usw. versinnlichen die letzten Tage des Heilands, welcher selbst sehr oft repräsentiert ist, wie auch seine Jünger, römische Krieger, Pharisäer, jüdisches Volk, Weiber usw. Diese Riesenarbeit hat ein Mensch geschaffen, und darüber Zeit seines Lebens, was der fromme Mann hoch brachte, gearbeitet!

Mein Führer wurde „Professor“ genannt und erteilte, wie mehrere seiner Kollegen, an dem mit dem Kloster verbundenen Seminar Unterricht; dieses Seminar kenne ich nicht näher, glaube aber nach dem, was ich von andern Lehrern abgenommen und gehört habe, dass es nicht weit her sei. Musik und Gesang werden wie auch im Kloster selbst, hauptsächlich getrieben, jeder, der in der Zahl der Patres eintritt, muss ein Instrument spielen, oder singen können, ausgenommen die „Professoren,“ welche im Seminar unterrichten. — Aus der Kirche führte mich mein Cicerone, ein Italiener von Geburt, wie ich später vernahm, in die Sakristei, zeigte mir die Menge der bunten, überladen gestickten Gewänder, unter denen es mehrere von drei- bis fünftausend Gulden an Wert gab, die prächtigen Kelche, Monstranzen, Leuchter, Rauchfässer, Becken usw. und übergab mich dann, da ihn ein Geschäft abrief, einem Pater, der mich im Kloster herumführte. Der neue Führer war ein Pinsel, tat sehr fromm und war von seiner allein selig machenden Kirche sehr eingenommen. Er frug mich alsbald wes Landes und wes Standes? Ich sagte ihm in keinem von Beiden die Wahrheit, gab mich für einen Maler aus, der die Schönheiten der Schweiz, sowohl der Natur, als der Kunst, betrachten und skizzieren wolle. Eh bien! erwiderte der Schwarzrock, der nur diese und wenige andere französische Phrasen zu wissen schien und sehr oft anbrachte, ich bin auch ein Maler, da sind wir Kollegen. Der blasse Kahlkopf inquirierte sogar meine Religion, anfangs wollte ich mich für einen Juden ausgeben, da ich aber noch nicht Alles gesehen, log ich wieder, und nannte mich einen Religionsverwandten. Nun war die Freundschaft geschlossen, freundlich wurden mir die Zellen, Küche, Keller, Refektorium und die Bibliothek gezeigt, ich musste trinken, und wurde, da ich geäußert einige Tage bleiben zu wollen, zur Wiederholung meiner Besuche eingeladen. Um mich noch näher von dem gottgefälligen, anschaulichen Leben und Treiben der feisten und magern, gelehrten und ungelehrten, frommen und sündhaften — ich hörte in letzterer Beziehung manche böse Geschichte — „Herren,“ wenn ich nicht irre von dem Orden der Benediktiner, zu unterrichten, ging ich schon andern Tags wieder in ihr Kloster, welches trotz des Gelübdes der Armut seiner Bewohner von Außen und Innen prächtig und verschwenderisch ausgestattet war. Mit Übergehung mancher Einzelheiten berichte ich nur die Abendmahlzeit, zu welcher ich die Ehre hatte geladen zu werden. Es war Freitag und Fasttag, ein Pater entschuldigte, dass ich nur Fastenspeisen finde, und sehr kärglich vorlieb nehmen müsse. Wenn ich auch nicht gerade an eine spartanische Suppe dachte, glaubte ich doch ein sehr einfaches Essen zu finden. Außer dem Abt, der mit und von Silber aß, und auf hohem Samtsessel inmitten seiner Untergebenen thronte, waren noch ungefähr zwölf Patres und Professores und, meine Wenigkeit eingerechnet, ungefähr eben so viel Gäste aus Konstanz und der Umgegend anwesend, welche zahlreiche Tischgesellschaft von den „Brüdern,“ die gleiche Tracht mit den Patern und Professoren hatten, bedient wurde. Man trug auf; da kamen Fische und Mehlspeisen, Gemüse, Speisen, die ich nicht kannte und nicht enträtseln kann, Schüssel nach Schüssel, Alles trefflich bereitet, es mundete, man aß viel und trank viel — mein Gott, heißt das fasten! Die Schwarzröcke hieben ein wie österreichische Grenadiere, ich musste ihre Ess- und Verdauungsorgane bewundern, und es war nur ein Fasttag! Ich war in Kreuzlingen nur dies eine Mal als Gast, kann daher von andern Mahlzeiten nicht reden und es ist indiskret und undankbar, dass ich es überhaupt tue, glaube aber, dass die „Herren“ (so nennt man in der Schweiz vorzugsweise und durchgängig die Priester, Pfaffen und Mönche) an anderen Tagen nicht mehr essen werden und können. Vor und nach Tisch wurde gebetet, die Hände gefaltet, die Augen niedergeschlagen, oder wenn sie erhoben, verdreht; ich machte Alles mit, trank anfangs aus dem mir vorgesetzten Schoppen gewöhnlichen Seeweins, aber gegen Gewohnheit nur die Hälfte, denn in irdenen, undurchsichtigen Krügen stand, wie mir mein braver Nachbar, der Maler, zuflüsterte, besseres Gewächs, man schenkte bald aus diesen Krügen ein und trank — wie aus einem Studentencommerce, ausgenommen, dass man nicht sang und rauchte, stille schwieg, heilig schien und um so mehr trinken konnte!

In der Schweiz existieren wie bekannt noch viele Klöster aller Orden, auf den katholischen Teil derselben, der kaum die Hälfte, also höchstens eine Million Einwohner beträgt, rechnet man gegen dreitausend Mönche, Nonnen und Einsiedler mit Ausschluss der Weltgeistlichen, so dass in dieser Hinsicht die Schweiz den christlich-katholischen Staaten, Spanien, Sardinien, Sizilien und der weltlichen Herrschaft des geistlichen Oberhauptes der alleinseligmachenden, Kirche nicht nachsteht; viele Kantone, namentlich die Urkantone und mehrere andere, geben jenen Ländern in Hinsicht auf Fanatismus, religiöse Schwärmerei, Aberglauben und alles Unwesen des Pfaffentums ebenfalls nichts nach. Eine genaue Berechnung aller Klöster, Bistümer usw., die mir mitgeteilt, gibt an, dass ungefähr 120 Mönchs- und Nonnenklöster ein jährliches Einkommen von anderthalb Millionen Gulden beziehen, außerdem sieben Bistümer und siebenzehn Probsteien eine halbe Million, dem gemäß fließen jährlich zwei Millionen Gulden rheinisch, oder drei Millionen Schweizerfranken in die Küchen und Keller dieser faulen, oft ungebildeten, in der Regel verfinsterungssüchtigen, habsüchtigen, stolzen, scheinheiligen Müßiggänger und Müßiggängerinnen. Wie viel treffliche Schulen und andere gemeinnützige Anstalten könnten hierfür gestiftet, wie viel besser das oft schlecht verwaltete Vermögen der Klöster benutzt werden! Man wende nicht ein, dass mit manchen jener Anstalten Schulen verbunden sind, diese sind unbedeutend und nützen nichts, denn man füllt in ihnen die Köpfe der Zöglinge nur mit religiösen und biblischen Geschichten, Wundern, Legenden, Gebeten usw. und versäumt das Reelle; man wende nicht ein, dass die Klöster als einmal bestehend und sanktioniert, bestehen müssen, alte Gesetze und Institutionen, die nicht zeitgemäß und nützlich sind, hebt man auf, eben so kann man diese Anstalten des Müßiggangs und der Heuchelei aufheben, weder Mönche noch Nonnen sind Eigentümer, da sie ihrem Gelübde der Armut gemäß gar kein Eigentum besitzen dürfen, sie sind nur Nießnutzer, man pensioniere sie, oder stelle sie an, verwalte das Vermögen der Klöster, und errichte Schulen mit guten Lehrern, Armen-, Kranken - und Waisenhäuser und man wird Gott wohlgefälliger sein, als wenn man Mönche und Nonnen mästet, die aus allen Kräften gegen die Aufklärung streben, denn nur so lange das Volk auf der jetzigen Stufe bleibt, sichern sie ihre Existenz.

Es ist in der Tat in der Schweiz, mehr in den katholischen, als in den reformierten Kantonen, mit dem Pfaffenwesen, mit dem Aberglauben und der Schwärmerei arg. Beleidige man ja keinen geistlichen Herrn, belächele nie eine ihrer Zeremonien und Fratzen, taste nie den blinden Glauben der irre geführten Schäflein an — man macht sich sonst unversöhnliche Feinde. Ich könnte mehrere Belege von Tatsachen anführen, die mir, der ich oft unbesonnen gegen jene Vorschriften handelte, selbst widerfuhren, und sehr viele, die mir von Andern zu Ohren kamen. Sündigen gegen die Gebote, fehlen gegen die Gesetze, schimpfen auf die Bewohner, Alles wird vergeben, aber wehe dem, der einen Diener Gottes beleidigt, der den Glauben antastet, oder eine sinnlose, altmodische Zeremonie, oft nur ein Possen- und Gaukelspiel für gebildete Schweizer selbst, die aber dennoch mitmachen müssen, belächelt!

