3. Kinderliebe. - Neben Valentin wohnte des Schackerles Michel, ein armer Mann, der bloß an Kindern reich war, ...

3. Kinderliebe. - Neben Valentin wohnte des Schackerles Michel, ein armer Mann, der bloß an Kindern reich war, von denen das jüngste Emmerenz hieß; die Zimmermännin war dessen Patin, und die Emmerenz war nun fast den ganzen Tag bei ihr im Hause, sie aß und trank dort und schlief nur bei ihren Eltern. Emmerenz war fast gerade so alt als Ivo, und die beiden Kinder waren unzertrennlich. Obgleich Ivo deshalb von seinen ungalanten Schulkameraden „Mädleschmecker“ geschimpft wurde, ließ er doch nicht von der Emmerenz. Sie hatten sogar gemeinschaftlich einen Maunkel; so nennt man nämlich einen Schatz gesammelten Obstes, den man unter dem größten Geheimnis im Heu versteckt und der dem Speicher eines Kornhamsters nicht unähnlich sieht. Da saßen denn die Kinder mit heimlich stillem Entzücken bei ihrem Schatze. Ivo zeigte sich schon darin als Mann, daß er bis hundert zählen konnte. Er zählte die Aepfel, Birnen und Zwetschen. Emmerenz hörte ihm andächtig zu und sprach leise die Zahlen nach. Die anbrüchigen Stücke und die von ungerader Zahl wurden zu gleichen Teilen verzehrt. Oft aber gab es auch Händel, und das Vereinsgut wurde dann alsbald geteilt.

Diese Trennung dauerte aber nie länger als einen Tag, denn die beiden hätten ja sonst nicht mehr miteinander von ihrem Reichtum sprechen können.


Große Veränderungen aber gingen bald mit den beiden Kindern vor; Ivo bekam vom Nazi eine Peitsche, und Emmerenz lernte stricken.

In der Stadt bekommen die Kinder eine Trommel oder einen kleinen Kaufladen, sie spielen dann Soldaterles oder Handelns, bis es Ernst mit dem Leben wird; auf dem Dorfe beginnt mit der Peitsche das Bauernspiel.

Ivo stand nun oft auf dem leeren Wagen vor dem Hause, knallte nach der leeren Deichsel hinab und schrie: „Hio, Hist und Hott.“ Sobald er aus der Schule kam, wurden Schiefertafel und Lineal auf den Tritt hinter den Ofen gestellt und mit knallender Peitsche die Hühner und Gänse auf der Straße herumgejagt. So tollte er eines Mittags umher, da sah er die Emmerenz, die mit ihrem Strickzeuge unter dem Nußbaume saß. Nicht weit davon lag ihr kleines schwarzes Kätzchen, Miezchen genannt, in der Sonne und pustete und putzte sich emsig. Das runde, blondhaarige Mädchen knüpfte mit einem Eifer die Maschen, daß es nicht aufzuschauen wagte; ein so ungewöhnlicher Ernst schwebte um die zusammengepreßten Lippen, als gälte es, dem bergeshohen Schneemann, dem Winter, eine wollene Jacke zu stricken.

Ivo stand eine Weile ruhig neben Emmerenz und schaute ihr zu, dann sagte er: „Strickst du Strümpf’ für dein’ Katz’?“

Emmerenz gab keine Antwort und strickte ohne Unterlaß fort. Da kitzelte Ivo der Mutwille, er zog rasch die Nadeln aus dem Strickzeug und sprang davon.

Emmerenz stand schnell auf und warf ihm einen Stein nach; da sie ihn aber, nach Art der Mädchen, nicht über die Schulter erhob, sondern nur gerade vor sich hinschleuderte, fiel er kaum drei Schritte vor ihr nieder. Nachdem sie die Nadeln zusammengelesen, ging sie weinend nach Haus.

Nachmittags machte Ivo seine Grausamkeit schnell vergessen, er brachte der Emmerenz ein Stück blaues Glas von einer zerbrochenen Flasche. Eins nach dem andern betrachtete nun die Sonne durch das Glas und rief: „Ujadele, wie schön!“ Ivo wickelte das Kleinod in ein Papierchen und schenkte es der Emmerenz.

Einst kam ein Mann in das Dorf, der, wie weiland der kühne Rattenfänger, alle Kinder hinter sich dreinzog; das war nämlich der „Holgen (Heiligenbild) -Mann“, der für zerbrochenes Glaswerk den Kindern gemalte Bilder verhandelte. Ivo lief im ganzen Hause umher, bis er sich die blinkende Münze erobert, und dann brachte er den Preis der Emmerenz.

Aber nicht nur beim Sonnenschein, auch beim Regen treffen wir die Kinder bei einander.
D
er alte Valentin sah stillvergnügt zum Fenster hinaus, denn man kann gar leicht, ohne etwas Bestimmtes zu denken und zu haben, doch stillvergnügt einem Regen zusehen, da wird Körper und Seele wie mit einem erquicklich leichten, feinen Nebel angehaucht, und wie man träumerisch dem Wellenspiele eines Stromes zusieht, so sieht man nun von den Dächern überall die Tropfen rinnen; alles, was uns umgibt, die stillfließende Luft selber, hat Stimme und Gestalt gewonnen.

Ivo und Emmerenz hatten sich unter die offene Scheune geflüchtet, auch der kleine Jakobele, des Schultheißen dreijähriger Knabe, war dabei. Die Hühner hatten auch gleiche Zuflucht gesucht, sie standen neben den Kindern, ließen ihre Schwänze hängen und schüttelten sich oft. Das schwarze Kätzchen kam gleichfalls ganz hart am Hause hergeschlichen, es ging so leise und trat so behutsam auf und schüttelte nach jedem Auftreten die Pfote, daß man sein Herbeikommen gar nicht merkte, bis die Hühner aufgackerten; es verschwand aber schnell in dem offenen Stallfensterchen.

Anfangs rieselte es so zart, daß man nur an der Dunkelheit des offenen Dachfensters gegenüber merkte, daß Tropfen herunterfielen; bald aber plätscherte es gewaltig und Ivo sagte: „Ah! das thut meinen Nägele (Nelken) im Garten gut.“ – „Garten gut,“ wiederholte der kleine Jakobele. Dann sagte Ivo wieder: „Ah, das gibt einen großen Bach.“ – „Großen Bach,“ wiederholte Jakobele abermals, Ivo sah ihn grimmig an, dann sang er, auf Emmerenz schlagend:

Es regnet regnet Tropfe,
Die Mädle muß mer klopfe,
Die Bube muß mer Kutsche fahre,
Die Mädle muß mer in Neckar trage.

Emmerenz machte sich los und sang, auf Ivo schlagend:

Es regnet regnet Tropfe,
Die Bube muß mer klopfe,
Die Mädle legt mer in ein golden Bett,
Die Bube in ein’ Dornenheck.

Bauern fuhren mit leeren Säcken auf dem Kopfe schreiend vorbei, um dem schweren Wetter zu entfliehen; die Kinder lachten sie aus und schrieen ebenfalls Hio! Emmerenz stand da, den Kopf auf die linke Seite geneigt und die Händchen unter der Schürze übereinander gehalten; als es aber gerade am ärgsten regnete, stieß Ivo sie hinaus unter die Dachtraufe. Der Jakobele sprang von selbst hinaus, gleichsam den Regen herausfordernd; er duckte aber doch blinzelnd seinen Kopf unter, als wollte er nicht zu schwer von dem Regen getroffen werden. Mit der Schürze über dem Kopfe gab sich nun Emmerenz alle Mühe, wieder unter Dach zu kommen, aber Ivo hielt strenge Wacht, und erst als sie weinte, ließ er sie herein.

Der Regen hörte endlich auf, die Sonne schien hell, und mit unnennbarer Lust sprangen die Kinder umher; es war als ob die erfrischte Luft auch diese jungen Menschenpflänzchen neu belebte. Braune Ströme hatten sich neben der Straße gebildet, die Kinder ließen Späne als Flöße darauf schwimmen und wateten mit Lust in dem Wasser, nach Eisen darin suchend. Ivo, der immer weitere Pläne hatte, wollte ein Mühlrad bauen, aber lange ehe das Rad fertig war, war das Wasser verflossen.

Wie oft geht das so, daß wir Gewerke herrichten für den Strom unsrer Lebenstage, und ehe das Gewerk nur halb fertig, ist alles versiegt und trocken.

So neckisch auch Ivo manchmal gegen Emmerenz war, so ließ er ihr doch von niemand ein Leid anthun. Einst ging er aus der Schule nach Haus, da sah er, wie die Emmerenz von zwei Unholden, zwei alten, grauen Gänsen, verfolgt wurde. Schreiend und wehklagend floh das Mädchen mit rückwärts gekehrtem Kopfe. Schon hatte eins der Unholde ihr Kleid erfaßt und zerrte daran, da sprang Ivo, gerüstet, wie er war, mit seinem Schilde, der Schiefertafel, und seinem Schwerte, dem Lineal, auf die Verfolger los und trieb sie nach schwerem, aber mutigem Kampfe in die Flucht. Mit heldenmütigem Selbstgefühl hob er dann Emmerenz, die auf den Boden gefallen war, auf und schritt triumphierend in seinem Waffenschmucke neben ihr her.

Nazi hatte ihm von Rittern erzählt, die wehrlose Fräulein von Drachen erretteten; er erschien sich jetzt als ein solcher Ritter und war gar zufrieden und vergnügt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1