6. Florian in Floribus. - Florian suchte im Ort etwas zu verdienen, es gelang ihm aber selten. ...

6. Florian in Floribus. - Florian suchte im Ort etwas zu verdienen, es gelang ihm aber selten. Er wollte nämlich bloß ans seinem Handwerke oder sonst in einem angesehenen Geschäfte arbeiten, die Feldarbeit hielt er unter seiner Würde; lieber wäre er Hungers gestorben, ehe er, wie andre vermögenslose Menschen, Steine auf der Straße geschlagen hätte.

Florian wollte nur das thun, was er gerne that, und das können doch die wenigsten Menschen durchführen.


Es ergab sich indes bald eine Gelegenheit, wobei Florian Geld und nach seiner Art hohe Ehre gewann.

Der Hammeltanz war nahe, große Vorbereitungen wurden dafür getroffen. Der Adlerwirt hatte sich mit Florian und seinen Kameraden wieder ausgesöhnt, denn als Wirt war er Diplomat genug, um den einmal erlittenen Verlust durch den Auszug der Geometer nicht noch durch Ortsfeindschaft zu verdoppeln.

Florian schlachtete nun für Kaspar ein Rind und ein Schwein; letzteres auf der Straße, so daß alle Leute bei ihm stehen blieben und dem flinken Burschen zusahen, der in seiner Handwerksthätigkeit allerdings ganz herrlich anzuschauen war. Die Muskeln an seinen bloßen Armen waren so straff und schön, daß man sagen konnte, die Herrschaft über das Leben der Tiere strotzte darin. Er wetzte das Messer mit drei Strichen auf dem Stahl so scharf, daß er ein flatterndes Haar damit durchschneiden konnte. Besonders aber, als es an das Wursthäckeln ging, stand immer ein großer Kreis von Gaffern um ihn her. Florian häckelte mit zwei Beilen, die er so leicht handhabte wie ein Trommler seine Schlägel; auch pfiff er dabei die schönsten Ländler und schlug den Takt dazu. Manchmal machte er sich noch einen besondern Spaß. Er warf eines der Beile hoch in die Luft, häckelte mit dem andern ununterbrochen fort, schnalzte mit der leeren Hand, fing das Beil am Stiele wieder auf und häckelte dann im Takte weiter. Alles schlug die Hände vor Verwunderung zusammen.

Der alte Metzgerle sammelte sich den Ruhm seines Sohnes als Nachtisch zu dem Kesselfleisch, das er genossen; bei dem Schmiedjörgli hielt er sich wieder besonders lang auf. „Ich bin doch ein geschlagener Mann,“ sagte dieser, „daß meine Unterthanen mir nicht mehr folgen, da muß ich jetzt hocken und muß sehen, wie alles zu dem Florian hinausrennt und ihm zuguckt. Ich gäb’ einen Dreibätzner drum, wenn er da neben mir schlachten thät.“

„Ja,“ ergänzte der alte Metzgerle und rieb sich die Hände, „der Hofmetzger in Stuttgart kann’s nicht wie mein Florian. Er hat einmal in Straßburg mit seinen Kameraden gewettet, er woll’ vier Kälber und zwei Säu ganz herrichten, ohne das kleinste Mösle (Mos, so viel als Flecken) an seine Kleider zu bringen – und richtig, er hat’s fertig bracht, und sein Schurz und sein Hemd waren noch grad wie der gefallene Schnee.“

Florian hatte nun bei allen Leuten so viel zu thun, daß er Tag und Nacht nicht zur Ruhe kam und am Sonntag des Hammeltanzes die Morgenkirche verschlief.

Kreszenz hatte dem Geometer eine Zusammenkunft in Egelsthal versprochen, es gelang aber Florian leicht, sie davon abwendig zu machen.

Nach der Mittagskirche war Jubel im ganzen Dorfe. Auf dem Schloßhofe waren Pfähle in einem Kreise aufgesteckt, um die ein Seil gebunden war. In der Mitte des Kreises stand ein schöner Hammel mit einem roten Bande geziert, auf dem Tische daneben stand eine blinkende zinnerne Schüssel. Die Musik ging voraus, ein jeder der Burschen, sein Mädchen an der Hand, hinterdrein.

An dem Schloßthor war eine Schlaguhr angebracht, und zwar so, daß man sie nicht sehen konnte. Punkt zwei begann der „Freitanz“. Die Musik spielte einen Marsch, die Paare gingen in strenger Ordnung rings um das Seil. Ein altertümlicher Säbel war in einen Pfosten gehackt, einer der Burschen nach dem andern zog ihn heraus und hackte ihn in den nächstfolgenden Pfosten. Als Florian mit Kreszenz an den Säbel gelangte, stellte er die Waffe aufrecht auf seine unteren Zähne und schritt so lange, ohne zu wanken, bis zur nächsten Station. Ein allgemeines „Gucket au!“ lohnte diese Keckheit. Die Leichkäther prophezeite, daß Florian den Hammel gewinne. So wandelte nun alles im Kreise, jubelnd und lachend. Als Florian den Säbel wieder in der Hand hielt, schlug es plötzlich drei. Ein allgemeines „Hoch!“ erscholl. Das Seil wurde eingerissen und dem Florian der Hammel, das Band und die Schüssel gebracht. Die Mädchen kamen herbei, glückwünschten der Kreszenz und flochten ihr das neue Band in das Haar. „Jetzt ist es g’wiß, ihr krieget euch dies Jahr,“ sagte des Melchiors Lenorle. Kreszenz aber sah ihren Vater, der mit geballter Faust vor ihr stand; sie weinte.

Mit Musik zog man nun in das Wirtshaus, Florian begann mit Kreszenz den ersten Tanz.

Der Buchmaier hatte als Schultheiß eine alte Sitte wieder erneuert. Er beorderte weder den Schützen noch einen Landjäger als Ordnungshalter zum Tanze. Am Vorabende hatte er alle Burschen, die das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatten, zusammenkommen und sie zwei sogenannte „Tanzburschen“ wählen lassen. Konstantin und des Zimmermanns Valentins Xaver erhielten die meisten „Kuren“ (Kuren, so viel als Wahlstimmen, noch immer gebräuchlich), der dritte sollte der sein, der den Hammel gewänne; der Schultheiß hatte sich nur vorbehalten. falls einer der Gewählten der Glückliche wäre, noch einen aus eigener Machtvollkommenheit zu ernennen. Nun war Florian der dritte Tanzbursche, der, wie die andern, ein weißes Band um den linken Arm erhielt. Die drei mußten für die Aufrechthaltung der Ordnung bürgen, jede Störung fiel ihnen zur Last; es kam aber keine vor, denn die Leute lassen sich am liebsten von denen aus ihrer Mitte regieren.

Kreszenz war ganz glückselig, sie vergaß den Geometer vollends. So schön als Florian konnte keiner tanzen, selbst der Jörgli nicht; er schlug immer im Takte die Füße zusammen, so daß aller Blicke auf seine schöngewichsten Stöckelstiefel gerichtet waren. Dann rief er manchmal mitten aus dem Tanze heraus: „Hellauf!“ Sein ganzes Wesen hob und bewegte sich nach dem Tone der Musik; er war ein ganzer Tänzer. Er wollte keine Minute ruhen, und als die Musik eine Weile aushielt, trat er zu dem Klarinettisten und sagte: „Laß dein dürr Holz rappeln,“ worauf der Musikant erwiderte: „Laß was einschenken, daß es quillt.“ Florian warf einen Sechsbätzner auf den Tisch.

Spät in der Nacht wurde der „Balbiererstanz“ ausgeführt, bei dem Florian in seinem vollen Glanze erschien. Es wurde nämlich ein Mensch hereingebracht, der schneeweiß aussah, vorn und hinten einen Höcker hatte und überall mit weißen Tüchern verbunden war; man konnte den Studentle gar nicht mehr erkennen. Die Musik spielte die Weise zu dem Lied:

Hol mir den Balbierersknecht,
‘s ist mir jo gar net reacht.

Ein Stuhl wurde in die Mitte des Saales gestellt und der Kranke daraufgesetzt. Der ersehnte Arzt kam herbei, um und um mit Messern behangen, eine große Klammerbrille auf der Nase und eine Perücke von Werg auf dem Kopfe. Ein schallendes Gelächter begrüßte den Eintretenden, es war Florian.

Mit possierlichen Sprüngen tanzte er um den Kranken herum, fühlte ihm den Puls, öffnete den Verband am Arme, ließ zur Ader und steckte endlich ein Messer in den Höcker und ließ es darin. Der Kranke fiel tot zu Boden, die Musik ertönte in dumpfen Klagen. Der Arzt sprang verzweifelnd in der Stube umher, raufte sich ganze Ballen seiner Perücke aus und warf sie den Leuten ins Gesicht; die Musik verstummte. Endlich, die Hand an die Stirne legend, besann sich der Gequälte und rief: „Musik!“ Wiederum Klagetöne. Er kniete zu dem Kranken nieder, riß ihm den Mund auf und zog unaufhörlich weiße Bändel heraus: aber immer noch lag der Kranke leblos. Jetzt nahm der Arzt ein großes Schoppenglas, füllte es bis an den Rand mit Wein, stellte es auf seine Stirn und legte sich nach dem Takte der Musik neben den Kranken rücklings auf den Boden. Alles hielt den Atem an ob dieses schweren Kunststückes, aber es gelang. Nun wurde dem Patienten das volle Glas bis auf die Neige eingegossen, er schlug um sich, warf die Vermummung ab, Florian that desgleichen, die Musik spielte wieder einen Hopser, des alten Schultheißen Bäbele kam herbeigesprungen und tanzte mit Konstantin, Kreszenz mit Florian; alles war wieder munter und wohlauf.

Man hatte mitten in der Lust mit dem Uebel und der Trauer gespielt, mit erneutem Freudejauchzen lebte man wieder auf.

Als man sich eine Weile zu Tische setzte, trank und sang, gab Florian ein neues Lied zum besten, das er aus der Fremde mitgebracht hatte; es lautete:

Zu Straßburg auf der Schanze,
Hatte mich ein Mädchen lieb,
Es bracht’ mir alle Morgen
Einen Kaffee und einen Brief.

Den Brief hab’ ich erhalten,
Den Kaffee aber nicht,
Darinnen stand geschrieben:
Der Winter ist vor der Thür.

Der Winter und der ist kommen,
Die Meister werden stolz,
Sie sprechen zu den Gesellen:
Geh ‘naus und spalt mirs Holz.

Spalt es mir nicht zu grobe,
Spalt es mir nicht zu fein,
So kannst du diesen Winter
Mein treu’ Geselle sein.

Der Winter und der ist ume,
Die Gesellen werdens frisch,
Sie nehmen Stock und Degen
Und treten vor Meisters Tisch.

„Ach Meister, wir wollen rechnen,
Es ist die schönste Zeit,
Du hast uns diesen Winter
Mit Sauerkraut gespeist.“

„Ist dir das Brot zu schwarze,
Ich laß es backen weiß,
Ist dir dein Bett zu harte –“

Hier kamen Verse, über die leider weder Kreszenz noch sonst eines der Mädchen errötete, vielmehr jubelte alles von neuem.

Wer mag nun zweifeln, daß Florian der erste Bursch im Dorfe war?

Als aber Kreszenz nach Hause kam, mußte sie schwer dafür büßen, daß sie heute die erste Rolle gespielt hatte; die Mutter war krank, und der Vater besaß nun alle Macht im Hause. Kreszenz duldete ohne Murren, sie wußte jetzt sicher, daß sie mit Florian vereinigt würde; hatten sie ja gemeinsam den Preis gewonnen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2