5. Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß. - Florian blieb nun im Dorfe und schlachtete, von dem Meisterrechte seines Vaters Gebrauch machend, ...

5. Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß. - Florian blieb nun im Dorfe und schlachtete, von dem Meisterrechte seines Vaters Gebrauch machend, ein Rind und bald wieder eines. So gut es auch in der ersten Zeit zu gehen schien, so hatte doch die Herrlichkeit bald ein Ende. Der alte Metzgerle ging mit dem liegengebliebenen Fleische hausieren, er verthat aber oft nicht nur den Profit, sondern auch das Kapital. Die Konkurrenz der bereits ansässigen jüdischen Metzger war trotz der Geschicklichkeit Florians nicht zu besiegen, denn die Juden verkaufen das Fleisch von den Hinterteilen billiger, da sie nach einer Anordnung der Bibel nur das Fleisch der Vorderteile essen dürfen.

Ueberhaupt aber ist es auf dem Dorfe fast nicht möglich von einem Handwerke allein ohne Ackerbau zu leben. Zum Ackerbau hatte Florian keine Gelegenheit und noch viel weniger Lust. Er schlachtete nun eine Zeitlang in Gemeinschaft mit einem jüdischen Metzger, aber auch dies hörte bald auf.


Nun half Florian den Straßburger Metzgern Ochsen einkaufen. Er verdiente dabei manch schön Stück Geld und machte auch seinen Vater zu einem ganz glückseligen Menschen. Der alte Metzgerle konnte wieder Ochsen ausgreifen und schätzen wie in alten Zeiten, er verjüngte sich wieder. Florian war einer der ersten Burschen im Dorfe.

Ungeschickterweise verdarb er es aber mit dem Schultheißen. Dieser ließ, als die fremden Händler da waren, den Florian zu sich kommen und wollte seine Ochsen verkaufen. „Sie wiegen gut vierzehn Zentner,“ beteuerte der Schultheiß. „Was sie mehr als elf wiegen, will ich roh fressen,“ erwiderte Florian, und das war dumm; denn von diesem Augenblick an war ihm der Schultheiß spinnefeind.

Des kümmerte sich aber Florian wenig, er spielte jeden Sonntag den Baron, kegelte immer am höchsten und ließ, wie man sagt, das Garn auf dem Boden laufen.

Es ist ein eigen Ding um die Fremdenehre, sie ist gar bald aufgezehrt. Ein Ansehen, das man sich errungen hat, weil man eine ungewöhnliche Erscheinung war, hört auf, sobald die Leute an die Erscheinung gewöhnt sind; sagt man ja, wenn der Regenbogen lang stünde, würde man sich nicht mehr nach ihm umsehen.

So erregte auch Florian kein Aufsehen im Dorfe mehr. Erst ein unerwartetes Ereignis zog wieder die Blicke aller auf ihn.

Eines Abends stand er mit seinen Kameraden nicht weit vom Adler, der Schultheiß saß mit dem Geometer auf der Bank vor dem Hause. Florian bemerkte, wie sie nach ihm hinschielten, wie der Schultheiß mehrmals mit der Hand über die Oberlippe fuhr, der Geometer unbändig lachte und dabei das Wort Samson aussprach. Florian wußte nicht, was das zu bedeuten habe, es sollte ihm aber bald klar werden.

Andern Tages wurde er vor den Schultheiß geladen, von dem wir uns erinnern, daß er einst Unteroffizier gewesen war; er befahl nun dem Florian, ohne Widerrede seinen „Schnurrwichs“ herunter zu machen, da er nie Soldat gewesen und es nur den Soldaten erlaubt sei, Schnurrbärte zu tragen. Florian lachte den Schultheiß aus, worauf dieser gewaltig schimpfte, es kam zur Gegenrede, für die Florian in das Gefängnis wandern mußte.

Es ist ein gefährlich Ding, einen Menschen, der eigentlich unschuldig ist, ins Gefängnis zu sperren; das stumpft sein Gefühl und seine Scheu ab für Zeiten, wo er vielleicht schuldig ist.

Als Florian herauskam, mußte er dem gestrengen Befehle Folge leisten. Mit einer Wehmut ohnegleichen stand er vor dem Spiegel und preßte seine der Haarzier beraubten Lippen zusammen, seine Zähne knarrten, und ein harter Schwur setzte sich in seiner Seele fest.

Im ganzen Dorfe sprach man von nichts, als von dem abgemähten Schnurrbart Florians, und jetzt, seitdem er nicht mehr war, lobte ein jeglicher dessen Vorzüge.

Dem Florian war es, als ob seine Haut geschält wäre, und als er durch das Dorf ging. beredete ihn ein jeder über sein verändertes Aussehen.

So weit war es aber schon mit Florian, daß er sich sogar über dieses Aufsehen freute. Wenn nur die Leute etwas Besonderes an ihm zu bemerken hatten, das war ihm schon genug.

Vor dem Hause der Kreszenz ließ er sich am Tage nicht sehen, und als er abends mit ihr zusammenkam und sie ihn auslachte, schwur er, daß der Geometer ihm jedes Haar bezahlen solle. Kreszenz suchte ihn zu begütigen, er schwieg.

Wenige Tage darauf wurde der Geometer auf dem Heimwege von Horb des Nachts von drei Burschen überfallen. Sie schleppten ihn in den Wald, und mit dem Rufe: „Auf ihn, er ist von Ulm!“ prügelten sie ihn so durch, daß er kaum mehr heimgehen konnte. Einer rief ihm zum Schlusse zu: „Diesmal war’s glimpflich, wenn du binnen acht Tagen nicht aus dem Dorf bist, wird dir das Nachtessen noch einmal gewärmt!“ Der Geometer glaubte die Stimme Florians zu erkennen. Er suchte nun eine Klage anhängig zu machen, aber die Wahlbewegungen im Dorfe ließen diese zu keinem richtigen Fortgange kommen.

Es wurde ein neuer Schultheiß gewählt, die Bartscherung Florians war die letzte Amtshandlung des unteroffizierlichen Schultheißen. Der Buchmaier, der die Leute ungeschoren ließ und unter dessen Regierung auch der Schnurrbart Florians wieder zu erneuter Herrlichkeit aufwachsen durfte, wurde fast einstimmig „gekurt“.

Der Geometer verließ mit seinen Kameraden das Dorf und siedelte sich in Mühl an, der rote Schneiderle und der Adlerwirt boten alles gegen diese Auswanderung auf, aber vergebens.

Mit Florian war indessen auch eine große Veränderung vorgegangen. Er schien sich mit den Straßburgern überworfen zu haben, denn er war nicht mehr ihr Unterhändler. Auch der alte Metzgerle blieb fast immer zu Hause, er hatte eine neue Erwerbsquelle gefunden, die reichlich floß. Auf seinen Reisen als Ochsentreiber hatte er mit den Schmugglern im Badischen Bekanntschaft gemacht; denn Baden gehörte damals noch nicht zum Zollvereine. Er verkaufte nun die eingeschmuggelten Sachen, besonders Zucker und Kaffee, und stand sich gut dabei. Der rote Schneiderle sah seinen Kramladen durch den geheimen Zwischenhandel vernichtet, und doch war ihrer Kinder wegen Feindschaft und Kontinentalsperre zwischen ihm und dem Metzgerle. Die Frau aber fand einen glücklichen Ausweg: das Haus der Leichkäther ward der neutrale Boden, auf dem man unterhandelte. Die Leichkäther mußte die fremden Waren von dem Feinde für sie aufkaufen.

So war auch zwischen den Großmächten ein geheimes Spiel angezettelt.

Fast jeden Sonntag wurde Kreszenz durch arge Mißhandlungen gezwungen, ihrem Vater zu folgen und in Mühl oder halbwegs, in Egelsthal, mit dem Geometer zusammenzukommen. Sie war dann wider ihren Willen munter und lustig, und wenn sie lange genug geheuchelt hatte, wurde sie beim Weine wirklich aufgeheitert, so daß der Geometer glaubte, sie hänge noch immer an ihm.

Abends aber ging sie immer wieder heimlich mit dem Florian, und wenn sie nach Hause kam, warteten ihrer neue Mißhandlungen.

So lebte Kreszenz ein qualvolles Leben, dessen inneren Widerspruch sie aber zu ihrem Glücke nicht erkannte; sie hatte ihr Leben lang nichts als Unwahrheit und Halbheit vor sich gesehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2