Bauern und Proletariat

Den Dalälfven aufwärts und bis in die Täler seiner beiden Quellflüsse sind einst vor tausend Jahren die Vorväter der Dalkarlar („Dalekarlier“) vorgedrungen, die heutzutage Dalarne bewohnen. Das Volk, welches unter den weißen, geradstämmigen Dalabirken aufwuchs, hat lange in Dorfgemeinschaften und zwar vom übrigen Schweden abgeschieden gelebt. Dalarne war die Kraftquelle des Landes und verblieb Jahrhunderte lang das Herz Schwedens, das rotes einheimisches Blut in die Adern des hinsiechenden Staatskörpers pumpte; die Teilnahme der Dalkarlar an Engelbrekts Freiheitskrieg in den 1430er Jahren und an Gustaf Vasas um 1520 zeugte von ungebrochener schwedischer Kraft. Das Urteil, das der alte König Gösta (Gustaf Vasa) über die Schweden fällte, dass sie ein hartnäckiges und zu großen Taten geneigtes Volk sind, gilt vor allem von den Dalkarlar. „Säkert“, sicher, ist eines ihrer Lieblingswörter, und die Dalamundart hat einen ungewöhnlich männlichen und reinen Klang. In einigen Gegenden hat sich dort eine Sprache erhalten, die für die übrigen Schweden unverständlich ist. In den Dörfern am Ufer des Siljan, in den Gemeinden von Mora, Rättvik und Leksand behält man noch heute, mehr als sonst in Schweden, die alten, hübschen Volkstrachten, und wenn auch neuere, ausgleichende Strömungen die schönen Spitzen und kunstreichen Gewebe verdrängt haben, so dass sogar die Frauen zur Hälfte im Stadtgewand, „slimsklädd“, erscheinen, wenn sich auch das ätzende Gift sozialen Missvergnügens gerade im südlicheren Dalarne ungewöhnlich stark geltend macht — noch gibt es in den genannten Siljansgemeinden Männer und Weiber, die gehärtet, gesund und kräftig sind wie alte Maserbirken. Von alters her gab es in Dalarne keine anderen „Herren“ als Geistliche und Richter. Heute haben wir es dort mit den sowohl ethisch als sozial größten Gegensätzen im Volke zu tun: Bauern und Proletariat.

Die ausgeprägte volkliche Eigenart, die farbenfrohen Volkstrachten und die nach süd- und mittelschwedischen Begriffen bergige Landschaft um den schönen See herum hat stets die Künstler nach Dalarne gelockt. Bei Sundborn in der Gegend von Falun hat sich Carl Larsson sein Heim gebaut, so schwedisch und persönlich nuanciert wie man es von einem Manne erwarten muss, der selber ein gut Teil schwedischer Eigenart in sich verkörpert. Die Serien Aquarellbilder „Larssons“, „Die heimatliche Scholle“ und „Auf der Sonnenseite“ zeigen uns in Wort und Bild, in Wesen und Wahrheit die feinsten Seiten schwedischer bürgerlicher Häuslichkeit. Alles ist von Herzlichkeit und Schönheit übervoll; schelmisch ist es, aber im Grunde doch nicht ohne einen ernsten Ton. Jeder malt sich seine Behausung auf seine eigene Weise aus, aber viele Schweden möchten die ihrige am liebsten im Stile Carl Larssons haben. Die schwedischen Kinder hat vielleicht keiner gemalt wie er. Wir haben eine heilige Scheu in Schweden vor allem Altklugsein, dem Gezierten und Verzärtelten, und wir glauben, dass es unsren Kindern gut tut, Sommer und Winter so viel als möglich in der freien Luft zu sein, und in unsren zum Unterschied von anderen Ländern billigen Elementarschulen mit vielen Freiplätzen teilen die Kinder verschiedener Klassen Schulzimmer und Arbeitszeit, und auf dem Lande will man gern, dass sie mit den Bauernkindern und den Kindern der Knechte spielen sollen. Ich kam schon früher auf die Schüchternheit der Bauernkinder zu sprechen. Die Kinder der Städter hingegen und die der oberen Volksschichten auf dem Lande sind in der Regel offenherzig und frohgemut und schauen den Fremden mit respektvollem Vertrauen in die Augen. Die Kinder, diesen wertvollsten Schatz Schwedens, in deren Händen die Zukunft liegt, hat Carl Larsson gezeichnet und gemalt: wie sie sich mit ihren Schularbeiten abmühen, wie sie baden, fischen, rudern, im tiefen Schnee stapfen, diese selbstbewussten kleinen Bündel in grauen Kleidern und roten Mützen, oder allerliebste Mädeln mit lichtem Haar, die mit mütterlichem und weiblichem Instinkt sich des kleinen Tropfnäschens annehmen (S. 35).


Eine reiche Abwechslung bieten die verschiedenen Volkstrachten in Dalarne. Wo der östliche Dalälf am Südufer des Siljan aus diesem abfließt und sich im Sand ein Bett höhlt, liegt Leksand. Auf einer Landzunge sieht man eine weißgetünchte Kirche, um die herum sich seit Jahrhunderten die Masar (Männer) in langen, schwarzen Röcken, die verheirateten Frauen in weißen, die unverheirateten Kullor (Mädchen) in roten oder geblümten Häubchen geschart haben. Die Tracht von Leksand gibt den Kullor gern etwas Kugelrundes in ihrer Erscheinung.

Es ist ein selten schöner Anblick, wenn die langen Kirchenboote über den Siljan gerudert kommen und sich das Bauernvolk auf der Kirchenhöhe unter den mächtigen Birken zusammenschart und sich der Sonntagsruhe und der Geselligkeit freut. Ein geschätzter Künstler und gründlicher Kenner der Sitten und Trachten in Dalarne ist Emerick Stenberg, der in einem Dorf im Kirchspiel von Leksand seinen Wohnsitz hat. Seine „Leichenwacht in Leksand“ (Museum zu Göteborg) zeigt uns diese kernigen Allen und ihre ebenso prächtigen Weiber um einen offenen Sarg versammelt. Die Typen sind vortrefflich und die Trauerfarben, schwarz und gelb, nehmen sich in dem Schein der Lichter prächtig aus. Stenbergs „Björs-Mia“, die so breitspurig und ihrer Sache sicher da hockt, als ob sie eben eine solche sarkastische, humoristische Antwort, wie sie für dies Volk bezeichnend sind, in Bereitschaft hätte, ist eines der lehrreichsten Bilder aus Dalarne, die wir kennen (S. 39). Es wirft ein ganz vorzügliches Licht sowohl auf das Innere wie auf das Äußere dieses Typus von Bauernmädchen. Ihre nachlässig bequeme Haltung hat sicher den Beifall ihrer Verehrer. — Rättvik, das ebenfalls am Siljan liegt, hat keinen besonderen künstlerischen Darsteller gefunden, wenngleich Zorn in seinen Radierungen hie und da Rättvikskullor zum Modell genommen hat. Ihre spitzigen Hauben und bunten, quergestreiften Vorderteile der Röcke kennt man in ganz Schweden und oft sieht man die dreisten, kräftigen Mädchen in den Gärten der Landhäuser außerhalb Stockholms arbeiten. Nirgends in Schweden findet sich eine so starke bäuerliche Kultur als in Dalarne, und es ist ein wahrer Glückszufall, dass unser wohl größter Künstler, Anders Zorn, in Mora geboren, und auch seit er Weltruhm erlangt hat, dort ansässig ist. Alle diese schwedische Urkraft, die es stets in Dalarne gegeben hat und noch gibt und die ihre Wurzeln bis ins Heidentum zurückerstreckt, das aus den blutroten Farben der Trachten herausleuchtet und aus „einer heidnischen, markigen Musik“ in den Weisen der Birkenrinden- und Bockhörner herausklingt, die zwischen den Bergwänden und durch den Wald wiederhallen, diese Kraft ist auch Anders Zorn eigen. Er hat, wie sein Freund und Landsmann Karlfeldt, von Kindesbeinen an mit allen Fasern seines Wesens eingesogen was Dalarne an Schönheit bietet über Ge’sundabergs glitzernder Bucht, er hat das kalte, rostbraune Wasser des Dalälfven getrunken, den Saft des Beeren tragenden Erdbodens genossen, das Harz der Fichten gekaut und Sennliütlenluft geatmet, jenen Duft gemischt aus Kuhstall- und Waldgeruch, den Duft saurer Milch aus der Milchkammer. In der gleichen Umgebung und mit der gleichen Kost aus hartem Brot und Erbsenpfannkuchen mit dann und wann einer Schleckerei am Sonntag ist auch „Kings-Karin“ (S. 43) aufgewachsen, das frische Bauernkind im roten Kopftuch mit ihren unbändigen Augen, ihren etwas hervortretenden Backenknochen, der gesunden, etwas zu roten Gesichtsfarbe und mit einem Zug unbewusster, natürlicher Sinnlichkeit; in ihr ist etwas von dem wertvollsten in unsrem Volksstamm verkörpert, sie ist ein Sinnbild des unverdorbenen Wesens im Bauernvolk, einer Kraftquelle, von der wir hoffen, dass sie uns nie getrübt wird und nie an Stärke verliert.

Kein Maler hat es verstanden, das Bäuerliche in seiner ganzen kräftigen Fülle zu geben wie Zorn. In seinen vollwüchsigen nackten Kullor ist nichts vom dozierenden Sittenbild für böse Hauptstadtmenschen, nichts von hygienischer Apologie für eine naturgemäße Lebensweise, wenn sie auch ein Produkt derselben sind. Einmal zeigt er sie uns im heißen Bad, wo die mächtigen Formen von der Nässe glänzen, ein anderesmal an der offenen Bodentüre, wieder ein anderesmal waden die blonden, jugendlichen Gestalten in den Bach hinaus, die süßesten und saftreichsten Beeren, die der schwedischen Erde entsprossen sind. Zorn malt das verschlagene Gesicht des ländlichen Uhrmachers, der an seiner Morastanduhr herumbastelt und zu mechanischen Verbesserungen Lust und jenes besondere Verständnis hat, das uns Schweden von je auszeichnete und das bei John Ericsson, dem Erfinder des Monitor und des Propellers, in de Lavais Separator und in L. M. Ericssons sinnreicher Telephoneinrichtung in welterobernder Weise zum Ausdruck gekommen ist. Ausnahmsweise einmal schildert Zorn auch die schlechteren Seiten unsres Volkes. Auf seinem „Markt in Mora“ sieht man einen steinhagelbesoffenen Dal-Mas im Grase liegen. Neben ihm sitzt in betrübtem Stumpfsinn ein flachshaariges Weib und wartet drauf, dass er sich regen soll. Ob er zwar dann besser zu haben sein wird, ist eine andere Frage.

Wenn auch der Hochsommer, wo die Abende warm sind und das aufgestapelte Heu duftet, in Dalarne das Hochzeitsfest des Jahres ist, so kann man nicht leugnen, dass man auch dann, wenn der Schnee unter den Schlittenkufen knirscht und die Insassen mit Schaffellen und roten sich vom Schnee leuchtend abhebenden Schlittendecken ringsum eingehüllt sind, wenn das Schlittengeläute über die weißglitzernde Landschaft hinschallt, ein recht deutliches Gefühl davon hat (wie ein Dal-Mas sich einmal ausdrückte), „dass wir in einem wohligen Norden leben“! Anshelm Schultzberg hat in seinen Winterbildern aus dem südlicheren Dalarne die winterliche Schönheit dieser Landschaft gezeigt, die auch Arborelius geschildert hat. In Schultzbergs großem Gemälde „Walpurgisnachtfeuer in Bergslagen“ sieht man, wie die Feuer auf den Bergen lodern, während die Schneewehen in nächster Nähe davon zeugen, dass die Herrschaft des Winters noch nicht ganz überwunden ist. Wer in der Geschichte zu Hause ist, denkt daran, wie im 17. und 18. Jahrhundert die Hexenprozesse gerade in Dalarne ihr Unwesen trieben. Die alten Weiber verbrannte man auf dem Scheiterhaufen, und die Opfer, selbst von dem finsteren Aberglauben, der sie rings umgab, verblendet, bekannten, mit dem bösen Geist selber in Verbindung gestanden zu haben. Vom Käringberg (Altweiberberg) bei Leksand haben, wie der Name andeutet, diese vermeintlichen Opferfeuer an das Licht und die Wahrheit über das Land hin geleuchtet. Gleich den Kirchenglocken, die einst in den Zeiten des düsteren Teufelsglaubens erschallten um die bösen Geister zu verjagen, und die uns heute mit ihrer tiefen, an Erinnerungen reichen Stimme auffordern, unsere Herzen zu erheben — das Sursum corda, dessen wir alle bedürfen und vor dem sich alle gerne beugen — so leuchten heute die symbolischen Feuer, selber gereinigt von Übelgeruch und Elend, ein Andenken an die alte Zeit, voll Zuversicht für das Kommende und zu allernächst für den kommenden Sommer, dessen großes Fest wohl sicher nirgends feierlicher begangen wird als auf den Rasenplätzen vor den Kirchen um die Maibäume herum im alten Dalarne.

Mora liegt am Nordufer des Siljan, wo der östliche Dalälfven in den See mündet. Es liegt auf einem ziemlich tiefliegenden Isthmus zwischen Siljan und dem Orsa-See, welch letzteren Aron Gerle gemalt hat. Über der großen Fläche des Siljan steigt im Westen der Gesundaberg auf. Auf dem Kirchenplatz in Mora war es, wo Gustaf Vasa im Jahre 1521 die ernsten Worte sprach, die in den Sinnen der Leute von Mora Wurzel fassten. Hier wurde der männliche Beschluss gefasst, der den Grund legte zu einem freien Schweden. Diesen, den wichtigsten Augenblick in der Geschichte Schwedens hat Zorn in seinem meisterhaften Standbild Gustaf Vasas verewigt, das sich auf einem Hügel in Mora erhebt, ebenda, wo der junge uppländische Edle seine ganze Seele in die Ansprache an die Leute von Dalarne legte. Einige Jahrzehnte später sollte er und seine Nachkommen der Garbe, vase, im Wappenschild der Vasa Größe und Glanz verleihen:

„Nun nicht mehr die bleiche Garbe,
Die auf Upplands Feldern stand,
Neben Lilien ihre Farbe,
Neben Adlern weltbekannt.“


Am Sonnenwendabend 1523 hielt König Gösta seinen Einzug in das mit Laub geschmückte Stockholm. Das Befreiungswerk war vollbracht. Seit dieser Stunde können wir das Sonnwendefest mit großer Freude feiern, und wenn wir die belaubten Zweige an Haustüren, den Steven der Boote, auf den Tanzplätzen sehen und den Duft der Birkenreiser einatmen, erfüllt uns eine doppelte Freudenstimmung, über die große Festzeit des Sommers und auch über unser Land und unser Volk. Der Schwede hat große Neigung zur Düsterkeit und Grübelei, aber auch Anlage zum Gegensatz, wildes Gelärme und Rauferei mit Messerstichen und Schnapsflaschenhieben. Es ist ein Glück, wenn sich diese Gegensätze in Gesang und Tanz auflösen. Die Unduldsamkeit des freireligiösen Pietismus hat oft nur der soziale Hass abgelöst, den die berüchtigte schwedische Neidsucht noch besonders giftig macht. Es arbeiten aber auch gute Mächte in der Eigenart unsres Volkes, Sinn für das, was recht und billig ist, Achtung vor jedem Menschen, er mag noch so arm und unbedeutend sein, und eine gesunde Sinnlichkeit und Lebensfreude, die an der Natur und dem Natürlichen ihren Gefallen hat. Voll Freude am Zusammensein, zusammen zu essen, zu trinken, zu tanzen und draußen unter freiem Himmel zu singen, so feiert man Sonnwende auf die rechte Art; so hat Zorn den Tanz am Sonnwendefest (S. 40) gemalt, wo im Gras getanzt wird, die Männer anfangs etwas feierlicher als man es im Süden sieht; später aber, wenn die Kullor von Lebenslust jauchzen und die Herzen der Masar schlagen, freut man sich über den Augenblick und über alles, was man gelobt und was man erhofft in dieser lauen Sommernacht, der hellsten Nacht des Jahres.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden im Auge des Künstlers