I. Über die agrarische Organisation Russlands.

I. Bevor wir auf den Hauptinhalt des Gesetzes eingehen, welches die Verhältnisse der emanzipierten Bauern regelte, wird es notwendig sein, einige Worte über die agrarische Organisation Russlands zu sagen.

Die ländliche Organisation in Russland (die baltischen, die ehemals polnischen und einen Teil der klein-russischen Länder ausgenommen) war vor Aufhebung der Leibeigenschaft im Wesentlichen folgende: Von den zu einem Rittergut gehörigen Grundstücken(mochte dasselbe von der Krone oder von Privaten besessen werden) stand gewohnheitsmäßig nur ein bestimmter Teil, in der Regel ein Drittteil, in der direkten Nutzung des Herrn, das Übrige war an die Dorfgemeinde vergeben und befand sich im ungeteilten Besitz derselben. Alle Unterthanen des Guts standen in gleicher, beinahe unbeschränkter Abhängigkeit vom Herrn; während ein Teil derselben (je nach Auswahl des Herrn) auf dem Hofe desselben lebte und die Dienstbotenschaft bildete (Hofsleute), stand die übrige Gemeinde im Besitz der Dorfmark, welche ihr gegen die Verpflichtung, die direkt vom Herrn besessenen Grundstücke (das sogenannte Hofsland) zu bearbeiten, verliehen wurde. Das Maß dieser Frohndienste wurde vom Herrn willkürlich bestimmt; gewohnheitsmäßig arbeitete der Bauer drei Tage der Woche für den Herrn, die übrigen für sich selbst. Zur Zeit der Ernte oder wenn der Herr es sonst verlangte, wurde auch die ganze Woche für den Hof gearbeitet. Die Dorfmark war nicht an einzelne Gemeindeglieder vergeben, sondern stand im ungeteilten Besitz der Gemeinde, die dieselbe periodisch, gewöhnlich alle neun Jahre unter, sämmtliche am Ort befindliche Familien zu gleich großen Parzellen verteilte. Diese Verteilung geschah entweder nach der Seelenzahl oder per Tjäglo (Wirtschaftseinheit) d. h. im ersteren Fall erhielt jeder Familienvater ein Grundstück, dessen Größe der Zahl der von ihm abhängigen Familienglieder entsprach, indem pro Kopf eine gewisse Anzahl Dessjätinen angenommen wurde, im letzteren Falle wurde das gesamte Areal unter die einzelnen Familien verteilt und der Einzelanteil, je nachdem die Zahl der Aspiranten zu- oder abgenommen hatte, vergrößert oder verkleinert. Für den Begriff des „Tjäglo“ (der nur auf Privatgütern angewandt wurde, während man auf den Domänengütern nach Seelen rechnete), gibt es keine authentische Interpretation: während man in früherer Zeit eine gewisse Anzahl Personen (3 bis 5) auf jedes Tjäglo rechnete, versteht man neuerdings jedes Ehepaar darunter; je nachdem mehrere Familien gemeinschaftlich wirtschaften (z. B. ein Vater mit seinen erwachsenen Söhnen), wird ein einfaches, doppeltes, dreifaches u.s.w. Tjäglo angenommen. Bei jeder Neuverteilung — und wie wir wissen kehren dieselben periodisch wieder — wurden alle neu begründeten Haushaltungen, insoweit dieselben sich zur Empfangnahme ihres Anteils meldeten und es nicht vorzogen, anderen Erwerb zu suchen, einzeln in Rücksicht genommen, denn alle hatten gleichen Anspruch an den Grund und Boden der Dorfmark. Vor wie nach der Aufhebung der Leibeigenschaft geschah es häufig, dass ein Bauer, der dazu die Erlaubnis des Herrn erhaltet, in die Stadt zog und Händler oder Handwerker wurde und als solcher vielleicht Millionen erwarb; ging es mit diesem Geschäft nicht mehr oder wurde er desselben müde, so bedurfte es nur seiner Meldung an Ort und Stelle, damit er bei der nächsten Verteilung wieder berücksichtigt wurde. Alle bäuerlichen Gemeindeglieder, die nicht zum Hof gehörten, wohnten in einem Dorf, das sich gewöhnlich inmitten der Mark befand. Diese selbst war in lange, schmale Säulen oder Schnüre von 3 — 6 Faden Breite und 100 — 500 Faden Länge geteilt. Jeder Neuverteilung, die von der Gemeinde selbst vorgenommen wurde, ging eine Klassifizierung des urbaren Grund und Bodens voraus, die aber nicht sowohl nach der Ertragsfähigkeit, sondern nach der Entfernung der einzelnen Grundstücke von den Wohnstätten vorgenommen wurde. Die einzelnen Säulen oder Streifen wurden, nachdem sie entsprechend der Zahl der Aspiranten in die gehörige Anzahl gleich großer Parzellen geteilt worden, verlost: es blieb mithin dem Zufall überlassen, ob der Einzelne das früher von ihm bearbeitete Land wieder erhielt oder nicht. Die Waldungen, Weideplätze, Fischereien u.s.w. blieben im ungeteilten Besitz der Gesamtgemeinde. Der persönliche (oder individuelle) Besitz des einzelnen Gemeindegliedes beschränkte sich auf sein Wohngebäude, den zu diesem gehörigen Garten, das Vieh, die Pferde und die bewegliche Habe. In einzelnen Gemeinden, namentlich solchen, welche der Krone gehörten und Überfluss an Grund und Boden hatten, wurde zur Vermeidung allzu häufiger Bodenverteilungen ein Teil der Feldmark ausgesondert und als „Reserveland“ für die künftig sich bildenden Familien aufbewahrt, bis zur Heranbildung dieser aber brachgelegt oder, wenn sich ein Unternehmer fand, für Rechnung der Gemeinde verpachtet. Lediglich vom Herrn hing es ab, ob er sich die der Gemeinde überlassenen Grundstücke durch Arbeit auf seinem Felde (Frohnleistung) oder durch Pachtzahlungen (den sogenannten Obrok) vergüten lassen wollte; auf den Domänengütern war seit dem Beginne der vierziger Jahre durch den Minister Kisseleff, ausschließlich Pachtzahlung eingeführt worden und von den Privatbauern zahlten allenthalben wenigstens diejenigen Obrok, die auf ihren Landanteil verzichtet und sich (mit Genehmigung des Herrn) in der Stadt niedergelassen hatten; wurden sie reich und gelüstete es den Herrn nach einem Anteil ihres Vermögens, so ließ er sich die Erlaubnis zu diesem städtischen Aufenthalt seiner Leute oft mit Tausenden von Rubeln bezahlen oder es fand eine förmliche auf gegenseitige freie Übereinkunft gegründete Loskaufung statt. Der Herr war dagegen verpflichtet, für die leibliche Existenz seiner Leute Sorge zu tragen, bei Hungersnot, Misswachs u.s.w. helfend einzutreten und die Armen und Arbeitsunfähigen (mochten sie zum Dorf oder zum Hof gehören) zu versorgen, resp. versorgen zu lassen.


Das Emanzipationsgesetz vom 19. Februar 1861 hat dieses Verhältnis dahin geändert, dass die persönliche Freiheit aller Leibeigenen, mochten sie Dorfbauern oder Hofsleute sein, anerkannt und den Gemeinden die Möglichkeit geboten wurde, nach einem gesetzlich bestimmten Modus, dessen Einzelheiten für die hier behandelte Frage gleichgültig sind, ihre Mark eigentümlich zu erwerben oder gegen massige Vergütung in pachtweisen Besitz zu erhalten — an den wirtschaftlichen Einrichtungen, dem Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinde, den periodischen Neuverteilungen, der Art und Weise der Taxation und der Eintheilung des Bodens u.s.w. ist absolut; nichts verändert worden. Die Gemeinden haben wohl das Recht erhalten, ihre Mark, nachdem sie dieselbe zum Eigenthum erworben, zu zerschlagen und die einzelnen Teile derselben den jeweiligen Inhabern erblich zuzuteilen, aber sie haben von diesem Recht nirgends Gebrauch gemacht, sondern den Gemeindebesitz aufrecht erhalten.

Da eine vollständige Mitteilung des Emanzipationsgesetzes den Rahmen dieser Einleitung überschreiten würde, wählen wir aus dem reichen Stoff drei Fragen heraus, welche besonders wichtig sind und die Hauptsachen enthalten. Diese drei Fragen sind: 1) die persönliche Stellung der freigewordenen Bauern; 2) die ökonomische Auseinandersetzung der Gemeinde mit dem Herrn und des Einzelnen mit der Gemeinde; 3) die Gemeindeordnung und Gemeindeverwaltung, welche schon durch ihre nahe Verwandtschaft mit der livest-kurländischen neuen Gemeindeordnung das spezielle Interesse einheimischer Leser in Anspruch nehmen dürfte.

Alle Bauern zerfielen, wie wir wissen, in angesiedelte Bauern und sog. Hofsleute (herrschaftliche Dienstboten). Beide Klassen erhielten durch das Emanzipationsgesetz ihre persönliche Freiheit wieder, ihre Glieder konnten fortan selbständige Rechtsgeschäfte abschließen, ihren Beruf wählen, Eigenthum erwerben u.s.w. Was zunächst die Hofsleute anlangt, so sollten dieselben während der ersten Jahre nach Aufhebung der Leibeigenschaft in ihrer bisherigen Stellung bleiben, inzwischen aber einen von den Herren festzusetzenden Lohn beziehen; nach Ablauf dieser Frist, während welcher sie von der Rekrutierung und fast allen Staatslasten frei waren, traten sie in volle Freiheit und gewannen das Recht, sich in Landgemeinden niederzulassen oder in Städten anzusiedeln; alle Verpflichtungen gegen den früheren Herrn hörten mit dem 19. Februar 1863 auf, selbst solche Individuen, welche auf Kosten ihrer Herren eine Kunst oder ein Handwerk gelernt hatten, wurden der Verpflichtung zu weiteren Gegenleistungen enthoben. Hofsleute, die schon früher in die Bauergemeinde getreten und in dieser angesiedelt waren, wurden den übrigen Bauern gleichgestellt, solche die außerhalb des Gutes ihrem Erwerb nachgegangen waren und dem Herrn Obrok (Zins) gezahlt hatten, sollten während der erwähnten zweijährigen Frist in ihren bisherigen Verhältnissen bleiben. Der Obrok wurde für diese Übergangszeit durch Festsetzung eines gesetzlichen Maximums (30 Rbl. für Männer, 10 Rbl. für Frauen) begrenzt. Freie Vereinbarung zwischen Herren und Hofsbauern, sowie erwiesene Misshandlung letzterer durch ersteren, konnten auch vor Ablauf der Frist vollständige Auflösung des Verhältnisses nach sich ziehen; solange das Verhältnis dauerte, war der Herr zur Erhaltung und Ernährung gebrechlicher und arbeitsunfähiger Individuen verpflichtet.

Was die angesessenen Bauern anlangt, so sollten dieselben sich während der zweijährigen Frist mit den Herren über ihre künftigen Beziehungen zu denselben, unter Mitwirkung des Friedensvermittlers, auseinandersetzen, bis dahin aber in ihrem bisherigen Verhältnis verbleiben.

Bei der ökonomischen Auseinandersetzung zwischen Herren und Bauern waren folgende leitende Grundsätze angenommen:

Die gesamte Gemeinde tritt in die erbliche Nutznießung eines Teils der zu dem Gute gehörigen Ländereien, indem sie sich verpflichtet, dieselben entweder von dem Herrn zu kaufen oder ihm durch Pachtzahlung (Obrok) oder Arbeitsleistung das entsprechende Äquivalent zu bieten.

Zu der berechtigten Gemeinde sollten alle diejenigen Individuen gehören, welche bei der letzten Seelenrevision als zum Dorf gehörige Leibeigene eingetragen waren, desgleichen mit Genehmigung des Herrn im Dorf angesiedelte Hofsleute. Zum Dorf gehörige Personen, welche zur Zeit der Revision außerhalb desselben lebten, haben das Recht, von ihrer Hingehörigkeit Gebrauch zu machen, und in die Gemeinde zurückzukehren. Ausgeschlossen von der Zugehörigkeit zur Gemeinde sollten dagegen alle Personen sein, die vor dem 19. Februar 1861 die Freiheit erworben hatten.

Bevor wir in die wichtigen und höchst interessanten Erörterungen über die Feststellung der Grenzen des Gemeindelandes eintreten, ist noch zu erinnern,

A) dass der Herr bezüglich des Gemeindelandes es nicht mit den Gliedern der Gemeinde, sondern nur mit dieser in ihrer Gesamtheit zu thun hat. Und

B) dass ein Unterschied zwischen dem Gemeindelande und den Gehöften der einzelnen Gemeindeglieder zu machen ist. Das Gemeindeland, d. h. der Inbegriff der produktiven Grundstücke, als da sind: Äcker, Wiesen, Triften, Gebüsche u.s.w. steht in der Nutzung der Gesamtgemeinde, deren Sache es ist, ihren Gliedern nach dem herkömmlichen Modus periodisch die einzelnen Parzellen zuzuweisen; die Gemeinde ist dem Herrn solidarisch für die pünktliche Erfüllung der ihm zukommenden Leistungen verpflichtet; sie entscheidet darüber, ob eine gänzliche Ablösung des Gemeindelandes oder ob Geldpacht oder Frohnleistungen vereinbart werden und wann die Neuverteilungen des Grund und Bodens Platz greifen sollen; mit ihr hat der Herr sich endlich über die Grenzen des Gemeindelandes auseinanderzusetzen, die bezüglichen Beschlüsse der Gemeindeversammlung erfordern die Zustimmung von zwei Drittteilen der stimmberechtigen Gemeindeglieder. Stirbt eine Familie aus, oder verlässt sie die Gemeinde, so fällt der Anspruch, welchen dieselbe an das Gemeindeland resp. an die Zuteilung einer Parzelle machen durfte, an die Gesamtheit zurück. Die Gemeinde hat, wenn sie in das Eigenthum des Gemeindelandes getreten ist, auch die Befugnis, das Verhältnis des Gemeindebesitzes aufzuheben, das Gemeindeland in eine der Zahl der Feuerstellen entsprechende Anzahl von Parzellen zu zerschlagen und diese ein für allemal den Häuptern der Familien zum Nießbrauch zuzuweisen. Im Gegensatz zum Gemeindelande stehen die Gehöfte der einzelnen Gemeindeglieder, an denen die Gesamtgemeinde keinen Anteil hat und zu denen die Gärten gehören.

Während das Gemeindeland im engeren Sinne nur Eigentum der ganzen Gemeinde werden kann, kann das Gehöft von dem einzelnen Gliede der Gemeinde, das in dem Besitz desselben steht, käuflich erworben werden und muss der Gutsbesitzer zu diesem Geschäft seine Zustimmung geben, sobald der Bauer seine bezügliche Absicht ausgesprochen hat. Können die beiden kontrahierenden Teile sich nicht gütlich über den Kaufpreis einigen, so greift eine Bestimmung Platz, nach welcher der Käufer für jeden Rubel, den er bisher Pacht zahlte, 16 Rbl. 67 Kop. [Ein Rubel = 100 Copeken] als Kaufpreis zahlt; leistete der Bauer Frohne, so wird die Anzahl der jährlich geleisteten Frohntage nach einem ein für allemal angenommenen Satz in Geld berechnet und nach dem oben angegebenen Maßstabe kapitalisiert. Je nachdem der einzelne Gehöftsinhaber das Gehöft kauft, oder die Gesamtgemeinde das Gesamtareal ihrer Gehöfte erwirbt und diese Erwerbung zugleich mit der Ablösung des Ackerlandes geschieht oder nicht, sind folgende verschiedene Fälle möglich:

a) der einzelne Gehöftsinhaber kauft sein Gehöft allein;

b) die Gemeinde kauft das Gesamtareal der Gehöfte und gar kein Ackerland;

c) die Gemeinde kauft das Gehöftsareal und einen Teil des Ackerlandes;

d) die Gemeinde kauft das Gehöftsareal und sämtliches Ackerland.

Diese vier verschiedenen Fälle sind in dem Gesetz vom 19. Februar nicht scharf von einander unterschieden. Wird das Gehöftsareal gemeinsam mit dem Ackerlande oder einem Teil desselben angekauft, so tritt eine Unterstützung des Staats für die Käufer ein, denen im ersteren Fall 4/5 des Kaufpreises, im letzteren Fall 3/4 desselben vorgeschossen werden. Auf diese Weise steht die Ablösung der Gehöfte im engsten Zusammenhang mit der des Ackerlandes, und doch sollen beide Kategorien streng von einander geschieden und nach durchaus verschiedenen Grundsätzen behandelt werden.

Die Fälle ausgenommen, in denen einzelne Gemeindeglieder ihre Gehöfte selbständig erwerben, lässt sich die Frage nach den Modifikationen und Bedingungen der Gehöftsablösung nur in Zusammenhang mit den Bestimmungen über das Ackerland erörtern. Da die Vorschriften über Preisbestimmung bei Einzelverkäufen bereits oben mitgeteilt sind, können wir uns direkt dem Ackerlande oder dem Gemeindelande im engeren Sinne zuwenden, und dieses führt uns wieder in den Gemeindebesitz, die Basis alles bäuerlichen Lebens in Russland zurück; was außerhalb desselben besteht, wird als Anomalie angesehen und — wie die vorstehenden Mitteilungen über den Einzelverkauf ausweisen — auch von der Gesetzgebung nur im Vorübergehen berücksichtigt.

Da die Bestimmungen darüber, wer als Mitglied einer Bauergemeinde anzusehen ist, bereits erörtert wurden, so können wir uns sofort der schwierigsten und kompliziertesten aller auf die ökonomische Auseinandersetzung zwischen Herren und Bauern bezüglichen Fragen, der nach den Grenzen des Gemeindelandes, zuwenden. Zieht man in Erwägung, dass in Russland eine Katastrierung des gesammten Grund und Bodens bis jetzt nicht stattgefunden hat, dass obrigkeitlich bestätigte Gutskarten zu den Ausnahmen gehören und dass seit Jahrhunderten ausschließlich das Herkommen und der Wille des Herrn darüber entschieden haben, welche Teile des Guts in der direkten Nutznießung des Hofs, welche im Nießbrauch der Gemeinde standen, so wird man über die Schwierigkeiten einer Auseinandersetzung über diesen Punkt außer Zweifel sein. Die einzige Regel, welche bis zum 19. Febr. 1861 galt, war die, dass jede bäuerliche Seele mindestens 4 1/2 Dessjätinen zu ihrem Unterhalt haben sollte. Bei der Frage nach der Feststellung der Grenzen zwischen Hof- und Gemeindeland kommt diese Bestimmung kaum in Betracht: einmal war nirgends vorgeschrieben, wo der Einzelne seine 472 Dessjätinen [Dessjätine = 2,69972 engl. Acres oder 4 preuss. Morgen.] zu suchen habe, und zweitens geschah die Parzellenverteilung, wie wir gesehen haben, nicht allenthalben per Seele, sondern häufig per Tjäglo (Ehepaar samt unerwachsenen Kindern). Den Bauern musste es vor allem darauf ankommen, möglichst ergiebige, von ihnen bereits in einen kulturfähigen Zustand versetzte Teile des Gutsareals zu erhalten, im Interesse der Herren lag es, nicht alle, zufälligerweise und zur Zeit dem Bauernlande zugezählte Ackerflächen aus ihrem direkten Besitz zu verlieren.

Das Gesetz empfiehlt behufs Feststellung der Grenzen des Gemeindelandes gütliches Abkommen zwischen den beteiligten Parteien und beschränkt sich solchenfalls auf die Taxierung des Minimums für die Gemeinde. In der richtigen Voraussetzung, dass gerade in dieser Beziehung gütliche Auseinandersetzungen zu den Ausnahmen gehören würden, stellt der Gesetzgeber aber zugleich eine Reihe von Regeln auf, welche bei obwaltender Meinungsverschiedenheit maßgebend sein sollen.

Bei der Verschiedenheit der Territorial- und Bevölkerungsverhältnisse in den einzelnen Teilen des ungeheuren Reichs war es unmöglich bei Feststellung des Umfangs der Gemeindeländereien allenthalben die gleichen Grundsätze maßgebend sein zu lassen. Behufs Ausmittelung des Maßes der den einzelnen Gemeinden zu verleihenden Ländereien wurden sämtliche Gouvernements, in denen das Institut des Gemeindebesitzes und der wechselnden Parzelle heimisch ist, in drei große Kategorien oder Zonen geteilt, die wiederum in Regionen zerfielen; für jede Zone galten andere Grundsätze, für jede Region andere Quantitätsmaße.

Zu der ersten Zone gehören alle diejenigen Gouvernements und Kreise, deren Boden weder aus schwarzer Erde noch aus Steppenland besteht; dieselbe umfasst neun verschiedene Regionen. Die zweite Zone (bestehend aus acht Regionen) umfasst die Gouvernements der schwarzen Erde, die dritte (mit zwölf Regionen) die Steppengouvernements. In den beiden ersten Zonen werden die Maximal- und Minimalbeträge des auf jede Seele kommenden Anteils festgesetzt, sie sind in jeder Region andere. Aus der Multiplication der Seelenzahl mit dem Dessjätinenumfang des Einzelanteils ergibt, sich die Gesamtgröße des Gemeindelandes. Das Maximum tritt nur ein, wenn dem Gutsbesitzer ein Drittteil des gesamten ertragsfähigen Areals des Grund und Bodens übrig bleibt, d. h. wenn das Gut so groß oder so schwach bevölkert ist, dass die Gesamtsumme der Maximalsätze für den Einzelanteil 2/3 der ertragsfähigen Teile des ganzen Gutes nicht überschreitet; unter das Minimum für den Einzelanteil kann das Gemeindeland in keinem Fall verkleinert werden. In diesen Zonen gilt als allgemeine Regel, dass der Gemeinde die Territorien zugewiesen bleiben, die sie bisher bearbeitete; Austausche sind nur mit Zustimmung der Beteiligten und unter der Voraussetzung ihres Zusammenhangs mit dem Gros des Bauernlandes zulässig. In jedem Fall muss das Gemeindeland an die Gehöfte grenzen oder mit ihnen verbunden sein. Die Minimal- und Maximalsätze sind in den verschiedenen Regionen verschieden. — Für die dritte Zone (Steppenland) gelten durchaus andere Grundsätze: hier ist kein Maximum und kein Minimum angenommen, sondern ein für allemal festgesetzt, wie groß der Anteil des einzelnen Gemeindegliedes sein muss; dabei ist festzuhalten, dass dem Herrn die Hälfte des ertragsfähigen Areals verbleiben muss. Die Einzelanteile sind auch innerhalb dieser Zone nach den verschiedenen Regionen verschieden, bald 3 Dessjätinen (wie bei Rostow), 8 Dessjätinen (bei Nikolajewsk) u.s.w. All’ diese Bestimmungen sind auf Grund der bestehenden Verhältnisse und mit möglichster Berücksichtigung des stahis quo getroffen worden; die Absicht des Gesetzgebers ging darauf hin, die bäuerlichen Anteile möglichst unverändert beizubehalten. Aus diesem Grunde ist einerseits die Einteilung in Zonen und Regionen, andererseits die freie Bewegung zwischen den Maximal- und Minimalsätzen erfolgt; man wollte unter möglichster Schonung des Herkommens dafür Sorge tragen, Durchschnittsmaßstäbe zu gewinnen, um sowohl exorbitante Forderungen der Gemeinden abzuschneiden, als auch der Verarmung derjenigen Bauern zuvorzukommen, die herkömmlich schlechter gestellt waren als ihre Nachbarn.

Indem wir alle weiteren Details übergehen, fügen wir bezüglich der Beschaffenheit des zur Abgrenzung und Zuteilung an die Gemeinden kommenden Grund und Bodens nur noch hinzu, dass zu demselben unproduktive Bodenteile, auch wenn sie von bäuerlichem Besitztum umschlossen sind, nicht gerechnet werden; demgemäß bleibt die Disposition des Herrn über diese Gebietsteile unbeschränkt. Salzhaltige Bodenteile können in das zu verleihende Land gerechnet werden, jedoch müssen sie weniger als die Hälfte des gesammten Bauerlandes ausmachen und überdies werden drei salzhaltige Dessjätinen nur einer Dessjätine productiven Landes gleich geachtet. Als allgemeine Regel gilt ferner, dass Holzungen nicht zum Gemeindeland gerechnet werden: Gebüsche, die sich vor der Abgrenzung der bäuerlichen Mark innerhalb derselben befanden und von den Gemeinden benutzt wurden, verbleiben derselben. In einem Teile der zweiten (schwarzerdigen) Zone können auch Waldungen und Gebüsche zum Gemeindelande gerechnet werden: liegen sie in der Nähe großer Straßen, Flüsse und Eisenbahnen, so kann ein Vorbehalt zu Gunsten des Herrn eintreten. Bezüglich der Weiden soll der status quo der Benutzung derselben aufrecht erhalten werden, bis von einem der beiden Teile auf Abgrenzung angetragen wird.

Nach Vorschrift der Poloshenie sollten binnen zwei Jahren die Auseinandersetzungen über die Abgrenzung des den Gemeinden vorläufig zur Benutzung zugewiesenen Landes beschlossen und bestätigt sein, während eines weiteren Termins von sechs Jahren die definitive Abgrenzung vollzogen werden. — Auf Grund der den obigen Grundsätzen gemäß zu vollziehenden Feststellung der Grenzen des Gemeindelandes, fand dann die förmliche ökonomische Auseinandersetzung, d. h. die Fixierung der Leistungen statt, welche die Gemeinden für das ihnen von den Herren zugewiesene Land diesen zu prästiren haben sollten.

Während der ersten neun Jahre (also bis zum 19. Februar 1870) sind die Bauern, selbst wenn sie ihre Gehöfte gekauft haben, verpflichtet, im Nießbrauch der der Gemeinde zugeteilten Ländereien zu bleiben. Einigen Gemeinde und Gutsbesitzer sich darüber, dass die Gemeinde sich mit einem Teil ihres Landes begnügt und den Rest dem Gutsherrn zurückgibt, so sind solche Abrechnungen unter gewissen Bedingungen und Einschränkungen zulässigin den beiden ersten Zonen muss der Gemeinde in jedem Fall die Hälfte des Maximums, in der dritten Zone die Hälfte der gesetzlichen Inhaltsgröße übrig bleiben. Endlich kann der Gutsbesitzer sich — wenn die Gemeinde dazu ihre Zustimmung gibt — mit dieser dadurch abfinden, dass er ihr ein Vierteil des Maximums (in der dritten Zone des gesetzlichen Anteils) schenkt und den Rest als Eigentum behält. Der Sinn dieser eigentümlichen Vorschriften, welche die Gemeinden dazu verpflichten einen gewissen Teil des Grund und Bodens zu behalten und von der Voraussetzung auszugehen scheinen, dass diese nur allzu willig zu einer Verringerung desselben ihre Zustimmung geben werden, kann für diejenigen unserer Leser, welchen die ländlichen Zustände Russlands, näher stehen, nicht zweifelhaft sein: das Recht auf eine möglichst große Bodenparzelle ist mit der Verpflichtung zur Benutzung derselben verbunden und der Gesetzgeber, dem die Abneigung des russischen Bauern gegen die landwirtschaftliche Arbeit bekannt war, wollte einerseits den Grundbesitzer vor der Gefahr schützen, seinen Grund und Boden während der Honigmonate der bäuerlichen Freiheit unbenutzt brach liegen zu sehen, andererseits der durch leichtsinnige Verzichtleistungen arbeitsunlustiger Gemeinden eröffneten Möglichkeit völliger Expossedirung. derselben vorbeugen. Für den mit den Verhältnissen unbekannten Beobachter bietet es in der Tat ein eigentümliches Bild, die Legislation gleichzeitig um möglichst reichliche Ausstattung der Gemeinden und auch um die Annahme dieses Geschenks seitens der Beschenkten besorgt zu sehen.

Das Maß der der Gemeinde zugeteilten Ländereien bedingt die Höhe der für dieselben zu prästirenden Leistungen. Je nachdem eine Gemeinde das Maximum des Gemeindelandes oder dessen Minimum in Anspruch genommen und erhalten oder aber gegen das Geschenk eines Vierteils des Maximums auf den Rest verzichtet hat, hat sie viel, wenig oder nichts an den Gutsherrn zu prästiren.

Wie bereits oben erwähnt, hat die Gemeinde selbst zu bestimmen, auf welche Weise sie sich ihrer Verpflichtungen gegen den Gutsherrn entledigen will, ob durch Pachtzahlung, ob durch Frohnleistung oder vermittelst Abkaufs des Bauernlandes sammt den Gehöften; dass die Gehöfte auch ohne das Ackerland gekauft werden können, ist dem Leser bereits bekannt, dass das Ackerland aber nicht ohne die Gehöfte gekauft werden kann, liegt auf der Hand, denn bei einer endgültigen Abtrennung und selbständigen Konstituierung der Gemeinde, muss auch für die Wohnungen derselben gesorgt sein. Dabei ist die oben erörterte Bestimmung festzuhalten, dass die Gemeinde bis zum Februar 1870 an die Verpflichtung zur Bearbeitung des Bauerlandes, in dessen Besitz sie sich befindet, gebunden ist, wenn sie sich nicht (vgl. oben) anderweitig mit dem Herrn geeinigt, von ihm ein Drittteil des Maximums als Geschenk angenommen und auf den Rest verzichtet hat u. s. w.; nur wenn sie mehr als das Maximum besitzt, steht der Gemeinde das Recht zu, ihren Landanteil nach Ablauf der ersten fünf Jahre auch ohne Berücksichtigung der Wünsche des Herrn bis zum Maximum zu vermindern.

Erklärt die Gemeinde, sie wolle dem Herrn für den Besitz ihres Landes Obrok (Pacht) zahlen, so bleibt die Feststellung dieses Obroks zunächst der unter Vermittelung des Friedensvermittlers herbeizuführenden freien Vereinbarung überlassen. Kommt eine solche nicht zu Stande, so treten eine Reihe gesetzlich normierter Taxbestimmungen in Kraft, welche wiederum mit der Einteilung in Zonen und Regionen in engem Zusammenhang stehen und sich für die einzelnen Güter darnach richten, welcher jener Rubriken dieselben angehören. Unter Aufstellung des allgemeinen Grundsatzes, dass der zu ermittelnde Pacht- oder Obrokbetrag in keinem Falle das Maß des früher (vor der Regulierung) gezahlten Betrages überschreiten soll, gelten folgende Spezialregeln. Entsprechend dem für den Einzelanteil angenommenen Maximalanteil am Grund und Boden der beiden ersten Zonen und dem gesetzlich fixierten Anteil in der dritten Zone, soll per Anteil gezahlt werden:

1) auf den von St. Petersburg nicht weiter als 25 Werst [I Werst = 5/7 engl. Mile. = 3 4/7 deutsche Meile] entfernten Gütern 12 Rbl. S.
2) Auf allen anderen Gütern der Gouvernements Petersburg, Moskau, Jaroslaw, Wladimir (das rechte Kliäsmaufer ausgenommen) und Nishni-Nowgorod (die von der Wolga weiter als 15 Werst liegenden Güter ausgenommen) 10 Rbl. S.
3) Auf den Gütern der Gouvernements Wjätka, Mohilew, Witebsk, Olonetz, sowie gewissen Bezirken Kasans, Orels, Pensa’s, Pleskau’s, Smolensks und Tambows, 8 Rbl.
4) Auf allen übrigen Gütern Großrusslands 9 Rbl. —

Haben die Bauern weniger als das Maximum erhalten, so soll der Obrok in entsprechender Weise vermindert werden. Die Details dieser außerordentlich komplizierten Umrechnungsmethode, welche für jede Dessjätine einen andern Satz annimmt, übergehen wir, da es zu ihrer Verdeutlichung einer Reihe von Exemplificationen bedarf, welche das Gesetz selbst aufführt, deren Mitteilung aber den Raum dieser Skizze überschreiten würde. Für die ersten 20 Jahre sollen diese Obrokbeträge nicht verändert werden dürfen. Hält die Gemeinde es für vorteilhafter, statt der Obrokzahlung Frohndienste zu leisten, so soll das Maß dieser gleichfalls unter Vermittelung des Friedensvermittlers festgestellt werden; das bezügliche Übereinkommen ist nur für drei Jahre verbindlich. Die Berechnung des Maßes der zu leistenden Arbeiten ist eine ziemlich einfache, da sie von der Einteilung in Zonen und Regionen unabhängig ist. Hat die Gemeinde das Maximum (in der dritten Zone den vollen gesetzlichen Anteil) erhalten, so werden per Einzelanteil 40 Männertage und 30 Frauentage jährlich geleistet; drei Fünfteile derselben im Sommer, zwei Fünfteile im Winter. Hat die Gemeinde weniger als das Maximum erhalten, so tritt eine Reduction der Leistungen ein, welche nach demselben Maßstabe vorgenommen wird, welcher für die Reduktion der Pachtbeträge gilt. Nach dem Ablauf des Trienniums hängt es von dem Willen der Gemeinde ab, ob sie statt der Frohndienste Obrok zahlen oder das bisherige Verhältnis fortsetzen will. Ein Zurückgehen vom Obrok auf die Frohne dagegen ist gesetzlich nicht gestattet; wie aber die Mosk. Zeitung und andere Organe der russischen Presse gelegentlich mitgeteilt haben, ist diese letztere Bestimmung häufig umgangen worden und haben Herren und Bauern sich in einzelnen, an Absatzplätzen Mangel leidenden Gegenden privatim darüber geeinigt, das voreilig in Pacht verwandelte Frohnsystem zeitweise wieder herzustellen. Bevor eine Gemeinde nicht von der Frohne auf die Geldpacht übergegangen ist, steht ihr das Recht zum eigentümlichen Erwerb des Ackerlandes noch nicht, wohl aber der Ankauf der Gehöfte zu. Dass nur pachtzahlende, nicht auch frohnleistende Gemeinden an den eigentümlichen Erwerb ihres Grund und Bodens denken können, ist in der Natur der Sache begründet und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung. Obrokleistenden Gemeinden ist es dagegen gestattet, auch während der Pachtjahre auf Abkauf des Bauernlandes zu provociren, das gleiche Recht steht dem Herrn zu. Die Grundzüge des in diesem Falle Platz greifenden Verfahrens sind bereits oben, gelegentlich der Besprechung der Ablösung der Gehöfte und der Auseinandersetzung über die Grenze des Gemeindelandes, mitgeteilt worden. Das für Erwerbung des Ackerlandes zu zahlende Kapital wird grade so berechnet wie der Betrag der für die Gehöfte zu zahlenden Summe, d.h. im 16 2/3-fachen Betrage der Geldrente. Wird das Ackerland oder ein Teil desselben gemeinsam mit den Gehöften von der Gemeinde angekauft, so tritt für die Käufer eine Staatssubvention ein. Wird das ganze abgegrenzte Gemeindeareal angekauft, so schießt der Staat den Bauern 4/5 des Kaufpreises (80 Cop. von jedem zu zahlenden Rubel) in 5 1/2-prozentigen Bankscheinen vor, den Rest haben die Gemeindeglieder selbst zu zahlen; kauft die Gemeinde nur einen Teil des ihr zustehenden Landes, — der aber mindestens ein Drittteil des Maximums (in der dritten Zone des gesetzlichen Anteils) betragen muss — unter Verzicht auf den Rest an, so schießt der Staat nur 3/4 des Kaufpreises vor. Der vom Staate den Gemeinden geleistete Vorschuss wird hypothekarisch auf das Gemeindeland aufgetragen und von dieser, als solidarisch verhafteter Gesammtschuldnerin, verrentet und binnen 49 Jahren amortisiert.

Im Vorstehenden haben wir den Hauptinhalt der am 19. Februar 1861 erlassenen gesetzlichen Vorschriften über die ökonomische Auseinandersetzung zwischen Herren und Bauern zusammenzufassen gesucht. Durch all’ die zahlreichen Einzelbestimmungen ziehen sich wie parallel laufende rothe Fäden die beiden leitenden Absichten des Gesetzgebers: die Ablösung des Gemeindelandes von dem herrschaftlichen Lande möglichst zu beschleunigen und die Gemeinden möglichst eng mit dem bisher von ihnen bearbeiteten Grund und Boden zu verknüpfen. Während einerseits behufs möglichster Beschleunigung einer endgültigen Auseinandersetzung eine Reihe von Vorschriften darauf abzielt, dem Gutsbesitzer die unentgeltliche Abtretung eines Bruchteils des Gemeindeareals durch Zusicherung des ihm verbleibenden Restes möglichst plausibel zu machen, wird andererseits daran festgehalten, die Gemeinden möglichst vor einem leichtsinnigen, auf Arbeitsscheu beruhenden Verzicht auf ihre Existenzbasis zu bewahren. Nur wenn man diese doppelte Tendenz der Legislation vom 19. Februar 1861 festhält, kann man zu einem richtigen Verständnis der anscheinend widerspruchsvollen Detailbestimmungen durchdringen, welche hier, mit Berufung auf die ökonomische Notwendigkeit, die Grenzen des Gemeindelandes möglichst weit stecken, dort die Möglichkeit der Bescheidung bei einem kleineren Areal offen lassen, in dem einen Fall Zwangsmaßregeln eintreten lassen, um die Gemeinden wenigstens zur teilweisen Annahme der ihnen zugewandten Bodenteile zu verpflichten, in dem andern von der Annahme auszugehen scheinen, wenn der Bauer nur überhaupt zu Grundbesitz gelange, so komme es auf das Maß desselben nicht so genau an. Ist man einmal hinter die Sache gekommen, hat man erkannt, dass die Regierung ebenso wohl darauf bedacht sein musste, dem Unverstande einer im Großen und Ganzen noch ungebildeten und arbeitsscheuen Masse nachzuhelfen und dieselbe zur Annahme der ihr gebotenen Vortheile zu zwingen, als auch darauf dem auf genauer Kenntniss der örtlichen Verhältnisse begründeten Selbstbestimmungsrechte der Gemeinden einen gewissen Spielraum zu lassen: so lösen sich die anscheinenden Widersprüche des in Rede stehenden grossen legislativen Acts zu einer höheren Einheit auf, der man Anerkennung oder Bewunderung nicht versagen kann.

Wie in ökonomischer, so auch in administrativer und politischer Beziehung ist die russische Landgemeinde wesentlich von der westeuropäischen verschieden: das Institut des Wolost, des Bezirks, zu welchem mehrere Gemeinden vereinigt werden, um die unterste administrative, politische und judiciäre Einheit zu bilden, ist eine russische Eigentümlichkeit, für welche es in Westeuropa (inclusive der westlichen Teile des russischen Reichs) kein zutreffendes Analogon gibt.

Dass mehrere Gemeinden mit einander verschmolzen werden, ist auch anderswo vorgekommen; diese Verschmelzung bedingte aber die Aufhebung der bisherigen Einheiten nicht, sie rüttelte an dem Gemeindebegriff als solchem nicht, sondern schaffte ihm blos eine breitere Basis.

Ganz anders in den russischen Gouvernements, in denen, wie wir wissen, die Glieder einer Gutsgemeinde durch den gemeinschaftlichen Besitz aufs engste mit einander verbunden, ja von einander abhängig gemacht sind. Hier bestehen die einzelnen Gemeinden gesondert von einander fort; damit sie sich aber zu einem politischen Begriff erheben, müssen sie sich mit anderen, benachbarten Gemeinden (wo möglich denen des gesamten Kirchspiels) verbinden, um einen Wolost, einen Bezirk zu bilden. Die Angelegenheiten, welche die Gemeinde selbständig zu regeln berufen ist, sind vorwiegend ökonomischer Natur und durch das Verhältnis gemeinsamen Besitzes am Grund und Boden und gemeinsamer Verbindlichkeit gegen den Gutsbesitzer resp. die Krone (wenn diese die Mittel zum Auskauf des Gemeindelandes vorgestreckt hat) bedingt; sie erstrecken sich ferner auf die Ausschließung und Aufnahme von Gemeindegliedern, Repartitionen des Armen- und Schulwesens und werden unter Vorsitz des Starosten oder Gemeindeältesten von der Versammlung sämmtlicher Familienväter entschieden. Je nachdem das Gemeindeland per Seelenanteil oder per Tjäglo verteilt *) worden ist und eine aus verschiedenen gemeinschaftlich wirtschaftenden Ehepaaren zusammengesetzte Familie im Besitz mehrerer Tjäglo’s ist, steht es derselben zu, sich durch mehrere Repräsentanten in der Gemeindeversammlung vertreten zu lassen. Der von der Gemeinde gewählte Starost ist Dorfrichter und Polizeiherr; seine Strafgewalt beschränkt sich indessen auf die Decretirung von Geldstrafen bis zu einem Rubel und Zwangsarbeit bis zu zwei Tagen, im Übrigen ist er dem Wolostältesten und der Wolostverwaltung untergeordnet.

*) Der Unterschied der Parzellenberechnung nach Seelen und nach Tjäglo’s ist bereits erwähnt worden. Wie wir wissen, rechnet das Gesetz vom 19. Febr. 1861 nur nach Seelen; damit ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass die Gemeinde das nach Seelenanteilen berechnete Land altem Brauch gemäß faktisch per Tjäglo verteile.

Der Wolost, zu welchem die Gemeinden eines Kirchspiels resp. mehrerer Kirchspiele vereinigt werden sollen, kann nur aus ganzen Gemeinden bestehen und soll mindestens 300, höchstens 2000 männliche Seelen umfassen; die größte Entfernung zwischen den innerhalb eines Wolost belegenen Wohnungen soll 12 Werst betragen. An der Spitze dieses Bezirkes steht der Wolostälteste (Starschina), umgeben von dem aus den Starosten und den Starostgehilfen der einzelnen Gemeinden bestehenden Wolostrat. Zu Beratungen von Wichtigkeit und Beschlüssen, welche den gesammten Bezirk betreffen, beruft er die Wolost Versammlungen, welche aus Abgeordneten aus den einzelnen Gemeinden bestehen und von je zehn Familienvätern gewählt werden; als Polizeiherr ist der Starschina der Vorgesetzte sämmtlicher Starosten, die von ihm ihre Aufträge erhalten und ihm Bericht zu erstatten haben. Das Verhältniss, in welchem der Wolost zum Starschina steht, entspricht im Allgemeinen dem der Gemeinde zum Starost. Unter Assistenz des Wolostraths führt er die Beschlüsse der Wolostversammlungen aus, die sich auf allgemeine Bezirksangelegenheiten, namentlich solche, welche das Rekruten- und Steuerwesen, und die Wolostcasse zum Gegenstande haben, beziehen; von dieser Versammlung werden ferner auch die Gemeindebeamten gewählt, angestellt und entlassen. Als Polizeiherr steht der Älteste unter dem Friedensrichter; seine Kompetenz läuft der des Starosten parallel. Von der aus den Gemeindeabgeordneten bestehenden Wolostversammlung werden endlich alle Jahr die Glieder des Wolostgerichts gewählt; die Versammlung wählt je nach ihrer Grösse 4 — 12 Richter, von denen je drei der Reihe nach fungieren und das Gericht bilden. Die Competenz desselben erstreckt sich auf alle Zivilstreitigkeiten, bei denen es sich um weniger als 100 Rbl. S. handelt und die Processe, welche per prorogationem an das Gericht gebracht werden; außerdem ist dasselbe zur Bestrafung geringfügiger Verbrechen und Vergehen befugt. Die innerhalb des Wolost lebenden Gutsbesitzer, sowie die bei ihnen in Dienst stehenden Personen sind von der Polizeigewalt der Starosten und Ältesten eximirt; handelt es sich um von denselben begangene Verbrechen und Vergehen, so werden die Schuldigen durch die genannten Gemeinde- und Wolostbeamten der Polizei übergeben.

