Schreiben an den Staatsmann in der Einsamkeit, statt der Vorrede.

Aus: Ideen über das politische Gleichgewicht von Europa mit besonderer Rücksicht auf die jetzigen Zeitverhältnisse.
Autor: Butte, Wilhelm (1772-1833) Lehrer, Prinzenerzieher, Pfarrer und Professor für Statistik und Staatswissenschaften, königlich preußischer Regierungsrat, Erscheinungsjahr: 1814
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Europa, Politik, politisches Gleichgewicht der Kräfte, 1814, Befreiungskriege, Grenzen Europas, Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Sizilien, Holland, Dänemark, Schweden, Skandinavien, Österreich, Italien, Schweiz, Preußen, Russland, Polen
Wer auch immer Du sein mögest, mir Unbekannter, der Du dich von Zeit zu Zeit unter dem Namen des Staatsmanns in der Einsamkeit vernehmen lassest, Deine verständige, sachkundige und patriotische Rede über des Staates wichtigste Angelegenheiten gefällt mir so wohl, dass ich Dir gerne einen kleinen Beweis meiner besonderen Achtung geben möchte. Unter der Voraussetzung, dass Deinem wachsamen Auge solche Schriften nicht entgehen, welche die Gegenstände deiner Sphäre auf eine Weise berühren, die Dir von verwandter Wissenschaft und Erfahrung zeugen, bitte ich Dich, den Unbekannten, aus der Hand des Unbekannten die Weihe dieser Kleinigkeit anzunehmen.

Die Schwierigkeiten und das Interesse des immer in diesem entscheidenden Augenblick ganz besonders wichtigen Themas meiner Wahl , bedürfen vor Dir und vor allen denen, welche Deine Einsicht teilen, keiner Auseinandersetzung. Ich wünsche, dass man sich jener Schwierigkeiten so weit erinnere, als erforderlich ist, um mit Billigkeit die Mangel zu beurteilen, die ich zurückließ, und die Fehler, die ich beging.

Unter den Ideen, in welchen wir zusammentreffen und von einander abweichen, zeichne ich bloß zur Probe jene aus, wo ich mit Dir auf die Wiederaufnahme der lateinischen Sprache, als diplomatische Sprache, dringe, sodann zwar auf Frankreichs bedeutende Verkleinerung, innerhalb näher bestimmter Grenzen, aber keineswegs auf dessen Zerstückelung antrage, als welche mir das ganze Gleichgewicht von Europa aufzuheben scheinen würde.

Da das politische Verhältnis alle Verhältnisse des Lebens schützend umfasst, sie folglich alle auf unleugbare Weise berührt, so geht die Mannigfaltigkeit der Beziehungen desselben ins Unendliche. Eben darauf gründet es sich, dass die größten Staatsgelehrten und die weisesten Staatsmänner aller Zeiten, das öffentliche Verhandeln politischer Gegenstände, das Beleuchten derselben von allen Seiten in besonderen Schutz nahmen. Es ist ein großes Glück, dass tyrannisch Gesinnte keine Meinung anhören und prüfen, die der ihrigen zuwider läuft; täten sie dieses, so würden sie das Geheimnis finden, ihre Tyrannei zu verewigen, und nimmer würden sie die großen Fehler begehen, welche ihrem Druck auf dem Throne oder in dessen Nahe ein erwünschtes Ziel setzen.

Weit entfernt von der anmaßenden Hoffnung, dass meine Ideen, der strengeren Prüfung, der ich sie unterwarf, unerachtet, nicht vielfältig fehlerhaft und unanwendbar seien, würde ich mich glücklich genug schätzen, wenn nur eine oder die andere derselben fähig wäre, in den Männern am Ruder irgend eine solche Idee zu wecken, welche die erforderlichen Eigenschaften der Ausführbarkeit hatte.

Noch habe ich zwei Themata aufgefasst und mich schon länger mit ihnen beschäftigt, die Dir, Sinnesverwandter deutscher Mann, nicht gleichgültig sein werden. Ihre Bearbeitung findest Du demnächst unter folgenden beiden Titeln? „Ideen über Gestaltung und Zweck eines germanischen Staaten-Bundes.“ „Politische Betrachtungen über Europas letzte Vergangenheit und über dessen Zukunft, angestellt unter den Trümmern des europäischen Wohlstandes.“ Vorschläge für Deutschlands Einheit in der Geteiltheit mehrerer Staaten, und was statistisch und politisch in der Verteilung der Kräfte und in allgemeiner Verfassung dafür zu tun sei, macht den Gegenstand des ersteren Schriftchens aus; in dem zweiten wird die Frage behandelt, welche Bedeutung die Gräuel der Verwüstung unserer Zeit in der Weltgeschichte haben? Nicht vergeblich haben wir geduldet und geblutet, und wahrlich es musste so kommen, wenn es je besser werden sollte!

Auch ich habe Gründe meinen Namen, der ohnehin nichts zur Sache tut, nicht vor einem Publikum zu nennen, dem leider jedermann angehört, während besonders die Politik, die schwerste aller Wissenschaften, das Unglück hat, dass jeder glaubt, doch wenigstens in ihr ein Wort mit reden und beurteilen zu können, was in ihrem Gebiete erscheint. Ich mag mich um so weniger nennen, als ich es bei den Gegenständen, denen ich meine spärliche Muße widme, unmöglich allen recht machen könnte, ohne zum Verrat des Allgemeinen beizutragen, welches Gott verhüte.

Würde es Dir und Männern, die Deine politischen Gesinnungen teilen, Vergnügen machen, schriftlich mit mir zu verkehren, so erbitte ich mir Deine Briefe unter der Adresse meiner Verlags-Handlung, an den Verfasser der Ideen über das politische Gleichgewicht. Für Männer, die nicht in dem Fall sind Schriftstellerruhm zu suchen, hat der Verkehr hinter der Maske der Anonymität seine eigentümlichen Vorteile.

Unter Europas Herrschern und in den größten Kabinetten findet sich jetzt so viel ausgezeichnet guter Wille, dann eine so große Masse von Einsicht und Erfahrung, endlich so viel Festigkeit des Charakters, und dem allen sagt eine solche Stimmung der Völker zu, dass es seit Jahrhunderten keine Zeit gab, wo so sich mit mehr Hoffnung, dass man nicht Worte in den Wind rede, über politische Gegenstände schreiben ließ.

Das Pantheon, national Grablege und Ruhmeshalle für Frankreich. Architekt: Jaacques-Germain Soufflot. Bauzeit: 1756-1790.

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Straßburger Münster. Errichtet 1176-1439. Eines der größten Sandsteinbauten der Welt.

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William Shakespeare (1564-1616) Denkmal in der Westminster Abtey.

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Die Treckschuyde mit Delft im Hintergrunde.

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