Moritz Bermann - Gevatter Tod.

Im Städtchen Deggendorf im Kreise Straubing in Bayern lebte im Jahre 1478 ein armer Weber. Bereits viele Jahre war derselbe verheiratet gewesen, und elf Kinder schrien täglich um Brot, welches die bitterste Armut kaum zu geben vermochte. Jetzt stand gar ein zwölftes zu erwarten, dessen Ankunft mit großer Bangigkeit entgegengesehen wurde. Als es das Licht der Welt erblickte, quälte die Eltern nebst allen andern Sorgen auch noch der Gedanke, daß sie keinen Gevatter für das Kind hätten. Alle wohlhabenden Nachbarn des Städtchens und der Umgebung waren bereits für die früheren Sprößlinge angegangen worden, wo sollte man für den neuen Ankömmling, ein hübsches Knäblein, einen Paten hernehmen?

Dem Weber fiel ein, daß in einem benachbarten Orte ein Freund wohne, der reich genug sei, diese Stelle zu vertreten. Mit frischem Mute machte er sich auf den Weg. Vergebliche Hoffnung! Der reiche Freund schlug mit dürren Worten und spöttischem Lachen über den unwillkommenen Segen diesen Liebesdienst ab. Mit hoffnungsvoller Erwartung hatte der arme Vater den Weg angetreten, mit trostloser Verzweiflung machte er sich auf zur Heimkehr. Was für eine Zukunft hatte er zu erwarten? Der Weg führte ihn durch einen kleinen Wald, in dessen Dunkel er seinen Klagen Luft machte. Sein Leben hielt er für eine unerträgliche Last, und er rief flehentlich nach dem Tode, damit derselbe ihn von seinem Leid erlöse.


Da tippte ihm jemand auf die Achsel. Der Weber sah sich um und bemerkte einen ungewöhnlich langen, hageren, ganz in Grau gekleideten Mann, dessen Gesicht von erschreckend fahler Farbe war. Er trug einen langen Überrock, und seine Knochengestalt zeigte ein Bild wie des leibhaftigen Todes. Es war auch wirklich »Freund Hein«. Wie konnte der Weber ihn verkennen! Todesangst beschlich ihn, und ermattet fiel er zur Erde.

»Was fehlt dir, daß du mich so inbrünstig gerufen hast?« begann der Tod das Gespräch. »Ich liebe für gewöhnlich die Leute nicht, die so flehentlich nach mir verlangen; mir ist es größere Lust, unerwartet gerade diejenigen zu küssen, denen es vor meiner Umarmung graut, allenfalls eine Braut, den Jüngling, den schwelgenden Prasser! Da genieße ich mit Freuden, wie kaum Freund Satan in seinem Glutofen! Du hast mich daher ganz vergebens gerufen!«

»Vielleicht doch nicht,« antwortete der Weber und erhob sich, vom Schrecken sich erholend. »Da du nun schon einmal da bist, könntest du mir einen Dienst erweisen, den mir die harten Menschen verweigern. Ich brauche einen Gevatter für mein eben angekommenes Knäblein, und ich muß aufrichtig sagen, einen mächtigeren Herrscher als dich könnte sich der arme Weber hierzu nicht erbitten.« »Ei, wahrhaftig, solch ein Antrag ist mir noch nie gemacht worden,« erwiderte der Tod. »Dein Zutrauen überrascht und freut mich; es sei, wie du wünschest; ich will bei deinem Kinder Gevatter stehen!«

Der Weber unterrichtete den Tod über den Ort und die Zeit der Taufe, und Freund Hein versprach, pünktlich zu erscheinen. Freundschaftlich schieden beide voneinander.

Fröhlichen Herzens setzte der Weber seinen Heimweg fort. Als er zu Hause ankam, suchte er seinem Weibe vorsichtig die Nachricht von dem sonderbaren Gevatter beizubringen. Statt zu erschrecken, ärgerte sie sich bloß über die Ungefälligkeit so vieler guter Freunde und wunderte sich über die Bereitwilligkeit des gefürchteten Menschenwürgers.

Die Taufe fand bald darauf statt. Die Verwandten waren versammelt, feierlich erschien der sonderbare graue Herr Gevatter und wurde von den Anwesenden, obwohl sie nicht wußten, mit wem sie es zu tun hatten, mit nicht geringem Schauer betrachtet. Da er aber freundlich mit allen sprach und sich ganz ruhig und ehrbar benahm, so verlor sich diese Empfindung. Als nach geschehener Taufhandlung das Kind in den Händen der Verwandtschaft herumging und die üblichen Küsse empfing, kam auch die Reihe an den Herrn Gevatter. Er warf einen fragenden Blick auf die Mutter, und als diese mit tränenden Augen bittend die Hände faltete, begnügte er sich, den kleinen Weltbürger auf die Wange zu tätscheln und ihm zum Ärgernis der ganzen Sippschaft den Kuß der Weihe zu versagen. Die guten Leute wußten freilich nicht, daß damit dem Kinde das Leben erhalten worden sei, denn wo der Tod hinküßt, blüht kein Leben mehr.

Als sich alle entfernt hatten, rief der Tod den Weber an einen einsamen Ort und sagte zu ihm: »Mein lieber Freund, du bist in dem Glauben befangen, von einem so mächtigen Gevatter ein kostbares Patengeschenk zu empfangen; du hast dich getäuscht, denn ich besitze weder Gold noch Silber. Dein braves Weib hat echt mütterlich um Schonung für das Leben eures zwölften Kindes gebeten, dessen sie sich durch mich leicht hätte entledigen können, wenn sie gewollt hätte. Zum Lohne dafür will ich dir mit dem, was ich besitze, ein Geschenk machen; und wenn das elende Metall euch glücklich machen kann, so wirst du es dadurch in Fülle erwerben. Merke also wohl auf, was ich dir jetzt entdecke. Gott hat mich zum Vollstrecker seines Willens über Leben und Tod aller Menschen eingesetzt. Bei jedem Kranken bin ich zugegen; ist es bestimmt, ihm das Leben zu erhalten, so sitze ich – unsichtbar für jedermann – am Bette zu seinen Füßen, muß er sterben, sitze ich oben an seinem Kopfe. Dir, Gevatter, verleihe ich nun als Patengeschenk die Gabe, mich am Bette eines Kranken, zu dem du eintrittst, erblicken zu können. Mach' guten Gebrauch von diesem Geheimnis und vergiß im Glücke nicht die Redlichkeit und Tugend, die bisher streng von dir geübt wurden.«

Mit stummem Handgruß entfernte sich der Mächtige.

Der Weber war erfahren genug, um einzusehen, daß das Geschenk des Paten mehr Wert habe als Kisten voll Goldes, und er beschloß, mit dem Gebrauche desselben nicht zu zögern. Als Probe begab er sich sogleich zu einem reichen Gutsbesitzer in der Nähe, der, wie er wußte, schwer krank daniederlag. Er ließ sich bei ihm als Arzt melden. Gleich beim Eintritt ins Krankenzimmer sah er den Tod zu Füßen des Kranken. Die Familie umgab weinend das Krankenbett; denn die gelehrten Doktoren hatten alle Hoffnung aufgegeben. Kühn trat der Weber hinzu, fühlte den Puls und erklärte mit ruhiger Sicherheit in einfachen Worten, daß er durch seine Mittel den Kranken herstellen werde. Er eilte nach Hause, las einige Mittel aus einem alten Rezeptbuche aus und wählte das unschädlichste, welches er dem Kranken eingab. Bald war derselbe genesen, und eine von Gold strotzende Börse bildete den Lohn für seine Hilfe. Zu einem andern Kranken gerufen, dem die Ärzte alle Hoffnung auf Besserung gegeben, sah er leider seinen Gevatter am Kopfe des Bettes; er erklärte die Doktoren für Leute, die nichts verstünden, denn der Kranke sei nicht zu retten. Richtig starb er noch dieselbe Nacht. Nun war sein Ruf als Wunderdoktor gesichert. Er machte noch ähnliche Kuren in der Umgegend und wurde ein vermögender Mann. Seine durchaus unschuldigen Rezepte wurden wie Heiligtümer aufbewahrt, und weit und breit wurde sein Name berühmt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen