Die schwedischen kriegsgefangenen in Russland

Die meisten schwedischen Kriegsgefangene wurden in das Innere Russlands oder nach Sibirien verschickt und unter strenger Bewachung in den Städten einquartiert. Den Offizieren wurden vorteilhafte Anstellungen angeboten, wenn sie in russischen Dienst treten wollten. Allein beinahe alle bedankten sich. Gegen ihr Vaterland wollten sie nicht Waffen tragen. Lieber gingen sie einem ungewissen Schicksal entgegen.

In allen schwedischen Dörfern, ja beinahe in jeder Familie, hatte man nun einen teuren Anverwandten als Gefangenen beim Feinde, und kaum eine Hoffnung war vorhanden, ihn wiederzusehen. Nur eine geringe Anzahl dieser hart geprüften Krieger konnte nach langer Zeit ins Vaterland zurückkehren. So verging das Kriegsheer, das einstmals das beste der Welt war.


Für diejenigen Offiziere, die ein Handwerk konnten, war die Gefangenschaft doch einigermaßen erträglich. Sie erwarben sich ihr tägliches Brot als Sattler, Drechsler, Tischler, Goldschmiede, u. dergl. Die anderen aber hatten es schwer. Einige unter ihnen wurden nach Petersburg gesandt, um in dieser ungesunden Sumpfgegend an Bauten und Befestigungen zu arbeiten, andere in die Bergwerke im Ural. In dem Tagebuch des früheren Ministers Piper liest man folgende kurze, aber doch vielsagende Aufzeichnung: „Von dem Schwefelbergwerk bei Samara kamen hier (in Moskau) 280 gemeine Gefangene an, die Überbleibsel von 600 Mann, die vor 4 Jahren dorthin gebracht wurden.“

Einer der gefangenen Offiziere erzählt in seinem Tagebuch, seine Unglückskameraden würden mit schweren Blöcken an den Füssen unter Hieben und Schlägen zu so schweren Arbeiten getrieben, dass die meisten daran stürben oder vor Hunger umkämen. „Unsere Gefangenschaft war uns“, schreibt ein anderer Karoliner in seinem Tagebuch, „eine köstliche Zuchtschule, in der wir sehr schwere Aufgaben zu studieren hatten. Ich glaube, ich habe niemals so glaubensvoll und innig und mit solcher Andacht zu meinem Gott gebetet, wie in dieser elenden Gefangenschaft. Sie konnte uns mit Nachdruck lehren, unsere Zuflucht zu Gott zu nehmen und bei ihm Hilfe und Trost in der Not zu suchen.“

Überall im Zarenreiche bildeten die Gefangenen schwedische Vereinigungen, die treu zusammenhielten und in den am höchsten stehenden Schweden in Moskau eine wirkliche Regierung hatten. Die Schweden bildeten einen Staat im Staat. Hierdurch konnten sie noch in der Verbannung ein Volk bleiben.

Die meisten der von den schwedischen Gefangenen gemachten Fluchtversuche missglückten. Man kennt die Namen einiger dieser Unglücklichen, die, nachdem sie sich in den sibirischen Wüsteneien wochenlang von Beeren und Wurzeln ernährt hatten, schließlich zu lebenden Gespenstern abgemagert angetroffen und von russischen Bauern erschlagen wurden. In dem Verzeichnis über die Gefangenen trifft man oft den kurzen, aber doch so inhaltreichen Vermerk: „Ging verloren“ ...

Noch fünf lange Jahre dauerte es, bis für sämtliche in Russland zurückgehaltene Schweden die Stunde der Befreiung schlug. Dies war, als im Jahre 1721 Friede geschlossen wurde. Überall in Russland, wo Schweden sich befanden, wurden Dankgottesdienste abgehalten. In Tobolsk wurde über den Text gepredigt: „Sei getreu bis in den Tod, so werde ich dir die Krone des Lebens geben.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden