Das vornehmste Haus des ganzen Dorfes, das gehörte einst dem ...

Das vornehmste Haus des ganzen Dorfes, das gehörte einst dem Vater des Vefele; der Vater ist tot, die Mutter ist tot, die fünf Kinder sind tot, und das Vefele ist spurlos verschwunden.
Tonele mit der gebissenen Wange.

Auf dem Feldraine, da, wo der Weg sich scheidet und der eine nach Mühringen, der andre nach Ahldorf führt, im sogenannten „Kirschenbusch“, dort saßen an einem Sonntagnachmittage drei Mädchen unter einem blühenden Kirschenbaume. Ringsumher war alles stille, kein Pflug regte sich, kein Wagen rasselte. So weit das Auge schauen konnte, überall sonntägige Ruhe. Von der Anhöhe gegenüber, vom Daberwasen, wo noch die Kirche eines alten Klosters steht, tönte die Glocke, die wie mit lautem Gruße die Betenden heimgeleitete. In dem kleinen Thälchen, „im Grunde“ genannt, blühte der gelbe Raps zwischen den grünen Kornfeldern, und rechts auf der Anhöhe sah man von dem jüdischen Gottesacker nur die vier Trauerweiden, die an den vier Ecken des großen Hügels stehen, unter welchem die Großmutter, die Mutter und ihre fünf Kinder ruhen, die alle in einem Hause verbrannt sind. – Weiter unten stand mitten unter den blühenden Bäumen ein hohes, ziegelrot und weiß angestrichenes hölzernes Kruzifix. Sonst war ringsumher lauter still treibendes Leben. Der einzige Laubwald in der ganzen Gegend, das sogenannte „Buchwäldle“, stand in voller Blätterpracht, und auf der andern Seite des Weges zog sich der Fichtenwald mit seinen stolzen und geraden Stämmen in lichter unbewegter Ruhe dahin. Kein Lüftchen wehte. Hoch zu den Wolken hinan schmetterte die Lerche ihren Gesang, und tief in den Furchen versteckt schlug die Wachtel. Es war, als ob die Aecker nur für sich selber blühten, denn nirgends war ein Mensch zu sehen, der mit Hacke und Schaufel andeutete, daß die Erde ihm unterthan sei. Hie und da kam ein Bauer quer übers Feld, bisweilen einer, bisweilen aber auch mehrere, die sich unter traulichem Gespräche nach dem Gedeihen ihrer Saat umschauten; in ihrem Sonntagsstaate kamen sie und sahen vergnügt das stille Walten und Wirken in der Natur in ihrer Sonntagspracht.


Die drei Mädchen saßen ruhig da, die Hände auf ihre weißen Schürzen gelegt, und stimmten ihre Lieder an. Bärbele sang die erste Stimme, das Tonele (Antonie) und das Brigittle begleiteten es mit natürlichem Takte. Andächtig und wehmütig schallten die langgezogenen Töne über die Flur dahin, und so oft die Mädchen sangen, pfiff ein Distelfink, der in den Zweigen des Kirschbaumes saß, mit doppelter Lust, und so oft die Mädchen nach Beendigung einer Strophe innehielten oder leise miteinander plauderten, verstummte der Distelfink fast plötzlich. Die Mädchen sangen:

„Schöns Schätzle, um was i di bitte thur,
Bleib nur noch e Jährle bei mir.
Und alles, was du verzehre thust,
Das will ich bezahle vor dir.“

„Und wenn du gleich alles bezahle thust,
Geschieden muß es jetzt sein.
Wir reisen in fremdeste Länder hinein,
Schöns Schätzle, vergiß du nit mein.“

Und als ich in fremde Land hineinkam,
Schöns Schätzle steht unter der Thür,
Es thät mich so freundlich nit grüßen:
„Schöns Schätzle, was machst du allhier?“

Es ist kein Apfel am Baum so rot,
Schwarz Kerne sind es darin.
Es ist kein Mädle im ganz Oestreich,
So führt es ein falschen Sinn.

Paff! fiel ein Schuß, die Mädchen schreckten zusammen, der Distelfink flog vom Kirschbaum fort. Da sahen die Mädchen den Jäger von Mühringen in ein Rapsfeld springen, sein Hund ihm voraus. Der Jäger hob die Gabelweihe, die von seinem Schusse getroffen ins Saatfeld gesunken war, in die Höhe, raufte eine Feder aus, steckte sie auf den Hut, schob den Vogel in die Jagdtasche und hing sich seine Flinte wieder um; es war ein schöner Mann, wie er so aus dem grünen Felde daherkam.

Das Tonele sagte: „Er hätt’ doch das Tier am Sonntag leben lassen können.“

„Ja,“ sagte Bärbele, „die Jäger sind alle keine rechten Christenmenschen: sie können nichts als die armen Bauern wegen Holzfrevel in den Turm und die unschuldigen Tiere ums Leben bringen. Der grün’ Teufelsknecht hat noch vergangen (Vor kurzem.) des Bläsis Käther auf vier Wochen ins Spinnhaus gebracht. Ich möcht’ keinen Jäger heiren (Heiraten.) und wenn er mir weiß nicht was versprechen thät.“

„Die alt’ Ursel hat mir einmal erzählt,“ sagte Brigittle, die jüngste von den dreien, „daß ein Jäger jeden Tag ein lebiges Wesen tot machen muß.“

„Das kann er genug haben,“ lachte Bärbele und wies hin an das Ungeziefer.

Unterdessen kam der Jäger näher. Wie auf eine Verabredung begannen alle drei Mädchen zu singen; sie wollten thun, als ob sie den Jäger nicht bemerkten, und doch sangen sie in ihrer Befangenheit nur mit halber Stimme und summten nur so vor sich hin den letzten Vers des Liedes:

Ein falschen Sinn, ein hohen Mut,
Drei Federn trag’ ich auf meinem Hut;
Und weil ich mein Schätzle verloren hab’,
So reis’ ich gleich wiederum ab.

„Guten Tag, ihr Jungfern, warum so leis?“ fragte der Jäger stehen bleibend.

Die drei Mädchen fingen an, zu kichern, und hielten sich ihre Schürzen vor den Mund; Bärbele aber gewann am schnellsten das Wort wieder und sagte: „Schön Dank, Herr Jäger, wir singen halt nur für uns, und wir hören’s schon, wenn wir auch noch so leis singen, wir singen nicht für andre.“

„Brr!“ sagte der Jäger, „das Mäule schneid’t ja wie geschliffen.“

„Geschliffen oder ungeschliffen, das ist gehupft wie gesprungen; wem’s nicht gefällt, der kann’s ja besser machen, wenn er’s kann,“ erwiderte das Bärbele; das Tonele stieß sie an und sagte halblaut: „Du bist aber auch grob wie Bohnenstroh.“

„Ich kann schon einen Spaß vertragen,“ sagte der Jäger, zum bösen Spiele gute Miene machend.

Die Mädchen waren bei alledem doch verlegen, und sie wählten wohl gerade das unrechteste Mittel, der Verlegenheit auszuweichen; sie standen auf und faßten einander unter dem Arme, um nach Hause zu gehen.

„Darf ich den Jungfern Gesellschaft leisten?“ sagte der Jäger wieder.

„Das ist Landstraße, und die Straß’ ist breit,“ sagte Bärbele.

Der Jäger dachte daran, sich von dem groben Mädchen fortzumachen, aber er besann sich schnell, wie lächerlich es wäre, sich verblüffen zu lassen. Er fühlte es wohl, er sollte auch in dem gleichen Tone antworten, aber er konnte nicht: das Tonele, an dessen Seite er ging, hatte ihm so in die Augen gestochen, daß er gar keinen tüchtigen Spaß machen konnte, und er war doch sonst gar nicht so blöde; er ließ daher dem Mädchen seine Freude und ging mit, ohne ein Wort zu reden.

Um doch einiges wieder gut zu machen, fragte das Tonele: „Wohin wollet Ihr denn am Sonntag?“

„Ge’ Horb,“ sagte der Jäger, „und wenn mich die Jungfern begleiten thäten, es käm’ mir auf den besten Schoppen nicht an.“

„Wir bleiben daheim,“ sagte das Tonele und wurde über und über rot.

„Wir löschen lieber den Durst mit Gänswein, den kriegen wir auch geschenkt,“ sagte das Bärbele.

Man war dem Dorfe näher gekommen, da sagte das Bärbele abermals, auf einen Fußweg deutend: „Herr Jäger, da könntet Ihr hinten ‘rum kommen, da geht der nächste Weg nach Horb.“

Dem Jäger wurde es endlich zu viel, und er hatte ein höchst derbes Wortspiel im Munde; aber er unterdrückte es und sagte nur: „Ich seh’ gern ehrlichen Leuten und einem ehrlichen Dorf ins Gesicht.“ Er konnte sich aber nicht enthalten, dem Bärbele dabei den Rücken zuzukehren.

So geht’s. Weil der Jäger keinen Spaß machen konnte, wurde er grob, und so geht’s oft.

Als die vier in das Dorf hineingingen, fragte der Jäger das Tonele, wie es heiße; aber noch ehe es antworten konnte, sagte Bärbele: „Wie man’s getauft hat.“

Und als nun der Jäger zum Bärbele sagte: „Ihr seid ja wundergescheit, wie alt seid Ihr denn?“ erhielt er die gewöhnliche Antwort: „So alt wie mein kleiner Finger.“

Das Tonele aber sagte halb leise: „Ich heiß’ Tonele. Warum fraget Ihr denn?“

„Weil mir’s lieb ist, es zu wissen.“

Man ging den Berg hinan, an dem sich die beiden Häuserreihen hinaufziehen; oben an des Sauerbrunnenbasches Haus steckten die drei Mädchen stillstehend die Köpfe zusammen, und husch! stoben sie wie verscheuchte Tauben auseinander und ließen den Jäger allein stehen; dieser pfiff seinem Hunde, der den Mädchen nachgesprungen war, steckte die linke Hand in den Gewehrriemen und ging ebenfalls davon.

An der Steingrube erholten und sammelten sich die Mädchen wieder.

„Du bist aber auch gar zu grob,“ sagte Tonele zu Bärbele.

„Jo weger (Wahrlich.),“ beteuerte Brigittle.

„Er hat dir ja nichts than,“ fuhr Tonele fort, „und du bist auf ihn losgefahren wie ein Kettenhund.“

„Ich hab’ ihm auch nichts than,“ sagte Bärbele, „ich hab’ ihn nur gefoppt, warum hat der Tralle mir nicht rausgeben? Und wahr bleibt wahr, ich mag ihn nicht; wie kommt der Grünrock dazu? Meint er, weil er beim Baron Mühringen Jäger sei, dürft’ er nur so mit uns laufen durch das ganze Dorf durch, daß alle Leute meinen, wir wollen was von ihm? Und was müßt’ der Sepper (Joseph.) und der Kasper davon denken? Nein, nein, ich bin kein so Tättele (Schüchternes Mädchen.) wie du, ich laß mir nichts gefallen, von keinem Grafen und von keinem Baronen.“

Das Gespräch wurde unterbrochen, denn der Sepper und der Kasper kamen; sie hatten ihre Schätze im Kirschenbusch gesucht und nicht gefunden. Bärbele erzählte nun die ganze Geschichte, es konnte niemand außer ihm zu Worte kommen, und da ihm noch viel spitzere Redensarten einfielen, nahm es das nicht so genau und erzählte auch diese. Denn das findet sich überall und bei gar vielen Menschen, daß, wenn sie etwas von sich erzählen, sie es noch schöner herausputzen: sie berichten dann, daß sie dies und das gesagt und gethan, wo sie zur Zeit den Mut nicht gehabt hatten, oder was ihnen erst später einfiel.

Der Sepper gab dem Bärbele vollkommen recht und sagte: „Das Herrenpack muß man gleich von vornherein abdachteln!“

Der Jäger, der doch nichts weniger als ein „Herr“ war, wurde immer mehr zu einem solchen gestempelt, damit man desto besser auf ihn losziehen konnte.

Sepper nahm seinen Schatz, das Tonele, an den einen Arm, an den andern hing sich das Brigittle; der Kasper und das Bärbele gingen neben ihnen, und so wanderten sie durch die Hohlgasse nach der Hochbur spazieren.

Der Sepper und das Tonele waren ein herrliches Paar, beide fast gleich groß und schlank, und beide doppelt schön, wenn sie miteinander gingen; jedes für sich allein war schon schön, aber bei einander waren sie es erst recht, unter Tausenden heraus hätte man sagen müssen: diese zwei gehören zusammen. Der Sepper ging halb bäurisch, halb soldatisch gekleidet; das kurze schlotterige Bauernwams hob das schöne Ebenmaß der Glieder unter den eng zugeschnallten Beinkleidern noch schärfer hervor. Der Sepper sah aus wie ein Offizier, der sich’s „kommod gemacht“ hat, so schlank und straff und doch wieder so frei und ungezwungen war sein ganzes Wesen.

Auf der Hochbur angelangt, sahen sie nicht weit davon den Jäger heim Nordstetter Waldschützen stehen. Der Sepper bemerkte sogar, daß der Jäger nach ihnen hindeutete, und er räusperte sich, als ob er dem „Herrn“ sogleich eine tüchtige Antwort zu geben hätte, obgleich sie noch mehr als zweihundert Schritte voneinander entfernt waren. Dann faßte er das Tonele um den Hals und gab ihm einen herzhaften Kuß, gleichsam auch als weithin erkennbare Sprache. Darauf schritt er lustig pfeifend dahin und schwenkte sich gar keck und mutig.

Hätte er gehört, was der Jäger mit dem Waldschützen sprach, er wäre noch schärfer aufgetreten, denn der Jäger sagte: „Gucket, da kommt es grad. Es ist ein Mädle wie von Wachs, grad wie die Mutter Gottes in der Kirche; solang ich mir denken mag, hab’ ich noch keines so gesehen.“

„Ja, ja, wie ich unbesehen gesagt hab’,“ erwiderte der Waldschütz, „das ist des Pudelkopfs Tonele; man heißt ihren Vater den Pudelkopf, weil er ein Haar hat wie ein Schaf, das Tonele hat auch so weißes gerolltes Haar; man heißt’s auch im ganzen Dorf das Borsdorfer Aepfele, weil es so rote Bäckle hat. Der alte Pfarrer, der war nicht versteckt (Dumm.), der hat’s zur Köchin haben wollen; aber prost Mahlzeit, der Pudelkopf hat mit einem schönen Dank das Maul gewischt. Das Tonele kriegt einmal seine fünf Jauchert Ackers in einer Zelg (Fünf Morgen Ackers in jeder Gemarkung gilt als der Besitzstand eines wohlhabenden Bauern.), und das kleckt noch nicht.“

Der Jäger gab dem Waldschützen die Hand, und noch ehe ihn die Spazierenden erreichen konnten, ging er rasch die Steige hinab.

Auf einem Feldraine sitzend verbrachten unsre Bekannten unter Singen und Küssen den Nachmittag. Am übelsten war das Brigittle dran, sein Schatz war in Heilbronn bei den Soldaten; wer weiß, wo er jetzt war, während sein Mädchen glühenden Antlitzes abseits von den andern, mit einer Blume spielend, seiner gedachte? Als es Abend zu werden begann, machte Brigittle die andern Mädchen wieder zurecht; seine eigene Halskrause war in der besten Ordnung geblieben, während die Haare und Halskrausen der andere „verstrobelt und verzobelt“ waren, wie es gutmütig scheltend sagte.

Man ging wiederum auf der Straße spazieren. Alle Mädchen und Burschen sammelten sich dort, und nun schieden sich die Geschlechter.

Im Westen, wie man bei uns sagt, „über dem Rheine“, ging die Sonne blutigrot unter und prophezeite für morgen einen guten Tag.

Die Burschen gingen in langen Reihen, aber ein jeder für sich, singend oder im Chore vierstimmig pfeifend das Dorf hinein. Etwa dreißig Schritt hinter ihnen gingen die Mädchen Arm in Arm, ebenfalls in langen Reihen, die die ganze Breite der Straße einnahmen. Sie sangen unaufhörlich. Immer wieder fing ein Mädchen ein neues Lied an, und die andern stimmten ohne langes Besinnen und Hin- und Herreden ein.

Das Tonele ging an der linken Flanke und an seinem rechten Arme hing des Blätschles Marann’, die Flambomarann’ genannt. Das war ein unglückliches Mädchen, denn die ganze linke Hälfte seines Gesichts, von der Stirn bis zum Kinn, war blau, wie von geronnenem Blute unterlaufen. Bei dem großen Brande vor achtzehn Jahren, wobei die sieben Menschen verbrannten, war die Mutter Maranns, die damals schwanger war, schnell herzugeeilt, und da sie die Flamme sah, fuhr sie sich erschreckt mit der Hand über das Gesicht. Als nun das Kind zur Welt kam, hatte es auf der einen Seite ein blitzblaues Gesicht. Das Tonele hatte immer einen unüberwindlichen „Grausel“ vor der Marann’, aber es hatte nicht Mut genug, vor ihr zurückzuweichen, als sie seinen Arm faßte. So ging es nun neben ihr, innerlich zitternd, aber es sang um so lauter, um dadurch gerade über sich Meister zu werden.

Bei des Schloßbauern Hans holte der Jäger, von Horb kommend, die Mädchen ein. Als er das Tonele ansichtig wurde, ward er feuerrot, er hob sein Gewehr etwas von der Schulter, hing es aber sogleich wieder über und sagte, zu Tonele gewendet: „Guten Abend, ihr Jungfern.“

„Schön Dank,“ erwiderten einige, und der Jäger fuhr leiser zu Tonele fort:

„Ist’s jetzt eher erlaubt, daß man mitgeht“

„Nein, das schickt sich nicht, daß Ihr mit uns durch das Dorf gehet, thut mir den Gefallen und gehet voraus zu den Buben,“ erwiderte das Tonele ebenfalls ganz leise.

Der Jäger war hierüber hoch erfreut und ging höflich grüßend voraus.

Beim Adler machte alles Halt. Die Abendglocke läutete, die Burschen zogen ihre Mützen ab und sprachen ein leises Vaterunser; auch die Mädchen sprachen dasselbe leise, darauf machte ein jedes das Zeichen des Kreuzes.

Kaum war aber dies vorbei, so ging das Scherzen und Schäkern wieder los. Der Jäger sagte: „Gute Nacht beisammen,“ und ging seines Weges.

Die Mädchen foppten das Tonele mit dem Jäger, und daß es etwas leise mit ihm gemunkelt habe. Der Sepper, der das hörte, stand plötzlich starr und hielt die Pfeife, die er eben zum Munde führen wollte, krampfhaft vor sich hin, seine linke Faust ballte sich, er sprach kein Wort, aber aus seinem Auge, das stier auf Tonele gerichtet war, blitzten furchtbare Gedanken. Dann aber wiegte er sich wieder stolz auf seinen Knieen und warf nur einmal den Kopf rückwärts.

Als sich alles zerstreute, begleitete der Sepper das Tonele. Er ging eine Weile still neben ihm her, dann sagte er:

„Was hast du mit dem Jäger?“

„Nichts.“

„Was hast du mit ihm gered’t?“

„Was man eben so red’t.“

„Ich will aber, du sollst kein Wörtle zu ihm sagen.“

„Und ich laß mir von dir nicht befehlen, mit wem ich reden soll.“

„Du bist eben ein hoffärtiges, falsches Ding.“

„Wenn du’s glaubst, ist mir’s auch recht.“

Die beiden gingen noch eine Strecke miteinander und redeten kein Wort. Sie kamen vor dem Hause Toneles an, es sagte gute Nacht, aber der Sepper gab ihm keine Antwort, und das Tonele ging ins Haus. Den ganzen Abend blieb noch der Sepper vor dem Hause stehen, er pfiff und sang allerlei Weisen, er glaubte, das Tonele müsse noch zu ihm herauskommen; aber es kam nicht, und er ging in heftigem Zorne davon.

Während der ganzen Woche sprach der Sepper kein Wort mit dem Tonele, ja, er wich ihm sogar aus, wo er ihm begegnete.

Am Samstagnachmittag holte der Sepper mit seinen Gäulen im Würmlesthäle Klee für den Sonntag. Auf der Heimfahrt sah er das Bärbele mit einem schweren Kleebündel auf dem Kopfe aus dem Veigelesthäle kommen; er hielt an, rief dem Bärbele, es mußte seinen Klee auf den Wagen legen und sich dann zu ihm hinaufsetzen. Hier oben kam es nun zu einer grundmäßigen Erklärung. Das Bärbele machte dem Sepper wegen seiner dummen Eifersucht so tüchtig den Marsch, daß er noch an demselben Abend beim Rathausbrunnen wartete, bis das Tonele kam, um Wasser zu holen; er sprang schnell herzu, hob ihm den Kübel auf den Kopf, dann ging er neben ihm her und sagte:

„Wie hast du denn die Woch’ gelebt? Ich hab’ sündlich viel zu schaffen.“

„Und machst dir noch mehr zu schaffen, für nichts und wieder nichts. Du bist ein recht unbändiger Mensch. Siehst du jetzt ein, daß du unrecht gehabt hast?“

„Mit dem Jäger darfst du halt kein Wort mehr reden.“

„So oft ich will, red’ ich,“ sagte Tonele. „Ich bin kein Kind, ich weiß schon, was ich zu thun hab’.“

„Aber wenn du doch nicht mußt, brauchst du doch nicht mit ihm zu reden?“

„Nein, das brauch’ ich nicht, aber ich laß mich nicht so kurz am Leitseil halten.“

Der Friede war wieder hergestellt, keine Störung trat ein, denn auch der Jäger kam lange nicht mehr nach Nordstetten.

Tonele saß am Sonntag oft mit den Gespielinnen oder auch mit dem Sepper im Kirschenbusch und sang und scherzte. Die Waldkirschen (denn andre gibt es bei uns nicht) waren längst reif, der Raps wurde eingeheimst, Roggen und Gerste geschnitten, in dem stillen, friedlichen Leben unsrer Bekannten war alles beim alten geblieben; die Liebe Toneles und Seppers hatte, wenn es möglich war, noch an Heftigkeit zugenommen. Nur noch diesen Herbst hatte der Sepper das letzte Manöver beim Militär mitzumachen, dann bekam er seinen Abschied und dann – gab es Hochzeit.

Seit jenem Sonntag im Frühjahr hatte das Tonele den Jäger mit keinem Auge mehr gesehen. Erst als es mit dem Sepper gemeinschaftlich in der Molde (Name einer Gemarkung). Hafer schnitt, ging der Jäger vorüber und sagte: „Schneidet’s gut?“ Das Tonele schreckte unwillkürlich zusammen, es antwortete nicht, sondern bückte sich und schnitt emsig, der Sepper aber sagte: „Großen Dank,“ und auf eine Garbe knieend, drehte er dieselbe recht fest zu, als ob er dem Jäger damit den Hals zudrehe. Der Jäger ging fürbaß.

Es war gut, daß der Sepper erst drei Tage nach des Bärbeles Hochzeit mit dem Kasper zum Manöver einrücken mußte. Er nahm sich deshalb vor, sich dabei noch recht wohl sein zu lassen, und er hielt getreulich Wort.

Fast in allen Häusern, wo der Sepper mit dem Kaspar die Einladungen zur Hochzeit machte, sagten die Leute: „Nun, Sepper, jetzt kommt’s bald an dich,“ und er schmunzelte bejahend.

Am Hochzeitstage war es dem Sepper so wohl wie einem Vogel im Hanfsamen. Er genoß die Vorfreude seines künftigen baldigen Glückes. Als es zum Tanze ging, stieg er zu den Musikanten auf die Erhöhung und bestellte sie samt noch zwei Trompetern mehr zu seiner Hochzeit; er wollte als Gardist recht viel Trompeten haben.

Abends machte aber eine neue Erscheinung dem Sepper einen Strich durch die Rechnung; der Jäger kam nämlich auch zum Tanze, und die erste, die er“engagierte“, war Tonele.

„Ist schon angeschirrt,“ antwortete Sepper statt des Tonele.

„Die Jungfer wird wohl selber reden können,“ erwiderte der Jäger.

„Den nächsten Hopser wollen wir miteinander tanzen,“ sagte das Tonele und nahm den Sepper bei der Hand. Es wendete sich aber nochmals nach dem Jäger um, ehe es zu tanzen begann. Als nun das Tonele mit dem Jäger den Hopser tanzte, setzte sich der Sepper an den Tisch und nahm sich vor, heute abend keinen Fuß mehr zu rühren, und daß das Tonele auch nicht mehr tanzen dürfe. Da kam Bärbele, von seiner „Gespiele“ geschickt, und forderte den Mürrischen auf. Der Hochzeiterin darf nie jemand einen Tanz ausschlagen, und so folgte der Sepper dem ihn nachziehenden Bärbele, das ihm alsdann beim Aushalten tüchtig die Leviten las: „Ich weiß gar nicht,“ sagte es, „du kommst mir ganz närrisch vor mit dem Jäger. Du bist dran schuld, wenn ihn das Tonele gern kriegt. Es thät schon lange mit keinem Gedanken mehr nach ihm umgucken; wenn du es aber so fort und fort mit ihm quälst, da muß es ja immer wieder an ihn denken, und da denkt es darüber nach, ob es wirklich wahr ist, daß der Jäger es gern hat, und da kann es ihn eben auch gern kriegen, denn guck, er kann doch noch besser tanzen als du, so links ‘rum kannst du doch nicht hopsen.“

Der Sepper lachte, aber innerlich mußte er dem schalkhaft gescheiten Weibchen recht gehen, und als er dann mit seinem Schatze am Tische saß, brachte er es dem Jäger zu (ihm Bescheid zu thun), er winkte daher dem Tonele und sagte: „Stoß mit ihm an.“ Der Jäger trank, eine höfliche Verbeugung machend, auf die Gesundheit Toneles, dem Sepper nickte er kaum zu. Dieser aber nahm sich vor, heute nicht mehr böse zu sein, er freute sich vielmehr über sein kluges Benehmen gegen den Jäger und hielt dann das Tonele selig im Arme. Da wurde er zu dem Hauptspaße einer Hochzeit abgerufen.

Die gesamte ledige Mannschaft hatte nämlich nach alter Sitte die Hochzeiterin gestohlen. Sie hielten das Bärbele in einen großen Kreis geschlossen, und Kasper, der Hochzeiter, mußte es nun unter vielen possierlichen Hin- und Herreden von den Unholden loskaufen. Sechs Flaschen Wein befreiten die Gefangene, und die beiden, die sich wiedergefunden, marschierten nach Hause. Die Musikanten stiegen von der Anhöhe an die offenen Fenster und spielten ihnen den üblichen Marsch auf, und manches Hoch! schallte noch hinterdrein.

Das Tonele stand träumerisch am Fenster, als das Bärbele schon längst fort war und alles wieder tanzte.

Es war schon spät in der Nacht, oder eigentlich früh am Morgen, als der Sepper das Tonele nach Hause begleitete. Sie waren noch lange allein, und das Tonele schmiegte sich mit wilder Glut an seine Wangen und faßte ihn mit gewaltigen Armen fest. Auch der Sepper war hoch erregt, aber er konnte es doch nicht unterdrücken, noch einmal von dem Jäger zu sprechen. Das Tonele sagte: „Laß jetzt den Jäger, guck, es gibt jetzt gar nichts auf der Welt als du.“ – Der Sepper hob das Tonele hoch in die Lüfte, dann umfaßte er es wieder, und den Mund auf seine Wangen pressend, sagte er: „Guck, ich möcht’ dir grad ‘neinbeißen.“

„Beiß,“ sagte Tonele.

Wehe! der Sepper hatte wirklich gebissen; das Blut rann Tonele von der Wange und floß hinab bis an den Hals. Erschreckt fuhr es mit der Hand nach seiner Wange, es fühlte die offenen Spuren der Zähne, da stieß es den Sepper von sich, daß er rücklings hinstürzte, dann schrie und heulte es laut auf, daß alles im Hause erwachte. Der Sepper richtete sich auf, um es zu trösten, aber jämmerlich wehklagend stieß es ihn abermals von sich. Da man Geräusch im Hause vernahm, schlich sich der Sepper fort, denn er dachte: die Sache ist nicht so arg; auch wollte er sich und Tonele jede Verlegenheit ersparen, und er hoffte, es würde schnell eine Ausrede vorbringen, wenn die Leute herbeikämen.

Der Vater und die Mutter kamen mit Licht und schlugen die Hände zusammen, als sie ihr bluttriefendes Kind sahen.

Schnell wurde die alte Ursel, die viel Hausmittelchen kannte, herbeigeholt. Die alte Frau sagte ganz offen: „Das kann den Krebs geben, oder der das gethan hat, muß die Wunde mit seiner Zunge reinigen.“ – Das Tonele schwur hoch und heilig, lieber zu sterben, als daß der Sepper es nur noch einmal berühren dürfte.

Es wurden nun allerlei Heilmittel angewendet, und das Tonele stöhnte wie eine Sterbende.

Andern Tages war die Geschichte im ganzen Dorfe bekannt, und man sagte, der Sepper habe dem Tonele ein ganzes Stück Fleisch aus dem Backen herausgebissen. Alles kam, um das Tonele zu trösten, aber auch um seine Neugierde zu befriedigen. Auch der Sepper kam, aber das Tonele schrie wie eine Besessene, er solle augenblicklich aus dem Hause und nie mehr kommen. Kein Bitten, kein Klagen, nichts half; das Tonele that wie wahnsinnig, und der Sepper mußte fort. Er ging zum Bärbele und bat es, doch für ihn ein gutes Wort einzulegen. Das Bärbele war gerade damit beschäftigt, die Hochzeitsgeschenke zu ordnen; Küchengeschirr und allerlei Hausrat lag zerstreut um sie her. Es schimpfte nun zwar den Sepper tüchtig aus, ließ aber doch augenblicklich alles stehen und liegen und ging zum Tonele. Dieses schrie laut auf am Halse seiner Gespielin: „Ich bin verschänd’t für mein Lebtag. – Auf vieles Zureden stand es endlich doch auf aus dem Bette, und als es zum erstenmal vor den Spiegel trat und die gräßliche Verwüstung sah, rief es: „Jesus Maria Joseph! Ich bin ja grad wie die Flambomarann’. Lieber Gott, ich hab’ mich g’wiß an ihr versündigt; ich bin gestraft genug.“

Unter keiner Bedingung wollte das Tonele mehr den Sepper sehen, und dieser ging endlich zwei Tage darauf, ein kleines weißleinenes Ränzchen auf dem Rücken, nach Stuttgart.

Erst nach vierzehn Tagen ging Tonele aus dem Hause, aber immer mit verbundenem Gesichte. Merkwürdig! fast der erste, der ihm begegnete, als es mit der Hacke auf der Schulter zum Kartoffelgraben ins Feld ging, war der Jäger.

„Wie geht’s, schönes Tonele?“ fragte er gutmütig die Verbundene.

Das Tonele wollte vor Scham in den Boden sinken, es war ihm so eigen, daß er es bei seinem Namen nannte und noch dazu „schönes“ sagte; es fühlte jetzt doppelt, wie gräßlich entstellt es war. Als es daher schweigend seufzte, sagte der Jäger: „Ich hab’ schon gehört, was Euch geschehen ist, darf man’s nicht sehen?“ – Das Tonele schob schüchtern das Tuch weg, und der Jäger schlug unwillkürlich die Hände zusammen; dann aber sagte er: „Das ist unverzeihlich, unmenschlich, so mit einem herrlichen Mädchen umzugehen, wie Ihr seid. Das ist einmal wieder eine rechte Bauernroheit, verzeihet mir’s, ich mein’ Euch gewiß nicht mit, aber die Menschen sind oft halb Vieh. Lasset’s Euch aber nicht zu sehr grämen.“

Das Tonele hörte aus allem diesen nur die Teilnahme des Jägers heraus und sagte: „Nicht wahr, ich bin recht verschänd’t?“

„Bei mir thät’ das nichts,“ sagte der Jäger, „und wenn Ihr nur einen Backen hättet, Ihr thätet mir doch besser gefallen, als alle Mädle von Nordstetten bis Paris.“

„Das ist nicht recht, einen so zu foppen,“ sagte das Tonele wehmütig lächelnd.

„Nein, ich fopp’ nicht,“ sagte der Jäger, die Hand des Mädchens fassend, und fuhr fort: „gucket, ich thät’ Euch gleich heiraten, so wahr mir Gott das Leben gibt.“

„Das ist sündhaft gesprochen,“ sagte Tonele.

„Ich seh’ keine Sünd’ dran, wenn wir uns heiraten thäten,“ sagte der Jäger.

„Wenn wir gut Freund bleiben wollen, so redet davon kein Wörtle mehr,“ sagte Tonele und ging quer übers Feld.

Der Jäger war schon zufrieden, daß er „gut Freund“ mit dem Tonele sein durfte, und er machte sich das wohl zu nutze; denn er kam jetzt fast jede Woche ein paarmal nach Nordstetten. Er unterhandelte zuerst mit dem Pudelkopf, Toneles Vater, wegen der Holzfuhren, die es jetzt im Herbste gab; dadurch bekam er immer mehr Gelegenheit, mit dem Tonele zu sprechen. Er sagte nichts mehr vom Heiraten, aber man hätte ein Narr sein müssen, wenn man’s nicht gemerkt hätte, daß er darauf herum redete.

Einen schweren Stand hatte der Jäger bei dem Bärbele, ohne das beim Tonele nichts auszurichten war. Zuerst versuchte er es mit Güte und Spaß, aber das Bärbele verstand gar keinen Spaß mehr; es redete immer und immer vom Sepper, so oft der Jäger da war.

Da begab sich für den Jäger ein Ereignis, wie er sich’s nicht besser wünschen konnte. Das Tonele hatte eine reiche Base in Mühringen, deren Hochzeit in wenigen Tagen sein sollte, und das Tonele kam für den drei Tage lang dauernden Tanz nach Mühringen. Die Schwester des Jägers schloß schnell Freundschaft mit Tonele, und die beiden Mädchen spazierten miteinander über Wies’ und Feld und hielten sich beim Tanze zusammen. Das Tonele erschien hier zum erstenmal mit unverbundenem Gesichte, und man kann fast sagen, es war schöner seit dem Bisse.

Manche wilde und abergläubische Völker verstümmeln etwas vollkommen Schönes, damit der böse Blick keine Macht über dasselbe habe und der Teufel, der nichts Vollkommenes duldet, darüber beruhigt sei. Der Biß in der Wange Toneles war nur so viel, daß der Neidteufel, der nie etwas ganz und durchaus loben mag, sein Aber dabei anbringen konnte.

Der Jäger hielt sich heim Tanze immer zum Tonele, und am Abend machte er ihm noch eine Freude, wie sie noch kein Bauernmädchen von ganz Nordstetten gehabt hatte.

Der alte Baron, ein wohllebig dicker Mann, so geizig er auch war und so streng er auch einem Bauer, der ein Bündel dürres Holz im Walde holte, nachjagte, war doch sehr splendid für ein kleines Theater, das er sich auf dem Schlosse hielt und wozu er die Honoratioren der Gegend einlud. Der Jäger erhielt die Erlaubnis, das Tonele mit ins Theater zu bringen.

Das Tonele zitterte, daß ihm die Zähne klapperten, als es mit dem Jäger den Berg hinanging, auf dem das Schloß in altertümlicher Weise mit Zugbrücke, Wall und Graben steht. Still, ganz in sich zusammengeschauert, auf den Zehen gehend, trat es in den Saal, wo die Herrschaften schon waren; es erhielt einen Platz nicht weit hinter der Musik. Die Obervogtin richtete ihre Lorgnette lange nach ihm, und das Tonele saß da, schlug die Augen nieder und wagte kaum zu atmen; die Narbe an der Wange brannte, es war, als ob der Blick der Obervogtin die Wunde wieder aufgerissen hätte. Da rauschte nach der Musik der Vorhang auf, Tonele hörte mit angehaltenem Atem zu. Es weinte bittere Thränen über das Schicksal des armen, herzensguten Lorenz Kindlein (dieses Stück wurde gespielt), es hätte gewiß nicht so lange gewartet, wenn es die Tochter gewesen wäre, und erst als der Vorhang wieder fiel, entlud sich ein gewaltiger Seufzer seiner Brust.

Auf dem Rückwege faßte der Jäger das Tonele um den Hals, und es schmiegte sich traulich an ihn, es war ganz aufgelöst von der mächtigen Aufregung; es war ihm, als ob der Jäger ihm alles das geschenkt hätte, als ob er das alles selber gemacht hätte, und doch wäre es wieder gar zu gerne noch einmal zu dem guten alten Manne und seiner lieben Tochter gegangen, die jetzt so glückselig bei einander waren.

Aber auch der Jäger war glückselig, denn er erhielt das Versprechen, daß das Tonele am Sonntag nach der Mittagskirche im Buchwäldle mit ihm zusammenkommen wolle.

Und so war der Jäger bei seinem Manöver viel glücklicher als der Sepper zu Rosse bei dem Manöver auf der Ebene von Ludwigsburg, und noch ehe er den Abschied vom Militär erhielt, hatte ihm das Tonele den Abschied gegeben.

Bei seiner Heimkunft war der erste Ausgang des Seppers zu dem Tonele. Er traf es an der Kunkel in der Stube bei seinen Eltern, aber es redete kein Wort mit ihm und blickte ihn nur manchmal stier an. Er zeigte seinen ehrenvollen Abschied und breitete ihn, nachdem er alle Stäubchen weggeblasen, auf dem Tische aus; aber das Tonele kam nicht einmal her, um hineinzublicken. Er wickelte den Abschied wieder in doppeltes Papier und ging, das Dokument behutsam in der Hand haltend, fort zu dem Bärbele. Hier hörte er nun alles, und daß die beiden Gespielen sich wegen des Jägers verfeindet hätten. Der Sepper zerknitterte den Abschied mit beiden Händen zu einem Ballen zusammen und ging dann fort.

Es war in der Dämmerung, da saß der Sepper unter demselben Baume im Kirschenbusch, wo wir das Tonele zuerst gesehen haben. Der Baum war entblättert, der Wind pfiff über die Stoppelfelder, und der Fichtenwald rauschte und brauste wie ein Strom; vom Daberwasen her tönte das Nachtglöcklein, und ein verspäteter Rabe flog krächzend dem Walde zu. Der Sepper aber sah und hörte nichts. Er saß da, die Ellbogen auf die Kniee gestemmt, und hielt sich mit den Händen die Augen zu. So saß er lange. Da hörte er das Bellen eines Hundes und herannahende Schritte, er sprang rasch auf. Der Jäger kam aus dem Dorfe. Sepper sah das Glitzern des Gewehres, er sah auch eine weiße Schürze und vermutete mit Recht, daß das Tonele den Jäger begleitet hatte. Sie blieben eine Weile stehen, dann kehrte das Tonele um.

Als ihm der Jäger nahe war, sagte der Sepper in trotzigem Tone: „Guten Abend!“

„Schön Dank,“ erwiderte der Jäger.

„Ich hab’ mit Euch ein Hühnle zu rupfen,“ sagte der erste wieder.

„Ah, der Sepper,“ sagte der Jäger, „seit wann seid Ihr wieder da?“

„Für dich zu früh, du – wir wollen nicht lange machen, da, wir wollen Hälmle ziehen, wer von uns beiden vom Tonele lassen muß; und wenn ich’s verlier’, so muß ich das Gewehr für mich haben.“

„Ich zieh’ kein Hälmle.“

„Dann zieh’ ich dir dein’ Seel’ aus deinem Leib, du grüner Spitzbub,“ schrie der Sepper, das Gewehr des Jägers mit der einen Hand, mit der andern seine Gurgel packend.

„Waldmann faß!“ schrie der Jäger noch mit halber Stimme, der Sepper gab dem Hunde einen tüchtigen Tritt, dadurch wurde indes der Jäger etwas freier. Mit aller Macht rissen sich nun die beiden um das Gewehr und hielten sich an der Gurgel, da – plötzlich ging das Gewehr los, und der Jäger stürzte rücklings in den Graben. Er stöhnte nur noch einmal, und der Sepper beugte sich über ihn, um zu hören, ob er noch atme.

Das Tonele kam herbeigesprungen, der Schuß in finsterer Nacht hatte es herbeigelockt, es ahnte nichts Gutes.

„Da! da!“ rief der Sepper, „da liegt dein Jäger, jetzt heirat’ ihn.“

Das Tonele stand erstarrt und konnte sich nicht regen, endlich sagte es: „Sepper, Sepper, du hast dich und mich unglücklich gemacht.“

„Was geh’ ich dich an? Ich will von der ganzen Welt nichts mehr,“ rief der Sepper und floh nach dem Fichtenwalde zu. – Man hat nie mehr etwas von ihm gehört.

Auf dem Wege nach Mühringen im Kirschenbusch steht an dem Feldraine ein steinernes Kreuz zum ewigen Andenken, daß hier der Jäger von Mühringen erschlagen wurde.

Das Tonele ist aber erst nach vielen Jahren einsamen Kummers vom Leben erlöst worden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1