Karl XII. und der große Nordische Krieg

Als der Sohn Karls XI., der fünfzehnjährige Karl XII., der Herrscher Schwedens wurde, nahmen die Nachbarfürsten in Sachsen und Polen, die einen gemeinsamen Regenten hatten, sowie die in Dänemark und Russland die Gelegenheit wahr und gingen ein heimliches Bündnis ein, schwedisches Land zu erobern. Während diese Fürsten ihre Pläne schmiedeten, versicherten sie Karl XII. ihrer warmen Freundschaft, ja erklärten, sie wollten ein Bündnis mit ihm schließen.

Karl war auf der Bärenjagd, als ein Eilbote mit der Nachricht kam, dass die Zeit des Friedens vorüber sei. Seiner Gewohnheit getreu, bearbeitete er gerade das gefährliche Wild mit einem Knüttel — denn die Anwendung von Schießwaffen gegen den König der Wälder hatte Karl verboten. Zweikampf sollte es sein, nicht Jagd. Die Botschaft, dass eine gefährlichere Jagd den Jüngling erwarte, beängstigte ihn keineswegs. Er gab nur den Befehl, die Bärenjagd fortzusetzen. Als sie aber zu Ende war, nahm er von allen Spielen der Jugend Abschied und wendete alle seine Energie an, die Streitkräfte Schwedens zu sammeln und zu rüsten.


Wie ein Sturmwind fuhr Karl über seine Feinde, erst über die Dänen, die er nach einer kühnen Landung auf Seeland besiegte und zum Frieden zwang. Dann kam die Reihe an die Russen bei Narwa in November 1700. Mit 8.000 Mann schlug der junge Held ein fünfmal so zahlreiches Feindesheer. Er selbst war immer da, wo es am heißesten herging. Hierauf wandte sich Karl gegen den dritten Feind, Sachsen-Polen, und zwang ihm nach mehrjährigen Kämpfen den Frieden auf.

Nun stand er mit seinem siegreichen Heer in Sachsen, und in Altranstädt, wo Karl sein Hochquartier hatte, sammelten sich Fürsten, Heerführer und Gesandten von beinahe allen Ländern Europas. Manche kamen nur, um den berühmten Heldenkönig zu sehen, andere, um den Beistand seines siegreichen Heeres in dem großen spanischen Erbfolgekrieg zu gewinnen, der gleichzeitig mit dem großen nordischen Kriege in Mittel- und Südeuropa raste.

Es war ein eigentümliches Schauspiel, alle diese prächtig gekleideten Herren in seidenen Strümpfen und Trachten aus Gold- und Silberbrokat zu sehen — und mitten unter ihnen der nordische Held in seinem groben blauen Tuchrock mit blanken Messingknöpfen, kolossalen Sporen und einem gewaltigen Haudegen an der Seite. Steif und verschlossen stand er mitten in dieser nichtigen Pracht, unzugänglich allen Versuchen, ihn von seinem Kriegsplan abzubringen: jetzt sollte es Russland gelten. Denn er sah die weltgeschichtliche Aufgabe Schwedens als einer nordgermanischen Macht darin, das Vordringen des russischen Staates nach der Ostsee zu verhindern und ihn dadurch zu zwingen, seine Erweiterungspläne nach dem Schwarzen Meer und dem Stillen Ozean zu richten.

Im Frühjahr 1708 rückte Karl in Russland ein, offenbar in der Absicht, nach Moskau zu ziehen. Allein es erwies sich als unmöglich, direkt dorthin zu kommen, denn die Russen hatten viele Meilen im Umkreis die Städte und Ernte ihres eigenen Landes verbrannt. Da beschloss Karl, sein Winterquartier in Südrussland aufzuschlagen und im Frühjahr von dort nach Moskau zu rücken.

Aber jetzt kam das Unglück Schlag auf Schlag. Eines der schlimmsten war der furchtbar strenge Winter 1708 — 09. Niemals hatten die Karoliner „ein so trauriges Weihnachtsfest“ gefeiert. Ein Oberst schreibt in seinem Tagebuch: „Die Kälte war am Christabend und am Tage vorher so stark, dass den ganzen Weg entlang erfrorene Leute und Pferde lagen. Jeder hatte an sich zu pflastern, weil wenige waren, denen nicht die Nase, die Füße oder Hände erfroren waren.“

Einer der Feldprediger berichtet in seinem Tagebuch: „Der Anblick der Erfrorenen ist erbarmungswert. Die Feldscherer arbeiten alle Tage daran, Arme und Beine abzuschneiden.“

Aber der König teilte die Leiden seiner Soldaten. Deshalb gingen sie gern dahin, wo er es befahl. Wohin es war, danach fragten sie nicht. Es war hinreichend, dass König Karl es so wollte.

Im Juni 1709 gelang es Karl XII. endlich, Zar Peter zu dem entscheidenden Kampf zu locken, den er so lange ersehnt hatte. Allein zum Unglück Schwedens wurde Karl einige Tage vorher durch eine Flintenkugel so schwer am Fuße verwundet, dass er durch ein heftiges Wundfieber außer stand gesetzt war, seine Karoliner selbst anzuführen.

Trotzdem, und obschon die Schweden in der Schlacht bei Poltawa nur 13.000 Mann waren und 56.000 Russen in einem wohlbefestigten Lager gegen sich hatten, sah es anfänglich aus, als sollten sie siegen. Allein die Karolinen anfeuern und leiten, wie Karl, das vermochte doch keiner, und deshalb entstand in dem schwedischen Heere bald Unordnung. Da konnten die überwältigenden Massen der Russen sich geltend machen, und die Schweden fielen „wie das Gras vor der Sense“; ganze Regimenter wurden niedergemäht. Die alten, teuren zerschossenen Fahnen wankten und schwankten über dem wütenden Menschenmeer, und schließlich sanken sie und verschwanden die eine nach der anderen. Der König lag, mit gezogenem Degen auf einer von zwei hintereinandergehenden Pferden getragenen Bahre und ließ sich umherführen, wo der Kugelregen am dichtesten war.

Die Überreste der Armee wurden nach dem Süden hin gezogen, in den Winkel zwischen dem Dnjepr und dessen Nebenfluss Worskla. Beide Flüsse waren breit und reißend, und nur sehr wenige Boote und Prahme waren vorhanden.

Karl wollte sich zuerst nicht von seinem treuen Heere trennen. Die Generale bewogen ihn aber schließlich dazu, sich mit einigen hundert Mann über den Dnjepr führen zu lassen. Über die brennendheißen Steppen jenseits des Flusses rettete er sich auf türkisches Gebiet. Währenddessen gab sich aber der Rest der schwedischen Armee den Russen gefangen.

Bei seinem Aufenthalt in der Türkei gewann Karl XII. einen diplomatischen Sieg, der ebensoviel hätte bedeuten können, wie ein Sieg bei Poltawa. Es gelang ihm nämlich, den türkischen Sultan zu veranlassen, Russland den Krieg zu erklären. Am Pruth wurde Peter mit seinem Heere von einer vielfach stärkeren türkischen Armee umzingelt und wäre verloren gewesen, wenn der türkische Befehlshaber schärfer zugefasst hätte. Aber Peter verstand die Kunst des Unterhandelns und die Kunst, Geld anzuwenden; und so erhielt er unter günstigen Bedingungen Frieden.

Als Karl im Jahre 1714 in sein Land zurückkehrte, nachdem er in 14 Tagen 300 Meilen ohne Unterbrechung geritten und nicht ein einziges Mal die Kleider vom Leibe gehabt hatte, hatte Schweden wiederum Dänemark und Sachsen-Polen als Feinde, und bald gesellten sich ihnen Preußen und Hannover hinzu, durch die Aussicht gelockt, die Gebiete in Deutschland unter sich zu teilen, die Schweden im Westfälischen Frieden erhalten hatte. Die Russen hatten große Strecken eingenommen, von Finnland, das seit dem Mittelalter schwedisch war, und von Estland und Livland, das Schweden im 16. und 17. Jahrhundert erworben hatte. Allein Karl beschloss, sich für das, was Schweden verloren hatte, Ersatz zu schaffen und Dänemark seinen Vasallenstaat Norwegen zu nehmen. Mit einem starken Heer rückte er in dieses Land ein und trieb die Norweger fast ohne Widerstand zurück. Die Truppen hatten von Karl XII. den Befehl erhalten, „den Feind auf die alte Weise anzugreifen, ohne zu zählen, ob der Feind stärker oder schwächer ist, und nur mit dem Degen in der Faust durchzubrechen“. Es war im Herbste des Jahres 1718. Doch die Festung Fredriksten bei Fredrikshald war noch in den Händen der Norweger. Die Schweden begannen sie zu belagern, und die Festung war ihrem Falle nahe. Am Abend des 30. Novembers 1718 kam der König wie gewöhnlich und besichtigte die Arbeit in den Laufgräben. Während er dort stand, den Kopf über dem Rande des Laufgrabens, und die Festung betrachtete, hörte man plötzlich einen dumpfen Laut, und die Anwesenden sahen das Haupt des Königs „langsam in den Mantel niedersinken“. Eine Kartätschenkugel von der Festung hatte seine Schläfe durchbohrt ... Die Kugel machte der Großmachtzeit Schwedens ein Ende.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden