Ludwig Bechstein - Woher die "blinden Hessen" und die "Mühlhauser Pflöcke" kommen.

Die Stadt Mühlhausen war einst mit einigen hessischen Rittern in harter Fehde begriffen. Die Hessen versuchten zum öftern die Stadt bei nächtlicher Weile zu überrumpeln, aber die Bürgerschaft war immer wachsam, verließ niemals die Mauern, um der Ruhe zu pflegen, und schickte jedesmal die Feinde mit blutigen Köpfen heim. Nun geschah es einmal, daß in der Stadt ein lustiges Bankett gefeiert wurde. Da bezeigten denn wenig Bürger große Lust, die alten Stadtmauern zu hüten, während ihre Freunde und Nachbarn weidlich zechten oder am Reihentanze sich vergnügten; und doch war man keine Nacht vor dem Überfall der Feinde sicher. Was war da zu tun? Der Frauen List und Klugheit half auch hier mit einem guten Rate aus. Es wurden Schanzpfähle zugehauen und diese, angetan mit Kleidern und Pickelhauben, und versehen mit blinkenden Waffen, rings auf der Stadtmauer aufgestellt. Während nun unten in der Stadt beim Bankett männiglich sich erfreute und vergnügte, sei es im Weine und in fröhlicher Unterhaltung mit guten Freunden, oder im raschen, lustigen Tanze mit schönen Frauen und Jungfrauen, siehe, da erschienen wirklich die Hessen kampfgerüstet und kampfbegierig vor der Stadt. Als sie aber die zahlreiche und wohlbewehrte Besatzung erblickten, wurde es ihnen doch unheimlich zumute, und sie machten sich schnell wieder aus dem Staube, ohne einen Angriff unternommen zu haben.

Die Mühlhauser frohlockten gar sehr über das Gelingen ihrer List und nannten fortan einen jeden, der seine Augen nicht recht zu gebrauchen versteht, einen blinden Hessen, dagegen mußten sie sich den Ehrennamen Wühlhauser Pflöcke gefallen lassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen