Ludwig Bechstein - Die Braut vom Kynast.

Auf der Burg Kynast über Hermsdorf saß ein Ritterfräulein, Kunigunde genannt, das war eine grimme Männerfeindin. Allen Bewerbern um ihre Hand legte sie eine Mutprobe von so gefahrvoller Art auf, daß ihr Bestehen schier unmöglich war; sie sollten auf der hohen und schmalen Burgmauer rings um die Burg reiten; wenn sie es versuchten und es ging noch so gut, sobald sie an die Stelle der Mauer kamen, die man noch heute die Hölle nennt, wo der Abgrund zu steiler Tiefe sich jäh absenkt, schwindelten Roß und Mann und stürzten zerschmettert in die Tiefe. Das eben, und nichts anderes, wollte Kunigunde. Viele Ritter hatten schon auf diese grausame Weise ihr Leben verloren, doch hatte der Ruf davon noch nicht alle Freier abgeschreckt; angezogen von Kunigundens stolzer Schönheit und vielleicht mehr noch vom kalten Mammon in ihren Kisten und Kästen, mehrte sich die Zahl der betörten Opfer. Da geschah es, daß ein Landgraf von Thüringen – einige sagen Albert, andere nennen dessen Sohn Friedrich den Freudigen – daheim auf seinem Wartburgschloß ein gefährliches Kunststück übte; er umritt die Mauer seines Schlosses täglich einmal und gewöhnte sein treues und kluges Roß an sichern Blick und Tritt; denn hoch über Felsenabgründen hebt sich der Wartburg alter Bau. Endlich ritt der Landgraf von Thüringen mit einem reisigen Zuge nach Schlesien zum hohen Kynast hinan und ließ sich als ein Ritter aus Thüringen melden. Als Kunigunde den herrlichen Mann sah, wurde ihr wunderbar zu Sinne, ihr starres Gefühl ward weich, sie liebte den noch jugendlichen Ritter und beschwor ihn flehend, den Ritt nicht zu versuchen. Allein er ließ sich nicht davon abbringen, er wagte den Ritt und bestand glücklich das gefährliche Abenteuer. Jubelnd flog ihm Kunigunde entgegen, all ihr Sehnen war gestillt, ihm allein wollte sie angehören, gern und freudig, ihm wollte sie ein liebendes Weib sein. Aber mit Ernst und Strenge im Blick wehrte der Landgraf ihr Umfangen von sich ab und sprach Worte zu ihr, die sie in ihrem Gemüt aufs tiefste erschütterten. Darunter war die Nachricht, daß er bereits glücklich vermählt sei, für sie das härteste Wort. Wie er als Rächer so vieler Opfer stolz von dannen ritt, da soll Fräulein Kunigunde die Mauer erklommen und ihm nachgesehen haben, so lange als ihr nur möglich, dann habe sie sich freiwillig in die Hölle hinabgestürzt. Andere haben die ernste Sage scherzhaft gewendet und sagen, Kunigunde habe sich vor Schrecken in das häßliche Holzbild verwandelt, das noch heute als »Braut vom Kynast« den Reisenden zum Kusse angeboten wird; wer es aber nicht küssen will, dieweil es statt der Haare und Augenbrauen mit der Haut eines Stacheligels aufwartet, der muß sich mit kleinem Gelde lösen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen