4tens - Darstellung der Sagen.

Wie schon angedeutet, enthält dieses Sagenbuch keine romantisch umgekleideten Sagen nach Art der Märchen von Benedikte Naubert, Tiek, Fouqué und Anderen. Das Erste und Heiligste war mir Treue und Wahrheit. Ich habe mit Sorgfalt und Mühe der Ursprünglichkeit und Echtheit vieler Sagen nachgestrebt und Verdächtiges ferngehalten. Aus solcher Rücksicht auf Treue geschah es, daß in den meisten Fällen die Sagen mitgetheilt wurden, wie sie gegeben waren, mit der eigenen Ausdrucks- ja Schreibweise der Erzähler, wo diese nicht allzugrell von der üblichen abwich. Es schien auch tadelhafter, Alles über Einen Leisten geschlagen, als stylistisches Mosaik geliefert zu haben. Zuweilen ist die schlichte, einfältige, kindliche Sprache der alten Zeitbücher beibehalten worden; zuweilen hat sich die Mundart vernehmen lassen, ich hoffe nur zum Vortheil der Sage, deren heimischer und örtlicher Charakter dadurch bestimmter und lebendiger hervortritt. Die Bedeutung der Mundart für Sprachgeschichte und Sprachcultur und demnach für jedes Buch, das als Lesebuch für's Volk hinausgeht, ist nunmehr allgemein anerkannt, auch haben Grimm in den Kinder- und Hausmärchen, Vonbun in den Vorarlberger, Bechstein in den Fränkischen, Herrlein in den Spessartsagen u.A. bereits Proben mundartlicher Erzählung geliefert. Mehr als diese bedarf die Aufnahme von Sagen aus dem Munde der Dichter der Rechtfertigung. Ich weiß, was die streng wissenschaftlichen Herrn davon halten. Sie betrachten die Dichter der Sagen wie Tempelräuber und ihre Poesie wie Versündigung an der Wahrheit. Daher wissen sie nichts Besseres zu thun, als poetisch eingekleidete Sagen, wo sie sich vorfinden, in die nackende Prosa aufzulösen. Auch hier ist gefehlt worden außer und inner der Mauern. Es ist wahr, daß die Dichter der Gegenwart nicht selten die Sage verfälscht, ihrer wesentlichen Grundzüge beraubt und willkürlich auf einen fremden Boden übertragen haben; allein es ist Unrecht, auf diese Anschuldigung ein Vorurtheil zu Ungunsten der Dichter überhaupt zu gründen. Viele von ihnen haben die der Sage schuldige Treue so gut gewahrt, als die prosaischen Erzähler. Wem ist es unbekannt, wie unsere besten und edelsten Dichter, die Arnim, Brentano, Chamisso, Ebert, Geibel, Göthe, Kerner, Platen, Rückert, Schlegel, Schiller, Schwab und hundert Andere, Sagen der Vorzeit in herrlichen Liedern erneuet und dem Volke gleichsam wieder gegeben haben? Und daß diese Klänge aus dem Munde der Dichter von dem Volke mit Lust vernommen werden, beweisen wiederholte Sammlungen derselben von August Nodnagel, J. Günther, Karl Simrock u.A., obwohl ich die Einseitigkeit solcher Bücher nicht verkenne, weil weder alle Sagen sich von Dichtern leidlich bearbeitet finden, noch alle zur poetischen Behandlung tauglich erscheinen. – Unter den von mir aufgenommenen Gedichten befinden sich auch historische Volkslieder älterer Zeit. Die bekannten Sammlungen von Büsching, Görres, Arnim und Brentano, Hormayr, Soltau, Erlach, Wolff, Körner, Uhland u.A. enthalten noch mehrere, als die hier mitgetheilten; allein die Trockenheit und Ausgesponnenheit vieler Stücke dieser Art machten eine Beschränkung der Auswahl wünschenswerth10). –

Was den poetischen Werth der aufgenommenen Stücke angeht, so werden die Kenner dieser Literatur finden, daß ich viele mittelmäßige Sagengedichte oder wiederholte Bearbeitungen eines und desselben Stoffes ausgeschlossen habe. Wenige minder gelungene Gedichte sind um ihres strofflichen Werthes willen eingereiht worden. Die vaterländische Schule wird vieles für ihre Zwecke, namentlich deutschen Unterricht, Dienliches in dieser Sammlung finden; wenigstens ist es Zeit, Stoffe für Muttersprachübungen mehr im Bereiche der Heimat als in Hindostan und China, in Lappland und Sibirien zu suchen. Dabei will ich mich aber ausdrücklich gegen die Zumutung verwahren, als ob dieses Buch unmittelbar für die Jugend bestimmt sei.





10) Vgl. eine Bemerkung von K. Gödeke Elf Bücher deutscher Dichtung I.S. 259. – Meinem Zwecke widersprach es nicht, ältere Volkslieder auch nach der Erneuerung des Wunderhorns aufzunehmen, da diese Sammlung kein Liedercodex zu sein beansprucht, dessen erstes Erforderniß diplomatische Treue.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagenbuch der Bayerischen Lande. Band 1