Vorzeiten

Bei dem anmutigen Alvastra in Ostgotland, unweit des waldbekleideten Omberg, wo die Ruinen eines berühmten Klosters an eine Zeit vor 8 Jahrhunderten erinnern, als die ersten Mönche die Sitten des derben schwedischen Volkes milderten, breitet sich eine der ältesten schwedischen Ackerbaugegenden aus, nicht weniger als 4.500 Jahre alt.

Als man hier vor einigen Jahren tiefe Gräben ziehen wollte, kamen unerwartete Dinge an das Tageslicht. Da waren Äxte, Dolche und andere Geräte und Waffen aus Stein, da waren Scherben grobgeformter Tongefässe, da waren Haselnüsse und getrocknete wilde Äpfel und allerhand andere Kleinigkeiten. Nun wurden wissenschaftliche Untersuchungen vorgenommen. Man stieß hierbei auf ein Lager von Baumstämmen, auf welchen vor 45 Jahrhunderten Menschen in Hütten aus Reisig gewohnt hatten, zu einer Zeit, wo der Acker ein großer Sumpf gewesen war. Sie hatten ihre Wohnstätten dorthin verlegt, um sich vor ihren Feinden zu schützen. Nur auf ausgelegten Stegen war es möglich, zu diesen Hütten zu gelangen, und die Stege konnten des Nachts, oder wenn Feinde drohten, leicht fortgenommen werden. Dass dies Sumpfvolk Ackerbau getrieben hat, ist daraus ersichtlich, dass man eine Menge verkohlter Körner von niedriger, sechsreihiger Gerste gefunden hat, wie sie noch heute im nördlichen Lappland gebaut wird. Die Äpfel, die man gefunden hat, hat das Sumpfvolk gesammelt und an der Luft getrocknet, zum Wintervorrat. Große Massen aufgeknackter Nussschalen bezeugen auch, dass Haselnüsse für sie ein wichtiges Nahrungsmittel waren.


Diese Menschen waren die Vorfahren des jetzigen schwedischen Volkes und gehörten also dem großen germanischen Völkerstamm an. Mindestens 6.000 Jahre lang hat dieses Germanenvolk jetzt das schwedische Land bewohnt. Das Sumpfvolk bei Alvastra kannte noch nicht Metalle, sondern stellte seine wichtigsten Waffen und Geräte aus Stein und Holz her.

Ungefähr 500 Jahre vor Christi Geburt lernten die Schweden die Klumpen rostfarbigen Sumpferzes, die sich in Sümpfen und Seen aufgelagert fanden, zu Eisen schmelzen, und bald sollte die Welt erproben, „wie schwedischer Stahl beißt“.

Es war ein abgehärtetes Volk, das in Skandinavien wohnte. Schon von Jugend auf wurden die Kinder mit Gefahren und Kämpfen vertraut gemacht und durch Übungen, die Mut und Geistesgegenwart erforderten, abgehärtet. So erzählt man im 9. Jahrhundert nach Christo von Zehnjährigen, die an Kämpfen zwischen Männern teilnahmen und stritten bis sie einander töteten. Es gibt eine altnordische Erzählung von einer Witwe und ihren zwei 13 und 12 Jahr alten Söhnen, die gehört hatte, dass ein Mann sie arg verleumdet habe; und ging ihr dies tief zu Herzen. Sie klagte ihren Söhnen ihr Leid, schloss aber aufreizend: „Und Ihr könntet ja weder diese noch eine andere Schande rächen, die mir zugefügt wird!“Die Knaben ließen sich nicht merken, dass sie ihre Worte gehört hatten, machten sich aber gleich auf den Weg. Sie kamen nach dem Hof des Verleumders und fanden ihn draußen bei der Arbeit. Als er sie sah, wurde er ängstlich und versuchte zu entkommen. Da schleuderte der älteste Knabe seinen Speer, so dass er dem Mann in den Leib fuhr und dieser tot umfiel. Die Brüder kamen ruhig und wortkarg nach Hause, als wäre nichts Besonderes geschehen.

Nicht viel sprach auch der Mann, der von den Feinden des berühmten Gunnar auf Lidarände eines Abends nach dem Hofe Gunnars gesandt wurde zu erspähen, ob der Hausherr daheim sei — sie hatten sich nämlich versammelt, um ihn in der Nacht zu überfallen. Gunnar erblickt den Späher vom Guckloch aus und schleudert ihm seinen Speer durch den Leib. Der Verwundete wankt nach dem Versteck seiner Kameraden zurück. „Ist Gunnar zu Hause?“ fragen sie. „Seht selbst nach! Ich erfuhr wenigstens, dass sein Speer zu Hause war“, antwortet der Mann und fällt tot zu Boden.

Der Held, der heiter und frohgemut die Welt verlässt, war das Ideal der Bewohner des Nordens:

„Laut lachte Hogne,
als man das Herz ihm ausschnitt“,


oder, wie Ragnar Lodbrok dichtet, als er auf einer Heerfahrt nach England gefangen genommen und in eine Schlangengrube geworfen wurde: „Lächelnd will ich sterben.“ Höher als alles schätzten die Nordländer einen ehrenvollen Namen.

Im alten Gesange Havamal heißt es:

Hin stirbt deine Herde.
Hin sterben deine Freunde.
Sterben tust du selbst.
Aber eins weiß ich,
Was niemals stirbt:
das Urteil über den Toten.


Einem so tatenfrohen Volk, wie diese Nordländer, wurden die vier Wände bald zu eng, und wenn die Ernte fehlschlug, war nicht Brot genug da für die hastig wachsende Bevölkerung. Da begaben sich Scharen junger Männer hinaus auf das weite Meer, um ihr Glück mit den Waffen zu suchen. Unter Leitung ihrer besten Männer stiegen sie an Bord ihrer Drachenschiffe und steuerten nach den Küsten der Länder Ost- und Westeuropas, ja drangen tief in das Mittelländische Meer hinein. Andere fuhren über die Ostsee nach dem jetzigen Russland, segelten dort flussaufwärts, zogen ihre Fahrzeuge auf Rollen über Land von Fluss zu Fluss und kamen so bis nach dem Schwarzen und Kaspischen Meer, wo sie mit den Arabern zusammenstießen. „Niemals habe ich stattlichere Menschen gesehen“, sagt ein arabischer Verfasser. „Sie sind groß wie Palmbäume, rotbäckig und blondhaarig.“

So konnte ein Nordländer zu jener Zeit längs der Küste Europas, in das Schwarze Meer, die großen russischen Flüsse aufwärts fahren und beinahe überall seine Sprache sprechen hören. Die Nordländer waren die Herren des Meeres. Es war eine Großmachtszeit für den Norden, eine Zeit, die viele nützliche Kenntnisse hierher brachte, aus der neuen, wunderbaren Welt, die die Nordländer beschauen durften. Es war aber auch eine Zeit der Schrecken und Leiden für andere Völker. Die unglücklichen Menschen lagen auf den Knien in den Kirchen und baten: „Vor der Wut der Nordländer behüte uns, Du milder Gott!“ Nun hegten sie die allgemeine Hoffnung, dass die Wikinger, wie sie genannt wurden, milderen Sinnes werden würden, wenn sie die liebreichen Worte Jesu hörten.

Es fanden sich auch Männer, die für die Bekehrung der Heiden mit Freuden ihr Leben opfern wollten. Dank ihrer eifrigen Wirksamkeit wurde erst Dänemark und dann Schweden zum Christentum bekehrt. Und mit der Zeit sollte sich zeigen, dass die christliche Kultur auch in den nördlichen Ländern schöne Früchte tragen konnte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden