Aloys Wilhelm Schreiber - Sankt Goar.

In dem schauerlichen Felsentale, welches noch jetzt seinen Namen trägt, baute sich im Jahre 575 der heilige Goar seine Zelle. Diese Gegend wurde von armen Fischern bewohnt und war sehr gefährlich für die Schiffenden. Der fromme Mann nahm hier seinen Wohnsitz, um denen, die Schiffbruch gelitten, beizustehen und die Fischer in der Lehre des Evangeliums zu unterrichten. Auch fand jeder müde Wanderer in seiner Zelle ein Obdach und ein Pilgermahl; kein Wunder, daß der Name des wohltätigen Eremiten weit und breit bekannt wurde. Auch König Siegbert hörte von ihm, rief ihn an seinen Hof und wollte ihn zum Erzbischof von Trier machen; aber der demütige Goar schlug es aus und kehrte zu seinen armen Fischern zurück.

Als er alt und siech auf dem Sterbebette lag, schickte ihm König Siegbert zwei Priester und ließ später ein Kirchlein auf dem Grabe des heiligen Goar bauen, welches bald mit Gütern und Opfern reichlich beschenkt wurde. Wunder geschahen an seinem Grabe, seine Zelle blieb nach wie vor der Sitz der Gastfreundschaft; und wer kalt und gleichgültig vorüberging, dem begegnete gewiß etwas Schlimmes. So geschah es Karl dem Großen, als er auf einer Rheinreise gleichgültig an der Zelle des Heiligen vorüberfuhr. Er wurde plötzlich von einem so dicken, finstern Nebel umgeben, daß er zwischen Sankt Goar und Koblenz auf offenem Feld übernachten mußte. Seine Söhne Karl und Pippin, welche tödlichen Haß gegeneinander trugen, fanden sich am Grabe des Einsiedlers; plötzlich war aller Groll in ihnen geschwunden, sie sanken sich versöhnt in die Arme. Auch Karls geliebte Gemahlin, Fastrade, suchte und fand hier Genesung von einer schmerzlichen Krankheit.


Räuber zerstörten später das Grab des heiligen Goar und verbrannten die Kirche, in welcher manches kranke Herz Linderung, und die Zellen, in denen viele müde Wanderer gastliche Aufnahme gefunden hatten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen