Moritz Bermann - Der Volkssänger Augustin in der Pestgrube.

»Ei du lieber Augustin,
Geld ist hin, all's ist hin!«

Wer von euch kennt nicht dies volkstümlichste aller Wiener Lieder? Ihr wißt aber nicht, von wem es stammt: der Verfasser und Komponist desselben ist der erste Volkssänger, den Wien aufzuweisen hat, der lustige Augustin.


Leider ist über die Geburt und Abstammung dieses Mannes nichts zu erfahren, nur in einer späteren Chronik wird berichtet, daß er als Sohn einer Gastwirtsfamilie im Jahre 1643 zu Wien geboren worden sei, und sein Humor würde allerdings für die Richtigkeit dieser Angabe sprechen.

Max Augustin lebte in größter Armut; dies hinderte ihn aber nicht, die köstlichste Laune von der Welt zu entfalten und – zum Nichtstun geneigt – es vorzuziehen, viel eher das Geschäft eines wandernden Musikanten zu ergreifen, als durch Arbeit sein Brot zu verdienen.

Die einzige Beschäftigung Augustins bestand darin, mit einem Dudelsack versehen abends in den Wirtshäusern umherzugehen und da, wie in späteren Zeiten die sogenannten Volkssänger, den von ihren Beschwerden sich erholenden Bürgern Späße vorzumachen und Lieder vorzusingen. Dieses Amt verstand er ganz vorzüglich. Ein wenn auch komisches Überbleibsel der alten Reimchronisten und Meistersänger, richtete er sein Augenmerk besonders auf die Begebenheiten und Erlebnisse seiner Zeit, die er, von seinem trefflichen Gedächtnisse unterstützt, in Reime brachte, eine volkstümliche Weise dazu komponierte und sie so dem Publikum vortrug.

Augustin, der erste Volkssänger in der vollen Bedeutung des Wortes, wurde bald weit und breit gesucht, und bei seinen Liedern ging es gar stürmisch zu; denn die von Zuhörern überfüllten Stuben konnten nicht alle sich herandrängenden Gäste fassen. Er spielte nicht an einem Orte allein, sondern trieb seine Possen jeden Tag in einem andern Wirtshaus. Diese, soweit sie urkundlich ausfindig gemacht werden konnten, waren einige gewöhnliche Bierschenken im »Kroatendörfel« (später Sankt Ulrich) und im »Schöff« (heute Mariahilf), dann beim »roten Hahn« auf der Landstraße, im »gulden Kapaunen« auf der Wieden, im »gulden Lampel« in der Leopoldstadt, »bei den drei Hasen« in der Kärtnerstraße, beim »Klepperer« am Kohlmarkt, zum »gelben Adler« im Auwinkel (heute Postgasse), besonders jedoch in der Bierschenke »zum roten Dachel«, beim Eingang des Hafnersteigs vom alten Fleischmarkt (später das Gasthaus zum »goldenen Engel«, welches heute nicht mehr besteht).

Herr Konrad Ulrich Puffan, Besitzer der letztgenannten Schenke, wußte ihn durch kluge Schmeicheleien und zeitweise auch durch Zechfreiheit derart für sich zu gewinnen, daß er wöchentlich zweimal – Donnerstag und Sonntag – bei ihm musizierte. Die Freigebigkeit des Wirtes hatte aber großen Einfluß auf Augustins frohe Laune, und er tat meist des Guten so viel, daß er nur durch die bereitwillige Hilfe einiger Begleiter in seine Wohnung, ein Dachkämmerchen in der Hahngasse auf der Landstraße, gebracht werden konnte. So ging es Tag für Tag; bald jedoch sollte ihn diese Lebensweise in eine schreckliche Gefahr bringen.

Das verhängnisvolle Jahr 1679 war gekommen, es brach in Wien die Pest aus. Wer nur irgend konnte, verließ die Stadt, Reiche und Arme, Hohe und Niedere. Innerhalb dreier Monate fielen dieser gräßlichen Seuche Tausende von Menschen zum Opfer. Die ganze Stadt glich, wie der bekannte Kanzelredner Pater Abraham a Santa Clara sagt, einem Klagehause oder Gottesacker. Wer hätte da an eine Schenke denken sollen?

Diejenigen, welche Lust und Mut zu Saus und Braus hatten, fanden keinen Gefallen an Augustins Liedern und Späßen, welche, des strengen Verbotes gegen alle Lustbarkeit halber, ohnedies nur verstohlen gesungen werden konnten; er selbst, durch sein stark vermindertes Einkommen unwillig gemacht, zeigte sich zuweilen mürrisch und eigensinnig, und da hatte es eigentlich mit seiner Herrlichkeit ganz ein Ende. Nun ergab er sich dem doppelten Genusse von Bier und Branntwein. Kredit hatte er vollauf beim Besitzer der roten Dachelschenke, da dieser Schlauberger die künftigen Zeiten und Augustins Brauchbarkeit im Auge behielt; ferner, weil er seinen Wohlstand zumeist dem Sänger verdankte, und endlich, weil es in diesen Trauertagen sehr angenehm war, wenigstens einen lustigen Gast zu haben, der nicht fortwährend klagte.

Es war am neunzehnten September. Die Pest wütete in ihrer ganzen Gewalt; selbst Augustin wagte an diesem Tage keinen Spaß zum besten zu geben. Mißmutig und niedergedrückt saß er in der Dachelschenke, die wie ausgestorben schien. Der einzige anwesende Gast eilte davon, als er hörte, daß soeben ein Herr beim Schottentor einem Bettler ein Almosen zugeworfen habe, dabei sei ihm ein Brief zur Erde gefallen, den der Bettler aufhob und ihm zurückgab, worauf beide in kurzer Frist Opfer der Pest geworden.

Augustin suchte nun im Bier Trost und nahm davon in so reichlichem Maße zu sich, daß es des Branntweins nicht bedurft hätte, um seine Sinne vollends zu verwirren. Als es dunkel geworden, erhob er sich und wankte halb besinnungslos seiner Wohnung zu. Gänzlich unvermögend, sich zurechtzufinden, stolperte er den nächstbesten Weg fort. Die freie Luft trug noch mehr zur Verdüsterung seines Verstandes bei; so taumelte er denn im Halbschlafe umher, wobei er sein Lieblingslied – natürlich jetzt mit verändertem Texte – sang:

»O du lieber Augustin,
's Geld ist hin, d' Freud' ist hin;
O du lieber Augustin,
Alles ist hin!

»Wär' schon des Lebens quitt,
Hätt' ich nicht noch Kredit,
Doch folgt mir Schritt für Schritt
Noch der Kredit.

»Ach, selbst das reiche Wien
Arm ist's wie Augustin,
Seufzt nun mit trübem Sinn:
Alles ist hin!

»Täglich war sonst ein Fest,
Jetzt hab'n wir die Pest!
Ein großes Leichennest:
Das ist der Rest!

»O du lieber Augustin,
Leg' nur ins Grab dich hin,
O du herzliebes Wien,
Alles ist hin!«

Er gedachte, immer fortschwankend, die letzte Strophe des Lieds zu wiederholen, und er hatte auch wirklich bereits die Worte: »Leg' nur ins Grab dich hin!« mit schon schwer gewordener Zunge mehr gestammelt als gesungen, als er – nach Art der Betrunkenen – entweder in die Höhe oder nach allen Seiten, nur nicht gerade vor sich hinblickend, plötzlich den Boden unter sich weichen fühlte. Er fiel darauf eine starke Höhe hinab, fand sich ziemlich weich gebettet und schlief gemütlich ein, ohne zu fühlen, daß ihm später noch mehrere Körper nachstürzten.

Als er durch die kühle Morgendämmerung aus seinem Schlafe geweckt wurde, sah er sich in einer noch nicht zugeschütteten Pestgrube vor dem Burgtore unter den Leichen liegen. Aus voller Kehle um Hilfe schreiend, machte er die Pestknechte, welche neuen Transport brachten, aufmerksam, und sie zogen ihn aus seinem entsetzlichen Schlafgemach.

Man sollte nun glauben, daß Augustin ein Opfer dieses unglücklichen Ereignisses geworden sei; aber im Gegenteil, es schadete seinen starken Nerven nicht im mindesten. Er erzählte sein Abenteuer überall mit lachendem Munde, und das Mitleid der Zuhörer trug ihm reichliche Spenden ein. Augustin überlebte die Pestzeit mit frohem Mute, war übermäßig im Genusse wie sonst, und als im Dezember die Seuche erlosch, fing er seine Vorträge wieder an. Das nächtliche Abenteuer brachte er in wohlklingende Verse, erfand eine Melodie zu der Ballade und sang sie unter jubelndem Beifall in allen Schenken ab.

Noch lange Jahre lebte Augustin gesund und voll köstlichen Humors, bis ihn am 10. Oktober 1705 der Tod ereilte. Nach gewohnter Weise hatte er eine Nacht durchschwelgt, war nach Hause gewankt, und da traf den bereits über sechzig Jahre alten Mann in seinem Kämmerlein der Schlag. Er wurde auf dem großen Nikolausgottesacker vor der Rochuskirche auf der Landstraße begraben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen