In Zürich wurde es mit der Zeit sehr langweilig

In Zürich wurde es mit der Zeit sehr langweilig, die Fremden, namentlich die Deutschen, wurden immer strenger beaufsichtigt, Mehrere ausgewiesen, andern ein längerer Aufenthalt verweigert, die Stadt war mir um deswillen noch mehr zuwider und meine Absicht auch nicht, immer in ihr zu weilen, ich wollte andere Städte und Partien Helvetiens kennen lernen, reiste daher im März ab. Das Wetter war zu einer Fußreise zu ungünstig, auf den Höhen noch zu viel Schnee, sonst würde ich auf dem Züricher See bis Rapperswyl gefahren, hier die Brücke über den See passiert und das Kloster Maria Einsiedeln im Kanton Schwyz besucht haben. Wegen der hohen Lage jener Faullenzeranstalt war der Weg dorthin noch nicht gangbar, oder doch sehr schwierig, ich ließ es daher bei den Beschreibungen von jenem reichen Sitze des Aberglaubens und frommen Wahns bewenden, hatte ich doch Gelegenheit später Institute der Art noch in Menge zu beaugenscheinigen. Maria Einsiedeln gehört zu den reichsten, prächtigsten Klöstern der Eidgenossenschaft, es ist zugleich ein berühmter Wallfahrtsort, welcher Pilger von nah und fern anzieht, alte Sünder und abergläubiges Volk, welches hier Ablass für begangene und noch zu begehende Sünden, Christuskreuzlein, Mariabildlein, Rosenkränze, unsinnige Legenden, Holz vom Kreuze, Erde vom gelobten Lande, Milch aus den Brüsten der Jungfrau usw. für schweres Geld einhandelt, viele deutsche und lateinische Gebete gedankenlos herplärrt, viel isst und trinkt, dem Kloster Schätze und dem unterliegenden Städtchen Einsiedlen die Hauptnahrungsquelle verschafft und während der frommen Wallfahrt gerade nicht allzu fromm zu leben pflegt, wie natürlich, wenn Alle gemeinschaftlich essen, trinken, beten und schlafen. Der Aberglaube und Unsinn, welche von Maria Einsiedeln und andern ähnlichen Verfinsterungsanstalten ausgehen, sind übergroß, das religiös schwärmerische Volk wird absichtlich und planmäßig in die drückendsten, heillosesten Fesseln der Unwissenheit, des Aberglaubens und der Verdummung geschlagen und gehalten, aber rede nur Einer dagegen, dieser Atheist, Ketzer und Gottesleugner hat kein ferneres Bleiben in den christlich-katholischen Kantonen.

Mit der Post fuhr ich über den Aldis, — eine Gebirgskette im Süden von Zürich, von welcher aus ich die reizende Gegend, die bereits, außer den Höhen, von Schnee und Eis befreit war, noch einmal überschauete, — nach Luzern. Die sonst trefflichen Straßen in der Schweiz erstrecken sich noch nicht überall, so wurde auch der Weg von Knonau, dem Grenzort des Züricher Kantons, bis Luzern, teilweise durch den kleinsten Kanton der Schweiz, durch Zug, führend, miserabel, eben so der Postwagen, welcher von Zürich bis Knonau nichts zu wünschen ließ. Die alte Gevatterkutsche von Knonau bis Luzern war dagegen erbärmlich, mit Leder gefüttert, knarrend und holpernd, und viel zu schwer für zwei Pferde. Daher kam es, dass der Postillon, ein Bauer in Zivilkleidern, auf die fünf Landstunden fünf und eine halbe Stunde zubrachte, erst spät fuhren wir in Luzern ein, welches mir, da wir fast die ganze Lange der Stadt bis zur Post durchrumpeln mußten, sehr groß vorkam. In der Waage, die mir als gutes und nicht zu teures Gasthaus empfohlen, nahm ich das Absteigequartier, aß gut, trank schlecht, fand sehr langweilige Gesellschaft, dagegen drei hübsche Wirtstöchter (von denen zwei leider schon verlobt waren), die einzigen übrigen weiblichen Sprösslinge aus der sehr fruchtbaren Ehe des Gastgebers; Schade, dass sie als Erbteil der kreischenden Mutter, sehr große Hände und Füße „überkommen“ haben — überkommen ist der Lieblingsausdruck der Luzerner, den sie in jedem Satz wenigstens ein Mal anwenden, — ein neuer Beweis, dass auf dieser Welt doch nichts vollkommen!


In Luzern hatte ich von deutschen Universitäten her mehrere intime Bekannte, die ich gleich andern Tags aufsuchte und durch sie alsbald in der ganzen Stadt einheimisch ward. Dies fällt dort nicht schwer, es herrscht durchgehends eine herzliche Zuvorkommenheit, auch gegen Fremde, viel Gutmütigkeit neben etwas Beschränktheit, eine große Ungebundenheit, Liebe zum Gläschen und zu fröhlichen Gesellschaften. In wenigen Tagen war ich wie zu Hause; ein Zimmer, welches mir meine Freunde in einer braven, gefälligen Familie, zugleich neben trefflicher Kost und allen Bedürfnissen, verschafft hatten, trug dazu bei, meinen Aufenthalt äußerst angenehm zu machen. Denn was kann der Sterbliche mehr verlangen, als Freiheit, freundliche Gesichter, gutes Essen und treffliche Getränke? Dies fand ich durchgehends, Wein und Bier ausgezeichnet und nicht allzu teuer; die Kost war nur zu gut und befürchtete ich, mich zu verwöhnen; dabei überall Herzlichkeit und Frohsinn.

Die Luzerner, kaum zehn Stunden von den Zürichern entfernt, sind dennoch ganz andere Menschen mit andern Sitten, Gewohnheiten, Ansichten, mit einer andern Verfassung und was die Hauptverschiedenheit bedingt, mit einer andern Religion. Es gibt in der Schweiz zwei Staatsreligionen, die reformierte, die vorherrschende, und die katholische, die jener in Rücksicht auf die Anzahl ihrer Bekenner fast gleich kommt. Von andern Sekten habe ich nichts bemerkt, Juden werden nicht geduldet, Heiden habe ich, wenigstens als öffentlich sich bekennende, nicht gefunden. Nuancierungen in jenen beiden Kirchen gibt es hier, wie überall, da gibt es Fanatiker, die den Andersgläubigen wie die Pest oder Choleras morbus scheuen, Schwärmer, die man in der Schweiz zahlreicher, als irgendwo findet, unduldsame Orthodoxe, die an Alles buchstäblich glauben und den verketzern, der nur den geringsten Zweifel gegen ihre Wunder, ihren Legendenkram usw. hegt, Indifferentisten, wie überall, Freigeister und Ungläubige, Rationalisten und Skeptiker ebenfalls, letztere Klassen jedoch gewiss nicht allzu häufig. Überhaupt üben in der Schweiz, wie schon gesagt, die Religion und deren Diener einen gewaltigen Einfluss. Waren die Züricher durchgängig reformiert und zeigten auf die wenigen katholischen Familien in ihrer Stadt fast mit Fingern, waren sie hierzu von ihren Seelsorgern, von manchen mehr, als von andern, gewissermaßen indirekt angetrieben, indem ihnen von diesen Zeloten mit Donnerstimme verkündigt wird, dass nur ihre Religion die wahre, jede andere Götzen- und Trugdienst sei: so sehen wir in Luzern die katholische Kirche als die alleinseligmachende von Franziskanern, Jesuiten, Chorherren und Kapuzinern laut verkünden, den Ketzer als Halbmenschen und Heiden von dem bessern Teil bemitleiden, die Pfaffen und den Haufen aber vor und in Gegenwart dieser Unreinen sich bekreuzigen. Hier wird streng gefastet, hier täglich, Sonn- und Festtags fünf bis sechs Mal, in die verschiedenen Kirchen gezogen, hier werden noch alle Zeremonien gläubig mitgemacht, die Ohrenbeichte ist in vollem Schwünge, der Dieb, das Freudenmädchen beichten ihre Vergehen traulich in den nächsten Tagen dem horchenden Pater, der ihnen so und so viele Ave Maria und Paternoster zur Sündenvergebung und Reinigung als Pointen; auferlegt; der Dieb und das Mädchen beten und gehen wieder hin und fallen in die Arme des alten Adam zurück, beichten in einer andern Kirche, oder bei einem andern Orden, um von Neuem zu sündigen. Ein herrlicher Glaube, dem zu Folge Berge zu versetzen auch nicht schwer fallen muss und dennoch sind die Luzerner, wie die Bewohner in den benachbarten Kantonen und überhaupt in dem größten Teile der Schweiz, mit den trefflichsten Naturgaben ausgestattet, helle Köpfe mit kräftigen Körpern, etwas zur Schwärmerei geneigt, welche Anlage besser benutzt werden könnte, als es von ihren Pfaffen, unter denen das Schulwesen steht, geschieht. Die obern Schulen, die Gymnasien, deren Zöglinge sich „Studenten“ nennen und so genannt werden, sind höchstens mittelmäßig, die Stadt und Landschulen dagegen jämmerlich, die Leute lernen zur Not etwas lesen, wobei sie den Zeigefinger anwenden, einige Buchstaben auf Linien malen, nichts von Geschichte, selbst nichts von ihrer vaterländischen, die so herrlichen Stoff darböte, nichts von Geographie, aber desto mehr Sprüche, Gebete, Wundergeschichten, Legenden u. s. w. Es ist unverantwortlich, wie das Volk systematisch verdummt und im Aberglauben erhalten und befestigt wird; das sind die Früchte eurer Klöster, eurer Schwarzröcke und Braunkutten, ihr biedern Luzerner, und ihr kräftigen Leute aus den Urkantonen. Wann werdet ihr zur bessern Einsicht gelangen, wann die Klöster aufheben und die Schulen verbessern?

*) Hier, wie überall, ist nur von der Regel die Rede, denn Ausnahmen finden sich immer; dies bitte ich ein für alle Mal zu berücksichtigen. So habe ich auch in Luzern sehr aufgeklärte Männer gesprochen, die viele gebotene Alfanzereien und Fratzen, von deren einigen weiter unten die Rede sein wird, ganz andächtig mitmachten, um keinen öffentlichen Anstoß zugeben, später aber im trauten Kreise, ganz anders dachten und sprachen.

Der Aristokratismus war in Luzern vor 1830, wie fast überall in der Eidgenossenschaft, mächtig und ausschließlich am Staatsruder, seit jener Zeit ist er gestürzt und scheint fast gänzlich ausgerottet, denn weniger, als irgend sonst hörte ich, hier von Aristokraten, mit denen Jesuiten und Pfaffen Hand in Hand gingen, weder sprechen, noch sah ich deren Viele. Patrizier-Familien gibt es zwar, aber sie verhalten sich still, prätendieren nichts und mischen sich allmählich unter die Menge, denn ihr Ruhm ist dahin! Es gibt nur eine wirklich adelige Familie im Landender letzte männliche Spross derselben ist aber ein sehr aufgeklärter, liberaler Mann und hat sein „von“ und wahrscheinlich auch sein Diplom quittiert. Überhaupt gilt der Adel nur in einigen Kantonen, der wohlhabende, arbeitsame Bürger und der einsichtsvolle, gebildete Mann nehmen dessen Stelle in den übrigen ein.

Auch das Familienleben gestaltet sich in Luzern auf seine besondere Art und Weise, die Frau scheint nie so herabgewürdigt und tyrannisiert worden zu sein, als in Zürich, sie erscheint überall mit dem Gatten. Große Gesellschaften und Gastereien finden nicht statt, oder doch nur in wenigen Familien, die vermöglich sind und sich mehrenteils ihre Glücksgüter in frühern Zeiten als Schultheiße, Landammänner, Präsidenten, Mitglieder des kleinen Rats und an ähnlichen Plätzen erworben haben. Reichtum findet man selten im Kanton Luzern, wie auch in den benachbarten Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden, zu welchen Luzern und Zug als die ersten, die sich jenen anschlossen, häufig gezahlt werden und sich selbst gern dazu zählen; dagegen trifft man fast durchgehend Wohlstand. Fabriken und Manufakturen sind in geringer Anzahl vorhanden, dafür wird die Viehzucht, der Obst- und Gartenbau eifrig betrieben; der Wein gerät nicht, für Getreide ist das Land zu gebirgig, die Täler werden besser für Weideplätze, Wiesen, Obstpflanzungen und Gartenbau benutzt; alle die Kantone müssen den größten Teil ihres Brotkorns vom Auslande beziehen. Dafür haben sie Holz, Butter, Käse, Obst und das trefflichste Rindvieh zur Ausfuhr.

Wurde erwähnt, dass große Gesellschaften selten sind, so folgt nicht, dass die Geselligkeit, der Frohsinn und gemeinschaftliche Mitteilung hierunter leiden müssen. Die Frau waltet im häuslichen Kreise, oder besucht die Nachbarin, um ihrem Herzen Luft zu machen, und über die Nebenmenschen herzuziehen, der Mann geht unterdessen in ein Wirtshaus, wo er sicher Gaste und Bekannte findet, trinkt sein Schoppchen, kannegießert und freuet sich seines Lebens in ungebundener, gemischter Gesellschaft. Da ist jeder willkommen, der nicht öffentlich verachtet ist, schlechte Streiche gemacht hat — solchem ist der Eintritt in jegliches Wirtshaus verboten, zu diesem Zwecke existieren „schwarze Tafeln“ auf welchen die Namen der Mauvais sujets und ihre Exclusion aus den Gasthäusern und den Gesellschaften ordentlicher Leute verzeichnet sind — und sein Schüppchen zahlen kann. Trotz dieser Freiheit, dieses nicht abzusprechenden Gemeinsinns, dieser Vertraulichkeit unter verschiedenen Ständen und dieser gesellschaftlichen Ungebundenheit herrscht auch hier eine auffallende Titelsucht, auch hier gibt es Präsidenten, die das ganze heilige römische Reich ihrer Zahl nach hätten verwalten können, Landammänner und Altlandamtmänner, Schultheißen, die es vor fünfzig Jahren waren, und den Titel bis in ihr kühles Grab vindizieren, Obristen, Majore und Hauptleute legionenweise. Ein Obrist ist Cafétier, ein anderer Bierwirt, jener Präsident melkt die Kühe, dieser ist ein Hauderer — doch man lasse den Leutchen diese hohen Titel, sie maßen sich um deswillen nichts mehr an!

Eine Schmach für jede Regierung, besonders für eine republikanische, ist das Werbesystem für ausländische Fürsten, welches in vielen eidgenössischen Staaten noch immer in voller Blüte steht. So auch in Luzern. Hier sieht man an jedem Tore prunkende Aushängeschilder mit rotgekleideten, neapolitanischen Soldaten und Offizieren, Werber laufen in stattlicher Gallauniform auf allen Straßen und in allen Kneipen umher, denn dieser schändliche Seelenhandel wird von Oben begünstigt, die Söhne und Vettern und Verwandte der regierenden Herrn bis ins siebzehnte Glied erhielten Offizierstellen, avancierten, bekamen Orden, — bisweilen erhaschten auch die gestrengen und wohlweisen Patrizier deren, oder goldene Dosen usw. — erhielten Pensionen und erwarben sich Geld, die armen, verhandelten Soldaten dagegen wurden an Leib und Seele verdorben, wahre Taugenichtse, zu jeglichem Geschäft unbrauchbar. Dies beweisen die Kriminalakten in den meisten Kantonen, welche das Werben gestatten: zwei Drittel der Hingerichteten, der Kettengefangenen und Zuchthäusler waren aus Frankreich, Holland, Sardinien, Neapel und Rom zurückgekehrte Soldaten, die in jenen Ländern, als Söldner unumschränkter Fürsten wenig Gutes, aber viel Schlechtes, Spielen, trinken, faulenzen, betrügen, stehlen und morden gelernt hatten. Und doch hört man die Schweizertreue dieser Helden rühmen! Eine schöne Treue, besonders schön für Republikaner, die sich verkaufen, um Nationen, von denen sie verabscheut werden mitsamt denen, zu deren Schutz sie erhandelt, in Gehorsam und Furcht zu erhalten. Frankreich und Holland hat diese Söldlinge nach Hause geschickt, dort ließen sie sich von dem Volke totschlagen, weil Karl X., besonders in den letzten Tagen und Stunden seiner Herrschaft, die treuen Schweizer ungemein bezahlte und gelobte, wenn sie recht tapfer auf den Pöbel schossen und hieben und stachen, sie hoch erheben zu wollen: aber die Rotröcke unterlagen, wurden in ihr Land geschickt, oder blieben als Türhüter bei alten Geschlechtern zurück, die der „Schweizertreue“ eingedenk in ihrem türhütenden Bedienten eine süße Erinnerung an vergangene, schönere Zeiten genießen. Die übrigen Helden, die aus Frankreich, wo es sechs Schweizerregimenter gab, und früher schon aus Holland, wo deren drei existiert hatten, entlassen waren, überschwemmten ihr Vaterland, die Offiziere hatten eine Pension, oder sonst zu leben, die Soldaten hatten nichts, konnten und wussten nichts, zum Arbeiten zu trage, ließen sie sich wieder nach Neapel oder Rom anwerben, oder begingen schlechte Streiche, die ihnen endlich zu freier Kost und Logis verhalfen, oder sie auf den Rabenstein brachten, einen Ort, der wegen des sehr häufigen Gebrauchs in der Schweiz in den meisten Kantonen schön gemauert vor irgend einem Tore anzutreffen ist. So war es unter der alten Regierung, so ist es noch jetzt, denn die Schweizer sind nicht die Ursache, dass ihre Helden aus Holland und Frankreich fortgejagt wurden, wohl aber, dass sie noch in Neapel und Rom die Leibwachen Sr. Majestät und Sr. Heiligkeit bilden. Macht man sie auf das Empörende dieses Seelenhandels aufmerksam — die meisten gebildeten, vorurteilsfreien Schweizer sehen dies selbst recht gut ein — so bedeuten sie mit wichtiger Miene, dass die Kapitulation auf so und so lange, ich glaube fast noch gegen zwanzig Jahre mit Neapel, geschlossen sei, und gehalten werden müsse. Wahrscheinlich werden also auch so lange Schweizer in Neapel und Rom bleiben, bis sie von dem dortigen Volke weggejagt werden, denn dies wird sich so wenig an die Capitulation ihrer Fürsten kehren, als die Schweizer sich an diejenige, welche ihre gestürzten Regierungen geschlossen haben, kehren sollten. Es gibt sogar zur Zeit noch Viele, die jenen Söldnerdienst verteidigen und loben, ich will diese Herren nicht näher bezeichnen, oft erkennt man sie an einem Bandchen, oft daran, dass sie französisch oder italienisch sprechen, gewöhnlich Schnurbärte tragen und mit der Gegenwart, außer wenn sie hinter der vollen Flasche sitzen, gar nicht zufrieden scheinen. Sie sagen: es ist eines jeden freier Wille, sich anwerben zu lassen—ein schöner freier Wille, wenn schlaue Werber im Bunde mit schelmischen Wirten und Freudenmädchen den einfältigen Bauer, oft Familienvater, übertölpeln, zum Spiel verlocken, betrügen oder betrunken machen, dann einen Engagementsakt unterschreiben lassen und einige Kronenthaler Handgeld geben, damit der Erhandelte Wirt und Dirne bezahlen kann. Und dieser Engagementsakt ist bindend! Da hilft kein Bitten, keine Tränen, da mag der alte Vater, die Mutter, die Frau des Geworbenen, oder dessen Braut kommen; denn die Werber dürfen kein Herz, kein menschliches Gefühl haben. Jene Herren sagen weiter: in unserm Landle gibt es zu viele Menschen, recht gut daher, wenn wir einen Ausfluss nach andern Ländern haben. Wieder ein trefflicher Grund, dessen Ungrund leicht darzutun, denn in der Schweiz gibt es durchaus nicht zu viele Bewohner, dies beweist, dass so viele fremde Arbeiter mit Freuden aufgenommen und gut bezahlt werden, dies beweist, dass in vielen Fabriken Hände mangeln, dass an manchen Orten große Strecken Landes unangebaut, oder schlecht bebauet sind. Und wenn zu viele Menschen da waren, müsste man um deswillen freie Bürger, Republikaner, verkaufen, in jene Lander und für jenen Dienst verkaufen? Gibt es nicht andere Länder, in denen sie als Arbeiter, als Landbebauer nützen und sich eine Zukunft gründen könnten? Als Soldaten hingegen werden sie, wenn sie zu alt oder junge Greise, schwach an Körper und Geist geworden, entlassen und fallen ihrem Vaterlande, den armen Ihrigen, zur Last. Endlich verteidigen jene Vaterlandsfreunde den fremden Kriegsdienst damit, dass er den kriegerischen Geist ihrer Nation belebe und bilde. Dann muss es aber um ein Volk sehr schlecht stehen, wenn es kriegerischen Geist in fremden Söldnerdienst, auf Wachtparaden und gegen unglückliche, unterdrückte Völker sich aneignen soll. Nein, Ihr Herren, Euch vielleicht, aber nicht Euern Landsleuten, fehlt es an Mut, Vaterlandsliebe und kriegerischem Geist, dies haben sie zu allen Zeiten bewiesen, an Einigkeit und guter Anführung fehlte es oft, aber nicht an Mut. Das war wieder Eure Schuld, Ihr Herren, warum habt Ihr den Kriegsdienst nicht besser in Euren Schulen zu Neapel, Paris usw. erlernt, warum wart Ihr nicht in der Heimat, als es galt! Übt vielmehr Eure Milizen, befördert ihre patriotischen Vereine, ihre Schießübungen, ihre Schützenfeste, denn der Stutzer ist die Hauptwaffe des Volkes, die es trefflich zu führen versteht und in Euren Bergen und Tälern mit Nutzen führen wird, wie es dies schon bewiesen.

Es ist in der Tat höchlich zu wünschen, dass die Eidgenossen über diese Punkte ihre Augen öffnen und sich nicht länger von solchen, die nur ihr Interesse bei jenem Menschenhandel berücksichtigen, verblenden und gängeln lassen. Es ist hiefür schon Manches geschehen und wird noch mehr geschehen. Verbessert die Schulen und rottet alte, eingewurzelte Vorurteile, an denen das Volk nur zu fest hält, aus, dann werden sich nicht mehr so Viele finden, die ihr herrliches Vaterland verlassen, in fremde Dienste gehen, um ihre stillen Täler später zu vergessen. Aber in den katholischen Kantonen wird es noch lange währen, bis das Volk über seine wahren Interessen aufgeklärt ist, der Nuntius des heiligen Stuhls, ein gelber, magerer Italiener mit fleischfarbenen hohen Strümpfen, einem kleinen, dreieckigen Hute und blinzelnden Augen, wird in Verbindung mit seinen zahlreichen Untergebenen und Geistesverwandten Alles aufbieten, noch lange fromme Söldner für die fromme päpstliche und neapolitanische Regierung zu erschachern. —

Schon im Vorhergehenden wurde angedeutet, dass in der Stadt Luzern und im Kanton sich viele Klöster befinden, und dass namentlich durch sie und die Weltgeistlichen der Aberglaube, der Hang zur Schwärmerei und Wunderglauben genährt und allgemein verbreitet werden. Einen glänzenden Beleg hiefür bot der Musegger Umzug dar, den ich kurz nach meiner Ankunft Gelegenheit hatte anzusehen; so fromm und gläubig ich damals schien, den Hut abnahm, und ich glaube gar auch die Hände faltete, so sehr musste ich im Innern mitleidig lächeln, die frommen Schafe bemitleiden und die schlechten Hirten verachten. Jener Musegger Umzug, von der im Westen der Stadt befindlichen hohen Mauer mit neun bis zehn Türmen, die Musegg, um welche der Zug wandert, so benannt, datiert sich von einer Feuersbrunst, welche vor vielen Jahrhunderten, die damals fast nur aus Holz erbaute Stadt beinahe ganz einäscherte. Die Leute wurden dadurch gescheut, bauten ihre Häuser von Stein auf und verordneten alljährlich, als Gedächtnis jener Trauerszene, einen feierlichen Umzug, beides zusammen soll auch geholfen haben, denn obwohl es seit jener Zeit sehr oft in Luzern brannte, war der Schade doch nie so bedeutend. Dank den steinernen Häusern und dem alljährlichen Umzuge! Zu diesem versammeln sich von nah und fern gläubige Scharen laut betenden, singenden und murmelnden Volks, welches in den Herbergen der Stadt nicht gesamt Platz findet, deshalb in Scheuern, in Bogengängen und in den Fleischbänken die Nacht vor dem Fest bivouakiert und während dieses Kampierens dem Hymen häufig pränumerieren soll, um andern Tags sich des Fleisches enthalten und den Umzug würdig begehen zu können. Vom frühen Morgen an sind alle Glocken in Bewegung — es gibt hier ein treffliches Geläut auf der Hofkirche, — Gruppen geputzter Landleute und Städter füllen die Straßen, grüne Büschel in den Händen; die Polizei ist in Staatsuniform, ebenfalls einige und zwanzig linkische Milizen, die den Aug begleiten; die Musiker stimmen ihre Hörner, Pfeifen und Klarinetten. Um neun Uhr bewegt sich die Menge nach den beiden langen Brücken, deren eine, Kapellbrücke, über die Reuß, die andere, die Hofbrücke, über einen Teil des Sees führt; vom andern Ufer, vom östlichen, auf welchem die Stifts- oder Hofkirche, stoßen zwei große Kähne ab, dicht besetzt mit Chorherren und Kapuzinern, die aus ihrem nahen Kloster sich hier anschließen, mit bunt bekleideten Famulis, welche Rauchfässer, Fahnen, versilberte Statuen der Jungfrau, vieler Heiligen und Märtyrer tragen, mit den Behörden der Stadt im festlichen Ornat, Degen an der Seite und Wachskerzen in den Händen, mit bebänderten Schiffern, mit dem Stadtpfarrer, den Küstern, den Schullehrern, den Bälgentretern und Glockenmicheln. Den schönsten Anblick bei der ganzen Zeremonie gewährte das langsame Heranschwimmen dieser beiden buntbewipfelten, mit unzähligen Fahnen und vielfarbigen Menschen besetzten Kähne, das Bild wurde trüber, je näher die Kähne kamen, denn man erblickte nun die schmutzigen, kahlköpfigen, braunkuttigen Kapuziner und jesuitischen Chorherren im glänzenden Ornat, man hörte ihr Geplärr, in welches das der Menge von den Brücken und Ufern einstimmte. Ich habe nichts von diesem Gemurmel und Gesumme verstanden, die Beter wahrscheinlich, wenigstens dem größten Teile nach, auch nichts, und wenn Gott es verstanden, ob es ihm wohl genehm gewesen? — Die Behörden, Präsidenten, Schultheißen und Landammänner, welche dieser Prozession in bloßem Haupt, Festkleid, Degen, Wachslicht in der Hand usw. mitmachen und dicht hinter den Chorherren, den letzten im Zuge der Himmelsgarde, einherschreiten mussten, dauerten mich herzlich; unter ihnen so viele aufgeklärte Männer, die diese Posse vom Herzen verachten, und dennoch, des abergläubischen Volkes und der heuchlerischen Pfaffen halber, durch Straßen und Gassen, über die eigends zu diesem Zug über die Reuß geschlagene Brücke um die Musegger Mauer usw., selbst bei schlechtem Wetter, mitlaufen und mit den Wölfen heulen müssen. Doch habe ich keinen dieser Herren laut quaken oder brüllen hören worin sich viele Andere, Geistliche und alte Weiber, entsetzlich hervortaten; diesen Himmelssängern verdanke ich es, dass ich etwas von ihren rührenden Gebeten und Gesängen aufgeschnappt habe, ich hörte unendlich oft den Namen Maria, Jesus, vieler Heiligen und dahinter jedes Mal: ora pro nobis, auch Amen und das ganze und verstümmelte lateinische Vaterunser glaubte ich durchzuhören.

