1te - Die Sage vom Untersberg.

Von A.A.L. Follen. – Der Untersberg bei Berchtesgaden auf Bayerns und Oesterreichs Grenzscheide, gleich dem Kyffhäuser ein wahrer Königspalast der Sage. Vergl. Frater Felizian's merkwürdige Reise zum Kaiser Karl im Untersberg. Salzburg, 1787. Beschreibung vom Untersberg. Brixen, 1850. H.F. Maßmann der Untersberg. München, 1831. L. Bechstein Volkssagen Oesterr. I., 72. Grimm deutsche Myth. II., 190. L. Steub Aus dem bayerischen Hochlande, S. 161. ff. Wiederholungen der Sage in Gedichten von E.v. Schenk, J.N. Vogl, Th. Creizenach, F.G. Pocci, G. Mühl u.A.

Nun höret Wunder sagen
Vom tiefen Untersberg:
Ihn hat in Heidentagen
Gehöhlt ein wild Gezwerg;
Der Wölbung Breit' und Länge
Ist mächtig ausgespannt,
Und gehn zwölf Geistergänge
Hinauf in's deutsche Land.


Auf unterird'schen Matten
Dort athmet fremde Luft,
Wo nie getrübt sich gatten
Der Blumen Licht und Duft;
Dort stehn zwei reiche Bronnen
In Marmel wohlgethan,
Die treiben recht mit Wonnen
Thausprudel himmelan.

Zur Rechten draus und Linken
In tiefem Wiesengrün
Die Blumen sieht man trinken
Und mannigfach erblühn:
Bis beide Flüss' im Strome
Zum Marmelbecken gehn,
Und vor dem goldnen Dome
Als Silberspiegel stehn.

Dem Dom genüber spiegelt
Vier Riesen diese Fluth,
Die Arme sind versiegelt,
Ihr Stolz gelähmte Wuth;
Es ruht ihr demantsteinern
Arm-, Brust- und Nackenband
In eines viermal kleinern
Gekrönten Helden Hand.

Dringt unsre Sonne nimmer
In's unterird'sche Haus,
Doch geht ein Heil'genschimmer
Von Domes Kuppel aus;
Empor zwei Thürme schießen
Von buntem Edelstein,
Und ihre Blumen sprießen
Und sonnen sich im Schein.

Zwei Säulenbündel tragen
Die Heil'gen ob dem Thor,
Und stehn in's Kreuz geschlagen
Zwei Kreuzesschwerter vor;
Das ein' ist diamanten,
Das ander' ist Rubin,
Smaragd- und Saphirkanten
Die Griff' und Knäuf' umziehn.

Hoch donnernd und ergötzlich
Das Domgeläut' erschallt,
Und schafft lebendig plötzlich
Den Palm- und Eichenwald;
Dann ziehn viel reine Pfaffen
Voll Eifer nach dem Dom,
Und Volk in hellen Waffen,
Ein wogenvoller Strom.

Zweifach den Bart gespreitet
Auf goldnes Brustgewand,
Voran mit Krone schreitet
Ein Held, den Stab in Hand:
Das sind die Streiter Christes
Und die vom deutschen Reich,
Und Karl der Kaiser ist es,
Ein Hirt und Held zugleich.

Im Klang geweihter Harfen,
Im Waffenblitz und Licht,
Geht Karl mit einem scharfen,
Tiefsinnigen Gesicht;
In all' dem Volk wie einsam:
Ein heilig Herrscherbild,
Und doch so treu gemeinsam,
Mit Allen traut und mild.

Wie lang' die deutschen Helden
Dort unten halten Wacht:
Das muß die Zukunft melden
Und steht bei Gottes Macht;
Imgleichen was sie singen,
Und segnen leis und laut,
Ist von verborgnen Dingen
Und Gottes Herz vertraut.

Auch dämmert in der Nische
Dort Kaiser Friederich.
An einem Marmeltische
Bezaubert hält er sich;
Doch wann den Tisch zum dritten
Sein Funkelbart umreicht,
Dann kommt er vorgeschritten
Und Bann und Zauber weicht.

Dann fängt im Walserfelde
Der Baum zu grünen an, –
Und das ist sichre Melde:
„Bald wird die Schlacht gethan!“
Und wird er Früchte tragen
Am strotzenden Geäst:
„Dann wird die Schlacht geschlagen,
Dann kommt das Erntefest.“

Dann hebt es an zu raunen
Im Volk von Land zu Land,
Dann blasen Heerposaunen
Die Welt in Waffenbrand,
Drängt Alles zum erdorrten,
Ergrünten Baume schon:
Aus Unterberges Pforten
Steigt Karl zum hohen Thron.

Dann soll'n die Guten richten
Die Bösen allzumal,
Zerschlagen und zernichten
Bei Wals im Rachethal.
Dann strahlt in hehrem Feiern
Vom Baum der Welfenschild,
Und Keiner kann entschleiern
Den Geist von diesem Bild.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagenbuch der Bayerischen Lande. Band 1