Der Prozess ohne Gesetz.

Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute gibt, gibt es solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst wär es nicht nötig. Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und ein Stück Brot in die Tasche, und „Frau“, sagte er, „gib acht zum Haus, ich gehe jetzt in die Stadt.“ Unterwegs sagte er von Zeit zu Zeit: „Dich will ich bekommen. Mit dir will ich fertig werden“, und nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit ihm woll’ er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den Ölmüller. In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und erzählte ihm, was er für einen Streit habe mit seinem Schwager wegen einem Stück Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der Schwager aber sei von Enzberg im Württembergischen, und der Herr Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen. Der Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat gewaltige Züge voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in der Luft, der Adjunkt kann auch machen. Dabei war er aber ein aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich. „Guter Mann“, sagte er, „wenn’s so ist, wie Ihr mir da vortragt, den Prozess könnt Ihr nicht gewinnen“, und holte ihm vom Schaft das Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor. „Seht da“, schlug er ihm auf, „Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz spricht gegen Euch unverrichteter Sachen.“ Indem klopft jemand an der Türe und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack über die Schulter hängen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit ihm in die Kammer abseits. „Ich komm’ gleich wieder zu Euch.“ Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf das Gesetz stand, drückte es geschwind in die Tasche und legte das Buch wieder zusammen. Als er wieder bei dem Advokaten allein war, stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es dortzuland zum guten Vortrag gehört, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln hören oben in der Tasche. „Ihr Gnaden“, sagte er zu dem Advokaten, „ich hab’ mich unterdessen besonnen. Ich meine, ich will’s doch probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten“, und, machte ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wüsste und sagen wollte: Es kann nicht fehlen. Der Advokat sagte: „Ich habe aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt.“ Der Bauersmann schaute unwillkürlich auf den Tisch, aber er sah keinen. „Wenn Ihr’s wollt drauf ankommen lassen“, fuhr der Advokat fort, „so kommt’s mir auch nicht drauf an.“ Der Bauersmann sagte: „Es wird nicht alles gefehlt sein.“

Kurz, der Prozess wird anhängig, und der Advokat brauchte das Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig wusste wie alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte einen saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt einen Termin, und unser Bauersmann gewinnt den Prozess. Als ihm nun der Advokat den Spruch publizierte, „aber nicht wahr“, sagte der Advokat, „diesen schlechten Rechtshandel hab’ ich gut für Euch geführt?“--“Den Kuckuck hat Er“, erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene Blatt wieder aus der Tasche hervor: „Sieht Er da? Kann Er gedruckt lesen? Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen hätte, Er hätt’ den Prozess lang verloren.“ Denn er meinte wirklich, der Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das gefährliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges Gesicht und sagte: „Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller.“ Item. So können Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu verlieren hat.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 2