Die Städte auf dem Lande

Die Städte auf dem platten Lande haben durch rücksichtsloses Vorgehen viel, ja zuweilen alles verloren von der beschaulichen Anmut, die sie einst auszeichnete. Bis in die letzte Zeit aus Holzhäusern bestehend, sind sie von Feuersbrünsten gründlicher verheert worden als Städte mit Steinbauten. Die rasche Entwicklung, welche Schweden im Laufe der letzten vierzig Jahre durchgemacht hat, trug natürlich das ihrige dazu bei, dass die Neuerungslust gewaltsame Formen annahm, und dass die künstlerischen Gesichtspunkte erst in allerneuester Zeit zu den Ohren der Practici gedrungen sind. Die Architekten, welche zuvor die Domkirchen in Uppsala und Lund und in mehreren anderen Städten durch Restaurierungen so gut wie vollkommen verdorben haben, sind jetzt mit besonderem Interesse für den Schutz der übrig gebliebenen Denkmäler vergangner Zeiten eingetreten. Die zweitgrößte Stadt des Reiches, Göteborg, hat noch einige von den Kanälen bewahrt, welche an das holländische Ideal erinnern, das damals herrschend war, als die Stadt im Jahre 1619 unter Mitwirkung von Holländern angelegt wurde. Die Kanäle haben Reinhold Nohstedt und Axel Erdman gemalt. An dem vornehmsten derselben erhebt sich das Museum, ein Gebäude, in welchem im 18. Jahrhundert die ostindische Kompanie ihr Hauptkontor hatte. Durch diese Gesellschaft kam jene Menge echt chinesischen Porzellans ins Land herein, die heute noch einen verfeinerten, altväterlichen Glanz über manche schwedische Mittagstafel verbreitet. Das Museum ist besonders reich an moderner schwedischer Kunst, und gründliche Besuche im Museum zu Göteborg sind eine unumgängliche Voraussetzung für den, der sich für die schwedische Malerei interessiert. Die schwedische Malerei ist den Kunstförderern in Göteborg, vor allem Pontus Fürstenberg, zu großem Dank verpflichtet. Auf den Höhen um die Stadt herum erheben sich heute noch die malerischen Schanzen Göta Lejon (der Goten-Löwe) und Kronan (die Krone), die letztere nach dem Entwurf Erik Dahlbergs aufgeführt, der dem schwedischen Heer den Weg über den Belt wies. Der Hafen mit der größten Handelsflotte Schwedens ist von O. Holmström gemalt und gezeichnet worden.

Ein Stück nördlich von Göteborg, am Götaälf, liegt, von den bohuslänischen Bergen beschattet, Kungälf, das Hanna Pauli gemalt hat — vielleicht das schönste Bild von einer schwedischen Kleinstadt. Am Vättern liegt die Gartenstadt Grenna, wo sich in den Obstgärten zwischen den langen weißen Häusern an der Landstraße, welche die Hauptstraße der Stadt bildet, die Bäume unter der Fülle von „Bürgermeisterbirnen“ und Herzkirschen beugen. Grenna hat, wie noch ein paar andere von unsren Kleinstädten, den Vorzug „auf dem Lande“ zu liegen. Alfred Bergström und Lennart Nyblom haben die Gegend von Grenna gemalt. In Vadstena, dessen altes Schloss von Oscar Björck (S. 33) gemalt worden ist, sind noch einige mittelalterliche Denkmäler bewahrt. Die Blåkyrka (blaue Kirche), von der hl. Birgitta selber auf Christi eigene Anweisung aus bläulichem Kalkstein gebaut, weckt die Erinnerung an das von Birgitta gegründete Kloster und jene weibliche, schwedische Kraftnatur des 14. Jahrhunderts, die sich mit nordischer Bestimmtheit sogar dem Papste widersetzte.


Eine Gruppe unsrer interessantesten Kleinstädte liegt um den Mälaren herum. Die Stadt Sigtuna ist stolz darauf, älter zu sein als Stockholm. Ihre Glanzzeit war im 12. Jahrhundert, und ihre vielen Kirchenruinen verleihen der gemütlichen kleinen Stadt die Melancholie dahingeschwundener Größe. Der grasbewachsne Marktplatz ist jetzt mit Kies bestreut worden, damit die Bewohner von Sigtuna der peinlichen Frage herzloser Fremder entgehen, ob die Weide in diesem Jahr auf dem Marktplatz gut gewesen sei. Mariefred träumt mit seinen kleinen roten Holzhäusern am Fuße von Gripsholm, Schwedens mächtigster Burg. Das Schloss hat Ankarcrona gemalt. Trotzig erheben sich die hohen Mauern, und das Schloss, welches auf Gustaf Vasas Befehl ins Leben gerufen wurde, in dem Gustaf Vasas Söhne einander gefangen hielten, wo Gustaf III. im sog. Kirchenturm sein kokettes Theater einrichten ließ und wo die Kulissen, auf welchen sich einst die theaterspielenden Hofleute abzeichneten, heute noch stehen, ist sicher eines der bedeutendsten Denkmäler des Landes.

Für schwedische Ohren haben schon die bloßen Namen der Städte Strängnäs, Arboga, Köping, Västeräs einen Klang von Idyll und Geschichte, und es ist zu verwundern, dass sie von unsren Künstlern nicht mehr abgebildet worden sind. Hesselbom hat die alte Mälarstadt Strängnäs und ihren roten, von Dohlen umflatterten Domkirchenturm gemalt.

Ein unersetzbares Schönheitskapital ist durch die pietätlose Behandlung unsrer Städte verloren gegangen, aber von dem alten, stillen Ystad kann man doch heute noch sagen, dass „hier in dieser Stadt“, die, wie Linné schreibt, „fast mitten auf die Südseite von Skåneland liegt“, „alte Häuser recht zahlreich vorhanden sind“. Für unsere Zeit ist es die Hauptaufgabe, in größtmöglicher Ausdehnung die alten Fachwerkbauten und den alten Stadtplan zu schonen.

Die beiden Universitätsstädte Uppsala und Lund sind reicher an Erinnerungen als an eigenartiger Architektur. Die Domkirchen haben nach ihrer Restaurierung für den Künstler an Interesse verloren, und die Schönheitseindrücke, die besonders mit Uppsala verbunden sind, sind wohl vor allem lyrischer und musikalischer Art. Am Walpurgisnachlabend (30. April) ziehen die weißen Mützen durch die Allee von Odinslund, der Frühlingsgruß der singenden Studenten steigt in der frostigen, kalten Abendluft zu einigen am Himmel glimmenden Sternen auf, und allenthalben auf der Uppsalaebene rings umher leuchten die Walpurgisnachtfeuer.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden im Auge des Künstlers
35 Die Riddarholmbucht in einer Sonnwendnacht. Ölgemälde von Eugen Jansson

35 Die Riddarholmbucht in einer Sonnwendnacht. Ölgemälde von Eugen Jansson

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