Aloys Wilhelm Schreiber - Die Zerstörung von Hohenkrähen.

Unfern des Bodensees, eine Stunde von der Feste Hohentwiel, sieht man auf einem Bergkegel die Ruinen der einst starken, fast unüberwindlichen Burg Hohenkrähen, an die sich jetzt eine freundliche Meierei anlehnt. Von dem Untergang dieser Burg hat sich folgende, wohl meist begründete historische Sage erhalten:

In der freien Reichsstadt Kaufbeuren lebte zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ein angesehener Mann, namens Johannes Guttenberg, der sich im Handel große Reichtümer erworben hatte. Seine Tochter Margarete, das einzige Kind einer glücklichen, aber kurzen Ehe, war von der Natur nicht stiefmütterlich begabt worden, und sowohl ihr liebenswürdiges Wesen als der Reichtum ihres. Vaters machten sie zum Gegenstande vieler Hoffnungen und Bewerbungen. Sie schien dabei ziemlich gleichgültig, aber im stillen hatte sie ihr Herz einem jungen Edlen, Otto Kreßling, zugewendet, dessen Vater in Kaufbeuren von den Überresten eines durch Kriege und andere Unglücksfälle zerstörten, einst beträchtlichen Vermögens lebte.


Die Stadt feierte den Jahrestag ihrer Gründung, und diesmal sollte es mit ungewöhnlicher Pracht geschehen und unter anderm auch ein Stechen dabei statthaben. Manche Ritter fanden sich darum in Kaufbeuren ein; aber es waren nur solche, die vom Steigbügel lebten oder daheim auf ihren verfallenen Burgen in schmählicher Untätigkeit und unter Entbehrungen aller Art vom Ruhme ihrer besseren Ahnen zehrten. Das Mittelalter mit seinen ritterlichen Tugenden neigte sich zum Untergang; viele der berühmtesten Geschlechter waren erloschen, und wie in Frankreich König Franz I., so standen in Deutschland Kaiser Max, Franz von Sickingen, Götz von Berlichingen und wenig andere als die letzten Vertreter des Rittertums da und gleichsam als Hüter an der Grenze zwischen einer alten und einer unter bedenklichen Anzeichen beginnenden neuen Zeit.

Unter den Edlen, welche zu dem Feste nach Kaufbeuren zogen, war auch Stephan Hausner aus dem Hegäu. Ein baufälliges Schloß und einige größtenteils öde liegende Ländereien mit verarmten Zinsleuten machten seine ganze Habe aus, an trotzigem Mut und waghalsiger Tapferkeit mochten es ihm aber wenige zuvortun. Auch trieb er sich beständig im Lande umher und nahm an allen Fehden teil, wobei, wenn auch nicht Ehre, doch reiche Beute zu gewinnen war.

Hausner hörte in Kaufbeuren von der schönen Tochter des reichen Guttenbergs sprechen, und bald bot sich ihm auch auf einem Balle, den die Stadt gab, eine bequeme Gelegenheit, sie zu sehen. Da kam ihm plötzlich der Gedanke, um sie zu freien. Er meinte, der Vater und die Tochter würden sich eine solche Verbindung zur hohen Ehre rechnen, und säumte darum auch nicht, dem alten Guttenberg einen Besuch zu machen und ihm seinen Wunsch vorzutragen.

Der Alte sah den Ritter verwundert an und sagte: »Ich erkenne die Ehre, welche Ihr mir erzeigen wollt; doch kann ich sie nicht annehmen; denn der Adler soll auf dem Felsen bleiben, und die Lerche in der Furche des Ackers; und damit Gott befohlen!«

Hausner ergrimmte höchlich über diesen kurzen Bescheid, und sein Zorn entbrannte noch mehr, als er vernahm, Guttenberg habe seine Tochter dem jungen Kreßling zugesagt, um sich alle unangenehmen Freier vom Halse zu schaffen. Er verließ Kaufbeuren auf der Stelle und ritt nach Hohenkrähen zu seinem Waffenbruder Friedingen. Dieser schritt eben, über düstere Gedanken brütend, im Saale seines Schlosses auf und ab, als Hausner zu ihm trat. »Wie geht's in diesen schlechten Zeiten?« fragte er den Freund.

»Ich nehme sie, wie sie sind,« entgegnete der Ritter von Hohenkrähen; »darum siehst du die Bilder meiner Ahnen hier alle verkehrt an der Wand hängen, damit sie die Schmach ihrer Abkömmlinge nicht sehen.«

Hausner meinte, es gebe noch wackere Männer genug, die dürften nur fest zusammenhalten und dann fuhr er fort:

»Wenn du Lust hast zu einer mannhaften Fehde, so ist jetzt Gelegenheit; denn ich komme eigentlich mit der Bitte, du möchtest mir deine Burg leihen. Mein altes Uhunest dort drüben hält keinen Steinwurf mehr aus.«

»Meine Burg ist dein,« antwortete der Ritter von Hohenkrähen und reichte dem Gaste die Hand, »aber gib mir näheren Bericht.«

Hausner erzählte nun, wie er in Kaufbeuren sich einen Korb geholt und darum der Stadt einen Absagebrief senden wolle.

Ein Strahl wilder Freude flog über Friedingens finsteres Gesicht, und ein großer Gedanke schien zugleich in seiner Seele aufzugehen. »Komm,« sagte er, »ich schreibe den Absagebrief in deinem Namen, und du kritzelst dein Handzeichen darunter.«

Der Brief wurde ohne Verzug abgeschickt, und Friedingen traf alsbald Anstalten, Hohenkrähen in Verteidigungsstand zu setzen. Durch ihre Kundschafter erhielten die Ritter bald darauf Nachricht, daß einige Handelsleute aus Kaufbeuren auf der Heimkehr aus der Schweiz begriffen seien. Hausner legte sich mit einem Haufen Reisiger in einen Hinterhalt, überfiel die sorglos Reisenden, welche von einer Fehde nichts wußten, und schleppte sie auf Hohenkrähen. Unter den Gefangenen befand sich auch Georg Kreßling, der Vater des jungen Otto, welchen Guttenberg seiner Tochter zum Gatten bestimmt hatte. Er kam von Sankt Gallen und war unterwegs zufällig mit den Kaufleuten zusammengetroffen. Diese wurden von Hausner noch ziemlich milde behandelt, nur forderte er von ihnen ein bedeutendes Lösegeld, welches die Stadt Kaufbeuren für sie bezahlen sollte; den alten Kreßling aber ließ er in Ketten schlagen und schwur hoch und teuer, der Ritter müsse sein Gefangener bleiben, bis sein Sohn ihm die schöne Margareta als Braut abtrete.

Als das Begebnis in Kaufbeuren ruchbar wurde, entstand große Unruhe in den Gemütern. Die Stadt konnte nicht so viele Leute aufbringen, um einen Kriegszug gegen Hohenkrähen zu unternehmen, und nach langer Beratschlagung entschloß man sich endlich, eine Botschaft an Kaiser Max zu senden, der sich damals in Nürnberg aufhielt.

Otto Kreßling erbot sich, mit den Abgeordneten des Rats dahin zu gehen. Sein Oheim, Kunz von der Rosen, hatte dem Kaiser so glänzende Beweise großen Mutes und unerschütterlicher Treue gegeben, daß Max nicht leicht eine seiner Bitten zurückwies; der sollte ihr Fürsprecher sein.

Der Kaiser war höchlich entrüstet, als ihm Kunz von dem frevelhaften Beginnen Hausners und Friedingens Nachricht gab. Er versprach den Abgeordneten auf der Stelle Genugtuung und erteilte alsbald seinem Feldobristen, dem berühmten Georg von Frundsberg, Befehl, gegen Hohenkrähen aufzubrechen und die Friedensstörer zu züchtigen.

Frundsberg galt mit Recht für einen trefflichen Kriegsmann; aber die Lage der Burg Hohenkrähen machte eine Belagerung sehr schwierig und langwierig. Auch war die Feste hinreichend mit Mannschaft und Geschütz versehen, und man konnte gewiß sein, daß die beiden Ritter das Äußerste wagen würden, weil für sie alles aus dem Spiele stand. Frundsberg sah zur Bezwingung des Schlosses kein Mittel als den Hunger, und er schloß sich darum aufs engste ein. Die Belagerung dauerte bereits einige Wochen, als Friedingen eines Tags, wie er gewöhnlich tat, auf einen der Türme stieg, um zu erspähen, ob die Belagerer in ihrer Stellung keine Veränderungen vorgenommen. Da erblickte er einen jungen Ritter, der ganz nahe an die Burg heransprengte, als wolle er etwas auskunden. Friedingen riß der Wache neben ihm die Büchse aus der Hand, legte an und drückte los; aber das Gewehr zersprang und zerschmetterte ihm den Arm. Der Schmerz, den er umsonst zu meistern suchte, und der starke Blutverlust zogen ihm eine Ohnmacht zu, und er wurde durch einige Soldaten, die die Wache herbeilief, auf sein Gemach gebracht. Der Wundarzt erklärte, der Ritter könne nur durch Abnahme des Arms vom Tode gerettet werden; aber Friedingen warf ihm einen furchtbaren Blick zu. »Geh,« zürnte er, »geh und übe deine Kunst an den Memmen, die das Leben als ein Almosen haben und es darum in seiner zerlumptesten Gestalt noch immer als eine köstliche Gabe in Ehren halten.«

Er ließ hierauf Hausner an sein Lager rufen und sagte zu ihm:

»Ich bin ein Stamm, der fällt, nicht weil seine Wurzeln abgefault sind, sondern durch die Hand des Schicksals, das mir diesmal feindlich entgegentritt; denn länger kann sich die Burg doch nicht halten, unsere Lebensmittel reichen kaum noch auf vierzehn Tage. Nimm deine Leute und auch alle von den meinigen, die ihre Haut in Sicherheit bringen wollen, und ziehe diese Nacht durch den unterirdischen Gang ab, der euch über die Linie der Belagerer hinausbringt.«

»Wie?« rief Hausner, »ich sollte dich verlassen, meinen Waffenbruder? Wenn ich meine Schmach auch in den Mantel der Nacht hülle, so wird sie der Tag doch bald bescheinen.«

»Willst du, als Landfriedensbrecher, durch den Strick endigen?«

»Und was wird dein Los sein?« fragte Hausner.

»Ein ehrenvolles Grab.«

In diesem Augenblick trat ein Knecht herein mit der Nachricht, es sei ein Herold vor dem Tor mit einer Aufforderung.

Friedingen hieß Hausner hinabgehen, um den Antrag zu vernehmen. Dieser kehrte bald zurück und rief mit grimmigem Lachen: »Freien Abzug bietet Frundsberg dir und deinen Leuten an, wenn du mich auslieferst.«

»Habe ich nicht einen prophetischen Geist?« sagte Friedingen. »Geh und sag' dem Herold, ich würde morgen früh einen Ritter ins Lager schicken zur gütlichen Verhandlung. Du aber tue diese Nacht, wie ich dir geraten, oder die Raben singen dir das Totenlied.«

Hausner sah in der Tat keine andere Wahl vor sich als Flucht. Er verließ die Burg eine Stunde vor Tagesanbruch, und ihm folgten nicht nur seine Leute, sondern auch die meisten Knechte und Reisigen Friedingens, so daß dieser mit einem alten, treuen Ritter namens Bridinger und sieben Knechten allein auf Hohenkrähen zurückblieb. Der unterirdische Gang, durch welchen Hausner seinen Weg nahm, führte in einen abgelegenen Talgrund. Dort verließen ihn, wie verabredet, alle seine Begleiter; denn sie fürchteten, als Friedensstörer ergriffen und hingerichtet zu werden. Hausner war lange unentschlossen, wohin er sich wenden sollte. Aber während er langsam und in tiefem Nachsinnen durch das Tal ritt, sah er plötzlich einen jungen Ritter mit einigen Reisigen auf sich zusprengen. Es war Otto Kreßling, den Frundsberg um Lebensmittel ausgesandt hatte. Beide erkannten sich augenblicklich; Hausner sprang vom Pferd und suchte Zuflucht in einer Kapelle, die am Wege stand.

Otto folgte ihm mit gezogenem Schwert, und nicht achtend der geweihten Stätte, stieß er ihn am Altar nieder.

Unterdessen war der Morgen angebrochen, und im ersten Frühschimmer ritt Bridinger ins Lager und wurde nach kurzem Verweilen vor den Feldobristen geführt.

»Wie lautet Euer Antrag?« fragte Frundsberg.

»Er ist kurz,« antwortete der Ritter; freien Abzug für Friedingens Leute und ihm ein ehrenvolles Grab unter den Ruinen seiner Burg.«

»Ist Friedingen tot?«

»Dann könnt' ich ja nicht in seinem Namen kommen,« entgegnete Bridinger. »Aber der Knochenmann hat ihm die dürre Hand entgegengestreckt, und der Ritter hat sie gefaßt und will sie nicht mehr lassen.«

»Ihr sprecht rätselhaft.«

»Der Ritter ist verwundet; ein herzhafter Schnitt des Arztes konnte ihn retten, aber er will sterben, weil er seine Zeit überlebt hat, und sein Grabmal sollen die Ruinen seines Stammsitzes sein.«

Frundsberg wurde nachdenkend. »Ich habe diesen Friedingen immer geachtet,« sagte er nach langem Schweigen, »so trotzig er sich auch dem Gesetz entgegenstemmte. Er wollte die Ehre der Vergangenheit festhalten in der Schmach der Gegenwart, und er war der einzige unter den Raubrittern, der nicht den Raub suchte, sondern den Kampf. Eure Bedingungen sind gewährt: Ihr, Bridinger, zieht mit Friedingens Leuten frei ab und liefert uns die niedergeworfenen Gefangenen aus. Den Ritter lasse ich ehrenvoll bestatten und dann sein Schloß abbrechen.«

Friedingen lebte nur noch wenige Stunden. Als Frundsberg in die Burg eingezogen war und an sein Lager trat, war er bereits eine Leiche. Er wurde in der Schloßkapelle neben seinen Ahnen begraben und die Feste hierauf zerstört.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen