Der Lehrer faßte die Hand der Agnes, und sie festhaltend, gleich als hielte er die der Hedwig, ging er mit den beiden in das Feld. ...

Der Lehrer faßte die Hand der Agnes, und sie festhaltend, gleich als hielte er die der Hedwig, ging er mit den beiden in das Feld.

Draußen, wo der Weg nach dem Daberwasen geht, an der Hanfdarre, saß ein kräftiger, wie eine Tanne grad und schlank gewachsener Mann; der Lehrer erkannte in ihm den Oberknecht des Buchmaiers, der, als er die drei so daher kommen sah, aufsprang und wie festgebannt stehen blieb; Trotz und Wehmut sprach aus seinem ganzen Wesen; sein Antlitz erheiterte, seine Faust entballte sich aber, als Agnes fröhlich auf ihn zuschritt. Der Lehrer grüßte den Thaddä; so hieß der Oberknecht, mit besonderer Freundlichkeit. So schritten nun die beiden Paare vergnügt nebeneinander.


Um dem Thaddä seine Vertraulichkeit zu bezeigen, sprach der Lehrer viel von dem Fuchsen und wie er sich in den Zug eingewöhne.

So war nun gekommen, was der Lehrer nie vermuten mochte: er hatte ein Bauernmädchen zur Geliebten und einen Bauernknecht zum Kameraden.

Bald ging Thaddä mit Agnes voraus und der Lehrer mit Hedwig Hand in Hand hinterdrein.

Unter traulichen Gesprächen schritt man des Weges dahin. Tief erfuhr es nun der Lehrer, daß man wohl viel miteinander sprechen kann, ohne gerade Bücher gelesen zu haben.

Nicht weit von dem Katzenbrunnen, aus dem der Sage nach die Hebammen die Kinder holen, setzte man sich an einen Rain, und nun wurde gesungen. Der Lehrer erfreute sich inniglich an der schönen Altstimme Hedwigs, Thaddä begleitete den Gesang trefflich, und der Lehrer empfand es zu seiner großen Betrübnis, daß er so wenig von den Volksliedern kannte; bei seiner musikalischen Bildung faßte er indes die einfachen Weisen schnell und begleitete sie in tiefem Baß. Mit strahlendem Antlitze nickte ihm Hedwig Beifall zu. Oft aber mußte er auch bei einer unerwarteten Wendung der Melodie, die dazu diente, den schroffen Gedankensprung oder die Ungleichheit des Silbenmaßes auszugleichen, innehalten; dann ermunterte ihn Hedwig mit ihren Blicken, die so viel sagten als: sing nur mit, wenn’s auch nicht ganz gut geht. So vereinte der Lehrer seine Stimme mit denen der dörflichen Sänger.

Jetzt war es so weit gekommen, daß er nur den Ton und die Bauern das Wort und den Gedanken hatten.

Man sang:

Bald gras’ ich am Neckar,
Bald gras’ ich am Rhein,
Bald hab’ ich ein Schätzle,
Bald bin ich allein.

Was hilft mich das Grasen,
Wenn d’ Sichel nicht schneid’?
Was hilft mich ein Schätzle,
Wenn’s nicht bei mir bleibt?

Und soll ich denn grasen
Am Neckar, am Rhein,
So werf’ ich mein schönes
Goldringlein hinein.

Es fließet im Neckar
Und fließet im Rhein,
Soll schwimmen hinunter
Ins tiefe Meer ‘nein.

Und schwimmt das Goldringlein,
So frißt es ein Fisch,
Das Fischlein soll kommen
Auf Königs sein Tisch.

Der König thut fragen.
Wem’s Ringlein soll sein:
Da thut mein Schatz sagen:
Das Ringlein g’hört mein.

Mein Schätzlein thut springen
Bergauf und bergein,
Thut wieder mir bringen
Mein Goldringelein.

Kannst grasen am Neckar,
Kannst grasen am Rhein,
Wirf du mir nur nimmer
Das Ringlein hinein.

Nach einer Weile drückte Thaddä Agnes näher an sich, und sie sangen:

Mädle, ruck, ruck, ruck
An meine rechte Seite,
I hab’ dich gar zu gern,
I kann di leide.
Wann die Leut’ et wär’n,
No müschtst mein Schätzle wär’n,
Wär’n die Leut’ et g’west,
So wärst mein Weible jetzt.
Mädle, ruck u. s. w.

Mädle, guck, guck, guck
In meine schwarze Auge,
Du kannst dein lieble
Bildle drin erschaue;
Ja, guck du nur ‘nein,
Du muscht drinne sein,
Du muscht bei mir bleibe,
Muscht mir d’ Zeit vertreibe.
Mädle, guck u. s. w.

Mädle, du, du, du
Muscht mir den Trauring gebe,
Sust liegt mir wahrlich
Nix mehr an mei’m Lebe.
Wann i di net krieg,
No zieh’ ni fort in Krieg;
Wann i di net hab’,
No wurd’ mir d’ Welt zum Grab.
Mädle, du u. s. w

Noch gar viele andre, meist traurige Lieder wurden gesungen, obgleich die Sänger heiter und frohen Mutes waren. Wie der Brunnen zu ihren Füßen fortquoll und leise durch die Felder dahinrieselte, so schien auch der Liederquell unerschöpflich.

Der Lehrer war wie in eine neue Welt versetzt. Wohl hatte er schon früher die kindlich zarte Empfindungs- und Denkweise des Volksliedes kennen gelernt, aber er hatte sie nur gekostet, wie man an reich besetzten Tafeln die Walderdbeeren ihres eigentümlichen Duftes wegen den künstlich gehegten und gepfropften vorzieht, sie aber doch mit Zucker und Wein verzehrt; hier aber war er selbst in den Erdbeerenschlag gekommen, und nicht in Haufen genossen, sondern einzeln frisch vom Strauche gepflückt, schmeckte die Frucht noch ganz anders.

Die tiefe Urkraft des Volksliedes erschloß sich unserm Freunde in ihrer ganzen Herrlichkeit, er sah sich liebend umfangen von der edeln, majestätischen Herrlichkeit des deutschen Volksgemüts, und die liebliche Vertreterin desselben saß in trauter Zuneigung an seiner Seite. Er gelobte sich, ein Priester dieses heiligen Volksgeistes zu werden.

Als er abends mit Hedwig heimkehrte und sie vor der Großmutter standen, faßte er ihre Hand, drückte sie an sein Herz und sagte:

„Nicht zu mühseliger Arbeit sollt Ihr für mich Eure Hände erheben, sondern für das, was ihnen gebührt, zum Segnen.“

Mehr konnte er nicht sprechen, und er ging rasch von dannen.

Im ganzen Dorfe sprach man am Abend von nichts als davon, daß der Lehrer mit des Johannesles Hedwig Bekanntschaft habe.

Unser Freund, der früher immer so gern und fast ausschließlich allein gewesen war, konnte jetzt, wenn er seine Schulstunden beendet hatte, fast keine Viertelstunde mehr allein ausdauern, in seinem Hause oder außer demselben. Von all den Büchern, die er bei sich hatte, paßte ihm keines zu seiner Stimmung, und wollte er etwas in sein Taschenbuch schreiben, erschien es ihm so nackt und nichtig, daß er es alsbald wieder durchstrich.

Im Felde konnte er es zu keinem Gedanken und zu keiner Zeichnung mehr bringen, er sprach mit jedem, der ihm begegnete oder am Wege arbeitete; die Leute waren freundlich gegen ihn, denn seine offene Seele war auf sein Antlitz herausgetreten. Oft aber stand er auch bei den Leuten und sah träumerisch lächelnd vor sich hin, ohne ein Wort weiter zu sprechen; es war, als könne er nicht weggehen, als fürchte er sich, wieder in seine trübe Verlassenheit und Vereinsamung hinausgestoßen zu werden, als müsse er sich an jeden, wer er auch sei, fest anklammern.

Einst sah er Hedwig auf dem Felde schneiden, er eilte zu ihr, machte sich aber alsbald wieder fort; es war ihm eine unüberwindlich mißliche Empfindung, so allein arbeitslos unter den Emsigen dazustehen, und doch verstand er nichts von der Feldarbeit und wußte, wie ungeschickt er sich dabei anstellen würde. Die Hoheit Hedwigs erschien ihm nicht erniedrigt, vielmehr erhöhter durch ihre Arbeit. Im Weggehen sagte er vor sich hin: „Nur Hostien, nur Himmelsbrot sollte man aus der Frucht bereiten, deren Halme sie geschnitten.“

Bei der Großmutter saß er oft in Zerstreuung, und nur wenn sie von ihren Eltern und Großeltern erzählte, gewann sie seine volle Aufmerksamkeit; es that ihm so wohl, an diesem Familienbaume hinaufzuklettern in die Geschichte der Vorzeit. Der Großvater der Alten hatte den Türkenkrieg unter Prinz Eugen mitgefochten, und sie wußte noch gar viel von ihm zu erzählen. Manchmal sagte die Alte, jedoch ohne Klage, sie spüre es wohl, sie würde diesen Winter alle ihre Vorfahren wiedersehen. Er suchte ihr solche Gedanken auszureden, was ihm nicht schwer fiel; er suchte sie dahin zu bringen, daß sie von der Kindheit Hedwigs erzählte: wie sie in einem Glückshäubchen geboren ward, ihre Mutter aber bald darauf starb, wie Hedwig sich schon als kleines Kind grämte, daß ihre Puppe mit offenen Augen schlafen mußte, und sie daher nachts ihr mit Papierchen die Augen zuklebte. Wenn sie so sprach, da leuchtete das Auge des jungen Mannes und das der Alten von derselben Glorie, wie zwei nachbarliche Wellen, von demselben Mondstrahle durchglitzert.

Ueber Hedwig finden wir nichts im Taschenbuche, aber durch die Erinnerungen der Alten und andre Erfahrungen angeregt sind wohl folgende Worte:

„Man denkt sich wohl gern, man könnte mit einem Katechismus der gesunden Vernunft hinaustreten unter das Volk und es alsbald bekehren; hier aber ist überall heiliger Boden der Geschichte, wir müssen die Fußstapfen der Vergangenheit aufsuchen. Traurig, daß unsre Geschichte zerrissen und zerstückt ist . . . wo anknüpfen? . . .“

Bei dem Buchmaier war der Lehrer von nun an auch oft, er studierte eifrig die Landwirtschaft und erfreute sich an den kernigen Gedanken des Buchmaiers, trotz ihrer Derbheit; je heimischer er aber im Hause des Buchmaiers wurde, um so fremder schien er in dem Hause Johannesles zu werden, er selber war noch wie zuvor, aber Hedwig wich ihm sichtbar aus und grüßte ihn im Vorbeigehen immer scheu und zaghaft.

Eines Abends kam Hedwig weinend zu Agnes und sagte:

„Denk nur, mein Wilder will’s nicht leiden.“

„Was denn?“

„Nun, daß der Lehrer zu mir geht. Mein Konstantin hat gesagt, wenn ich mich noch einmal mit dem Lauterbacher sehen ließ, nachher schlag’ er mich und ihn krumm und lahm; du weißt ja, er bosget, weil er mit deinem Vater so gut ist.“

„Das ist ein Kreuz. Was ist denn jetzt da zu machen?“

„Sag dem Lehrer, wenn er kommt, er soll nicht bös sein und soll doch weniger in unser Haus kommen, ich könnt’ nicht anders, ich darf nicht mit ihm reden. Ich thät mir nicht viel daraus machen, wenn mein Bruder auch grob wär’, aber wenn er ihn beleidigen thät, und er ist’s wohl imstande, daß er ihm vor allen Leuten einen Disrespekt anthut, ich thät mich in den Tod ‘nein grämen.“

„Laß jetzt das Trauern,“ erwiderte Agnes, „ich sag’ ihm doch von all dem kein Wörtle.“

„Warum?“

„Darum, o, du verliebte Dock! Meinst, ich bericht’ ihm das, daß er nachher meint, man dürf’ den Nordstetter Mädle nur so pfeifen, nachher kommen sie einem nur so nachgesprungen?“

„Das glaubt er gewiß nicht.“

„Ich laß es aber nicht darauf ankommen, jetzt, ich bleib’ dabei, ich sag’ ihm gar nichts von dir; er muß mit mir davon anfangen. Laß mich nur machen, ich krieg’ ihn schon dran. Huididä juh! Und wenn’s dann so recht bei ihm pfupfert, will ich sagen: es kann sein, es läßt sich vielleicht möglich machen, ich will die Hedwig dazu überreden, daß ihr vielleicht am Sonntag bei mir zusammenkommet, ich will dann schon sehen, oh man die Biren schütteln kann und wie man mit ihm dran ist.“

„Ja, du kannst’s machen, wie du willst, ich kann dich nicht zwingen, aber da . . . bitt’ ich mir aus, plagen darfst ihn nicht; Narr, er ist einer von denen Menschen, die sich über alles so viel Gedanken machen, ich hab’ das schon gemerkt, und da könnt’ er betrübt sein und könnt’ nicht schlafen.“

„Das weißt du schon alles? Woher denn?“

„Woher?“ sagte Hedwig, „ich denk’ halt so, er macht sich so allerlei Gedanken, es geht mir auch oft so.“

„O, du guter Himmel. Sei nur ruhig, ich thu’ ihm nichts an Leib und Leben; so ein Lehrer hält so viel Prüfungen sein ganz Leben, jetzt will ich auch einmal eine mit ihm halten, ich will sehen, ob er gescheit ist.“

„Das ist er.“

„Wenn er gut besteht, darf ich ihm einen Kuß geben?“

„Meinetwegen.“

„Mach jetzt kein’ so Gesicht, ein’ fröhliche Lieb’ muß man haben und keine mauderige. Denk nur, am Sonntag hat der Pfarrer gefragt: Wie muß man Gott lieben? und da hab’ ich frischweg gesagt: Lustig, und da hat er geschmunzelt und hat eine Pris’ genommen und hat gesagt: Das ist recht – du weißt ja, wie er’s macht, er sagt zu allem, wenn’s nicht ganz blitzdumm ist: das ist recht, aber nachher erklärt er’s einem, und da kommt was ganz anders ‘raus – da hat er eben gesagt: man muß Gott wie seinen Vater lieben, mit Ehrfurcht, und da hab’ ich gesagt: Man kann seinen Vater ja auch lustig lieben, da hat er wetterlich gelacht und hat sein’ Dos’ verkehrt aufgemacht, daß aller Tabak auf den Boden gefallen ist, und da haben wir alle zusammengelacht;

Alleweil e bisle lustig
Und alleweil e bisle froh,“

so schloß Agnes singend und zog Hedwig hinaus in den Garten, wo sie die ausgebreiteten Linnen in große Falten zusammenzog, um sie ins Haus zu tragen, indem sie dabei erklärte, daß das zu ihrer Aussteuer sei.

Am andern Abend, um die Zeit, da der Lehrer gewöhnlich kam, harrte Agnes vor dem Hause; aber alle ihre Pläne von lustigen Neckereien verflogen, als sie bei der Erwähnung Hedwigs das schmerzliche Zucken in dem Antlitze des Lehrers sah und er ihr seinen Kummer dann treuherzig erzählte. Sie erklärte ihm nun die Parteiungen in der Gemeinde: der Studentle, als Schwiegersohn des ehemaligen unteroffizierlichen Schultheißen, gehörte natürlich zu dessen Partei, die jeden mit dem Buchmaier Vertrauten als offenen Feind ansah; dazu kam, daß der Studentle voll Gift und Galle war, weil auf Betreiben des Buchmaiers der Matthes statt seiner in den Bürgerausschuß gekommen war.

„Es ist ein Kreuz,“ schloß Agnes die Auseinandersetzung der Dorfpolitik, „ich hab’ mir’s so schön ausdenkt, daß wir bei der Kirchweih miteinander auf den Tanz gehen. Wartet aber nur, der Studentle ist mir nicht studiert genug, und der Thaddä muß auch mithelfen und raten.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2