Der Herr Wunderlich.
Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregeführt, oft auch von dem Zufall. Seltener erlöst sie der Zufall wieder aus den Fangstricken des Mutwillens. Wie erging es jenem Bauersmann, der in der Stadt einem Bürger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz verkauft hatte auf dem Marktplatz? „Fahrt jetzt nur dort die Strasse hinaus“, sagte der Bürger, „bis zum Eisenladen, hernach links in die Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten Löwen wieder links. Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich.“ Und bis so weit gut. Der Bauersmann aber dachte: „Ist’s nicht noch früh am Vormittag, hab’ ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft, will ich nicht zuerst noch ein Schöpplein trinken in der Kneipe da?“ und repetierte für sich: „Eisenladen,--links--rechts--links-- Numero 428.“ Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen, stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an, als wenn er fortführe: „Drum muss man’s selber gesehen haben“, sagte er, „und bei den Russen gewesen sein, wenn man’s glauben soll, wo der Mann im mittleren Glied, ich will vom Flügelmann nicht reden, zwanzig Ellen misst, auch weniger. Jeder Finger ist eine Pistole, die Zähne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein Bollwerk, die Augen Bombenkugeln. Jedes Barthaar ist ein Bajonett, jedes Haupthaar ein Sabel. Ein solcher Sabel lässt sich auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, für in die Nähe zu fechten und in die Weite. Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus dem Haar. An den Füssen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land. Der Mann schultert seinen Achtundvierzigpfünder. Jeder hat sieben Leben. Tötet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs. Jeder Gemeine hat Majorsrang.“ Der geneigte Leser wird an diesem Müsterlein genug haben. Unserm Bauersmann aber verging Hören und Sehen, und so weit war es nicht gut. Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedächtnis heraus verschwunden, und wen er fragte: „Guter Freund, wisst Ihr mir nicht zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und so sieht er aus?“ der gab ihm keine Antwort oder eine falsche. Der eine sagte: „Am obern Tore Numero 1.“ Dort sagte ein anderer: „Nein, er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916. Glücklicherweise führte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch die Schulgasse, und einige Schüler standen vor der Türe. Die Bürschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht. „Junger Herr“, sagte er zu einem, „wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat“, und so und so. Der Schüler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: „Guter Freund, ich bin noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie (so hiess die Klasse, worin er sass). Wenn ihr aber“, sagte er, „zu dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat, wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und Norma, der schlagt’s Euch auf für zwei Schillinge.“ In der obern Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch. „Herr Magister, ich habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein Holz verkauft habe. Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen.“ Der Schulherr aber schaute diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock übereinadernahm. „Guter Freund“, wollte er sagen, „das ist wohl wunderlich von Euch, dass Ihr meint, ich könne Euch aus meinen Büchern sagen, was Euch im Kopf fehlt.“ Als er aber angefangen hatte: „Guter Freund, das ist wohl wunderlich“, fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in die Rede. „Ganz richtig“, sagte er, „es ist Herr Wunderlich. Sapperment“, sagte er, „das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich auf den ersten Schuss und ohne Buch“, und entsetzte sich jetzt noch viel mehr über die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als vorher über die fürchterlichen Soldaten in der Kneipe. Der Schulherr aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach durch ein Büblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt. Also hat dem Mann ein lächerlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 1