Aloys Wilhelm Schreiber - Peter von Staufenberg.

Peter Dirminger, der auf seiner Burg Staufen in der Ortenau wohnte und auch Herr von Staufen hieß, kehrte einstmals von der Jagd heim. Es war schon gegen die Abenddämmerung, als er gegen das Dorf Nußbach kam, und da er müde und durstig war, ging er zu einem Brunnen, der seitwärts vom Wege stand und von alten Eichen beschattet wurde. An der Quelle saß eine schöne Jungfrau in weißen Gewändern, die seinen Gruß sittsam erwiderte und ihn beim Namen nannte. Der Ritter war verwundert, fragte sie, wer sie sei und woher sie ihn kenne. »Ich wohne ganz nahe,« antwortete sie, »und habe Euch manchmal gesehen, wenn Ihr mit Euren Jägern hier an der Quelle einen Trunk schöpftet, und da hörte ich denn auch von Euren Begleitern Euren Namen nennen.«

Der Ritter von Staufen, der noch jung und unverheiratet war, fand Gefallen an der schönen Jungfrau und an ihrem klugen Gespräche, und die Liebe bemeisterte sich seines Herzens.


Die folgenden Tage um dieselbe Stunde ging er jedesmal zu dem Brunnen, aber die Unbekannte ließ sich nicht sehen. Am Abend des vierten Tages, als er fast schwermütig an derselben Stelle saß und sich mit dem Rücken an eine Eiche lehnte, vernahm er einen ungemein lieblichen Gesang, der aus dem Brunnen zu kommen schien. Er stand auf und sah sich sorgfältig nach allen Seiten um, konnte aber niemand entdecken, und auch die Stimme schwieg. Eben wollte er seinen Platz unter der Eiche wieder einnehmen, da sah er die Jungfrau auf dem Stein sitzen, auf welchem er zuvor gesessen hatte. Sie schien fröhlichen Mutes; denn auf alle seine Fragen gab sie ihm keinen rechten Bescheid, sondern antwortete jedesmal mit einem Scherz, wodurch der Ritter in nicht geringe Verlegenheit geriet. Dabei war sie aber so einnehmend, daß er seinem Herzen keine Gewalt mehr tun konnte, sondern ihr seine Liebe gestand. Sie wurde nachdenklich und beschied ihn auf den nächsten Morgen vor Sonnenaufgang an den Brunnen.

Der Ritter fand sich an dem bestimmten Ort ein, als kaum die Sterne zu erblassen anfingen. Mit dem ersten Morgenlicht trat die Jungfrau aus dem Gebüsch hervor in aller Huld und Schönheit, so daß der Ritter meinte, es stehe ein überirdisches Wesen vor ihm. Um ihre blonden Locken, die vom Tau feucht schienen, hing ein Kranz von blauen Kornblumen, und ihre Brust schmückten zwei Rosenknospen. Sie sah den Ritter mit dem hellen, reinen Blick der Unschuld an; er aber wußte kein Wort hervorzubringen. Endlich ergriff er doch ihre Hand und redete von seiner Liebe. Da bat sie ihn, sich neben sie zu setzen, und sagte: »Ich bin keine von den Töchtern der Menschen, sondern eine Wasserjungfrau, die man auch Mummelchen oder Wasserfeen nennt. Merkt wohl auf, Herr Ritter! Wenn Ihr Euch mit mir verbindet, so muß Eure Treue rein bleiben wie diese Quelle und fest wie der Stahl Eures Schwertes. Untreue brächte Euch den Tod und mir unendlichen Jammer; denn wie unsere Liebe immer dauert, so auch unser Schmerz.«

Der Ritter schwur hoch und teuer, daß es ihm ebenso unmöglich sei, ohne sie zu leben, als ihr je untreu zu werden. Die Jungfrau reichte ihm jetzt einen kostbaren Ring dar, und er drückte sie liebevoll an seine Brust und sprach von der anmutigen Lage seiner Burg und wie sie dort leben wollten in Friede und Freude. Es wurde der Tag verabredet, an welchem er sie heimführen wollte als seine Hausfrau. Der Morgen dieses Tages erschien. Als der Ritter aus seinem Schlafgemach in den Saal trat, erblickte er auf einem Tische drei kunstreich geflochtene Körbchen, das eine mit Gold, das andere mit Silber und das dritte mit Edelsteinen mancher Art angefüllt. Es war die Morgengabe seiner Braut. Diese erschien bald darauf, von mehreren Gespielinnen begleitet, und die Trauung sollte vor sich gehen. Die Jungfrau verlangte den Ritter noch einmal allein zu sprechen, sie führte ihn in ein Nebengemach und sagte: »Bedenkt noch einmal, Herr Ritter, was Ihr tut. Wenn Euer Herz gegen mich erkaltet und warm wird für eine andere, so seid Ihr verloren, und es wird ein Zeichen geschehen Eures nahen Verderbens. Von mir werdet Ihr nichts mehr zu sehen bekommen als diesen meinen rechten Fuß.«

Der Ritter fiel ihr um den Hals und wiederholte die Beteuerungen trunkener Liebe. Die Trauung geschah jetzt, und dieser Tag, sowie viele folgende gingen in Lust und Heiterkeit vorüber. Die junge Frau schien mit jedem Morgen herrlicher aufzublühen, und es war noch kein Jahr verflossen, als sie den Ritter mit einem schönen Knaben beschenkte. Bald darauf entzündete sich ein schwerer Krieg im Frankenreiche. Peter von Staufenberg besaß Mut und Ehrbegier, und er wollte neben der Liebe auch Ruhm gewinnen. Die Gattin hielt es nicht für geziemend, ihn von der Waffenbahn zurückzuhalten; doch ließ sie ihn in der Scheidestunde mit schwerem Herzen aus den Armen los und beschwor ihn weinend, ihrer und des Säuglings an ihrer Brust nicht zu vergessen.

Peter zog nun mit einem Haufen Reisiger über den Rhein und begab sich unter die Fahnen eines fränkischen Herzogs. Schon im ersten Treffen zeigte er die Kraft seines Armes und seine Klugheit auf eine Weise, die ihm die Gunst des Herzogs erwarb; in einer Feldschlacht rettete er diesem das Leben und hatte großen Anteil an dem Siege, der zum schnellen Frieden führte. Der Herzog bewies sich dankbar, er bot dem wackern deutschen Ritter die Hand seiner jüngsten und schönsten Tochter an. Peter war nicht gleichgültig gegen ihre Reize und noch weniger gegen die Ehre, mit einem Fürstenhause in Verwandtschaft zu kommen; doch war er auch nicht unredlich genug, seine Verheiratung zu verschweigen. Er erzählte offenherzig, wie alles dabei zugegangen. Der Herzog schüttelte den Kopf und sagte, hier habe der böse Geist sein Spiel, der Ritter sei mit einem gespenstigen Wesen verbunden, und um seiner Seele willen müßte er sich von einem solchen Bande zu trennen suchen. Der Hofkaplan, der jetzt gerufen wurde, erklärte dasselbe und versicherte, sobald der Ritter den Segen der Kirche und eine christliche Gattin von der Hand des Priesters empfange, werde der Zauberspuk verschwinden. Peter ließ sich leicht bereden und verlobte sich mit der schönen Fürstentochter. Die Trauung sollte nach vierzehn Tagen stattfinden. Den Abend zuvor langte einer seiner Knechte von Staufen an und brachte ihm die Botschaft, seine Gattin und sein Kind seien plötzlich von der Burg verschwunden. Peter erkundigte sich nach den Umständen und erfuhr, daß dies am nämlichen Tage und zur nämlichen Stunde geschehen, da er seine neue Verlobung gehalten. Nun wurde er noch in dem Glauben an eine gespenstige Täuschung bestärkt und ging des andern Tages mit ziemlich leichtem Herzen zur Trauung, die auf einem Lusthause geschah. Als die Gesellschaft fröhlich bei der Tafel saß und auch der Ritter guter Dinge war, sah er von ungefähr nach der Wand des Zimmers, und in diesem Augenblick kam ein niedlicher Frauenfuß aus der Wand hervor. Der Ritter rieb sich die Augen, ob er auch recht sehe, doch die Erscheinung blieb eine geraume Zeit. Da überlief es ihn kalt und warm, und große Schweißtropfen hingen an seiner Stirne, denn er gedachte der Warnung, welche ihm die Wasserjungfrau gegeben. Er tat sich Gewalt an und leerte eifrig den Becher, um seiner Bangigkeit Herr zu werden, welches ihm etwas gelang. Gegen Abend brach die Gesellschaft aus dem Lusthause nach dem herzoglichen Schlosse auf; der Weg ging über eine Brücke; aber Peter, der zu Pferd war, ritt durch den sehr seichten Fluß. Kaum befand er sich in der Mitte, da kochte und schäumte das Wasser wie beim Meeressturm, haushoch schlugen die Wellen empor und über dem Haupte des Ritters zusammen, sein Roß fing an zu scheuen und sich zu bäumen, wild warf es seinen Reiter ab und sprang ans Ufer. Furchtbar tobte jetzt der Strom noch einen Augenblick lang; aber plötzlich wurde er ruhig, wie von unsichtbarer Macht gebändigt; das Wasser floß still und klar dahin, der Ritter von Staufen war verschwunden, und auch sein Leichnam konnte nicht mehr gefunden werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen