Otto der Rote im Kyffhäuser und zu Quedlinburg (Mündlich aus Helfta bei Eisleben und aus Halle)

Kaiser Otto mit dem roten Bart geriet mit den Geistlichen in Streit, und da machten ihm die Reichsgeschäfte bald keine Sorgen mehr. Man sagte dem Volke, er sei plötzlich gestorben, und veranstaltete ein feierliches Begräbnis; doch der Kaiser lag nicht im Sarge, sondern schmachtete in einem Gefängnis. Und als er nach vielen Jahren starb, fand sein Geist keine Ruhe im Grabe, sondern irrte lange umher, bis er sich den Kyffhäuser zur Wohnstatt erkor.

Nun zogen einst Musikanten durch das Tal am Kyffhäuser und spielten vor allen Häusern; doch nirgends empfingen sie eine Gabe, so dass sie sich den ganzen Tag vergebens gemüht hatten. Da sprachen sie am Abend „Wir wollen dem Kaiser Otto ein Ständchen bringen: vielleicht schenkt er uns Etwas."


Und sie spielten vor dem Berge das schönste ihrer Stücke auf; und als sie fertig waren, kam des Kaisers Kastellan und überreichte jedem einen grünen Zweig. Die Musikanten aber warfen die Zweige weg und lachten. „Wenn wir nicht mehr hätten verdienen wollen" sprachen sie, „solch kaiserliche Gnade hätten wir auch sonst schon finden können." Nur einer steckte sich den Zweig an den Hut und sagte „So habe ich doch ein Andenken an den Kaiser Otto." Und als sie Abends spät in die Herberge kamen, war der Zweig auf dem Hute des Musikanten zu eitlem Golde geworden, und der arme Musikant war nun für sein Leben ein reicher Mann. Wie die andern das sahen, eilten sie zum Berge zurück und suchten im Mondscheine nach ihren Zweigen; doch die Zweige waren verschwunden. Am folgenden Morgen spielten sie wieder vor dem Kyffhäuser und spielten drei ganze Tage hindurch; doch der Kastellan des Kaisers brachte ihnen Nichts zum Dank.

Ein armer Schäfer hatte gehört wie der Musikant durch das Geschenk des Kaisers so reich geworden war, und er trieb nun immer auf den Kyffhäuser und dachte „Wenn ich nur den Weg wüsste, der in den Berg zum Kaiser Otto führt: da er ein so liebreicher, wohltätiger Herr ist, so würde ich ihm meine Armut klagen, und er würde sich gewiss meiner annehmen." Und wie er einst auch wieder so bei sich dachte, bemerkte er vor seinen Füßen eine Falltür, die er nie zuvor gesehen hatte. Er öffnete sie und stieg eine lange Treppe in den Berg hinab bis in einen weiten, hochgewölbten Saal. Dort saß der Kaiser Otto mit seinem langen roten Bart an einem großen steinernen Tisch, und um ihn her saßen viele hundert Ritter und Schildknappen in voller Rüstung. Schüchtern blieb der Hirt am Fuße der Treppe stehen, doch der Kaiser winkte ihm freundlich und sprach „Ich weiß schon weshalb du kommst. Hier nimm dir so viel du brauchst, und wenn du heim kommst, grüß dein Weib und deine Kinder von mir." Und damit wies er auf einen Haufen glühender Kohlen, der in einem Winkel lag. Der Hirt beugte sich ängstlich über die Kohlen, doch er wagte nicht sie anzurühren. Da lachte der Kaiser und rief „Greif nur zu; es brennt nicht. Doch nimm nicht zu wenig." „Ja zu wenig!" dachte der Hirt, „wenn nur was zu nehmen wäre. Um Kohlen zu verschenken und arme Leute auszulachen braucht man kein Kaiser zu sein." Doch weil er sich fürchtete zu widersprechen, füllte er seine Hirtentasche mit Kohlen, verneigte sich tief vor dem Kaiser und seinen Rittern und Knappen und stieg die Treppe wieder hinauf. Und wie er oben die Kohlen aus der Tasche schütten wollte, war die Tasche voll gediegenen Goldes, und der Schäfer war so reich wie der Musikant; doch die Falltür konnte er nie wieder finden.

Ein andrer Schäfer verlor am Johannisabend seine Herde, die er auf dem Kyffhäuser gehöret hatte. Er lief durch das Gebüsch und hohe Gras sie zu suchen, und dabei streifte er, ohne es zu wissen, mit den Füßen die Wunderblume ab, und sie blieb in seiner Schubschnalle hängen. Wer diese Blume, die nur in der Johannisnacht blüht, an sich trägt, der kann die Geister sehen: und wie es nun im Tale elf schlug, war der Schäfer grade dicht unter dem Gipfel des Berges, und er sah wie sich der Berg auftat und der Kaiser Otto mit vielen Rittern herausstieg. Sie waren gar stattlich anzuschauen und begannen auf dem Berge Kegel zu schieben, und als sie eine Weile geschoben hatten, schmaräkelten sie. Der Schäfer blieb verwundert stehen und schaute zu. Da schlug es zwölf, und sie stiegen in den Berg zurück, und der Berg schloss sich wieder. Der Schäfer nahm zum Wahrzeichen den König der Kegel und steckte ihn in seine Hirtentasche. Er ging weiter nach seinen Schafen, fand sie auch bald und erzählte nun am Morgen den andern Hirten was er in der Nacht gesehen hatte. Die aber lachten ihn aus: da holte er den Kegel aus der Tasche, und wie er ihn ansah, war er ganz von Gold.

Nachdem der Kaiser Otto wohl manche hundert Jahre in dem Berge gehaust hatte, ging er zur Ruh ins Grab, und an seine Stelle zog der Kaiser Friedrich in den Kyffhäuser, der noch dort wohnt. — Nach Anderen aber soll der Kaiser Otto aus dem Kyffhäuser in das Quedlinburger Schloss gezogen sein und noch jetzt in den tiefen Kellern desselben sitzen. Die Magd des Küsters in Quedlinburg wurde einst von einem Geiste hinabgeführt und sah den Kaiser, der ganz von Golde war und sich nicht regte. Nach einer alten Wahrsagung soll das Quedlinburger Schloss einst abbrennen: dann wird man den Kaiser unter den Trümmern finden und das Schloss mit dem Golde, in das sein Leib sich verwandelt hat, neu und schöner aufbauen; sein Geist aber wird dann Ruhe finden.
Schäfermeister

Schäfermeister

Schäfer mit seiner Herde auf dem Heimweg

Schäfer mit seiner Herde auf dem Heimweg

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