Aloys Wilhelm Schreiber - Die Felsenhöhle.

Nach der ehemaligen Abtei Allerheiligen geht von Oberachern aus der Weg durch ein wildes Tal. Nicht weit davon liegt an einer einsamen Waldstelle ein mächtig großer Fels, der durchaus wie eine alte Kirche gestaltet ist. Nach einer dunklen Sage war dies eine der ersten christlichen Kirchen der Gegend und von einem edlen Alemannen gestiftet worden. Er hinterließ sieben Töchter, welche ebenso schön als fromm waren und auf der väterlichen Burg in Stille und Eingezogenheit lebten. Es war um die Zeit, als der Hunnenkönig Attila mit seinem furchtbaren Heere an den Rhein kam, um nach Gallien zu gehen. Er ließ eine Menge Flöße verfertigen, auf welchen der Rheinübergang geschehen sollte. Von den Scharen, die ausgeschickt wurden, das nötige Holz zu beschaffen, kam eine durch Zufall auf die Burg, auf welcher die sieben Schwestern wohnten. Diese rauhen Krieger ehrten ebensowenig die Tugend als die Wehrlosigkeit und ließen ihren frechen Begierden freien Zügel. Die Jungfrauen sahen hier nur die Wahl zwischen Tod und Schande; auch waren sie im Augenblick entschlossen, den ersteren vorzuziehen, als ein alter, treuer Diener ihnen riet, gegen Abend durch einen unterirdischen Gang nach der Kirche zu flüchten, welche ihr Vater erbaut hatte. Er wollte bis dahin die ungeschlachten Gesellen beim Trunke festhalten und meinte, sie würden's doch nicht wagen, das Haus des Herrn zu entweihen.

Die sieben Schwestern nahmen den guten Rat dankbar an und erreichten auch glücklich die heilige Stätte; aber ein treuloser Knecht, der ihre Flucht entdeckt hatte, verriet den Hunnen das Geheimnis. Diese stürzten voll Wut nach der Kirche; als sie aber die Tür verschlossen fanden, fällten sie im Wald eine junge Tanne und hieben, um mit dem Stamme die starke eichene Pforte zu sprengen, die Krone und die Äste davon ab. Diese Arbeit war in einer Stunde vollendet, und mit wildem Hohngeschrei eilte die freche Rotte, das ruchlose Vorhaben in Ausführung zu bringen. Sie kamen bald an Ort und Stelle, allein der Eingang in die Kirche war nirgends zu finden. Auch die Fenster und überhaupt jede Öffnung war verschwunden. Wohl stand die Kirche noch da, aber als ein dritter Fels, und leis und schauerlich tönte daraus ein Sterbegesang hervor. Noch vernimmt bisweilen der einsame Bergbewohner in stillen Nächten liebliche Stimmen, die aus dem Stein zu kommen scheinen; aber diese Töne erregen keine Furcht, sondern erfüllen das Gemüt mit einem frommen Sehnen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen