7. Es geht scharf bergab. - Als die Zeit der Lustbarkeiten vorüber war, hatte auch die Herrlichkeit des Florian ein Ende, ...

7. Es geht scharf bergab. - Als die Zeit der Lustbarkeiten vorüber war, hatte auch die Herrlichkeit des Florian ein Ende, er wurde in die Ecke gestellt wie eine gebrauchte Baßgeige; alles ging wieder ruhig an sein Geschäft und sah sich wenig mehr nach den Spaßmachern um. Nur Florian hatte kein rechtes Geschäft und wollte auch keines haben, er lotterte in den Wirtshäusern umher und war auch da bald unwert.

Auf dem Lande, wo jedes die häuslichen Verhältnisse des andern kennt, ist es nicht leicht, eine große Rolle zu spielen, wenn man es nicht aufzuwenden hat. Baden war jetzt dem Zollvereine beigetreten, und so war auch zu Hause Schmalhans Koch. Bei alledem ging aber Florian noch immer aufrechten Ganges, stolz und schön geputzt wie in seinen besten Tagen. Nie ging er unsauber einher, und selbst als seine Stiefel fast keine Sohlen mehr hatten, waren sie doch immer schön gewichst.


„Man sieht einem auf den Leib, aber nicht in den Magen,“ war sein Wahlspruch, und oft sang er das Lied:

Jetzt hab’ ich noch drei Kreuzer,
Ist all mein bares Geld,
Dafür laß ich mir waschen
Meine Hosen und Gamaschen,

Kauf mir Wichs’ dazu,
Kauf mir Wichs’ dazu,
Für mein’ Stiefel und Schuh.

Die Uhr mit dem silbernen Behäng hatte Florian nur noch am Sonntag, das hatte er sich ausbedungen, als er sie bei der alten Gudel versetzte.

Der Horber Markt kam, und nun gab es wieder ein Fest für das halbe Dorf.

Der alte Metzgerle stand schon seit dem frühen Morgen an des Jakoben Brunnen, alle Bauern, die ihre Ochsen zu Markt trieben, ließen sie von ihm schätzen, und mit großem Wohlbehagen verrichtete er dies Geschäft; es war ihm wieder, als könne er das alles kaufen; auch hoffte er, es würde ihn ein Bauer mitgehen heißen, aber keiner that es. Der arme Mann hatte heute schon so viel gesundes Fleisch unter Händen gehabt, aber seit vierzehn Tagen keinen Bissen Fleisch über den Mund gebracht. Als nun alle seine Mühe vergebens war, wischte er sich seufzend den Schweiß von der Stirn, ging nach Hause, nahm seinen alten Knotenstock und ging auf gut Glück zu Markte, um dort als Unterhändler ein paar Kreuzer zu verdienen.

Florian lief im Dorfe umher und war ganz außer sich, er begegnete der Kreszenz, die mit ihrem Vater ebenfalls zu Markte ging, aber er lief schnell an ihnen vorüber; er hatte keinen Heller Geld in der Tasche. Wo er einen Burschen sah, gedachte er ihn um ein Darlehen anzusprechen, aber bald sagte er sich wieder: „Der gibt mir doch nichts, und der hat selber nicht viel, und dann hast du nichts als die Schand’.“ So ließ er einen nach dem andern von seinen Bekannten an sich vorübergehen. Er dachte: „Ei, du brauchst ja nicht zu Markte zu gehen, du hast ja nichts dort verloren; es gehen ja noch viel’ Leut’ nicht. Ja, aber die wollen nicht, und ich kann nicht.“ Nun ward es ihm, als verliere er eine unersetzliche Freude, wenn er zu Hause bliebe; es ward ihm, als müßte er gehen, als stünde alles dabei auf dem Spiel. Mit glühenden Wangen und forschenden Blickes ging er durch das Dorf, immer im Selbstgespräch: „Da wohnt der Schmied Jakob, dem hast du’s beim Hammeltanz oft zugebracht, ja, aber er gibt dir doch nichts. Dort wohnt der Schreiner Koch, er war auch in der Fremd’, zu dem gehst du; es ist eigentlich zum erstenmal, daß du so vertraut mit ihm bist, aber du mußt es doch thun.“

Der Schreiner Koch band eben ein Rind von der Krippe los, über Geldmangel klagend, Florian schwieg mit seinem Verlangen. Der Studentle war nicht mehr zu Hause; Florian war schnell entschlossen, er ging zum Adlerwirt, sagte: der Studentle schicke ihn, er solle demselben sechs Kronenthaler leihen; Florian wollte nicht um eine Bagatell bitten. Der Adlerwirt erwiderte: „Ich borg’ nichts, das macht die beste Freund’ zu Feind’.“ – „Du hast recht, ich hab’s auch gesagt,“ erwiderte Florian grimmig lachend und ging davon.

Mit einem schrecklichen Gefühle der Verlassenheit wandelte er umher und dachte: „Wenn man kein Geld hat, ist man doch auch daheim nicht recht daheim.“ Schweißtriefend lief er durch alle Gassen, es war ihm, als ob jede Minute, die er versäume, Unwiederbringliches an ihm vorübergehen lasse. Er gedachte nun, wie die großen Herren, Geld von einem Juden zu leihen; auch ihn störten ihre Blicke nicht bei seinen Verschwendungen oder Großthuereien. „Judenschulden sind kein’ Schand’,“ sagte er sich und sprach des Mendles Meierle, das mit einer vollen Geldgurte zu Markte ging, offen um ein Darlehen von einigen Karolin auf hohe Zinsen an; er erhielt eine abschlägige Antwort.

Endlich kam er auf den gescheiten Gedanken, nur geradeswegs nach Horb zu gehen und dort zu thun, als ob er sein Geld vergessen oder verloren habe; er ärgerte sich jetzt, daß er den Gedanken nicht früher gehabt, und ging fürbaß. Als er an dem Hause des Schmiedjörgli vorüberging, saß dieser wie gewohnt auf der Bank, er war heute besonders gut aufgelegt, da er durch die Marktgänger Unterhaltung in Fülle hatte.

„Wohin so schnell, Florian? Du siehst ja aus, wie wenn dir die ganz’ Welt feil wär’!“

Florian stutzte und blieb stehen. Er vergaß, daß es eine besondere Freude des Schmiedjörgli war, Leute, die eine schwere Last, einen Sack voll Korn oder einen Kleebündel trugen, eine Weile durch Fragen zu stellen; manche gingen in die Falle, und der Alte freute sich dann doppelt, daß er so los und ledig dasaß, während die andern keuchten. Auch wenn jemand eine schwere Schmerzenslast im Herzen trug, suchte ihn der Schmiedjörgli bei sich aufzuhalten; das war ja die beste Zeit, um etwas zu erfahren. Florian dachte an alles das nicht mehr, denn er fragte:

„Wie könnet Ihr denn das wissen?“

„Man sieht’s dem Strumpf an, wenn das Bein ab ist. Ich weiß wohl, gelt, grad ist die Kreszenz mit ihrer Mutter Mann da vorbei, er bringt sie auch zu Markt.“

„Ich hab’ kein’ Sorgen.“

„Ich weiß wohl, man sagt, du seist tüchtig mit ihr verbandelt.“

Florian schmunzelte und ging weiter; es war ihm lieb, daß man das Rechte nicht ahnte.

An der Hohlgasse sah Florian den Schlunkel, den „verwogenen“ Kerl, der schon zweimal im Zuchthause gewesen war, am Raine sitzen und sein Geld zählen; sonst hätte er sich nicht herabgelassen, diesen Menschen nur zu grüßen, jetzt sagte er zuerst halb spaßhaft: „Soll ich dir helfen zählen?“ Der Angeredete sah auf und antwortete nicht.

Florian setzte sich zu ihm und bat ihn endlich um einen Gulden. Der Schlunkel grinste ihn an, schnürte seinen Lederbeutel fest zu, fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Mund und pfiff dabei; Florian aber hielt seinen Arm krampfhaft fest.

„Du wirst doch mir das Geld nicht nehmen wollen?“ fragte Schlunkel, „zu was brauchst denn so viel Geld?“

„Ich muß mir was kaufen.“

„Meinetwegen, komm, ich geh’ mit nach Horb.“

Florian zitterte, lieber wäre er in die Hölle gegangen, als am helllichten Tag mit dem Schlunkel nur zehn Schritte; er sagte daher:

„Gib mir nur einen Sechsbätzner, in einer Stund’ treff’ ich dich im Ritter, da hast’s wieder.“

Der Schlunkel gab das Geld, und Florian jagte wie der Blitz davon. Unterwegs aber langte er nochmals in seine Tasche, er wußte gar wohl, wie viel er darin hatte, aber er wollte sich dessen nochmals vergewissern. Er drückte die vier Sechser einen nach dem andern durch die Finger, als wollte er mit aller Gewalt aus jedem noch einen zweiten herausdrücken.

Pfeifend ging dann Florian über den Viehmarkt hinweg nach dem Krämermarkt in der oberen Stadt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2