12. Der Studentle. - In der Vakanz wurde Ivo wiederum mächtig in das Leben hineingezogen. ...

12. Der Studentle. - In der Vakanz wurde Ivo wiederum mächtig in das Leben hineingezogen. Da konnte man das Treiben und Wirken der Außenwelt nicht so leicht von sich weisen und sich in eine Welt willkürlicher Gedanken versenken. Solche Ueberhebungen sind meist nur möglich, so lange man außerhalb der Familie, also außerhalb des wirklichen Lebens steht; sowie er ins Dorf zurückgekehrt war, schlangen sich wiederum die Familienbande um ihn, und die vielfach ineinander verwebten Lebensgeschicke der Dorfbewohner drangen auf ihn ein. Er kannte ja das innere Gebaren in all diesen Häusern, hinter all diesen Mauern; er fand sich wie nach einem Erwachen wieder.

Eines Abends traf Ivo den Konstantin vor seinem Hause, er kaute an einem Strohhalm und sah verdrießlich drein.


„Wo fehlt’s“ fragte Ivo.

„Was? du kannst mir doch nicht helfen.“

„Nun, so sag’s doch.“

„Du hast keinen Sinn für die Welt, du kannst dir nicht denken, was das ist: jetzt ist bald Pfingsten, und da ist der Hammeltanz und – ich hab’ keinen Schatz; ich könnte einen haben, aber ich hab’ mich zu patzig benommen, und doch mag ich halt keinen andern, und es thät mich gottsträflich verzürnen, wenn sie mit einem andern ging’. Das gibt einen Hammeltanz, daß Gott erbarm’.“

„Wer ist denn die Stolze?“

„Du kennst’s wohl, die Emmerenz.“

Ivo erschrak unwillkürlich, er fragte aber doch schnell:

„Hast du schon lange Bekanntschaft mit ihr?“

„Sie will ja nichts von mir, das ist eben die Sach’, die thut so heilig und zimperlich wie die keusche Diana.“

„Meinst du’s denn auch ehrlich mit ihr und willst du sie heiraten?“

„Was? ehrlich? G’wiß, was denn anders? aber vom Heiraten ist jetzt noch keine Red’, kennst du noch das alte Burschenlied:

Lieben, lieben will ich dich,
Ich will dich lieben,
Aber heiraten nicht.“

„Da muß ich der Emmerenz recht geben.“

„Was? sans touche, das kapierst du nicht recht; so ein Mädle muß content sein, wenn es einen Schatz kriegt, wie ich bin. Des Schulzen Bäbele thät mit allen zehn Fingern nach mir langen, wenn ich nur bst! machen thät; aber die könnt’ jetzt auch nicht mehr die keusche Kirche vorstellen, wie bei des Georgs Primiz; ich mag sie nicht.“

Während Ivo und Konstantin so miteinander sprachen, kamen auch der Peter und der Florian hinzu.

„Ah!“ sagte der letztere, „läßt sich der Herr Student auch einmal sehen? Ich hab’ gemeint, unsereins wär’ ihm zu gering, daß er ihm nur ein Wörtle gunnen thät.“

„Ja,“ ergänzte Peter, „alle Buben im Ort sagen: so wär’ noch keiner gewesen wie du, Ivo; du thust ja, als ob du von Stuttgart wärst und nicht von Nordstetten.“

„Um Gottes willen,“ sagte der von allen Seiten angegriffene Ivo; „es ist mir nie eingefallen, stolz zu sein; kommet, wir gehen miteinander ins Wirtshaus.“

„Das ist recht,“ sagte Florian, „wir feiern heut’ abend meinen Abschied, morgen geh’ ich in die Fremd’.“

Die Leute im Dorfe wunderten sich, als sie den Ivo mit dem Kleeblatt dahingehen sahen; das war ein seltener vierblätteriger Klee.

„Haben wir auch einmal die Ehr?“ sagte die Adlerwirtin, als Ivo mit den andern in die Wirtsstube trat. „Ich will gleich ein Licht ins Verschlägle stellen. Mit was kann man aufwarten? Soll ich ein Schöpple guten Ueberrheiner bringen?“

„Wir bleiben für jetzt noch bei Württemberg,“ sagte Konstantin, „und der Ivo trinkt mit uns, er ist ein Nordstetter Bub, grad wie wir auch.“

„Wie du nicht, das wär’ schad’,“ entgegnete die Wirtin.

„Ich will dir einmal ‘was aufzuraten geben, du Schneppepperle: worin sind die Weiber und die Gäns’ einander ganz gleich?“ sagte Konstantin.

„Daß so Ganstreiber wie du sie regieren wollen,“ erwiderte die Wirtin.

„Bärbele, sei froh: wenn man am Dummsein schwer tragen thät, du könntest schon lange nimmer laufen. Ich will dir’s sagen, worin sie gleich sind: an den Gans’ und an den Weibern ist alles gut bis auf den Schnabel. Jetzt gang und hol ein Maß Sechser.“

„Du bist kein’ Batzen wert,“ sagte Bärbele lächelnd, indem es fortging, um das Befohlene zu bringen.

Wir haben es wohl wieder erkannt, es ist das Bärbele, dessen wir uns noch vom Jäger von Mühringen her erinnern. Der Kaspar hatte den Adler gekauft, und Bärbele war eine tüchtige Wirtin; es konnte jedermann gut unterhalten und blieb, wie wohl bekannt, niemand eine Antwort schuldig, so daß sogar die Horber „Herren“ nicht mehr bloß in das Schäpfle gingen, sondern auch den Adler mit ihrem Besuche beehrten.

Nachdem eingeschenkt und angestoßen war, begann Florian das Lied: „Es geht ein Pudelmann (Burschkomment) um unsern Tisch herum, ‘rum ‘rum.“ Dann wurde „Sasa geschmauset“ gesungen, und die Worte „ edite, bibite“ waren in „hebet sie, leget sie“ übertragen; diese Einbringung fremder Kultur war das Werk Konstantins. Die Bursche thaten sich nicht wenig zu gut auf ihre neuen Lieder. Ivo sang mit lächelnder Miene mit, denn er wollte nicht herrisch erscheinen.

Die drei Kameraden waren trefflich eingeübt. Peter sang die erste Stimme, und obgleich er einen klangvollen Tenor hatte, überbot er ihn doch durch übermäßiges Schreien, denn die singenden Bauern und die predigenden Pfarrer halten meist die ins Unnatürliche getriebene Stimme für schöner und weihevoller. Konstantin bewegte sich beim Singen auf und nieder, er ballte die beiden Fäuste und schlug damit in kurzen Sätzen in die Luft; Florian aber lag ruhig mit beiden Armen auf den Tisch gestemmt und drückte wie zu innerer Andacht die Augen zu.
Die Maß war bald getrunken, da rief der Studentle: „Bärbele, noch einmal so, auf einem Fuß lauft man nicht,“ und dann sang er:

„Wein her! Wein her!
Oder i fall’ um und um.
Umfallen thur i net,
Lutherisch wur i net,
Wein her! Wein her!
Oder i fall’ um.“

Gleich darauf aber sang er wieder:
„Und die’n i gar et mag,
Die sieh’n i alle Tag,
Und die’n i gerne hätt’,
Die ist so weit aweg;

Kein’ Schöne krieg’ i net,
Kein’ Wüste mag i net,
Und ledig bleib’ i net:
Was fang’ i an?“

„Ist’s wahr, Konstantin?“ fragte Bärbele, „kannst du so gut polnisch betteln gehen? Hat dich die Emmerenz mit einem Helf dir Gott (Abweisung eines Bettlers) um ein Haus weitergeschickt?“

„Ich parier’ drei Maß vom Besten, sie geht mit mir zum Hammeltanz und mit keinem andern.“

Florian sang:

„Wegen ein’m Schätzle trauern,
Das wär’ mir e Schand,
Und i kehr’ mi glei um,
Geb’ ‘ner andre die Hand.“

Peter erwiderte:

„Wenn i schaun kein Schatz haun,
Ich leb’ ohne Sorge:
Es wurd alle Tag Obed
Und wieder Morge.“

Konstantin sang:

„Wenn’s schneit, so schneit’s weiß,
Und wenn’s g’friert, so g’friert’s Eis;
Und was die Leut’ keit,
Des thur i mit Fleiß.“

Florian dagegen:

„Heut ist es grad acht Tag’,
Hot mir mein Schatz aufg’sagt;
Es hat so bitter g’weint
Und i haun g’lacht.“

Und:

„Drei Wochen vor Ostern,
Do goht der Schnee weg,
Do heiret mein Schätzle,
No haun i en Dreck.“

„Nicht so, man muß den Stiel umkehren; so muß es heißen,“ sagte Konstantin und sang:

„Drei Wochen vor Ostern,
Da geht aweg Schnee,
Da heiret mein’ Wüste,
Do haun i e Schön’.“

Ein schallendes Gelächter und allseitiger Lobpreis aus allen Ecken der Stube lohnte das neue Gesätz.

Der Peter sang:

„Schätzle, du närrt’s,
Du liegst mir im Herz
Und du kommst mir et draus,
Bis das Leben ist aus.“

Und:

„Wenn i nu wüßt’,
Wo mei Schätzele wär’,
Und da wär’ mein Herz
Nit halb a so schwer.“

Florian sang wieder:

„Und wenn man will recht fröhlich sein
Und leben ohne Kummer,
Muß mer heiren wie die Vögelein,
Nur auf ein’ einzigen Sommer.“

Konstantin sang:

„Zu dir bin i gange,
Zu dir hat’s mi g’freut.
Zu dir gang i nimmeh,
Der Weg ist mir z’weit.
Es wär’ mir et z’weit,
Und er wär’ mir schon recht,
Und du kannst dir’s wohl denken,
Du bist mir viel z’schlecht.“

Ivo saß mit unruhigem Sinnen hinter dem Tische. Er dachte darüber nach, wie oft er um diese Stunde bei der einsamen Lampe die Geheimnisse der Weltschöpfung und Erlösung zu enträtseln trachtete, wie da all das Treiben der Menschen, all die Wünsche des Einzellebens fernab von ihm lagen, und nun stellte er all diesem das Leben seiner Altersgenossen entgegen. Der Mittelpunkt ihres Denkens und Treibens war die Liebe, in derbem Spott wie in zarten Sehnsuchtshauchen klang das einzige Gefühl doch überall durch – das ganze Dasein fiel ihm wiederum wie von scharfem Stahl zerschnitten in zwei Hälften auseinander, in Geistlich und Weltlich. Bärbele hatte ihn genau beobachtet, es hatte das mißbehagliche Zucken in seinem Antlitze wohl entdeckt, es ging daher auf die Singenden zu und sagte:

„Ei wie? schämet ihr euch nicht – könnet ihr denn nicht auch ein ordentlich Lied singen?“
Konstantin erwiderte:

„Ei, g’fällt’s euch halt et?
So g’fällt es halt mir;
Ei, könnet ihr’s besser,
So singet jetzt ihr.“

„Ja, wir wollen, wenn du mitsingst,“ sagte Florian.

„Meinetwegen.“

„Nun, was denn?“ fragte Peter.

„Ehrlich und fromm.“

„Ist mein Reichtum – nein, das mag ich nicht,“ sagte Konstantin.

„Nun, das: Morgens früh beim kühlen Tauen.“

„Ja.“

Bärbele begann herzhaft, und die andern sangen mit:

„Morgens früh beim kühlen Tauen,
Wenn das Gras am längsten ist,
Werd’ ich mein schön Schätzlein schauen,
Eh und bevor es niemand sieht.

Fuchs und Hasen soll man schießen,
Eh sie laufen in den Wald;
Junge Mädchen soll man lieben,
Eh und bevor sie werden alt.

Bis daß der Mühlstein trägt die Reben
Und herausfließt roter Wein;
So lang der Tod mir schenkt das Leben,
So lang sollst du mein eigen sein.“

Ivo dankte dem Bärbele herzlich für das schöne Lied, Konstantin aber setzte sogleich drauf:

„Aus ist’s mit mir,
Und mein Haus hat kein’ Thür,
Und mein’ Thür hat kein Schloß,
Und vom Schatz bin i los.

Aus ist’s mit mir
In dem ganzen Revier,
Und wann die Donau austrocknet,
So heiraten wir.

Und sie trocknet net aus
Und ist alleweil naß,
Jetzt muß ich gehn schauen
Um ein’ anderen Schatz.“

„Wollen wir jetzt das: Es ging ein Knab’ spazieren?“ fragte Bärbele.

„Laß du ihn nur daheim,“ entgegnete Konstantin.

„O du! wärst du daheim blieben, hätt’ man dich nicht heimgeschickt wie das Hundle von Bretten.“

„Fang eins an,“ sagte Florian, und sie sangen nun

„Froh will ich sein!
Wann’s nur dir wohl geht,
Wann schon mein jung frisch Leben
In Trauerheit steht.

Alle Wässerlein auf Erden,
Die haben ihren Lauf,
Kein Mensch ist schier auf Erden,
Der mir mein Herz macht auf.

Die Sonne und der Mond,
Das ganze Firmament,
Soll alles für mich trauern
Bis an mein selig End’.

Ivo saß unruhig auf seinem Stuhle, in diesem Liede war sein Schicksal ausgesprochen.

„Bleib nur da,“ sagte Konstantin, der die Unruhe Ivos bemerkte.

„Bärbele, bei dir geht’s nicht wie bei dem Wirt zu Emmaus, du gibst zuerst den guten und dann den schlechten, du hast da lutherisch und katholisch untereinander gebracht, der Wein ist eine gemischte Ehe.“

„Wenn die Mäus’ satt sind, nachher schmeckt das Mehl bitter,“ erwiderte die Wirtin.

„Wisset ihr was?“ rief Konstantin, „jetzt trinken wir warmen Wein.“

„Du hast g’nug für heut,“ sagte Bärbele.

„Was wir nicht trinken, schütten wir in die Schuh’. Heut’ wollen wir einmal einen Kommers halten, du bist doch auch dabei, und du, und du?“

Alles nickte bejahend, und Florian sang:

„Bruder, trink einmal,
Wir seind ja noch jung,
Im Alter ist es immer
Für Sorgen Zeit genung.
Denn der gute Wein
Ist für gute Leute,
Bruder, laß uns heute
Froh und fröhlich sein.“

Als der warme Wein kam, sang Konstantin, mit den Füßen stampfend und mit den Fäusten auf den Tisch schlagend:

„I und mein altes Weib
Können schön tanzen.
Sie nimmt den Bettelsack,
I nehm’ den Ranzen.
Schenk mir einmal bayrisch ein,
Bayrisch wollen wir lustig sein:
Bayrisch, bayrisch, bayrisch wollen wir sein.

Sie ging wohl in die Stadt,
I bleib’ da draußen;
Was sie erbettelt hat,
Thur ich versaufen.
Schenk mir einmal bayrisch ein u. s. w.“

Es war schon spät, ein Knabe hatte Ivo den Hausschlüssel gebracht, der Schütz war gekommen, um „abzubieten“, aber Konstantin beschwichtigte ihn durch ein Glas Wein; gleiches gelang auch bei dem bald eintretenden Nachtwächter. Konstantin begann die Professoren nachzuahmen und von seinen Studentenstreichen zu erzählen. Sich entschuldigend stand Ivo auf, um nach Hause zu gehen, die andern wollten ihn halten, Konstantin aber machte ihm Platz, besonders weil er sich scheute, im Beisein Ivos fremde Heldenthaten sich selber anzueignen; er sagte daher nur noch:

„Trink aus, du könntest sonst über den Stumpen fallen.“

Ivo leerte noch das Glas glühenden Weines und sagte gute Nacht.

„Nimm die Stubenthür zu dir ins Bett,“ rief ihm noch Konstantin nach; Ivo hörte es nicht mehr.

Eine linde Vollmondsnacht legte sich über die Erde, es war, als ob das sanfte Licht überall hin Stille und Ruhe ausbreitete. Ivo hielt oft an und legte die Hand auf die hochklopfende Brust, er zog die Mütze ab, um sein Haupt um und um von den sanften Lüften anfächeln zu lassen. Als er sich zu Hause entkleiden wollte, fühlte er doppelt, wie all sein Blut in ihm wogte, wie die schnellen Takte seiner Pulse sich jagten; er verließ daher nochmals das Haus, um draußen in dem Frieden der Nacht Ruhe zu finden. Auf der Landstraße und durch die Felder schritt er hin, er war so froh und selig, er fragte nicht warum, er hätte ewig so fortwandeln mögen, so mit freudig hüpfender Brust: der Geist des Lebens war wiederum in ihm auferstanden und trug ihn schwebend auf der schönen, friedlichen Erde. Als er endlich wieder heimgekehrt war, sah er die Thüre an der Ehren (Ehren = Hausflur) -Kammer halb offen. Ohne daß er es wußte oder wollte, ging er hinein und stand wie festgezaubert: da lag Emmerenz. Der Mond beschien ihr Antlitz, ihr Haupt lag unter ihrem rechten Arme und die linke Hand ruhte an dem Gelände. Die Brust Ivos hob sich, sein ganzes Wesen erzitterte, er wußte nicht, wie ihm geschah, aber er beugte sich über Emmerenz und küßte sie so leise und zart wie der Mondstrahl auf ihre Wangen; Emmerenz schien es doch zu fühlen, denn, sich auf die andre Seite legend, sagte sie nur halblaut: „Ein’ Katz, Katz, Katz.“ Ivo stand noch eine Weile still, mit emporgestrebten Armen lauschend, ob sie nicht erwacht sei; als sie aber ungestört fortschlief, ward Ivo von der Heiligkeit dieser Ruhe bewältigt, er schlug sich zähneknirschend mit geballter Faust vor die Stirne und verließ das Gemach. In seinem Zimmer warf er sich dann auf den Boden, und seine Seele im tiefsten Grunde marternd rief er: „Herr Gott! vergib, laß mich sterben, denn ich habe gesündigt. Ich bin ein Verworfener, Nichtswürdiger. Herr Gott! strecke deine Hand aus und zermalme mich.“ – –

Von Kälte geschüttelt, erwachte Ivo, es war Tag, er legte sich zu Bett. Die Mutter brachte ihm den Kaffee vor das Bett, sie fand ihn sehr übel aussehend. sie wollte es nicht zugeben, daß er aufstehe; Ivo aber ließ sich nicht davon abhalten, denn er wollte und mußte zur Kirche gehen.

Als Ivo vor dem Stalle vorüberging, hörte er die Emmerenz drin singen:

„I haun koan Haus
Und haun koan Hof,
I haun koan Feld
Und haun koan Geld,
Und so e Mädle,
Wie’n i bin,
Hot koan Freud’ auf der Welt.“

„Warum so traurig?“ konnte sich Ivo nicht enthalten zu fragen, „hast du schlecht geschlafen?“

„Vom schlecht Schlafen weiß ich nichts, ich bin müd, wenn ich ins Bett komm’, und da fallen mir die Augen zu; das Lied ist mir halt grad so eingefallen.“

„Brauchst nichts zu verhehlen, gelt, du hättest eben doch gern den Konstantin zum Schatz?“

„Den? lieber den Franzosensimpel oder den blinden Koanradle; ich hab’ kein Gelust, das halb Dutzend bei ihm voll zu machen. Ich brauch’ kein’ Schatz. ich bleib’ ledig.“

„So sprechen alle Mädchen.“

„Du wirst schon sehen, daß mir’s ernst ist.“

„Wenn du einen braven Mann kriegen kannst, mußt du nicht zu heikel sein.“

„Was könnt’ ich kriegen? so einen alten Witwer, der schon ein paar Weiber unter die Erd’ geliefert hat. Nein, wenn ich einmal nimmer bei euch bleiben kann, bin ich kurz resolviert; ich hab’ dem Gretle versprochen, ich komm’ zu ihm nach Amerika. Es macht mir aber rechtschaffen Freud’, daß du dich auch noch um mich kümmerst; so ist’s ja nicht, daß, wenn man Geistlich wird, man gar nicht nach seinen alten Freunden umgucken darf?“

„Ich wünsche von Herzen, daß ich dir zu deinem Glücke verhelfen könnte.“

Emmerenz sah ihn freudestrahlend an, dann sagte sie: „Das hab’ ich mir immer denkt, du bist allfort gut gewesen, ich hab’s nie glaubt, daß du stolz seist. Frag nur dein’ Mutter, wir reden oft von dir. Spürst als nichts in deinem rechten Ohr?“

Die beiden plauderten noch eine Weile so miteinander. Emmerenz erzählte, daß sie der Mutter die Briefe vorlese und daß sie sie fast ganz auswendig wisse. Ivo hielt es für seine Pflicht, sie darauf aufmerksam zu machen, daß er auch ihrer nicht vergessen habe und daß sie nur stets recht brav sein solle; er sagte dies alles mit großer Selbstbeherrschung, denn das treuherzige Wesen des Mädchens hatte einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht.

Es läutete, und an einigen mit ihren Gebetbüchern heimkehrenden alten Frauen merkte Ivo, daß er die Frühmesse versäumt hatte.

„Wo schaffst du denn heute im Feld?“ fragte er noch.

„Draußen im Weiherle.“

Mit einem „B’hüt di Gott“ ging Ivo auch hinaus ins Feld, aber gerade nach der entgegengesetzten Seite; es zog ihn oft dahin, wo er wußte, daß Emmerenz war, dann ging er aber um so schneller, um der Versuchung seines Herzens Trotz zu bieten. Endlich kehrte er nach Haus und nahm ein Buch vor, um zu studieren; aber er konnte seine Gedanken nicht zusammenbringen. Er nahm Papier und begann einen Brief an seinen Klemens, er wollte ihm sein ganzes Inneres aufdecken, bald aber zerriß er den angefangenen Brief wieder und tröstete sich damit, daß er seinen Freund ja bald wieder sehe.

Gegen alle frühere Gewohnheit war nun Ivo selten zu Hause. Er brachte oft halbe Tage in des Jakoben Schmiede zu. Die Schmieden sind Aufenthaltsplätze für allerlei Nichtsthuer, für alte Leute und Faulenzer; da kommen fremde Fuhrleute, da kommen Einheimische, die die Pferde beschlagen lassen oder schadhaftes Feldgeräte bringen; wie der Blasbalg immer neu das Feuer anschürt, so strömt auch stets neue Unterhaltung herzu. Ivo dachte viel darüber nach, wie es geworden wäre, wenn der Wunsch seiner Kindheit in Erfüllung gegangen und er das Schmiedehandwerk erlernt hätte. Er nahm sich vor, einst, wenn er Pfarrer sei, diese Orte oft zu besuchen und hier gelegentlich manches gute Wort anzubringen. Und wenn er daran dachte, daß er vielleicht nie zum geistlichen Amte gelange, sagte er sich innerlich: „Immerhin, aber nur nicht so werden wie der Studentle.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1