Die Vereinigung der über den See Gekommenen mit den sie am Ufer erwartenden Franziskanern und Eremiten habe ich nicht gesehen, denn ich eilte den mir durch die Güte eines Freundes verschafften Platz an einem Fenster, wo der Zug vorbeipassierte, einzunehmen. In dem nächsten Fenster neben mir stand eine fünf- bis achtundvierzigjährige Jungfer, eine sehr eifrige Glaubensheldin. Die Bemerkungen dieser strengen Katholikin waren sehr salbungsreich und treffend und ergötzten mich fast eben so, als die Prozession, die jetzt herankam, wie man aus dem sich nähernden Gesumme und Treiben der gottlosen Jugend und dem Abmühen der Stadtmusici, durch dieses vielseitige Lärmen mit ihren Instrumenten durchzudringen, abnehmen konnte. Voran zog, wie bei allen solchen Gelegenheiten, die Straßenjugend, dann kamen 12 — 15 bärtige, wild blickende Männer mit kahlen und bewachsenen Köpfen, schwarzen, schmutzigen Kutten und einem Strick um den Leib — „was mag dies für ein Orden sein?“ frug ich die hocherfreute, innig vergnügte alte Jungfer. „Mi Gott, des sün de Waldbrüder, schauen Se de herrlichen Waldbruder zur Links.“ Also Eremiten, Klausner, waren diese stämmigen Himmelsdragoner, die Avantgarde des Glaubensheeres! Ich sah links und erblickte den herrlichen Waldbruder, eine Gestalt, wie die des oben beschriebenen Goliath in Zürich, nur ganz schwarz, mit langem Bart, einem Nacken, wie ein Stier und Knochen, wie ein Elefant. Der Waldbruder, ich möchte nicht allein in einem Walde mit ihm zusammentreffen, gefiel der nebenstehenden Jungfer, sie verfolgte ihn mit den Augen und freute sich der Fülle seiner Kraft. Dieser Bruder war vermögend, wie ich später hörte, einen halben Sack Kartoffeln in einem Sitz und dazu 20 — 30 Schoppen Cyder zu trinken, er soll seine Gegend, im Kanton Schwyz, ganz arm fressen. — Hinter den Waldbrüdern, die alle gleich dumm aussahen, folgte eine fromme Sekte: Mystiker überall! Sie schlugen die Augen nieder, drehten sehr fleißig den Rosenkranz und beteten, doch ich will dies Wort nicht wieder missbrauchen, und murmelten leise. Dies waren die Bibelhusaren der Kolonne. Dann folgte die gemeine Infanterie, die schmierigen Kapuziner, die in Sandalen und barhaupt Gott wohlgefällig zu leben wähnen, außerdem nichts tun und wissen, als fressen und saufen. Hiernach kamen die geistlichen Scharfschützen, die Franziskaner, in anständiger Tracht, geringerer Anzahl und mit wenig Geräusch. Die Force des Armeecorps beschloß den Zug, das Genie - und Artilleriecorps, die jesuitischen Chorherren mit dem Stadtpfarrer in der Mitte. — Schade, dass nicht einige Pelotons Nonnen als Marketenderinnen dem heiligen Auge sich anschlossen und eine Vervollständigung der himmlischen Scharen dieser Erde gaben! Unter Glockengeläute zog die Prozession durch mehrere Straßen, über die Reuß, um die Musegg — dies gewährte neben der blendend weißen Mauer und den vielen Türmen von der gegenüberstehenden Seite einen imposanten Anblick — und dann in die Hofkirche, die Behörden unmittelbar hinter den Chorherren immer mit; hier trennte man sich und nun ging es in die verschiedenen Kirchen, deren es verhältnismäßig doch nicht zu viel gibt, in die zahllosen Kneipen, in die Klöster, und die Waldbrüder zogen in das Hospital, woselbst sie drei Tage lang frei beköstigt und verpflegt wurden, denn schwerlich würde sie auch ein Gastwirt aufgenommen haben. Was mag da der herrliche „Waldbruder“ zu sich genommen, und ob darunter nicht die armen Kranken und Pensionäre gelitten haben?