Bemerkenswert ist endlich noch, dass die Woloste auf den Gouvernements- und Kreislandesversammlungen vertreten sind und ihre Vertreter den adligen Gutsbesitzern gegenüber nicht selten die Ausschlag gebende Majorität bilden.*)

Die Gouvernements- und Kreisversammlungen (in Nachbildung des technischen russischen Ausdrucks gewöhnlich „Landschafts- oder Gouvernements -Institutionen“ genannt) bestehen in der Mehrzahl der Provinzen Russlands (die baltischen und die ehemals polnischen Länder, Sibirien und das Land der donischen Kosaken ausgenommen) auf Grund eines Gesetzes vom J. 1864, das in der Skizze bereits im September 1862, wenige Wochen nach der Feier des russischen Millenniums veröftentlicht worden war. Diese Versammlungen, welche alle drei Jahre zusammentreten und, ihre Geschäfte binnen eines außerordentlich kurzen Zeitraums erledigen müssen, werden von Edelleuten (Gutsbesitzern), Bauern und städtischen Bürgern beschickt; die Vertretung der einzelnen Stände ist nach einem bestimmten Census geregelt, der aber für die verschiedenen Stände verschieden ist und ebenso in den verschiedenen Provinzen divergirt. In den Städten wählen die Kaufleute und Gewerbtreibende, welche einen Umsatz von 6.000 Rbl. S; nachweisen können, sowie die Immobilienbesitzer; je nachdem die betreffende Stadt 2.000, 10.000 oder mehr als 10.000 Einwohner hat, müssen diese letzteren, um wahlberechtigt zu sein, einen Besitz im Wert von 500, 1.000 oder 3.000 Rbl. S. nachweisen können. Die Vertretung der einzelnen Klassen der ländlichen Bevölkerung d. h. der Gutsbesitzer, Geistlichen und Bauergemeinden richtet sich nach dem Umfang ihrer Ländereien und muss schon aus diesem Grunde in den verschiedenen Gouvernements beträchtlich variiren. Die Vertretung der bäuerlichen Gemeinden geht aus indirekten Wahlen hervor, d. h. die sämmtlichen Glieder der Gemeinde wählen 1/3 ihrer Genossen zu Wahlmännern u.s.w. Bezüglich der passiven Wählbarkeit besteht gar kein Census, dafür aber Bezirkszwang; nur die Bauern dürfen Gutsbesitzer oder Geistliche, dagegen Städter nur Städter, Gutsbesitzer nur Gutsbesitzer zu Vertretern wählen. Wie die Kreisversammlung es mit den wirtschaftlichen Angelegenheiten des Kreises zu tun hat, so die Gouvemementsversammlung mit den Angelegenheiten der Provinz. Besondere Ausschüsse (Verwaltungen) dieser Versammlungen sorgen für die Ausführung der Beschlüsse derselben.

*) Eine Schrift des Dr. C. Walcker „Die Selbstverwaltung des Steuerwesens und die russische Steuerreform“ (Berlin 1869) hat diese Tatsache zu widerlegen versucht, indem sie geltend machte, dass in den Gouvernements Wladimir und Wologda die bäuerlichen Vertreter in der Minorität seien. Da das in Rede stehende Gesetz nicht für 2, sondern für 33 Gouvernements gilt, will diese Anführung, die zu den Zeugnissen der kundigsten russischen Schriftsteller im Widerspruch steht, nichts sagen.

Die Kreisverwaltung besteht aus je sechs Delegierten, welche voti der betreffenden Kreisversammlung gewählt werden. Die Gouvernements -Versammlung besteht aus Kreisdelegierten, welche von den Kreisversammlungen, und zwar in der Zahl von 2 bis 5 für jeden einzelnen Kreis (je nach der Ausdehnung desselben), gewählt werden; die entsprechende Gouvernements-Landesverwaltung besteht aus 6 Delegierten, welche die Gouvernements -Versammlung ernennt. Die Gehalte dieser Landschaftsbeamten (welche gewöhnlich sehr bedeutend sind) werden von der Versammlung selbst bestimmt.

In den Kreisversammlungen präsidiert ein von der Regierung ernanntes Mitglied derselben, in den GouvernementsVersammlungen ein direkt vom Kaiser ernanntes Mitglied dieser; der Gouvernements-Adelsmarschall ist Vice-Präsident und fungiert, wenn der Präsident am Erscheinen verhindert ist; in den Gouvernements- und Kreisverwaltungen präsidieren der betreffende Gouvernements- oder Kreisadelsmarschall, während, wie erwähnt, die übrigen Mitglieder gewählt werden.

Die Gouvernements-Versammlungen dauern nicht länger als 20, die der Kreise nicht länger als 7 Tage; die resp. Verwaltungen residieren beständig. Die Entscheidungen der erwähnten Versammlungen und Verwaltungen geschehen nach Stimmenmehrheit und bedürfen zu ihrer Gültigkeit des Erscheinens von mindestens einem Drittteil ihrer Mitglieder.

Was die Competenz dieser Versammlungen und ihrer Ausschüsse (Verwaltungen) anlangt, so wurde dieselbe in dem ursprünglichen, im September 1862 promulgirten Entwurf folgendermaßen abgesteckt.

„Den Landesorganen wird die Verwaltung der allgemeinen Landes-Ökonomie-Angelegenheiten innerhalb gesetzlich fixierter Grenzen übertragen.

Als Landes-Ökonomie -Angelegenheiten werden anerkannt: die Verwaltung der Güter, Kapitalien und Einkünfte, welche den Gouvernements und Kreis-Landschaften gehören, die Ausführung und Erhaltung der Landesbauten und Wege, die Maßregeln zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt und allgemeinen Fürsorge, gegenseitige Assecuranzen, Beförderung des lokalen Handels und der Gewerbe, die Beschaffung der Bedürfnisse für die Militär- und Civil-Verwaltung, die Beteiligung an der Regelung der Verpflichtungen für den Postdienst, die Repartition derjenigen Steuern, welche den Gesetzen gemäß oder auf ausdrückliche Allerhöchste Befehle den Landesorganen zur Erhebung auferlegt werden; von den Gouverneuren einverlangte Berichte, Vorschläge oder Beschlüsse über Gegenstände des öffentlichen Lokalbedürfnisses und alle sonstigen diesen Organen anvertrauten Angelegenheiten.“

Von den Kreisstände- resp. den Stadtverordneten-Versammlungen in Moskau, Petersburg und Odessa werden alle drei Jahre die Friedensrichter des Kreises gewählt, und nur wenn sich im Kreise keine tauglichen Personen finden sollten, findet die Wahl in der Provinzialstände-Versammlung statt; wenn auch hier keine Wahlen zu Stande kommen, so setzt der Senat von sich aus auf Vorschlag des Justizministers den Friedensrichter ein. Zum Zweck der Wahlen wird drei Monate vor Anberaumung derselben gemeinschaftlich von dem örtlichen Kreismarschall, dem Bürgermeister der Kreisstadt und dem Friedensrichter ein Verzeichnis aller derjenigen im Kreise angesessenen Personen, die sich für das Amt eines Friedensrichters qualifizieren, angefertigt. Zu diesen Personen gehören aber außer den bereits fungirenden Districts- und Ehrenfriedensrichtern alle diejenigen, die 1) das 25. Lebensjahr erreicht, 2) ihren Unterricht in den mittleren Lehranstalten genossen haben, oder statt dessen 3 Jahre solche Ämter innegehabt, in denen sie sich mit der gerichtlichen Praxis vertraut machen konnten, wenn sie außerdem 3) selbst oder wenn ihre Eltern oder Frauen ländliche Grundstücke im doppelten Betrage des Areals, wie er von den Wählern der Kreisstände verlangt wird oder andere Immobilien auf dem Lande im Werte von 15.000 und in den Städten im Werte von 6.000 (in den Residenzen) oder 3.000 Rbl. S. (in den übrigen Städten) eigentümlich besitzen. Von diesen Vermögensrequisiten kann übrigens in Anbetracht besonderer Verdienste, durch einstimmigen Beschluss der Kreisstärdeversammlung abgesehen werden. Ausgeschlossen von der Wahl sind alle bescholtenen Personen, böswilligen Bankerotteure und gerichtlich erklärten Verschwender. Hierauf werden die zusammengestellten Kandidatenlisten von dem Gouverneur geprüft und dann publicirt, wobei es den durch dieselben in ihren Rechten Verletzten anheimgestellt wird, ihre Ansprüche bei der Kreisständeversammlung geltend zu machen. Nach Einbringung der Listen in die Versammlung wird durch Stimmenmehrheit die erforderliche Zahl von Friedensrichtern erwählt, wobei es denjenigen, die gesonnen sind, sich nicht wählen zu lassen, freisteht, der Versammlung solches anzuzeigen, wonach denn kein Zwang gegen sie statthaft ist. Die Gewählten unterliegen der Bestätigung des ersten Senatsdepartements. Nach ihrer Bestätigung und Vereidigung verteilen sie unter sich die einzelnen Districte und wählen aus ihrer Mitte den Vorsitzenden der Friedensrichterversammlung.

Die Districtsfriedensrichter erhalten eine Besoldung von 2.200 Rbl. S. in den Residenzen, von 1.500 Rbl. S. in den übrigen Städten und Kreisen, für welche Summe sie sich übrigens sowohl ein Local mieten als die Kanzleikosten bestreiten müssen; die Ehrenfriedensrichter sind unbesoldet. Sie tragen außerdem ein eigenes Amtszeichen und haben ein eigenes Amtssiegel. Den ständigen Gerichtsort erwählen sie sich innerhalb des Districts unter Bestätigung der Friedensrichter Versammlung; Klagen und Beschwerden müssen sie aber überall und zu jeder Zeit entgegennehmen. Im Fall der Verhinderung eines Friedensrichters werden seine Functionen von einem andern Friedensrichter desselben Kreises nach einer vorher bestimmten Reihenfolge übernommen. Die Friedensrichter stehen unter der Controle der Friedensrichterversammlungen, diese aber unter der Oberaufsicht des Senats. Ihres Amtes entsetzt können die Friedensrichter nur auf Grund eines gerichtlichen Urteils werden. Besondere Instructionen für dieselben werden von den Friedensrichter-Versammlungen entworfen und vom Justizminister bestätigt; demselben haben auch sowohl die Friedensrichter als die Friedensrichterversammlungen jährlichen Bericht über ihre Geschäftstätigkeit abzustatten.

Das wichtigste der diesen neuen Organen des provinziellen Selfgovernments erteilten Rechte ist, wie schon aus diesen Andeutungen hervorgeht, die Befugniss zur Umlegung der s. g. Prästanden, auf welche in der Folge ausführlicher eingegangen werden wird. Objecte dieser Steuerumlegung sind Immobilien aller Art, mögen sie in den Städten oder auf dem flachen Lande belegen sein, ebenso Waaren, Fabrikate und industrielle Erzeugnisse aller Art, endlich die Concessionen (Patente) welche zum Betriebe von Handel und Gewerbe (namentlich zum Brennen und Verkaufen spirituoser Getränke) vom Staate gelöst werden müssen, mithin einer doppelten Besteuerung unterliegen. Zum Schutz der Industriellen, welche schon sehr bald nach Einführung dieser neuen Institutionen über eine Steuerüberbürdung klagten, der sie seitens der ländlichen Majorität ausgesetzt seien, wurde am 20. November 1866 durch den damaligen Minister des Innern Walujew vorgeschrieben, dass Waaren und Fabrikate von der provinziellen Selbstbesteuerung eximirt sein sollten; gleichzeitig wurden die von Patenten zu erhebenden Abgaben limitirt. Die von den Versammlungen decretirten Steuerumlagen bedürfen übrigens der Bestätigung des örtlichen Gouverneurs; Öffentlichkeit der Verhandlungen findet nicht statt und selbst zur Veröffentlichung derselben bedarf es der Zustimmung des Gouverneurs.

In dem Umstande, dass die ländlichen Gemeinden sofort nach ihrer Emancipation eine so überaus reichliche Vertretung in den Kreis- und Provinzialversammlungen erhielten, sah der verstorbene Präsident Dr. Lette (Vgl. Faucher’s Vierteljahrsschrift für Volkswirthschaft und Culturgeschichte 1864, Bd. 11) „eine aus der Aufhebung der Leibeigenschaft naturgemäss folgende Bestimmung“ und rügte es, dass dieselbe in Preussen bis jetzt noch immer unerfüllt geblieben sei. In vielen Teilen Preussens fehle es noch immer an einer gehörigen Gemeinde- und Landpolizeiordnung und einer den Vorschriften der Verfassung entsprechenden Kreis- und Provinzialverfassung. In den östlichen Provinzen Preussens hätten die Gutsbesitzer in den Kreisversammlungen noch immer Virilstimmen, während die Gemeinden durch spärliche Vertreter höchst unvollkommen repräsentirt seien; es gebe Kreistage, zu welchen fünfzig Rittergutsbesitzer und nur fünf bis sechs Repräsentanten sämmtlicher Gemeinden des Kreises gehörten. — In Russland selbst war die den Gemeinden eingeräumte Präponderanz auf den Kreis- und Gouvernementsversammlungen wiederholt als Grund der ungenügenden Leistungen dieser Körper bezeichnet worden; insbesondere hat die conservative Zeitung „Westj“ darauf aufmerksam gemacht, wie gefährlich es sei, die Vertreter des persönlichen Eigentums denen des Gemeindebesitzes zu subordiniren — ein Umstand, den der deutsche Beurteiler, dem nur das Bild der auf Unkosten des mittleren und kleineren Grundbesitzers bevorrechteten preussischen Junker vorschwebte, außer Augen gesetzt hat.