Baumzucht.
Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern zu dem Hausfreund. „Die Kirschen“, sagt er, „schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf dem luftigen Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schönsten --
auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.
Wir nähren uns doch alle“, sagt er, „an dem nämlichen großen Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr Vogt, der darauf reitet.
Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „singt mir einmal in Eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.“
Der lieb Gott het zum Früehlig gseit:
„Gang, deck im Würmli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Blätter treit,
viel tausig Blätter grüen und frisch.
Und's Würmli, us em Ei verwacht's,
's het gschlofen in sim Winterhus;
es streckt si und sperrt 's Müli uf
Und ribt die blöden Augen us.
Und druf, se het's mit stillem Zahn
am Blättli gnagt enanderno
und gseit: „Wie isch das Gmües so guet!
Me chunnt schier nimme weg dervo.“
Und wieder het der lieb Gott gseit:
„Deck jetz im Imli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Blüete treit,
viel tausig Blüete wiss und frisch.
Und 's Imli sieht's und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morgeschin;
Es denkt: „Das wird mi Kaffi sy,
sie hen doch chosper Porzelin.“
„Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!“
Es streckt si troche Züngli dry.
Es trinkt und seit: „Wie schmeckt's so süess,
Do muess der Zucker wolfel sy.“
Der lieb Gott het zuem Summer gseit:
„Gang, deck im Spätzli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Früchte treit,
viel tausig Chriesi rot und frisch.
Und 's Spätzli seit: „Isch das der Bricht?
Do sitzt me zue und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei
Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang.“
„Hausfreund“, sagte der Adjunkt, „hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.“
„Das geht natürlich zu,“, sagte der Hausfreund; „man hat am längsten Zeit daran zu denken.“
Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
„Rum ab! sie hen jetz alli gha!“
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
Und 's het scho chleini Rife g’ha.
Und d' Blättli werden gel und rot
und fallen eis im andere no,
und was vom Boden obsi chunnt,
muss au zuem Bode nidsi go.
Der lieb Gott het zuem Winter gseit:
„Deck weidli zui, was übrig isch.“
Druf het der Winter Flocke gstreut--
„Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder Nussbaum, lieber ein Baum.“
Der Hausfreund sagt: „Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein.“
„Das ist's eben“, sagt der Adjunkt, „so ein Baum frisst keinen Klee und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht heimgehen. Nein, sie bleiben draußen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneit sind: „Rechts-- jetzt links--jetzt noch ein wenig links über das Berglein.
„Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so müsst Ihr Eure Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig; wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens“.
„Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe“, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, „dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe leise hinab: „Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus.“
Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt.
auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.
Wir nähren uns doch alle“, sagt er, „an dem nämlichen großen Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr Vogt, der darauf reitet.
Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „singt mir einmal in Eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.“
Der lieb Gott het zum Früehlig gseit:
„Gang, deck im Würmli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Blätter treit,
viel tausig Blätter grüen und frisch.
Und's Würmli, us em Ei verwacht's,
's het gschlofen in sim Winterhus;
es streckt si und sperrt 's Müli uf
Und ribt die blöden Augen us.
Und druf, se het's mit stillem Zahn
am Blättli gnagt enanderno
und gseit: „Wie isch das Gmües so guet!
Me chunnt schier nimme weg dervo.“
Und wieder het der lieb Gott gseit:
„Deck jetz im Imli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Blüete treit,
viel tausig Blüete wiss und frisch.
Und 's Imli sieht's und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morgeschin;
Es denkt: „Das wird mi Kaffi sy,
sie hen doch chosper Porzelin.“
„Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!“
Es streckt si troche Züngli dry.
Es trinkt und seit: „Wie schmeckt's so süess,
Do muess der Zucker wolfel sy.“
Der lieb Gott het zuem Summer gseit:
„Gang, deck im Spätzli au si Tisch!“
Druf het der Chriesbaum Früchte treit,
viel tausig Chriesi rot und frisch.
Und 's Spätzli seit: „Isch das der Bricht?
Do sitzt me zue und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei
Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang.“
„Hausfreund“, sagte der Adjunkt, „hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.“
„Das geht natürlich zu,“, sagte der Hausfreund; „man hat am längsten Zeit daran zu denken.“
Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
„Rum ab! sie hen jetz alli gha!“
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
Und 's het scho chleini Rife g’ha.
Und d' Blättli werden gel und rot
und fallen eis im andere no,
und was vom Boden obsi chunnt,
muss au zuem Bode nidsi go.
Der lieb Gott het zuem Winter gseit:
„Deck weidli zui, was übrig isch.“
Druf het der Winter Flocke gstreut--
„Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder Nussbaum, lieber ein Baum.“
Der Hausfreund sagt: „Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein.“
„Das ist's eben“, sagt der Adjunkt, „so ein Baum frisst keinen Klee und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht heimgehen. Nein, sie bleiben draußen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneit sind: „Rechts-- jetzt links--jetzt noch ein wenig links über das Berglein.
„Hausfreund“, sagt der Adjunkt, „wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so müsst Ihr Eure Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig; wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens“.
„Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe“, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, „dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe leise hinab: „Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus.“
Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 1