Norrlands Schönheitswerte

Norrland taucht in der Geschichte Schwedens erst spät auf; erst spät hat man die norrländischen Wälder und Bergwerke nutzbar gemacht und erst in neuester Zeit hat man Norrland literarisch und künstlerisch „entdeckt“. Ådalens Poesie hat Pelle Molin beschrieben, Olof Högberg hat das Leben in Norrland im 17. Jahrhundert geschildert, und Ludvig Nordström hat uns mit saftigem Humor gezeigt, wie es in den norrländischen Küstenstädten zugeht und wie dort kleinbürgerliche Einfalt und aufgeblasenes Parvenüwesen die Köpfe hart aneinander stoßen. Norrland ist größer als das gesamte übrige Schweden, aber es zählt bloß 950.000 Seelen. Die Grenze gegen Norden und Westen sind Vor- und Hochgebirge; das übrige Land, das gegen das Meer zu abfällt, umfasst die Täler der Ströme und Flüsse und unendliche Wald- und Moorstrecken. Nur etwas über ein Hundertstel von Norrland ist bebaut, und auf diese Weise hat beinahe das „entdeckt“ worden. Von den dort schlummernden Millionen sind allerdings einige flüssig geworden und sind mit der Ofotenbahn nach Narvik oder die Ströme entlang zu den Sägwerken hinunter gelaufen um dort in Gold umgesetzt zu werden, was dem Lande sehr not tut; was aber immer noch schläft, sind die großen Schönheitswerte Norrlands. Hier sind die Wassermassen der Ströme Jahrtausende lang zum Meere hinabgeglitten. Ehe aber nicht ein Dichter und Künstler das Ewigkeitsgefühl besingt oder malt, das von dem still im Schatten der Fichtenwälder dahinfließenden Wasser in uns wachgerufen wird, tun sich diese Schönheitsgeheimnisse wenigstens uns anderen nicht in ihrer ganzen Fülle auf.

Die Natur Gästriklands, die mit derjenigen von Dalarne übereinstimmt und nicht zum eigentlichen Norrland gehört, hat Erik Hedberg geschildert. Er fängt den hohen Stimmungswert auf, der in den Augen des Verstehenden auch im Ärmlichen liegen kann.


Härjedalen und Jämtland, die vom Jahre 1111 bis 1645 zu Norwegen gehört haben, zeigen mit diesem Lande auch eine gewisse Ähnlichkeit. Die Einödenschönheit der ersteren Landschaft harrt noch auf ihren Entdecker. Jämtland hat ebenfalls die Rolle in der schwedischen Kunst, die es verdient, durchaus noch nicht gespielt. Allerdings hat Anton Genberg die weißgefleckten Berge gemalt, die eine Silhouette von veilchenroter Farbe gegen den Abendhimmel bilden, aber die fruchtbare Gegend um den See Storsjö herum, die charakteristische Form des Berges Åreskutan und der Wasserfall Tännforsen, der in der Stille der Gebirgslandschaft tost, haben, obzwar in ganz Schweden bekannt, unsere den allzu leichtfasslichen Aussichtsmotiven gegenüber misstrauischen Künstler noch nicht anzulocken vermocht. Man möchte glauben, dies komme davon, dass man ihre Schönheit für an sich gegeben hält.

Nordschweden ist so ungeheuer groß, dass, geographisch genommen, die Gegend um den Storsjö herum in der Mitte Schwedens liegt. Wenn man von dem schönen Norrland spricht, denkt man gewöhnlich an drei Dinge: den Åreskutan mit dem Tännforsen; die Flüsse, die in den Flusstälern vom Gebirge herabfließen und sich durch Erde und Sand ihr Bett wühlen; das Hochgebirge und den See Torneträsk in Lappland. Natürlich ist alles dies in den letzten Jahrzehnten im Bilde dargestellt worden, aber nicht auf eine Weise, die sich mit dem vergleichen ließe, was in südlicheren Teilen des Reiches gemalt worden ist. Carl Johansson hat die ruhigen, ernsten Linien der Flusslandschaft gemalt, die Kämme der Bergrücken gegen das Abendrot am Himmel, meist Motive vom Indalsälfven, der Jämtland und Medelpad durchfließt. Eine Reise den Indalsälfven oder Ångermanälfven aufwärts, zuerst mit dem Dampfer, wo die Baumstämme, die zum Sägwerk an der Küste herabgleiten, an die Seiten des Bootes anstoßen, und dann im Wagen durch Adalen, gehört zu den Dingen, die man unternehmen muss, um Norrland kennen zu lernen. „Wie einen Akkord auf der Orgel“, um mit Pelle Molin zu sprechen, hört man zuweilen auf eine Meile (10 km) Entfernung das Tosen des Wasserfalls, welches das Gefühl der Einsamkeit betont.

Jahrtausende lang ist der Wald gewachsen und verfault ohne Nutz und Zweck. Nun ist ein neues Amerika mit unerwartetem Gewinn — und ebenso unerwarteten Konkursen — , mit ausgehauenen und verwüsteten Landstrecken, mit roher Plünderung, sozialpolitischen Messerstichen und Revolverschüssen an Stelle der völligen Ruhe getreten. Die schwedische Verschwendungssucht und die schwedische Unbändigkeit hat es wohl von jeher gegeben. Hatte man einen Wolfshunger, so fraß man wie ein Wolf, solange es etwas zu essen gab. Wenn bei — 30° Gels, draußen die Balken der Hütte krachten, so hatte man heftiges Verlangen nach etwas Wärmenden. Waren die Zeiten gut, so konnten die norrländischen Holzarbeiter wohl auch einmal Champagner zu amerikanischem Schweinefleisch trinken und die Bauern, denen man ihren Hof für ein paar Tausendkronenbanknoten abgelockt — mit seinen Wäldern war so ein Hof vielleicht seine hunderttausend Kronen wert — , behielten das Geld nur kurze Zeit in ihren Kommoden, und es brauchte bloß eine günstige Gelegenheit zu kommen um es in ein paar Augenblicken dranzusetzen und zu verlieren. Der Handel hat nie zu den starken Seiten der Schweden gehört, und hierin sind die Norrländer echte Schweden. Anders Buræus schrieb schon um 1600 von seinen ångermanländischen Landsleuten, dass sie sich ungern zu Geschäften herbeilassen, und so ist es heute noch eine unüberwindlich schwere Sache, aus einem norrländischen Bauern ein Wort herauszukriegen, wenn es eine geschäftliche Abmachung gilt. „Mir nichts, dir nichts, so haben wir alle beide nichts“ hielt Karl IX. für den passendsten Wahlspruch der Schweden; der Norrlänning wenigstens lässt seine Schneehühner lieber verfaulen als dass er einem Käufer den Gewinn am Wiederverkauf gönnte; die Gastfreiheit hingegen, diese schöne, barbarische Tugend, wird in Luleå mehr gepflogen als in Paris.

Was die Natur an Schönheit bietet ist jedoch in Norrland mehr wert als seine Kultur. Stora Harsprånget, „Der große Hasensprung“, der gewaltigste Wasserfall Europas, belegen in der Gemeinde Jokkmokk in Lappland, besitzt größere Schönheit als die Neubauten von Sundsvall, eine Landschaft aber hat Norrland, die größte Landschaft Schwedens, die eine zugleich ewig junge und ewig schöne Natur aufzuweisen hat, ja auch eine alte, feine Kultur. Das ist Lappland. In der schwedischen Kunst ist Lappland auf Höckerts, P. D. Holms und J. Tiréns Bildern vertreten gewesen. Wie verdienstvoll, in rein technischer Beziehung, auch die Bilder des zuerst genannten großen Malers sind, so sieht man doch in seinem „Lappenzelt“ im Nationalmuseum, dass Höckerts alte Lappin viel zu viel vom Parisermodell an sich hat. „Die Hochzeit auf Hornavan“ vom gleichen Künstler gibt dagegen mehr wieder von den ungekünstelten Bocksprüngen des Naturvolkes mit der Branntweinflasche, während die Braut auf dem laubgeschmückten Boot anlandet. In seiner „Lappenkirche“ im Museum zu Lille hat Höckert die von religiösen Strömungen so leicht und stark mitfortgerissenen Lappen gemalt, wie sie eine Predigt hören.

Nachdem sich das schwedische Volk einige Jahrzehnte lang dafür interessiert hat, wie sich das neueste Schweden durch die Brille des Bankiers ausnimmt, nachdem man so viel von „Ertrag aus Wüsteneien“ gelesen und sich über den Gewinn geärgert hat, den man durch Energie und Weitsicht endlich den großen Erzgebirgen von Gellivare und Kirunavara, die sich über diesen unendlichen Flächen erheben, abzugewinnen verstanden hat, fing man an, sich auch künstlerischerseits an diese Landstriche heranzumachen. Der eigenartige Gegensatz zwischen dem Naturvolk, dessen Ruhe in der Einöde dort oben durch Sprengschüsse gestört wurde, den Lappen, die auf ihrer langsamen Wanderung über die Schneeflächen das elektrische Licht auf dem Berge leuchten sahen, wird noch erhöht durch die Stille und Leere, welche diese Bergwerksansiedelungen innerhalb des Polarkreises umgibt. Carl Wilhelmson hat dieses Erzsprengen im Freien auf einer großen Leinwand dargestellt (S. 44). Unten ist die Wasserfläche des Luossajärvi zu sehen, eine Aussicht von größerer Ausdehnung als man sonst zu haben pflegt, wenn man das Erz in den Eingeweiden der Erde sucht. Auch die Luft ist bedeutend frischer auf dem Kirunaberg. Im Winter ist es auch mitten am Tage dunkel, und da muss bei elektrischem Licht gearbeitet werden. Kahl Nordström hat die schönen Linien des Kirunaberges gemalt, wenn sich der gewaltige Eisenerzfelsen in der Abendsonne rötet und wie Metall glüht. Prinz Eugen hat denselben Berg im Schnee gemalt und die Gegend wiedergegeben, in der die Lappen ihre Renntierherden die Eisenbahn entlang treiben; die eisenerzbeladnen Güterzüge hat Albert Engström gezeichnet, dessen Wesensart in ganz besonders hohem Grad zu der dieser Wildnis und zum innersten Wesen und zur Ursprünglichkeit des Naturvolkes stimmt.

Unsere Kultur ist der Untergang der Lappen. Wenn man von Abisko aus über den Torneträsk ausblickt und an dessen Ufern die grauen Renntierherden auf den Ebenen äsen und zwischen den Bergbirken ein paar dunkelblaue Lapptrachten hervorschimmern sieht, so denkt man mit einer gewissen Wehmut daran, dass bald der letzte Lappe mit seinem eigentümlichen Gang dahinschaukeln wird unter den Zwergbirken, die gerade so verkümmert sind wie er selber, im Nordlicht verschwinden wird mit seiner Pulka (Akja), das letzte Zelt verlassen, in dem er sich so vergnügt und guter Dinge mit seinem verzierten Beinmesser ein Stück Renbraten abschnitt, jetzt vertrieben von Mächten, die er nicht fassen kann und denen er noch weniger Widerstand zu leisten vermag. Wenn es einmal so weit kommt, hat Schweden eine Einbusse erlitten, die freilich nicht zu vermeiden war. Die Kultur dringt vor, der Reichtum nimmt zu, bis schließlich auch unsere Stunde schlagen wird, wenn die Kälte zunimmt und uns südwärts treibt. Diesen Gedanken legt Albert Engström in das Geläute der Kirchenglocke in Kiruna:

Steige, Glockengeläut, hinauf zur Sonne, zum Nordlicht,
Wecke den schlafenden Berg, wecke Heide und Moor,
Weihe zur Arbeit ein die fruchtbaren Felder des Tales,
Weihe zuletzt sie ein zu ewiger Stille und Ruh.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden im Auge des Künstlers
30 August Strindberg. Gemälde von Richard Bergh

30 August Strindberg. Gemälde von Richard Bergh

31 Das königliche Schloss, Stockholm. Gemälde von Prinz Eugen

31 Das königliche Schloss, Stockholm. Gemälde von Prinz Eugen

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