Aloys Wilhelm Schreiber - Die sieben Schwestern.

Von einem Berge hinter Wesel blickt die Burg Schönberg still und einsam in den Rhein hinab. Hier lebten einst sieben Schwestern, welche man die sieben schönen Gräfinnen nannte. Der Ruf ihrer Schönheit verbreitete sich allenthalben, und aus der Nähe und Ferne strömten edle Jünglinge herbei, um sie zu sehen. Wer sie aber sah, der mußte auch einer von ihnen sein Herz lassen, und so geschah es, daß auf Schönberg die Freier aus und ein zogen, wie bei einem stattlichen Hoflager. Die sieben Schwestern hatten ihr Wohlgefallen an den Bewerbungen der vielen stattlichen Ritter; denn es war dabei so heiter und lebendig auf dem Schlosse, daß sie sich kein schöneres Leben wünschten. Die halben Nächte hindurch hatten sie einander zu erzählen, was ihnen den Tag hindurch begegnet war, denn jede hatte ihre eigenen, neckischen Einfälle, denen sich die Liebhaber bequemen mußten. So trieben sie's einige Jahre lang, ohne daß sie ihre Herzen der Liebe geöffnet hätten, und wenngleich mancher Jüngling des losen Spiels überdrüssig wurde und sich zurückzog, so kamen doch bald wieder viele andere, die sich's wohl zutrauten, die listigen Jägerinnen selbst am Ende noch zu umgarnen. In der Tat wurden diese auch zuletzt gar sehr in die Enge getrieben; denn die Jünglinge wollten sich nicht mehr länger zum besten haben lassen und gaben sich das Wort, die Burg samt und sonders auf immer zu meiden, falls die sieben schönen Schwestern sich nicht entschließen würden, binnen längstens vier Wochen sich für eine gleiche Zahl aus den Bewerbern zu erklären. Zugleich taten sie den Schwur, jedem andern Freier, den es in der Folge gelüsten könnte, seine Blicke nach Schönberg zu wenden, mit gewaffneter Hand in den Weg zu treten.

Die Schwestern vernahmen diese Botschaft nicht ohne sichtbare Bestürzung; sie gingen alsbald unter sich zu Rate und beschlossen, die Zumutung, welche sie als einen Schimpf betrachteten, auf eine fast boshafte Weise zu rächen. Es wurde hierauf eine schöne Zofe an die Freier abgeschickt mit der Nachricht, die sieben Gräfinnen hätten sich entschlossen, Bräute zu werden, sie wollten es jedoch bei der Wahl auf das Los ankommen lassen.


Tag und Stunde wurden nun anberaumt, und die Jünglinge fanden sich zur gehörigen Zeit in dem großen Rittersaale ein. Die Zofe erschien jetzt, mit einem silbernen Teller in der Hand, worauf zwanzig Lose lagen; denn so groß war die Anzahl der versammelten Freier. Die Lose bestanden aus zusammengerollten Pergamentstückchen, die mit den verschiedenen Farben der gegenwärtigen Ritter bezeichnet waren und wovon sieben die Namen der sieben Schwestern enthielten. Was die Gräfinnen vorausgesehen hatten, geschah. Jeder Ritter langte nach der Rolle mit seiner Farbe, und so fielen die Namen der sieben Schwestern in die Hände der sieben mißgestaltetsten unter den Rittern. Freude und Gelächter, Spott und Ärger durchhallten in lauten Ausbrüchen den Saal. Die Zofe bedeutete nun den Rittern, welche die Treffer gezogen, die Bräute harrten ihrer in dem Gartensaal. Diese eilten, die trefflichen Preise, welche ihnen das Glück beschieden, in Empfang zu nehmen; aber sie machten große Augen, als sie in die freundliche Rotunde traten und dort nichts fanden als die lebensgroßen Konterfeie der sieben schönen Schwestern. Verdutzt sahen sie einander an, und in diesem Augenblick schallte ein Gelächter vom Rheinufer herauf, die losen Jungfrauen stiegen soeben in einen mit grünen Zweigen ausgeschmückten Nachen und schifften über den Strom, setzten sich jenseits auf Maultiere und nahmen den Weg nach ihrer Burg an der Lahn.

Als kurze Zeit hernach (seit Menschengedenken zum erstenmal) die sieben Felsenspitzen sichtbar wurden, welche noch jetzt gleich unter Wesel aus dem Rheine hervorragen, da nannten die Schiffer zum Andenken dieser Begebenheit diese Felsen die sieben Jungfrauen, und der Name hat sich bis auf unsere Zeit erhalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen