Aloys Wilhelm Schreiber - Die Clemenskirche.

Wenn man durch den schauerlichen Felsenschlund bei Bingen an Hattos gespenstigem Turme vorübergeschifft ist und Aßmannshausen hinter sich hat, macht der Rhein eine starke Krümmung, und das linke Ufer tritt wie eine Halbinsel hervor. Dicht am Strome unter Walnußbäumen liegt die verlassene Clemenskirche, und hinter derselben erheben sich Rheinstein und Reichenstein, welche Rudolf der Habsburger als Raubnester brechen ließ. Von der Stiftung dieser Kirche hat sich folgende Sage erhalten:

Auf einer Burg im benachbarten Sauertale lebte ein schönes, züchtiges Fräulein. Der Ritter von Rheinstein warb um die Hand des Mägdleins, wurde aber abgewiesen. Da faßte er den Entschluß, sich ihrer mit Gewalt zu bemächtigen, und es gelang ihm auch, sie zu rauben und auf ein Schiff zu bringen. Aber plötzlich entstand auf dem Rhein ein gewaltiger Sturm, desgleichen die Steuerleute nie erlebt hatten, und jedermann auf dem Schiffe verzweifelte an seiner Rettung. Da tat die Jungfrau ein Gelübde, dem heiligen Clemens eine Kirche am Ufer zu bauen, wenn er sie aus der Gefahr des Todes und aus den Händen ihres schändlichen Entführers befreien würde. Jetzt sah man plötzlich den Heiligen in seinem bischöflichen Anzuge auf dem Wasser erscheinen. Er reichte der Jungfrau die Hand, und sie wandelte mit ihm so sicher über die schäumenden Wogen hin ans Ufer, als wär's auf dem festen Lande. Das Schiff aber mit den Menschen, die sich noch darauf befanden, wurde vom Abgrund verschlungen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen