2tens - Literatur und Quellen bayerischer Sagenkunde.

Die Bedeutung der Volkssagen neuerdings zum Bewußtsein geführt zu haben, muß als gemeinsames Verdienst der Romantiker und der Germanisten bezeichnet werden. Man hatte vordem alle diese Dinge, welche das gutmütige Volk als Sagen, Märchen und Legenden im Munde führte, von Seite der kritischen Meister als eitel Lug und Trug, Aberglauben und Fabelwerk gebrandmarkt. Wenn Geschichtsforscher des vorigen Jahrhunderts, wie der ehrliche J.H.v. Falkenstein, dergleichen Lappalien ja noch der Aufzeichnung werth hielten, so geschah es nur mehr, um den Lesern hie und da einen Spaß zu machen, nicht ohne männigliche Verwahrung von wegen anzumutender Leichtgläubigkeit. Ein späteres Geschlecht – jener Periode, da man mit dem Aberglauben zugleich den Glauben austrieb – hielt solcherlei Dinge nicht mehr der Rede werth. Das hat ein Halberstädtischer Bauer gar treffend gesagt: „Der alte Fritz hat die Zwerge verjagt, aber Napoleon hat allen Spuk aus dem Lande vertrieben“2). Gerade um diese Zeit des Napoleon erfuhr die deutsche Literatur einen raschen und seltsamen Umschwung durch die Romantiker. An die Stelle der französischen Verstandeseinseitigkeit trat eine bis an Fieberhitze grenzende Gefühlsinnigkeit. Nun ward das Mittelalter und mit ihm das alte romantische Land der Märchen und Sagen betreten. Dichter, Sprach- und Geschichtforscher wanderten gemeinsam dahin und brachten Vieles, was vordem der Verachtung Preis war, in der Wissenschaft wie beim Volke zu Ehren. Von diesem Zeitpunkte schreibt sich ein eifriges Streben, jene einfältigen, von Poesie durchhauchten, Klänge der Sage aus dem Munde des Volkes zu erlauschen und für Zwecke der Forschung wie der Unterhaltung zusammen zu bringen. Die Dichter fanden nämlich, daß in diesen verachteten Kleinigkeiten ein reichhaltiger Fond urfrischer Begeisterung verschlossen liege. Den Mythenforschern ging eine neue Welt auf: man denke nur an Grimm's Mythologie. Die Geschichtschreiber bemerkten, wie die Sage oft wunderbaren Beleg für anderweitig Erkanntes oder Fingerzeige und Wege zu erfolgreicher Weiterforschung, oder Einblicke in den Geist der Zeiten gewähre. Als nun die beiden Grimm nach unbedeutenden Vorgängern den ersten Versuch machten, die deutschen Sagen mit Ausnahme der größeren Heldensagen in einer dem Volke mundgerechten Sammlung an's Licht zu stellen, war der Anstoß zu einer ganzen Literatur gegeben; denn nun setzten sich allerorts in Deutschland die literarischen Bergleute in Bewegung, stiegen nieder in Gruben und Schachte, in Grüfte und Klüfte, zu den Zwergen und Wichtlein, den Kobolden und Elfen, und förderten das edle Metall der Sage klumpenweise zu Tage. Es wurde gesammelt in allen Gegenden Deutschlands, mit mehr oder weniger Treue, mit mehr oder weniger Vollständigkeit. Heutzutage ist diese Literatur dergestalt angewachsen, daß eine bibliographisch-kritische Ueberschau zu wünschen wäre. Vielleicht liefert sie A. Nodnagel in Darmstadt, der sich seit Jahren mit einer deutschen Sagenkunde beschäftigt. Mir, der ich zunächst Bayern vor Augen habe, kann es nur gestattet sein, die das bayrische Sagengebiet berührenden neueren Schriften namhaft zu machen.

Der Erste, welcher um jene Zeit der wiedererwachenden Studien des germanischen Mittelalters zu einer Sammlung der Sagen von Bayern aufforderte, ist Radlof gewesen. Sein Aufruf scheint indessen, gleichwie ein solcher von Docen, überhört worden zu sein3). Eine dritte Mahnung erging aus dem Munde eines Ungenannten in den Bayrischen Annalen 1833. Auch diese Aufforderung scheint wie die früheren keine sichtbaren Früchte getragen zu haben. Warum? Ich deute das so. Einmal bietet das Volk selbst, in welchem die Sage lebt, die größten Hindernisse der Erforschung, denn es verhält sich dem Gebildeten und Fremden gegenüber scheu und schweigsam in Mittheilung seiner Spinnstubengeheimnisse, aus begründeter Furcht, von den „studierten Herren“ des Aberglaubens willen verspottet oder verlacht zu werden. So sagen- und märchenreich die Spinnstube ist: in dem Augenblicke, wo ein Studierter eintritt, verstummt sie. Zum Andern scheint der Gewinn aus Mittheilung noch unbekannter lebender Sagen zu hoch angeschlagen worden zu sein. Ein großer Theil der Sagen findet sich in Zeit- und Reisebüchern, Landes-und Ortsbeschreibungen, belletristischen, Unterhaltungs- und andern Blättern bereits aufgezeichnet, so daß es nicht sowohl einer Reise durch das Land, als durch die Literatur des Landes bedarf, um eine sehr große Anzahl jener Sagen kennen zu lernen. So fand ich viele Sagen, welche mir als neue und unbekannte warm aus dem Volksmunde mitgetheilt wurden, bereits in Schriftquellen aufgezeichnet; daher ich vermute, daß die Herausgabe einer bayerischen Sagensammlung auch darum hinausgeschoben wurde, weil man zuviel von Originalmittheilungen erwartete und immer vergebens wartete. Es soll damit nicht im Geringsten verkannt werden, welcher Schatz von Sagen noch aus dem Volke zu erheben sei; man will nur andeuten, auf welchem Wege wenigstens ein Anfang gemacht werden konnte. Denn es war eine schöne und verdienstliche Arbeit, wenn man einstweilen die geschichtlichen Sagen des Landes gesammelt hätte. Die Gebrüder Grimm hatten ein Beispiel gegeben. Unter 951 von ihnen gesammelten Sagen find schwerlich dreißig nicht aus Schriftquellen geschöpfte. Deßgleichen – um etliche Beispiele zu bringen – sind die märkischen Sagen von A. Kuhn, die preußischen von Tettau und Temme, die deutschen von J.W. Wolf beinahe ausschließlich aus Schriftquellen gesammelt.


Den Vorwurf, welcher überhaupt wegen der Aufnahme von Sagen aus Chroniken gemacht werden könnte, hat bereits Temme (die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840 S. VIII.) zurückgewiesen. Nicht der Chronikschreiber hat die Sage erfunden und gemacht; sie existirte vielmehr im Volke, der Chronikschreiber fand sie schon vor und theilte sie nur weiter mit. „Es ist hiernach also die Aufnahme der Sage in die Chroniken gerade ein Beweis für ihre Echtheit als Sage; denn das Volk hatte sie sich so ganz und gar zu eigen gemacht, daß selbst der gelehrte Chronikant sie gläubig, als Wahrheit mittheilte. Rührte aber auch die Sage wirklich von dem Chronikanten als dessen Erfindung her, so würde sie auch hierdurch nichts von ihrem Charakter verlieren. Denn auch die echteste Volkssage ist, sofern sie nicht einen geschichtlichen Boden hat, zuerst von Einem, gläubig oder ungläubig, aufgenommen und weiter erzählt, und so zur Sage geworden. Ob dieses ursprüngliche Erzählen von Einem aus dem Volke oder von einem Chronisten ausgegangen ist, bleibt gleichgültig, denn die Sage ist nur dadurch geworden, daß das Volk sie in sich aufnahm, sie als einen denkwürdigen Theil seines Lebens betrachtete, als solchen sie zu seinem Eigenthum machte und sie weiter erzählte. Auch das läßt dieser Gattung der Volkssagen sich nicht zum Vorwurfe machen, daß sie nicht mehr im Volke leben, sondern nur noch in den todten Büchern stehen. Es genügt, daß sie einmal als Sage des Volks wirklich gelebt haben.“

Haben wir nun seit den Aufrufen von Radlof und Docen auf eine das Königreich Bayern umfassende Sagensammlung vergebens gewartet, so ist dagegen für einzelne Gebiete und Oertlichkeiten mitunter Erhebliches geschehen. Einer der ersten Versuche dieser Art waren die Sagen und Legenden der Bayern in einer Reihenfolge von Romanzen und Balladen. Von Adalbert Müller und Franz X. Müller. Regensburg 1833. Die wenigen (27) hier mitgetheilten Sagen sind poetisch behandelt und gehören nur der Oberpfalz, Ober- und Niederbayern an. Auf Quellen wird nicht verwiesen. Uebrigens sind die Herausgeber treue Erzähler und begabte Dichter, leider – was Süddeutschen oft widerfährt –4) nicht der verdienten Beachtung gewürdigt. – Ein neuer Versuch wurde in den Geschichten, Sagen und Legenden des Bayerlandes von B. Mertel und G. Winter gemacht. Die Herausgeber dieser seit 1845 zu Nürnberg ohne Verlagsangabe in vier Bändchen erschienenen Sammlung haben die Sagen keineswegs in ihrer Einfachheit und Treue belassen, sondern auf unverantwortliche Weise umgestaltet, erweitert, in Erzählungen und Novellen verwandelt. Das Gleiche geschah in einem früheren Buche: Bayerische Volkssagen von H. Willing. Nürnberg 1826. 2 Bdchen., worin von „Volkssagen“ in der That keine Spur zu finden. Dieser Art sind manche der schönsten und gehaltvollsten Sagen von unverständigen Schreibern für Unterhaltungsblätter bearbeitet, zugestutzt, entstellt und vernichtet worden. –

Nach solchen Verirrungen mußte F. Panzer's Beitrag zur deutschen Mythologie. München 1848. allen Freunden vaterländischer Sagenkunde willkommen sein. Der Verfasser hat sich indessen nur das Feld der mythischen Sage und auch da wieder die Sage von den drei Schwestern zur besonderen Aufgabe gesetzt, so daß seine Schrift nicht als Sagensammlung von Bayern, sondern als eine Monographie zur deutschen Sage, geschöpft aus bayerischen Quellen, zu gelten hat. – Außerdem ist mir kein Buch bekannt geworden, das sich mit dem Sagengebiete von ganz Bayern beschäftigte. Unter den Monographieen stehen die unterfränkischen von Ludwig Bechstein (die Sagen des Rhöngebirges und des Grabfeldes, Würzburg 1842) und Adalbert von Herrlein (die Sagen des Spessarts, Aschaffenburg 1851) oben an. Beide Schriften enthalten zwar Vieles eher der Geschichte als der Sage Angehöriges, Bechsteins Sammlung außerdem eine große Anzahl außer Bayern fallender, Thüringischer Sagen; jedoch haben beide das Verdienst, die Sagen treu und volkstümlich erzählt zu haben, so daß ich nur wünschen wollte, es möchten sich alle Gauen des Vaterlandes so vollständiger Monographieen als die Rhön und der Spessart zu erfreuen haben. Quellen sind in beiden Schriften leider nicht verzeichnet.

Ein sogenannter Sagenschatz von Oberfranken von Bernhard Görwitz, Bayreuth 1846, aus vier sehr mageren Heftchen bestehend, enthält außer wenigen, theilweise entstellten und verblümten Sagen, noch Geschichten, Novellen, Reiseschilderungen, Humoristika5).

Sagen der Pfalz in Gedichten sind erschienen von Fr. Baader, L. Mooris und Fr. Otte, Stuttgart 1842. Die Mehrzahl dieser Gedichte haben außer poetischem Werthe das Verdienst, den Kern und das Wesen der Sage treuer gewahrt zu haben, als die sogenannten Sagen von Mertel, Winter, Willing u.A., von welchen ich für meine Sammlung fast gar keinen Gebrauch machen konnte.

Bamberger Legenden und Sagen von Dr. A. Haupt, Bamberg 1842, lassen als Gedichte Manches zu wünschen übrig; deßgleichen die von Dr. Th. Mörtl fleißig gesammelten Bilder aus dem Bayerwalde. Straubing 1848, und Lieder und Sagen. Straubing 1846.

Dieser Art sind auch die Augsburgischen Sagen in der Augusta von F. Oldenburg. Augsburg 1846. Gelungener nenne ich G. Neumanns Erinnerungen an die fränkische Schweiz. Nürnberg 1842.

Eine gute Anzahl Sagen der Oberpfalz und Nachbarschaft enthalten die Gedichte in altbayrischer Mundart von J.A. Pangkofer. 2 Bände. München, Kaiser. 1846. Die schlichte und naive Weise der Mundart, welche der Verfasser vortrefflich handhabt, ist auch den Sagen gut zu Statten gekommen. – Ein Regensburger Sagenbuch desselben ist nur unter Freunden des Verfassers bekannt geworden. Nächst diesen von Dichtern gelieferten Beiträgen zur bayerischen Sagenkunde sind etliche Monographieen in Prosa zu nennen.

Ein Schriftchen über die Sagen vom Untersberg von Dr. H.F. Maßmann, München 1831 hat meines Wissens keine Fortsetzung erfahren. Dafür hat L. Steub in seinen Skizzen: Aus dem bayerischen Hochlande, München 1850, Nachbarsagen des Untersbergs treu und volkstümlich mitgetheilt. Das Gleiche ist zu rühmen von der Schrift: Alterthümer, Inschriften und Volkssagen der Stadt Rotenburg von H.W. Bensen, Ansbach 1841; nur Schade, daß der Verfasser keine Quellennachweise liefert. –

Sagen schwäbischer Städte hat ein Ungenannter ( L. Mittermaier) treu und fleißig gesammelt: Sagenbuch der Städte Gundelfingen, Lauingen, Dillingen, Höchstädt und Donauwörth. Augsburg 1849 und Sagen- und Geschichtbuch von Burgau, Günzburg, Gundelfingen, Dillingen und Wertingen, 1851 ohne Druckort und Verleger6).

Das ist nun meines Wissens Alles, was seit Grimms Anfängen deutscher Sagenforschung in besonderen Schriften für bayerische Sagenkunde geschehen. Kleinere Beiträge finden sich zerstreut in einer Masse der verschiedenartigsten Schriften, geschichtlichen, topographischen, belletristischen Inhalts, dann in Landes-, Provincial- und Lokalblättern: eine sehr bunte und bändereiche Literatur, deren Beschreibung hierorts erläßlich ist, weil die Quellen vor jeder Sage verzeichnet stehen. Dabei habe ich nutzlosen Citatenprunk absichtlich gemieden. Oft hätten sich die genannten Schriftquellen um eine stattliche Zahl von Namen vermehren lassen, allein es kam mir mehr darauf an, das Vorkommen einer Sage zu erweisen, als ihre Literaturgeschichte zu liefern. Ein Buch wie Maßmanns Schriftchen über die Untersbergssagen mag einen Gelehrten erbauen; für das Volk, d.h. die Gebildeten unter dem Volke ist es umsonst geschrieben. Dennoch glaube ich, die Ansprüche derjenigen, welchen Sagenerforschung nur für wissenschaftliche Zwecke Werth hat, im Ganzen befriedigt zu haben. Kenner werden noch manche Quellennachweise vermissen: indessen erwäge man, was es heiße, nur die Literatur einer einzigen Stadt, z. B. Nürnbergs, geschweige denn die Literatur von Bayern, Schwaben, Franken und Pfalz bis in's Einzelnste kennen zu lernen.




2) A. Kuhn und W. Schwatz Norddeutsche Sagen etc. S. XVIII. Ebendaselbst liest man, wie die Gensdarmen „dem Aberglauben“ zu Leib gegangen.

3) K. bayr. Intelligenzblatt von 1814, S. 30. – Aus Docens Aufrufe geht hervor, daß er nicht sowohl die Ortssagen, als die geschichtlichen Heldensagen vor Augen hatte, indem er folgende, als von ihm bereits bearbeitete Sagen namhaft macht: die Anklänge bayrischer Heldensage im Nibelungenlied, die Sagen von Adelger, Amelger, Wolfrat von Tengelingen, Theudelinge (nach Füterer), Karl d.G., Herzog Naymes und Ernst von Bayern.

4) Nicht ohne Schuld ihrer süddeutschen Brüder.

5) Daß ich diesem Buch nicht unrecht thue, kann Ein Beispiel statt vieler zeigen. S. 55 wird eine Sage auf die Losburg verlegt, welche nicht dem Fichtelgebirge, sondern Schlesien angehört, wie zu ersehen in Henelii ab Hennenfeld Silesiographia renov. c. 11 §. 13 und Ausführl. Beschreib. des Fichtelbergs, Leipzig 1716 S. 59.

6) Zu beziehen von Kollmann in Augsburg.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagenbuch der Bayerischen Lande. Band 1