Sancta Birgitta

Der edelste Sprössling der christlichen Mittelalterkultur in Schweden ist die weltberühmte Heilige Birgitta. Sie war die Tochter eines mächtigen und angesehenen schwedischen Ritters, und ihre Mutter war mit dem regierenden König nahe verwandt.

Schwer brütete die Finsternis und Einförmigkeit über Birgittas Leben, als sie auf dem Herrenhof Finsta in Uppland aufwuchs. Spärlich drang das Tageslicht durch die schmalen Fensterlöcher in das Zimmer hinter den dicken Wänden, und in den langen Winternächten war der flammende, unruhige Schein des Scheitholzfeuers die einzige Beleuchtung in dem großen, öden Saale. Ihre Eltern waren sehr gottesfürchtig, und sie selbst betete schon als kleines Mädchen eifrig zu Christus und der heiligen Jungfrau.


Eines Winters nachts, als sie in ihrem Bette lag und nicht in Schlaf fallen konnte, hatte sie ein Gesicht. Sie lag und starrte so lange in das Dunkel, dass dieses schließlich gleichsam zurückwich. Sie konnte den kleinen Altar am Fußende des Bettes und das Bild des gekreuzigten Erlösers auf dem Kruzifix über dem Altar unterscheiden ...

Plötzlich sah sie nichts anderes als dieses Kruzifix. Es wurde so groß, so wirklich, so lebend. Sie sah deutlich alle die roten Male der Geißelhiebe über die mageren Arme des Gekreuzigten, sie sah die Blutstropfen, die unter der Dornenkrone hervorsickerten und in seine verweinten Augen heruntertropften. Die Erscheinung war so bejammernswert, dass ihr Herz zu brechen drohte. „O, mein teurer Herr, wer hat Euch denn dieses getan?“ fragte sie — das Herz schlug heftig in ihrer Brust. Da öffnete der Gekreuzigte seine blauen, gleichsam erstarrten Lippen, und eine Stimme, so traurig, wie die Klage des Windes durch das Schilf in dem Burggraben von Finsta, antwortete leise: „Alle die, die mich vergessen und meine Liebe verachten.“ Von dieser Stunde an ergriff sie die Sehnsucht, in der stillen Klosterzelle zu leben, nur um Gott zu dienen. Sie musste aber lange auf die Erfüllung ihrer Träume harren. Nur dreizehnjährig wurde sie von dem Vater verheiratet mit einem jungen Ritter, dem achtzehnjährigen Sohne eines seiner Freunde. Solche Ehen zwischen Kindern stifteten die Eltern oft, damit zwei Familien mit einander verbunden werden und einander helfen sollten. Die junge Hausfrau wurde ihrer strengen Frömmigkeit wegen bekannt.

40 Jahre alt verlor Birgitta ihren Gemahl. Einige Tage nach dem Todesfalle, als sie, in Gebet versunken, in ihrer Kapelle war, sah sie eine schimmernde Wolke, und aus der Wolke hörte sie eine Stimme sagen: „Weib, höre mich! Ich bin dein Gott, und ich will mit dir reden. Du bist meine Braut und die Verbindung zwischen mir und den Menschen. Du sollst geistige Dinge hören und schauen, und mein Geist soll bei dir verweilen bis zu deinem letzten Tage.“ Birgitta hatte ihre irdische Liebe mit der himmlischen vertauscht. Sie gab sich nun Entbehrungen und Kasteiungen hin. Sie schlief in der Winterkälte auf dem bloßen Fußboden mit nur einer Matte und einer dünnen Decke unter sich. Sie trug ein härenes Gewand zunächst dem Körper und um den Leib einen knotigen Strick, der bei jeder Bewegung schmerzte. Jeden Freitag tropfte sie heißes Wachs auf den Arm zur Erinnerung an die Leiden des Erlösers, Mit ihrer Barmherzigkeit war es etwas Wunderbares, denn sie schien für alle zu reichen.

Christus, ihr Bräutigam, sprach nun täglich zu ihr in Offenbarungen. Da sah und hörte sie nichts von dem, was rings um sie geschah. Dann aber erzählte sie ihrer Umgebung, welche herrlichen Dinge sie geschaut und gehört hatte. Diese Worte wurden von ihrem Beichtvater niedergeschrieben und von der ganzen Christenheit mit Bewunderung gelesen.

Dieser Feuerseele wurden die Grenzen Schwedens bald zu eng. Birgitta träumte davon, die Welt umzuschaffen, die Klöster wiederaufzurichten aus dem Verfall, in den sie geraten waren, und sie zu Stätten für das Reich Gottes zu machen. Von ihnen sollte dann der Geist der Erneuerung unter die Menschheit dringen und zum Schluss alle Menschen gut machen und die Erde umschaffen nach dem Ebenbilde Gottes. In Wadstena wollte sie das erste Kloster nach ihren Regeln gründen; und um die Genehmigung des Papstes hierzu zu erlangen, wallfahrte sie nach Rom. Nach vielen Jahren der Erwartung und Mühe erreichte sie im Jahre 1370 ihr Ziel.

Nach ihrem Tode wurde Birgitta unter großen Feierlichkeiten zur Heiligen erklärt und ihr Name vom Papste in das goldene Heiligenbuch eingeschrieben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden