Vorwort.

Im Februar 1867 erließ ich in Verbindung mit meinem Freunde G.C.F. Lisch in Schwerin einen Aufruf zur Sammlung von Mecklenburgs Sagen, Märchen und Gebräuchen. Derselbe begegnete in allen Kreisen der Bevölkerung einer regen Teilnahme und zahlreiche Beiträge gingen ein. Als ich ein Jahr später in der Rostocker Zeitung einen ersten Bericht gab, konnte ich bereits auf ein reiches Material verweisen, das inzwischen zusammen gekommen war. Ich wiederholte bei diesem Anlass meine Bitte um Beiträge aufs neue und gab dann noch einen zweiten Bericht über das seitdem Hinzugekommene. Damit hatte die Sammlung ihren vorläufigen Abschluss erreicht, Bedeutendes ist von da ab nicht mehr gespendet worden.

Meine Übersiedelung nach Heidelberg im Frühjahr 1871 drängte, über andern Berufs- und literarischen Arbeiten, den Plan der Herausgabe in den Hintergrund, und gar Mancher von denen, die mich durch Beiträge unterstützten, wird inzwischen wohl ungeduldig und unwillig geworden sein, in der Meinung, er habe Fleiß und Mühe vergeblich aufgewendet. Mancher Förderer des Unternehmens weilt nicht mehr unter den Lebenden; schmerzlich vor Allem ist es mir, meinem Freunde Karl Schiller, dem verdienten Herausgeber des mittelniederdeutschen Wörterbuches, dies vaterländische Werk, an dem er seine Freude gehabt hätte, nicht mehr überreichen zu können. Der Mitbegründer der Sammlung aber, Lisch, blicke freundlich auf dieselbe und gedenke mit mir der traulichen Stunde auf meinem Zimmer, in welchem wir den Plan entwarfen. Wie gern hätte ich dem würdigen Greise, der im vorigen Jahre sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum feierte, die fertige Sammlung an seinem Ehrentage vorgelegt; aber wer da weiß, wie in den letzten Jahren schwere Krankheit mich heimsuchte, der wird wegen der Verzögerung nicht mit mir rechten.


Der edle Fürst, dessen Name diesem Buche vorzusetzen mir vergönnt ist, hat demselben von Anfang an seine Teilnahme und Unterstützung zugewendet. Ich erfülle nur eine Pflicht der Dankbarkeit gegen das Land, in welchem ich dreizehn glückliche Jahre meines Lebens, den Beginn meiner akademischen Laufbahn zugebracht, wenn ich Ihm, der mir zu allen Zeiten ein gütiger Herr war, dieses Werk zueigne.

Unter den Beitragspendenden nenne ich billig an erster Stelle die, welche in ihrer Stellung einen größeren Kreis von jüngeren Kräften heranzogen und dieselben zu Aufzeichnungen veranlassten. Herr Seminardirector Kliefoth in Neukloster hat unter seine Seminaristen Exemplare unseres Aufrufs vertheilt und nach den dort gegebenen Gesichtspunkten und Rubriken Aufzeichnungen machen lassen. Mehrere reichhaltige Sendungen legen Zeugnis von dem dadurch erzielten Erfolge ab. In ähnlicher Weise haben Dr. Freybe in Parchim, Dr. Nölting in Wismar und Dr. Schiller in Schwerin die Gymnasialschüler angeregt, das ihnen Bekannte mitzuteilen.

Von den eigene Mitteilungen machenden Förderern des Werkes nenne ich ferner Küster Schwartz in Bellin bei Güstrow, der mich durch mehrfache Zusendungen erfreute, E.H.H. Schmidt aus Gadebusch, jetzt Gymnasiallehrer in Wismar, der seine ganze Sammlung von Meklenburgicis, darunter ein noch nicht benutztes mecklenburgisches Glossar, mir zur Verfügung stellte, und Senator K. Eggers in Berlin, der in ein Exemplar von Zingerles Sitten in Tirol alles Übereinstimmende und Abweichende eintrug.

Von gedruckten Sammlungen musste die reichhaltigste, die von Niederhöffer, allerdings oft, aber immer mit Vorsicht zu Rate gezogen und benutzt werden. Nicht nur enthält sie Vieles, was gar nicht in eine Sammlung von Sagen hineingehört, sondern auch das Hineingehörige ist häufig durch novellistische Einkleidung geradezu wissenschaftlich unverwerthbar geworden. In den meisten Fällen konnte ich mit Hilfe meiner eigenen Sammlungen die entsprechende Sage in reinerer Gestalt herstellen. Niederhöffer hat das Glück gehabt, mehrere sehr tüchtige Mitarbeiter (ich nenne nur L. Kreutzer, Fr. Latendorf, C. Masch und C. Struck) zu besitzen, deren Beiträge daher unbedenklich von mir aufgenommen und meist auch in der Form unverändert beibehalten werden konnten.

Aus den älteren Sammlungen von Studemund, Fischer etc. war wenig zu brauchen; dagegen lieferten die Beiträge von Mussäus und Günther in den Mecklenburgischen Jahrbüchern vieles Material, das nur in der Form geändert zu werden brauchte. Die Abhandlungen von Beyer und Lisch in den Jahrbüchern gewährten gleichfalls manchen Fingerzeig und waren durch die Zuverlässigkeit des in ihnen benutzten Materials mir von großem Werthe. Die ›Sympathien und andere abergläubische Curen‹ von L. Fromm und C. Struck im Archiv für Landeskunde 1864, S. 489-561 (FS.) habe ich nicht nur für eine Anzahl von Nummern der Gebräuche, sondern auch für die einführenden Betrachtungen über den Aberglauben reichlich benutzt. Schillers treffliches ›Thier- und Kräuterbuch‹ hat mir gleichfalls gute Dienste geleistet. Was in den norddeutschen Sagen von Kuhn und Schwartz von mecklenburgischen Überlieferungen enthalten war, ist unverändert aufgenommen worden.
Einige ältere handschriftliche Aufzeichnungen standen mir gleichfalls zu Gebote. Für das Hexenwesen, für Zauber- und Besprechungsformeln waren insbesonders ausgiebig die im Rostocker Archiv befindlichen Hexenprotokolle des 16. Jahrhunderts, deren Benützung mir in liberalster Weise gestattet wurde. Ebenso wurde mir ein im Besitze des Kriminalkollegiums in Bützow befindliches Heft mitgeteilt, welches, von ungebildeter Hand des 19. Jahrhunderts geschrieben, eine Menge von Besprechungen enthält; desgleichen das Heft eines Tagelöhners in Neukloster, der im Rufe eines Zauberers stand. Herr Amtsverwalter Lange in Sülz sandte mir ein handschriftliches Arznei-Buch für Menschen und Vieh, hierinnen sind zu finden alle Mittel, wodurch alle Krankheiten sicher geheilt werden können‹, welches ebenfalls für den Abschnitt der Sympathien reiche Ausbeute lieferte.

Da von einer Sage oft mehrfache Aufzeichnungen vorlagen, so wurde dadurch eine kritische Vergleichung der einzelnen Quellen ermöglicht, die Glaubwürdigkeit der verschieden Lesarten konnte geprüft, Untergeschobenes dadurch erkannt werden. Ich habe daher in ein paar Fällen den Versuch gemacht, ganz wie man es bei handschriftlich überlieferten Werken älterer Zeit thut, einen Text mit Varianten aufzustellen und die verschiedenen Lesarten durch Buchstaben zu bezeichnen. Noch öfter wird man dies Verfahren im zweiten Bande in der Abteilung der Besprechungsformeln angewendet finden; denn die Form des Verses erfährt naturgemäß weniger starke Abweichungen als die prosaische Überlieferung und gestattet deshalb ein Zurückführen der verschiedenen Lesarten auf eine Grundgestalt leichter.

Kritische Bedenken erheben sich gegen Nr. 626. Nerger macht darauf aufmerksam, dass dieselbe Geschichte sich genau ebenso in dem "Lese- und Lehrbuch für Volksschulen in Mecklenburg" findet, und wahrscheinlich dorther stammt unsere Erzählung, die von einem Lehrer immerhin unserm Gewährsmann als mecklenburgische Volkssage aufgetischt worden sein mag. Da indessen zwingende Gründe für die Unechtheit nicht beigebracht werden können, so habe ich sie stehen lassen.

Was die Anordnung betrifft, so habe ich im ersten Bande die sachliche und die geographische zu verbinden gesucht, indem ich das ganze Material zunächst in größere Gruppen nach der Verwandtschaft des Inhalts ordnete, innerhalb dieser Gruppen aber eine bestimmte geographische Ordnung einhielt. Für den zweiten Band war die sachliche Einteilung von selbst gegeben; hier habe ich mich fast ganz an Kuhns westfälische Sagen angeschlossen.

Verweisungen auf andere Sammlungen habe ich nur sparsam beigefügt und mich absichtlich auf die räumlich zunächstliegenden Gebiete beschränkt. Man wird daher fast ausschließlich die norddeutschen Sagen von Kuhn und Schwartz (NS.), die westfälischen von Kuhn (WS.), die pommerschen von Temme, die märkischen von Schwartz, von Temme und von Engelien, sowie die schleswig-holsteinschen von Müllenhoff zitiert finden.

Wo die Aufzeichnungen im Volksdialekt gegeben waren, habe ich denselben beibehalten. Bei der Durchführung einer einheitlichen Schreibung für die Mundart hat mich mein lieber ehemaliger Schüler, Dr. Karl Nerger in Rostock, aufs Beste unterstützt, indem er alle Bogen durchsah und dabei auch um die Richtigstellung der oft falschen oder ungenauen lokalen Angaben sich sehr verdient gemacht hat.

Ihm wie allen Freunden und Förderern dieses Werkes meinen wärmsten Dank. Ihr Verdienst hauptsächlich ist es, wenn Mecklenburg jetzt auch eine Sammlung besitzt, welche den dem Untergang rasch entgegengehenden Schatz der Volksüberlieferung geborgen auf die Nachwelt bringt.

Heidelberg, 26. Januar 1879.

K. Bartsch.