Was gewinnt nun aber Stadt, Land und Volk durch diese lächerlichen, sittenverderbenden Prozessionen und Wallfahrten? Sollte eine vernünftige Regierung sie nicht unbedenklich abschaffen? Selbst Geistliche hielten sich in meiner Gegenwart über diese Possen auf, die nur dazu dienen, das Volk im Aberglauben zu erhalten und zu verderben. Tags vor der Prozession ging ich allein vor einem Tor spazieren; es begegneten mir viele Landleute, meist weiblichen Geschlechts, die andern Tags das Fest in der Stadt feiern wollten. Sie plapperten ins Gesamt, ich verstand nichts. Es kam ein hübsches Bauernmädchen, die Augen verstohlen auf- und niederschlagend und den Rosenkranz eifrig drehend. „Mein Kind, was betest du denn?“ redete ich die Errötende an. Keine Antwort; ich zeigte ihr einen Vierundzwanzigkreuzer und sagte: „Sieh, du bekommst diesen blanken Sechsbätzner, wenn du mir sagst, was du betest.“ Die arme Kleine hatte vielleicht nicht für ihr Abendbrot und Nachtlager, und mochte sich doch wohl auch nicht gern zu den mutwilligen Burschen in den Scheunen und Fleischbänken betten, denn sie schien die Geheimnisse der Kinder Evas bereits zu kennen und die Kinderschuhe schon seit etlichen Jahren ausgezogen zu haben — sie antwortete: „Den Rosenkranz.“ Sie erhielt den Sechsbätzner, musste aber noch weiter beichten. „Wie und was betest du aber, wenn du den Rosenkranz drehest und die Kügelchen verschiebst?“ Nach einigem Zögern gestand sie mir stotternd: Je sechs Ave Maria — dies die kleinern — und dann ein Paternoster — dies die größeren Kugeln.“ „Aber verstehst du denn lateinisch?“ ohne mich weiter zu beachten und einer Erwiderung zu würdigen, eilte das hübsche Kind, froh über ihren Sechsbätzner, fort, ich schämte mich der letzten Frage, denn wie konnte ich nur glauben, dass das Madchen, welches kaum seine Muttersprache verstand, sie gewiss nicht geläufig lesen und noch weniger schreiben konnte, lateinisch erlernt haben sollte. Nun, dachte ich bei mir, der schnellen Dirne nachblickend, bete nur zu, der große Sprachmeister da oben versteht alle Sprachen, verstehst du auch nicht wie und worin du ihn bittest, er wird es verstehen, er, der die Töne der Tiere und das Lispeln der Blumen vernimmt, er wird auch dein Latein, wenn es aus frommen Herzen kommt, wohlgefällig vernehmen!

Hübsche Mädchen sind übrigens in Luzern, Stadt wie Kanton, nicht allzu häufig, man muss nicht überall in der Schweiz schöne Schweizerinnen finden wollen. Hier traf ich nur ausnahmsweise ein anziehendes Gesicht, zumal unter dem Landvolk, dagegen kräftige Gestalten, voll und gesund. Was die Sittlichkeit derselben anbetrifft, so können wir sie, im Ganzen, nur lobend erwähnen, die Urkantone mit Luzern und Zug stehen in dieser Hinsicht viel höher, als die benachbarten Zürich und Bern. Jedoch nulla regula usw., auch in Luzern geht der Teufel umher wie ein brüllender Löwe, besonders kehrt er bei verheirateten Weibern ein, die einer großen Zahl nach samt ihren und andern Männern der St. Simonistischen Religion zu huldigen scheinen. Eine lustige, wilde Zeit gewährt den Luzernern der Karneval, der hier am festlichsten in der ganzen Schweiz begangen wird. Er wird nicht bloß Tage, sondern Wochen, sechs Wochen lang gefeiert. Während dieser Zeit tanzt und tobt sich das Volk für das ganze Jahr aus, Fremde strömen herbei und erhöhen den Glanz und die Freude. Überall Musik, Tanz und Frohsinn: mit und ohne Masken zieht der Haufe von einem Haufe zum andern, gänzliche Freiheit und Gleichheit, Küche und Keller stehen offen, Berauschte und Hanswürste, Fiedler und Dirnen, alte Herren und Matronen, die züchtige Jungfrau und die sorgsame Hausfrau, Alles macht mit und überlässt sich dem Jubel. Dieser alte Brauch besteht seit uralter Zeit und erhält sich fort und fort, ungeschwächt und ungetrübt, trotz Pfaffen, Heuchlern und den früher allmächtigen Aristokraten, die sich wahrscheinlich jetzt maskiert Vergnügungen überließen, denen sie in wahrer, kennbarer Gestalt wohl huldigten, aber nicht öffentlich. Leider kam ich zu diesen Fest, von dem Alles voll war, zu spät, ich würde sonst nicht unterlassen haben, einiges Nähere, einige meiner Freuden und Leiden, anzuführen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweizerskizzen