Ludwig Bechstein - Von dem kleinen Gleichberge bei Hildburghausen.

Zwei Stunden von Hildburghausen liegen gegen Westen zwei nicht unbedeutende Berge mit Namen Gleichen. Sie sind an Gestalt und Form einander gleich, nur ist der eine größer als der andere. Beide grenzen aneinander, stehen aber in keiner Verbindung mit dem nahen Thüringer Waldgebirge und sind in der ganzen Gegend umher sichtbar. Den Landleuten dienen sie als Wetterzeichen. Sind beide in Nebel gehüllt und der große wird zuerst hell, so verkündet er gutes Wetter, wird aber der kleine zuerst hell, so bedeutet es Regen. Daher kommt das alte Sprichwort:

Wenn der kleine dem großen nimmt den Hut,
So wird das Wetter gut;
Nimmt aber der große dem kleinen die Kappen,
So wird dich das Wetter ertappen.


Beide sind Basaltberge, und zwar kommt der Basalt darauf nicht in regelmäßigen Säulen, sondern in unzähligen Trümmern und Stücken von verschiedener Größe vor. Auf dem kleinen Gleichberge liegen diese Basalttrümmer in drei verschiedenen Schichten und umziehen den Berg gleichsam als drei verschiedene Gürtel, zwischen welchen Gras und Holz gewachsen ist. Diese besondere Anlagerung des Basalts hat zu folgender Sage Veranlassung gegeben: Vor alter Zeit hatte ein Graf auf diesem Berge eine Burg gebaut, dieselbe aber gegen feindliche Angriffe nicht hinlänglich geschützt und gesichert. Er sieht den Fehler erst ein, als er mit einem seiner Nachbarn in eine Fehde verwickelt und mit einem feindlichen Überfall bedroht war. Voll Unmut und in tiefen Gedanken über das drohende Unglück geht er eines Tages am Abhange des Berges umher; da erscheint ihm auf einmal der Teufel und fragt ihn nach der Ursache seines Kummers. Als er sie erfahren hat, erbietet er sich sogleich, dem Ritter noch vor dem ersten Hahnenkrat eine dreifache Mauer um den Berg zu ziehen, wenn er sich verbindlich machen wolle, ihm als Lohn seine einzige schöne Tochter zu verschreiben. Der Graf geht den Vertrag ein. Aber kaum ist er in seine Burg zurückgekehrt, so reut ihn der Handel, und er wird noch trauriger und mutloser als vorher, so daß endlich die Tochter, die den Kummer des Vaters in seinen Mienen liest, in ihn dringt und ihm endlich durch gute Worte und Bitten das schreckliche Geheimnis entlockt. Weinend und voll Verzweiflung über das ihr bevorstehende Geschick wirft sie sich in die Arme ihrer alten Amme und fleht sie um Hilfe und Rettung aus den Klauen des Bösen an. Die Alte bedenkt sich die Sache und verspricht Hilfe.

Der Teufel kommt zur bestimmten Zeit mit seinen Gesellen und Gehilfen und baut und wirtschaftet die ganze Nacht, um die dreifache Mauer zustande zu bringen. Schon ist das Werk fast vollendet, da tritt das kluge Mütterchen vor den Hühnerstall, patscht auf ihre Schürze und – der Hahn kräht zum erstenmal, ehe der Teufel fertig geworden. Er merkt sogleich, daß er betrogen ist, und aus Rache und Ärger wirft er den ganzen Bau über den Haufen und verschwindet. Die Steine von der dreifachen Mauer liegen noch bis auf den heutigen Tag da.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen