3. Ein Alltagsleben am Sonntag. - Andern Tages kleidete sich Kreszenz nicht sonntäglich an, um nach der Kirche zu gehen, ...

3. Ein Alltagsleben am Sonntag. - Andern Tages kleidete sich Kreszenz nicht sonntäglich an, um nach der Kirche zu gehen, sie klagte über Unwohlsein und blieb zu Hause.

Als der Schneiderle aus der Kirche zurückkam und den Aufzug seiner Tochter sah, sagte er:


„Was ist das? Still, sag’ ich, einmal und millionenmal,“ fuhr er fort, ehe noch Kreszenz antworten wollte. „Gelt, dir ist nicht recht just, weil der Florian wieder da ist, und da willst du nicht auf die Straß’? Ich hab’ schon gehört, was er nächt (Gestern abend) mit dem Geometer gehabt hat; jetzt mußt du heut’ zum Trotz mit dem Geometer ins Horber Bad. Das sag’ ich, ein Wort wie tausend.“

„Ich bin krank.“

„Nutzt nichts, geh ‘nauf und zieh dich an, oder ich mess’ dir mit der Ell’ da die Kleider an.“

„Laß ihn schwätzen,“ sagte die Schneiderin, die unterdessen eingetreten war, „das ist grad’ den Maus’ pfiffen, was er sagt. Kreszenz, wenn dir nicht gut ist, bleib du daheim. Von dem, was er erhauset, hättet ihr kein Fädle auf dem Leib; der Freßsack kann nichts, als alle Tag’ dreimal die Füß’ untern Tisch stellen und sich füttern lassen wie eine Einquartierung.“

Der Schneiderle wollte auf Kreszenz los, seine Frau aber stellte sich vor ihn hin, ballte die Fäuste, und der gestrenge Mann kroch scheu in eine Ecke.

Diese Leute kamen eben aus der Kirche, wo sie die Worte: Liebe, Friede und Seligkeit gesungen und gebetet hatten; noch hatten sie das Gesangbuch nicht aus der Hand gelegt, und schon war die häßlichste Zwietracht zwischen ihnen entbrannt.

Ueberhaupt sind wir da in ein sonderbares Haus eingetreten. Die Mutter war früher Pfarrköchin gewesen und hatte den Schneiderle etwas schnell geheiratet, Kreszenz war ihr ältestes Kind; außerdem hatte sie noch einen Sohn und eine Tochter. Die Schneiderin ging noch immer städtisch gekleidet und trug bloß die schwarze Bauernhaube; denn bei allem Verschwinden der Bauerntrachten wird es doch schwer dahin kommen, daß die kostspielige Florhaube in Aufnahme kommt.

In der ersten Zeit, als die beiden Leute miteinander verheiratet waren, lebten sie gut; denn wo alles vollauf im Hause ist, müssen es gar unverträgliche Menschen sein, wenn sie miteinander keifen sollten.

Das nennt man dann, in gebildeten wie in ungebildeten Ständen, die glücklichen, die friedlichen Ehen.

Der Schneider arbeitete in seinem Handwerke, und die Frau errichtete ein Kramlädchen, worin Spezereien und andre Waren verkauft wurden.

Was ist aber der Mode mehr unterworfen, als die Herrscher der Mode, die Schneider? Der Balthes arbeitete nur für die Herren und für die Juden, die sich auch städtisch tragen; Bauernkleider zu machen, war ihm ein Greuel, denn er war „in Berlin drein gewest“.

Neue, junge Konkurrenten hatten sich in dem Dorfe und der Umgegend niedergelassen; Balthes konnte nun oft ganze Tage umherlaufen, ohne Arbeit zu finden.

