Der grosse Schwimmer.
Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich nach England reisen und in Dover ein Schöpplein trinken oder Zeug kaufen konnte zu einem Westlein, ging wöchentlich zweimal ein grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und wieder zurück. Denn dort ist das Meer zwischen beiden Ländern nur wenige Meilen breit. Aber man musste kommen, eh’ das Schiff abfuhr, wenn man mitfahren wollte. Dies schien ein Franzos aus Gaskonien nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spät, als man schon die Hühner eintat in Calais, und der Himmel überzog sich mit Wolken. Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt? Nein, dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwölfsousstücklein und fahre dem Postschiff nach. Denn ein kleines Boot fährt geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein. Als er aber in dem offenen Fahrzeuge sass, „wenn ich daran gedacht hätte“, sagte der Schiffsmann, „so hätt’ ich ein Spanntuch mitgenommen“; denn es fing an zu tröpfeln; aber wie? In kurzer Zeit strömte ein Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben mit dem Meer von unten sich vermählen wollte. Aber der Gaskonier dachte: „Das gibt einen Spass.“--“Gottlob!“ sagte endlich der Schiffsmann, „ich sehe das Postschiff.“ Als er nun an demselben angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Türlein hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich jeder, wo er herkomme, so spät, so allein und so nass. Denn in einem solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hört vor dem Gespräch der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor dem Getöse, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht, was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es regnete. „Ihr seht ja aus“, sagte einer, „als wenn Ihr wäret gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden.“--“So? Meint Ihr“, sagte der Gaskonier, „man könne trocken schwimmen? Wenn das noch einer erfindet, so will ich’s auch lernen, denn ich bin der Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und Bestellungen nach dem festen Lande, weil’s geschwinder geht. Aber jetzt hab’ ich etwas in England zu verrichten. Wenn’s erlaubt ist“, fuhr er fort, „so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch glücklicherweise angetroffen habe. Es kann den Sternen nach nimmer weit sein nach Dover.“--“Landsmann“, sagte einer und stiess eine Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann, sondern ein Engländer), „wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen seid durch das Meer, so seid Ihr noch über den schwarzen Schwimmer in London.“--“Ich gehe keinem aus dem Weg“, sagte der Gaskonier.-- „Wollt Ihr’s mit ihm versuchen“, erwiderte der Engländer, „wenn ich hundert Louisdor auf Euch setze?“ Der Gaskonier sagte: „Mir an!“ Reiche Engländer haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer körperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu verwetten; deswegen nahm der Engländer im Schiff den Gaskonier auf seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und Trinken, dass er bei guten Kräften bliebe. „Mylord“, sagte er in London zu einem guten Freund, „ich habe einen Schwimmer mitgebracht vom Meer. Gilt’s hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?“ Der gute Freund sagte: „Es gilt!“ Den andern Tag erschienen beide mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss, und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fünf, zehn, zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an. Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib und sagte nicht warum, als wenn’s so sein müsste. Der Mohr sagte „Wie kommt Ihr mir vor? Habt Ihr so etwas dem grossen Springer abgelernt, der Bleikugeln an die Füsse binden musste, wenn er einen Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht übersprang?“ Der Gaskonier öffnete das Kistlein und sagte: „Ich habe nur eine Flasche Wein darin, ein paar Knackwürste und ein Laiblein Brot. Ich wollte Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt. Denn ich schwimme jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn’s nach mir geht, so kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein. Aber in Cadix im Rösslein will ich morgen früh ein gutes Mittagessen bestellen, dass es fertig ist, bis Ihr nachkommt.“ Der geneigte Leser hätte kaum gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affäre herausziehen würde. Aber der Mohr verlor Hören und Sehen. „Mit diesem Enterich“, sagte er zu seinem Herrn, „kann ich nicht in die Wette schwimmen. Tut, was ihr wollt“, und kleidete sich wieder an. Also war die Wette zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Engländer, der ihn mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde von jedermann ausgelacht. Denn ob man wohl merken mochte, dass es von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann Vergnügen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier Wochen lang in allen Wirtshäusern und Bierkneipen freigehalten und bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 1