13. Die ärgsten Spießruten und die Linderung. - Florian war indessen immer weiter geeilt, und als es Nacht wurde, ...

13. Die ärgsten Spießruten und die Linderung. - Florian war indessen immer weiter geeilt, und als es Nacht wurde, machte er sich aus den Zehentgarben auf dem Felde eine Hütte und schlief darunter.

In einer Schenke hatte er ein Messer gestohlen, dafür aber heimlich zwölf Kreuzer in das Salzfäßchen auf dem Tisch versteckt; mit dieser Waffe machte er sich nun in einer Schlucht seinen Schnurrbart herunter.


Nichtsdestoweniger wurde er aber, als er die badische Grenze betreten wollte, verhaftet. Jetzt klagte er dem Landjäger sein Unglück nicht mehr, er wehrte sich mit aller Macht und suchte sich frei zu machen; er ward aber niedergeworfen und gefesselt.

Die Steckbriefe waren angekommen, und nun wurde er von Amt zu Amt den bewaffneten Landjägern übergeben. Stille, ohne ein Wort zu reden, schritt er dahin, seine rechte Hand und sein rechter Fuß waren zusammengefesselt; er kam sich selber vor wie ein Tier, das zur Schlachtbank getrieben wird.

Als er aber, von Sulz kommend, aus dem Empfinger Wäldle trat, sein Heimatsort vor ihm stand, und er nun merkte, daß er in Fesseln mitten durch denselben geführt werden sollte, da warf er sich vor dem Landjäger auf die Kniee und bat ihn weinend, er möchte ihn doch um Gottes willen hinten am Dorfe vorbei nach der Stadt führen.

Der Landjäger aber sagte: „Nein!“ und Florian schlug sich mit der linken Hand auf die Augen, als ob er sich dieselben ausschlagen wollte, damit er seine Schmach nicht sehe; seine Rechte klirrte machtlos mit der Kette. Florian, der einst so Vielbewunderte, der sich freute, daß die Blicke aller auf ihn gerichtet waren, sollte nun in so traurigem Geleite, mit so schmählichem Schmucke durch das Dorf wandeln. Jetzt wünschte er, daß kein Mensch ein Auge für ihn haben möchte. Als er an des roten Schneiderles Haus vorbeikam, stand Kreszenz an der Reisbeige und hackte Holz. Das Beil entfiel ihrer Hand; eine Minute stand sie erstarrt, dann flog sie mit ausgebreiteten Armen auf Florian zu und lag an seinem Halse; der Landjäger machte sie sanft los. „Ich geh’ neben dir durch das Dorf,“ sagte Kreszenz, ohne zu weinen; „du sollst dich nicht allein schämen. Thut dir das Eisen weh? Gräm dich nur nicht zu arg.“

Florian konnte nicht reden, er winkte nur mit der linken Hand der Kreszenz, sie solle umkehren; sie aber ging nebenher, als wär’ sie mit unsichtbarer Kette an Florian gebunden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das Dorf. Am Adler standen Kaspar und Bärbele vor dem Hause; jener hielt eine Halbe Bier in der Hand und brachte es dem Florian zum Trinken. Der Landjäger duldete das nicht. Florian bat nur, man solle die Kreszenz zurückhalten, und Bärbele ließ nicht nach, bis sie bei ihm blieb. Alles weinte.

Weiter ging es nun durch die wohlbekannten Gassen.

Der Schmiedjörgli, der des kalten Wetters wegen nicht mehr vor seinem Hause saß, sah zum Fenster heraus und lupfte vor Verlegenheit seine Zipfelkappe. An des Schloßbauern Haus stand der Franzosensimpel und sagte, auf seine Oberlippe deutend: „ Mus à loin ringo.“ Unwillkürlich zuckte ein schmerzliches Lächeln in den Mienen Florians.

Als nun endlich das letzte Haus hinter ihm war, gelobte er sich, nie mehr in seinen Heimatsort zurückzukehren. –

Die Gefangenschaft Florians war nun schwerer, er saß wohl wieder auf demselben Turme am Neckarthore, aber in der bestvermauerten Zelle.

Oft lugte er durch das Gitter hinaus; wenn er aber einen Nordstetter bemerkte, prallte er wie von einer Kugel getroffen zurück.

Nach und nach ließ der Schmerz über sein Los in Florian nach, und er suchte sich nun allerlei Kurzweil zu machen. Er stellte sich einen Strohhalm auf die Stirne und ging eine Weile umher, dann legte er nach und nach mehrere Halme darauf, bis er eine vollständige Hütte aufbauen und wieder abbrechen konnte. Er lernte mit vieler Mühe, sich an den Eisenstäben wagrecht in die Luft halten, er lernte sogar seine beiden Kniee über den Nacken legen.

Eines Tages, als Florian durch das Gitter hinaussah, bemerkte er Kreszenz, die nach der Stadt ging; heiße Thränen fielen aus die Eisenstäbe; er konnte sie nicht sprechen, ihr kaum ein Zeichen geben.

Als es Nacht geworden war, hörte er mehrmals vor dem Fenster husten, er erkannte Kreszenz und antwortete mit gleichen Zeichen.

Kreszenz flocht das rote Band, das sie am Hammeltanze mit ihm gewonnen, aus ihren Haaren, knüpfte ein Steinchen und einen Brief hinein und warf das flatternde Band zu Florian hinauf, der es geschickt faßte; dann ging sie eilig davon. Aus der Ferne aber vernahm Florian den Endreim des Liedes:

Das Feuer kann man löschen,
Die Liebe nicht vergessen,
Das Feuer brennt so sehr,
Die Liebe noch viel mehr.

Die ganze Nacht konnte Florian kein Auge zuthun, er hatte Nachricht von seiner Kreszenz in der Hand und konnte sie doch nicht lesen.

Beim ersten Morgenstrahle stand er am Gitter und las:

„Ich weiß nicht, ob der Brief in Deine Hand kommt und unterschreib’ mich deswegen nicht. Ich bin in der Stadt gewesen und hab’ mir meinen Heimatschein geholt, das Beßle hat mir im Elsaß einen Dienst verschafft; ich geh’ übermorgen fort. Ich hab’ mir auch ein langes Kleid machen lassen. Mein’ Mutter ist gestorben, und mein Vater heiratet das Näher-Walpurgle. Ich brauch’ Dir nicht zu sagen, daß ich nie von Dir lass’, und wenn Du auch weiß nicht was gethan hätt’st. Wenn Du auch einmal schlecht gewesen bist, Du bist doch nicht schlecht, das weiß ich. Sei nur fromm und geduldig und trag Dein Schicksal, unser Herrgott ist mein Zeug’, ich thät’ Dir’s gern abnehmen. Ich hab’ mir auch von Deinem Vater Dein Messer geben lassen, das Du immer so gern gehabt hast, ich hoff’, will’s Gott, Dich noch einmal in Ehren mit schaffen sehen; gib nur Du auch die Hoffnung nicht auf, denn sonst ist man ganz verloren. Mach Dir keine unnötige Vorwürf’ über das, was Du gethan hast, das nutzt jetzt nichts mehr, und sei brav. Von dem ersten Lohn, den ich krieg’, lös’ ich mir wieder Deinen Ring und meinen Anhenker aus. O! ich hätte Dir noch so viel zu sagen, zehn Schreiber könnten’s nicht schreiben. Ich will schließen und verbleibe Deine Getreue bis in den Tod.“

Florian fühlte ein nie gekanntes Entzücken, er konnte selig weinen, er sah erst jetzt recht, was er an der Kreszenz besaß, und in allem freute er sich auch wieder, daß ihm sein Messer erhalten war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2