Was hier gesagt, ist durchaus nicht übertrieben, alle aufgeklärte Schweizer und Nichtschweizer stimmen damit überein; man könnte noch mehr sagen. Keineswegs wollen wir alle Geistliche, unter denen man sehr achtbare Männer beider Konfessionen antrifft, in jener Zahl begreifen, es gibt Ausnahmen, sie sind aber leider sehr selten!

Ohne das nahe Konstanz, dessen Bier im ganzen nördlichen Teile der Eidgenossenschaft berühmt und beliebt, aber sehr teuer ist, zu berühren, weilte ich noch mehrere Tage in Kreuzungen und machte mit einigen Bekannten, denen ich teils empfohlen, teils durch Zufall bekannt geworden war, mehrere kleinere Schlittenpartien in die Nachbarschaft. Überall fand ich freundliche Gesichter, Wohlhabenheit, Reinlichkeit und in den Gasthöfen neben nicht allzu hohen Preisen sehr gutes Essen und gute Bedienung. Dieselbe Bemerkung fand ich auf meiner Weiterreise, die ich ebenfalls zu Schlitten an einem hellen Morgen unternahm. Der Weg ging zuförderst nach Frauenfeld, dem Hauptort von Thurgau, einer kleinen freundlichen Stadt. Hier blieb ich einen Tag in Gesellschaft gebildeter junger Männer, deren Einem ich empfohlen. Sie waren gesamt von der liberalen Partei, schimpften und sprachen viel, was mir, da ich mit den Verhältnissen der Schweiz damals nur wenig bekannt, meist unverständlich war. Von Frauenfeld bis Winterthur brachte ich wieder einen Tag zu, obwohl die Entfernung nur drei Stunden beträgt. Letztere Stadt gehört zu Zürich und ist verhältnismäßig eine der reichsten der Schweiz, was viel sagen will. Das Kommunenvermögen der Stadt, welche ungefähr viertausend Seelen zählt, beträgt über sechs Millionen Schweizerfranken, ungefähr vier Millionen Gulden; abgesehen von diesem Gemeingut sind die Einwohner durchgängig wohlhabend, viele reich. Eine Mitgift von achtzig- bis hunderttausend Gulden nennt man kaum; Winterthur wäre ein Ort für heiratslustige Männer, leider sind nur die Leutchen gegen Fremde in dieser Hinsicht misstrauisch.

Von Winterthur bis zur Hauptstadt des Kantons rechnet man vier Stunden, es sind aber Schweizerstunden, die fast die Hälfte länger, als die deutschen sind, ich glaube, dass eine Berner Stunde einer preußischen Postmeile ziemlich nahe kommt. In Basserstorf, der Hälfte zwischen beiden Örtern, war wegen der trefflichen Schlittenbahn viel Leben; im dortigen großen Gasthofe hatten sich die Wohlhabenden aus der Umgegend, aus Winterthur und aus Zürich versammelt, die junge Welt wollte den Nachmittag und Abend durchtanzen, die Ältern ihn durchtrinken, welches letztere Vorhaben der Winterthurer Wein, schwer und von dunkelroter Farbe, eine der besten Sorten der nördlichen Schweiz, begünstigte. Ich wäre gern geblieben, aber mein starrköpfiger Kutscher protestierte dagegen, ich bot Zulage, umsonst; die Schweizerkutscher sind nämlich Leute ganz besonderer Art, sie kennen ihre republikanische Wichtigkeit, wissen, dass man ohne sie, da es nur in einigen Kantonen Extrapostpferde gibt, nicht reisen, wenigstens nicht fahren kann, fordern unverschämt, verdienen viel, und sind deshalb so aufgeblasen wie stolz. Wider Willen, und den malitiösen Rosselenker verwünschend, erreichte ich noch bei Tage Zürich, fuhr durch halb abgetragene Wälle und das verlassene Tor ungefragt und ungehindert in die alte, winklige, enge und krummstraßige Stadt und stieg in einem Gasthause ab, dessen Äußeres kaum verriet, dass es das erste der berühmten, reichen Stadt Zürich sei, ich meine das Schwert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweizerskizzen