10. Florian sucht Hilfe und nimmt die nicht, die er findet. - „Hör mal,“ sagte Florian eines Tages zu Kreszenz, „das Ding muß ein End’ nehmen; ...

10. Florian sucht Hilfe und nimmt die nicht, die er findet. - „Hör mal,“ sagte Florian eines Tages zu Kreszenz, „das Ding muß ein End’ nehmen; in die Fremd’ gehen kann ich nimmer, deinetwegen nicht, und auch meine Ehr’ steht darauf, ich muß es ‘nausführen; wie meinst, wenn ich zu dem Pfarrer ging’? Er muß uns ein paar hundert Gulden geben, nachher können wir uns heiraten.“

„Du hast ja sonst nichts von ihm wissen wollen.“


„Not frißt Hobelspän’,“ erwiderte Florian. „Willst du mir ein Briefle an ihn mitgeben und es auch von deiner Mutter unterschreiben lassen?“

„Wie du willst, du mußt am besten wissen, was zu thun ist; ich thu’, was du sagst.“

Andern Tages war Florian auf dem Wege zu dem Pfarrer. Trübe Gedanken gingen ihm durch den Kopf, wenn er sich besann, wohin er wandere; die Frische der Bewegung erhellte aber seinen Sinn bald wieder. Er war nun seit vielen Wochen fast nicht mehr aus dem Dorfe gekommen, die trübseligen, engen Verhältnisse und der Kampf mit ihnen hatten ihn stets umschlungen; jetzt durchzog ihn wieder die freie Wanderlust, er fand wieder einen größeren Maßstab des Lebens und sagte sich: „Man kann auch anderswo leben, es muß nicht gerade daheim im Dorfe sein. Ich kann mit meiner Kreszenz glücklich sein, wenn auch der Schmiedjörgli und der Adlerwirt nichts davon wissen; aber Respekt müssen sie vor mir haben, nachher geh’ ich. Von dem Gang da darf aber keine Sterbensseel’ was erfahren.“

Es war gegen Abend, als Florian an seinem Ziele anlangte. Er ging alsbald nach dem Pfarrhause, traf aber niemand als die Haushälterin, eine wohlgenährte, stolze Person; sie suchte ihn auf allerlei Weise auszufragen, er aber sagte immer: er müsse mit dem Pfarrer selber reden. Endlich kam dieser, seine zwei halhgeschorenen Spitzhunde mit Gebell voraus; sie wollten sich nun an Florian machen, er aber blickte sie nur an, und sie krochen in eine Ecke. Nicht umsonst sagten die Leute, daß Florian die Hunde bannen könne; die wildesten, wenn er sie nur scharf ansah, wurden zahm und scheu.

Jetzt aber schlug Florian die Augen nieder, da er den Pfarrer gesehen. Es war ein untersetzter, kräftiger Mann, der eine weiße und eine schwarze Halsbinde trug; selbst bis auf die Sommerflecken glich ihm Kreszenz. Dem Pfarrer kam der scheue Blick Florians verdächtig vor, er fragte daher nach seinem Begehr.

„Ich muß allein mit Euch reden,“ erwiderte Florian.

Der Pfarrer hieß ihn in seine Studierstube folgen.

Florian übergab den Brief, der Pfarrer las. Florian verfolgte mit scharfem Blicke seine Züge.

„Von wem ist der Brief?“ fragte der Pfarrer, „ich kenne die Person nicht.“

„Ihr kennet doch die rot’ Schneiderin? Da hat sie drunter geschrieben, und das Obere ist von ihrer ältesten Tochter. Die rot’ Schneiderin liegt auf dem Totenbett, sie wird nimmer aufkommen.“

„Thut mir leid. Sagt den Leuten einen schönen Gruß, und wenn ich was für sie thun kann, wird’s schon geschehen.“

„Und für die Kreszenz wollt Ihr jetzt nicht ein Besonderes thun?“

„Ich sehe nicht ein, warum.“

„Aber ich seh’s ein, Herr Pfarrer. Es soll kein Mensch was davon erfahren, ich will einen Eid schwören und das Abendmahl darauf nehmen, aber helfen müsset Ihr uns, Ihr müsset, oder ich weiß nicht, was aus uns beiden werden soll.“

Der Pfarrer suchte in der Tasche nach seinen Schlüsseln, er hatte den rechten gefunden; in der Hand damit spielend, sagte er:

„Ich helfe armen Leuten gern, aber ich kann jetzt nur wenig thun.“

„So gebet mir fürs andere ein Schriftliches.“

Bei diesen Worten schaute der Pfarrer verwirrt: um sich, es war ihm, als hätte er sich verraten, da man eine solche Zumutung an ihn zu stellen wagte; er sagte daher mit sichtbar erzwungener Härte:

„Einmal für allemal, die Leut’ gehen mich nichts an, und da habt Ihr was für Eure Zehrung.“

Er wollte Florian etwas Geld geben, dieser aber warf es ihm vor die Füße und rief:

„Ich frag’ zum letztenmal: wollt Ihr Euch um Euer Kind, das Euch aus dem Gesicht geschnitten ist, annehmen oder nicht? Ja oder Nein? Ihr seid der Vater von meiner Kreszenz. Ich darf Euch nichts thun, ich will Euch nichts thun, aber, Herr Gott! ich weiß nicht, was ich thu’.“ Er langte mit der einen Hand nach dem Messer in der Seitentasche, schnappte mit der andern schnell das Schloß an der Thüre ab und fuhr dann fort: „Ich hab’ noch kein unrechtes Stückle Vieh mit dem Messer abthan, aber“ – er schäumte und zitterte vor Wut.

„Unverschämter Mensch!“ schrie der Pfarrer, sich nach dem Fenster flüchtend und es aufreißend.

Da ging plötzlich die Wand auseinander, durch die Tapetenthüre trat die Haushälterin ein und sagte:

„Die Gemeinderäte und der Schultheiß sind drüben, Ihr sollet gleich ‘nüber kommen, Herr Pfarrer.“

Florian entsank fast das Messer, der Pfarrer hatte sich hinter die offene Tapetenthür geflüchtet.

„Was ist Euer letztes Wort?“ fragte Florian nochmals.

„Fort aus meinem Haus, oder ich lass’ Ihn einstecken, wenn Er nicht gleich gutwillig geht.“

Florian öffnete still die Thüre und ging zaudernd und schwankenden Schrittes davon, der letzte Ast am Baume seiner Hoffnung war gebrochen.

Einsam wandelte er dahin durch die Nacht, aber schreckliche Gedanken begleiteten ihn. Zu den Sternen aufschauend, sagte er einmal:

„Herr Gott im Himmel, hast du denn das gewollt, daß es Menschen geben soll, die ihre Kinder verleugnen müssen, damit sie ins Elend kommen? . . . Es geschieht mir aber recht, warum bin ich nicht bei meinem ersten Gedanken geblieben; er hätt’ uns nichts angehen dürfen . . .“

Traurig und verwirrt war Florian erst am dritten Tage wieder ins Dorf zurückgekehrt. Es war ihm auf dem Wege so bange zu Mute, als ginge er einer schweren Strafe entgegen, als müsse er dort für etwas büßen, und doch war er sich keines Vergehens bewußt.

Als ihm aber zu Hause einige Zwischenträger berichteten, daß man während seiner Abwesenheit gesagt hatte, er sei entflohen, da kochte alles in ihm vor Wut. Er hatte alles daran gesetzt, um seine Ehre im Dorfe zu erhalten, und nun sah er seinen ganzen Ruf so wenig stichhaltig, daß man ihn dessen beschuldigen konnte.

Eine tiefe Verachtung gegen die Menschen begann in seiner Seele Wurzel zu schlagen.

Am Sonntage, als Florian mit mehreren andern vor dem Adler stand, kam der Buchmaier das Dorf herauf und sagte:

„Florian! auf ein Wort, geh ein bißle mit mir, ich hab’ dich um einen Rat zu fragen.“

„Mit allem Willen, was denn?“ fragte Florian mitgehend.

„Ich hab’ nur vor den Leuten so gesagt; ich thät’ gern einmal mit dir reden, aber offenherzig. Wo bist du vergangene Woch’ gewesen?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Nun, wie du willst. Hör ‘mal, Florian, du bist ein gescheiter Kerl, du bist ein geschickter Kerl, verstehst dein Handwerk aus dem ff.“

„Nun, dahinter muß was stecken, saget’s nur frei heraus.“

„Ich möcht’ halt, daß du’s auch zu was Rechtem bringen thätst.“

„Es wird schon kommen.“

„Hör mich jetzt ruhig an, ich red’ jetzt nicht als Schultheiß mit dir, ich red’ mit dir, weil ich’s gut mit dir mein’. Wenn du so fort hier bleibst, gehst du zu Grund. Auf was wartest du denn hier?“

Florian schwieg betroffen, der Buchmaier fuhr nach einer ziemlichen Pause fort:

„Ich weiß wohl, wie es ist, es ist grad, wie wenn man aus dem Bett aufstehen soll, wenn man auch noch so hart liegt, man thut’s halt nicht gern; wenn man aber nachher auf den Beinen ist, freut man sich doch. Drum folg mir, geh wieder fort. Guck, wenn Krieg wär’, thät’ ich sagen: Florian, laß dir zweierlei Tuch anmessen, du bringst’s zu was; du kannst’s aber auch so zu was bringen, du brauchst nicht Menschenmetzger zu werden; aber hier ist deines Bleibens nicht. Fort mußt du.“

„Ich kann aber nicht und will aber nicht, ich will sehen, wer mich fortbringt.“

„Davon ist kein’ Red’. Du brauchst gegen mich nicht stolz thun und nicht aufbegehren. Ich weiß wohl, du hast Bekanntschaft mit der Kreszenz. Such dir dein Glück, wenn dir’s gut geht, kannst sie ja holen. Hier aber lebst du in Unehr’.“

„Wer sagt das? Wenn Ihr’s nicht wäret, Schultheiß, wenn mir das ein andrer sagen thät’, ich wollt’ ihm weisen; wer kann mir was an meiner Ehr’ anhaben?“

„Kein Mensch, drum mach, daß du fortkommst.“

„Ich kann aber nicht und will nicht.“

„Wenn du kein Geld hast, ich will machen, daß man dir aus der Gemeindekasse Reisegeld gibt.“

„Gucket, lieber bestehl’ ich den Heiligen; lieber leg’ ich meine Hand da auf den Block und hack’ mir sie selber ab, eh’ ich einen Bettel aus der Gemeindekass’ in die Hand nähm’.“

„Du steckst schon arg darin, du willst zehn Kegel schieben und sind doch nur neun aufgesetzt. Florian, Florian, bedenk, es gibt nicht nur ein Hist und Hott, es gibt auch einen Weg grad aus. Wenn du nicht viel verlangst, will ich dir das Reisegeld geben; ich schenk’ dir’s nicht, ich leih’ dir’s nur. An einem jungen Lumpen ist nur die Hälft’ verloren, sagt man als, nimm mir’s nicht übel.“
Florian knirschte die Zähne übereinander und sagte dann: „Ich hab’ Euch um nichts angesprochen, und ich thu jetzt, was ich will, es hat mich keiner zu schimpfen.“

„Meinetwegen, ich bin fertig, ich hab’ dir nichts mehr zu sagen; wenn dich’s aber gereut, darfst morgen noch einmal zu mir kommen. B’hüt dich Gott.“

Er ging weg und ließ Florian stehen, der sich in seinem Tiefinnersten angegriffen fühlte. Ein lustig Lied pfeifend, ging er dann hinab durch das Dorf, einem jedem ins Antlitz schauend, als wollte er ihn fragen, ob er nicht allen Respekt vor ihm habe.

Kreszenz erfuhr nie etwas von der Unterredung mit dem Buchmaier, Florian selber suchte sich die Erinnerung aus dem Sinne zu schlagen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2