Da verfiel er auf einen spekulativen Gedanken, in dessen zeitweiliger Ausführung wir ihn noch begriffen finden. Im Verein mit dem Anschel Meier, dem Vater des Beßle, reiste er nach Stuttgart, kaufte dort alte Kleider und richtete sie neu her. Besonders aber war er auf die abgetragenen roten Frackröcke der Hofbedienten aus, wozu ihm Anschel verhalf, der aus den Lieferantenzeiten her hohe Bekanntschaften hatte. Die Livreeröcke wurden dann zerschnitten und rote Bauernwesten daraus gefertigt, die im Schwarzwalde noch überall getragen werden. Auch Uniformen der Offiziere wurden gekauft und aus dem roten Unterfutter des Wehrstandes Kleider für den Nährstand gemacht.

Man sagt aber, der Anschel habe fast allen Profit an sich zu ziehen und sich noch ein Nebenverdienstchen bei den hohen Verkäufern zu machen gewußt.

Von der Zeit an, als Balthes aus der Mode gekommen und Ebbe im Hause eingetreten war, gaben sich die beiden Eheleute kein gutes Wort mehr. Dem Balthes ward, wie man sagt, der Löffel aus der Hand genommen, ehe er genug gegessen hatte. Er war über nichts mehr Meister, er durfte am Sonntag nicht einmal ein Stück Speck zerschneiden und hieß doch der Schneidermeister. Wo er stand oder saß, war er seiner Frau zu viel, sie hatte vollkommen das Heft in Händen, denn sie verreiste jeden Herbst, und nach ihrer Zurückkunft war immer wieder alles flott im Hause.

Die Kinder hielten natürlich zur Mutter, denn Balthes war auch mehr in fremden Häusern, als in dem seinigen. Er kam fast nur zum Essen und Schlafen. Jenes ward ihm mit tüchtigen Reden gut gesalzen und dieses durch einen wohlgesetzten Abendsegen versüßt.

Kreszenz blickte nun ihren Vater verächtlich an. Da trat der Geometer ein, Vater und Mutter machten freundliche Gesichter und thaten, als ob sie die Liebe selber wären; nur Kreszenz sah betrübt aus, ihre Lippen zitterten.

„Gang, mach, Kreszenz, zieh dich hurtig an,“ sagte die Mutter. „Herr Geometer, wollen Sie’s heut mittag mit uns halten? das thät’ mich recht freuen. Es ist eben ein gewöhnlich Essen: Sauerkraut, Knöpfle und ein Speck, es wird Ihnen aber doch schmecken, die Kreszenz hat gekocht.“ Ein schätterndes Kichern begleitete fast jedes ihrer Worte, wobei sie sich immer ein bißchen an der Nasenspitze zupfte.

Mit aller Kraft seiner Rede, fast mit Zwang bestimmte Balthes den Geometer zur Einwilligung. Er nahm ihm den Hut ab und gab ihm solchen nicht mehr, denn er wußte wohl, daß, wenn der Geometer da war, es nicht nur bei Tisch ohne Zank abging, sondern auch wahrscheinlich eine Halbe Bier geholt würde. In der That wurde auch Kordele, die kleine Tochter, in den Adler geschickt und kam mit einer Flasche unter der Schürze zurück; denn auf dem Lande, wo alles offenkundig ist und man den Leuten sozusagen in den Mund guckt, sucht man auch alles zu verbergen.

Kreszenz trug schön geputzt, aber mit verweinten Augen das Essen auf, sie klagte über den Rauch in der Küche. So war alles Lüge bei Tische. Kaum hatte der Geometer halb aufgegessen, legte ihm die Mutter schnell wieder ein gutes Stück auf den Teller. Er dankte sehr für diese Freundlichkeit, denn er merkte nicht, daß die Frau, den verlangenden Augen ihres Mannes folgend, demselben schnell den ersehnten Bissen vor der Nase wegraubte; auch schenkte sie dem Geometer oft ein, weil sie mit Recht fürchtete, ihr Mann würde sonst nicht blöde zugreifen. Nur die Frau und der Geometer führten das Wort bei Tische. Als dieser von der Händelsüchtigkeit des Florian erzählte, errötete Kreszenz, sie holte aber schnell den Katzenteller unter der Ofenbank vor.

Als abgegessen war, sagte Balthes: „Nun, Frau, mach auch einen Kaffee.“

„Ich für meine Person muß danken,“ sagte der Geometer.
Die Schneiderin nahm das gern an, denn sie gönnte ihrem Manne keinen Anteil an dem Leckerbissen; sie küchelte dann später einen für sich allein und bröselte etwas dazu.

Nach der Mittagskirche ging nun Kreszenz mit dem Geometer spazieren; sie wußte es zu veranstalten, daß sie nicht durch das Dorf, sondern durch die Gärten gingen. Als sie gegen des Jörglis Kegelbahn kamen, schreckte Kreszenz plötzlich zusammen, denn sie sah Florian, wie er hemdärmelig, mit dem Rücken nach dem Wege gekehrt, dort stand. Sie hörte, wie er, ein Stück Geld auf den Boden werfend, rief: „Es gilt sechs Batzen, ich treff’ fünf.“ Unter dem Vorwande, daß sie etwas vergessen habe, kehrte Kreszenz schnell um, der Geometer folgte ihr kopfschüttelnd. Zu Hause überraschten sie die Mutter unangenehm beim Kaffee. Sie gingen nun durch das Dorf.

Florian begnügte sich für diesen Sonntag damit, Aufsehen im Dorfe zu erregen, das gelang ihm in vollem Maße. Alle Leute redeten nur von ihm, von seiner schwarzen Sammetjacke mit den silbernen Knöpfen, von seiner rot- und schwarzgestreiften Freischützenweste und von allen Herrlichkeiten derart, denn die Leute im Dorfe wie in der Stadt haben meistens nichts zu sprechen und sind froh, wenn sich ihnen ein Gegenstand darbietet.

Der alte Metzgerle, der Vater des Florian, sammelte den Ruhm seines Sohnes von Mund zu Mund und that das Seine, ihn noch zu steigern.

Er konnte immer noch als ein schöner Mann gelten, wie er daherschritt, groß mit gerötetem Antlitze und lustigen, grauen Augen. Er ging hemdärmelig und hatte das Sacktuch in das Armloch der Weste gesteckt, was ihm etwas Eigentümliches gab. So oft er nun jemand begegnete, zog er seine Dose heraus und ließ eine Prise echten Doppelmops nehmen, indem er stets dabei bemerkte: „Den hat mir mein Florian bracht, gelt, es ist ein Staatskerle? So ist keiner auf zwanzig Stund’ Wegs. Sein Meister thät ihm auch gleich seine einzige Tochter geben, der Heidenbub’ mag aber nicht. Sein Meister löst mehr für Klauen, als drei Horber Metzger für Fleisch, er metzget alle Tage seine acht Kälber und auch zwei oder drei Ochsen. Was meinst?“ setzte er dann gewöhnlich hinzu, indem er seine Blätschleskappe (Ein rundes ledernes Käppchen, ohne Schild, wie ein Krautblatt geformt, daher Blätschle, so viel als Blättchen) dabei abnahm und wieder aufsetzte, „wie wär’s, wenn ich nach Straßburg ging’ und das Mädle heiraten thät? wenn es einmal partu einen Großmann will, ist’s eins, der jung oder der alt, ich nehm’s mit jedem auf.“

Bei dem alten Schmiedjörgli, einem kinderlosen Greise von mehr als achtzig Jahren, der immer vor seinem Hause an der Straße saß und sich von den Leuten alles erzählen ließ, hielt sich der alte Metzgerle besonders lange auf. Der alte Schmiedjörgli und die alte Maurita auf der Bruck, das waren die zwei Leute, durch die man etwas im ganzen Dorfe bekannt machen konnte. Der Schmiedjörgli erzählte Gutes und Schlimmes weiter, um andre damit zu necken und um zu zeigen, daß er alles wisse, die Maurita aber erzählte das Freudige, damit sich andre mit freuen, und das Traurige, damit andre mit trauern. Der Schmiedjörgli war der beste Abnehmer für die Prahlereien des Metzgerle.

So ging der Sonntag vorüber, und als Kreszenz – es war schon längst Nacht geworden – mit dem Geometer heimkehrte, dankte sie Gott, daß die gefürchteten Händel nicht eingetroffen waren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2