Russlands Geschichte und Politik

dargestellt in der Geschichte des russischen hohen Adels
Autor: Kleinschmidt, Arthur Dr. (1848-1919), Erscheinungsjahr: 1877

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Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
  1. Erloschene Familien.
    1. Die Abkömmlinge Ruriks. - Worotynski, Paletzki, Posharski, Schuiski, Gorbatyi, Skopin, Kurbski, Romadonowski, Repnin, Odojewski
    2. Lithauische Geschlechter
  2. Noch blühende Familien aus Ruriks und Gedimins Blute.
    1. a) Die Abkömmlinge Ruriks.
      1. I) Fürstenhäuser.
      2. II) Nicht fürstliche Häuser.
    2. b) Abkömmlinge Gedimins.
    3. c) Fremde Häuser.
  3. Alte Bojarenhäuser, nicht aus Ruriks Blute.
    1. a) Ohne Fürsten- und Grafentitel.
    2. b) Gefürstete Bojaren-Familien.
    3. c) Gegrafte Bojaren-Familien.
  4. Rassische Fürstenhäuser aus fremdem Ursprunge.
  5. Russische Grafenhäuser fremden Ursprungs.
  6. Gefürstete Familien aus kleinem russischem Adel.
  7. Gegrafte Familien aus kleinem russischem Adel.
  8. Emporkömmlinge.
    1. a) Herzoge.
    2. b) Gefürstete Familien.
    3. c) Gegrafte Familien.
    4. d) Baronisirte Familien.
  9. Benutzte Werke.
    1. I) Familien-Register.
      II) Register der wichtigsten Friedensschlüsse, Waffenstillstände, Verträge u. Congresse.
    2. III) Register der hauptsächlichsten Schlachten, Belagerungen und eroberten Städte.
Einleitung zu Russlands Geschichte und Politik

So ganz eigenartig und einzig die Stellung und Geschichte des russischen Adels ist, durchaus verschieden von dem Adel anderer Reiche, so hat dieser doch noch selten eine Feder gefunden, die ihn in seinen Eigenthümlichkeiten und in seiner Individualität zu schildern versuchte und dabei weder befürchtete, traurige Wahrheiten verschweigen noch auch überhaupt hehlerisch oder vertuschend zu Werke gehen zu müssen. Diese Zeilen sollen das lange Versäumte nachholen, den Gang der russischen Adelsgeschichte im Allgemeinen verfolgen und dann aus der unendlichen Reihe von Geschlechtern die bedeutendsten hervorheben und näher besprechen. Hierbei werde ich einzig der historischen Wahrheit als Richtschnur folgen, durch keine Gunst und keine Abneigung mein Urtheil trüben lassen.

Der Adel in Russland könnte füglich in feststehende Categorien getheilt werden und werde ich bei meinen Besprechungen solche zu Grunde legen, um eine leichtere Orientirung zu ermöglichen. Die vornehmste Gruppe bilden die Geschlechter, deren Ursprung auf Rurik zurückgeht, ihnen schliessen sich mehrere alte Bojarenfamilien, an, deren Ansehen sie über alle anderen erhob, hierauf folgen die Fürsten, Grafen und Barone, die späterhin creirt und darum in Betreff ihrer Vollgiltigkeit oft hochmüthig von der alten Aristokratie angesehen wurden, zumal viele unter ihnen das odium nichtrussischer Abstammung an sich trugen. So grundverschieden auch diese Gruppen unter einander sind, so berühren sie sich doch häufig, neue Familien sehen ein, als homines novi müssten sie sich mit den alten verschwägern, um in das Allerheiligste der Aristokratie des Czarenreiches eintreten zu dürfen, und gemeinsame Geschicke wie gemeinsame Leiden knüpfen das Neue und das Alte aneinander, vereint stellen sich die innerlich fremden Gruppen dem gleichen Feinde, der Monarchie, entgegen und erliegen ihr vereint.

Mit dem Jahre 1015 beginnt die eigentliche russische Adelsgeschichte; der Grossfürst Wladimir, den sowohl die römische wie auch die griechische Kirche als Heiligen verehren, starb und theilte sein Reich unter elf Söhne und einen Neffen. Hierdurch kam es zu fortwährenden Zwisten und Kriegen zwischen den Theilfürsten, die sich von Generation zu Generation durch weitere Zerstückelung des Besitzes vermehrten, und dem Grossfürsten, und nach Jahrhunderten stand für Russland die Existenzfrage so, ob es von Lithauen, wo Gedimin eine Monarchie gründete, oder von den Mongolen unterworfen werden sollte. Die Vorsehung stellte Russland unter das Joch der Mongolen, als Jurij III. regierte, im Anfange des 13. Jahrhunderts. Es war nun ein höchst unberechnetes Beginnen der Eroberer, bald vor allen Fürsten den Grossfürsten von Moskau zu begünstigen, ihn in Macht und Einfluss zu setzen und so selbst das Centrum der Einigung dem nationalen Geiste anzuweisen; sobald der Herr in Moskau sich stark genug fühlte, erhob er sich gegen den fremden und verhassten Protektor. Hatte schon Dimitri IV. Donski 1380 den Kampf gewagt und siegreich bestanden, so schüttelte der gewaltige Grossfürst Iwan III. Wassiljewitsch das mongolische Joch ab und begann die Einigung Russlands auf Kosten der Theilfürsten; er und seine Nachkommen beraubten dieselben ihrer Apanagegüter und machten sie zu Unterthanen. Iwan zerstörte die mächtige Republik Nowgorod, sein Sohn die von Pskow, Iwan fügte ausserdem eine Reihe von Gebieten seinem jungen Staate hinzu und nannte sich „Beherrscher von ganz Russland“; die Geschichte kann dem 1505 gestorbenen Befreier seines Volkes den Namen des Grossen nicht verweigern, um den alten, gleich ihm von Rurik abstammenden Fürstenadel zu entkräften und seines dem Grossfürsten bedenklichen Ansehens möglichst zu entkleiden, vor Allem um ihm die Erinnerung an seine ehemalige Souveränität zu nehmen, begann Iwan III. die Vermischung der Abkömmlinge Ruriks mit den Familien der Bojaren in Moskau. Doch kam dieselbe erst in volle Geltung unter seinem Enkel, dem berüchtigten Iwan IV. Wassilje- witsch, 1534—1584.

Nach Iwans III. Tod herrschte fast dreissig Jahre sein Sohn Wassilij IV. Iwanowitsch; er brachte die letzten Theilfürstenthümer an seine Krone, dazu Pskow und unterdrückte den Adel im Interesse monarchischer Gewalt. Mit seinem Tode änderte sich dies; der Wittwe, einer Polin, stand ein Bojarenrath zur Seite und die Familien der Glinski, Beelski und Schuiski fochten nun mit wechselndem Glücke um die Leitung der Geschäfte, bis der Würger herangewachsen war, der diese stolzen Regenten und den gesammten Adel niedertreten sollte. Iwan IV. Wassiljewitsch, der sich zuerst Czar von ganz Russland nannte, der Ludwig XI. Russlands, ging damit um, die auf selbständiges Vermögen, eigenen Grundbesitz und alte Herkunft gestützte Macht der Geschlechter völlig zu brechen und an ihre Stelle die Verleihung von Ansehen aus dem Borne seiner Gnade zu setzen; darum wüthete er mit Strick, Folter und Beil gegen den Adel und hieb die Häupter ab, als seien es Mohnköpfe; er zog Güter ein, vergab sie an seine Spiessgesellen, machte edlen Geistern wie dem Knäsen Kurbski es unmöglich im Vaterlande zu bleiben — die tyrannische Luft, die in Moskau wehte, wurde von Jedem gerne gemieden, der kein Sklave zu sein geizte. Um 1550 zog Iwan IV. das genealogische Buch des Großvaters hervor und führte es zu Ende, die alten Bojarenfamilien wurden verquickt mit den Nachkommen Buriks. Mit der souverainsten Willkür liess er dies goldene Buch des Adels abfassen; man trug die Descendenten der apanagirten Prinzen aus Buriks Blut und die Abkömmlinge der lithauischen Grossfürsten, dann die tatarischen Fürsten Mestscherski, eine Reihe vom Czaren begünstigter Familien und einen Theil der moskowitischen Bojarenfamilien ein, liess aber diese zum anderen Theile und dazu die Geschlechter fast aller Bojaren in den apanagirten, resp. eroberten Fürstenthümern sowie in Nowgorod weg. Gleichzeitig nahm Iwan den Familien den Anspruch einer herrschenden Aristokratie dadurch, dass er erklärte, der Vorrang eines Geschlechtes vor dem anderen werde durch den Dienst am Hofe oder im Heere bedingt, die Familie, welche die meisten hohen Beamten aufweisen könne, sei die vornehmste, nicht aber die, welche Burik oder Gedimin zu- nächst stehe. Wer auf diese Art vornehmere Ahnen aufzuweisen habe, dürfe nie einem von weniger vornehmem Range untergeordnet werden. Diese Bestimmungen, bekannt unter dem Namen „Meestnitschestwo“, führten zu steten Rangstreitigkeiten der Bojaren, die Heerführung hatte unzählige Male darunter zu leiden, ebenso der ganze Geschäftsgang — in jedem streitigen Falle suchten die Adeligen Entscheidung bei ihren sibyllinischen Büchern, den Dienstlisten in der Bosraeds-Kammer. Solche Bagatell-Fragen waren es zum Beispiel, welche schon 1500 im Kriege mit Lithauen die beiden Heerführer, Fürst Daniel Stschenja und Bojar Jurij Sacharjewitsch, einen Ahnen der Romanow, entzweiten und den Sieg gefährdeten; sie kehren dann wieder, so lange das Meestnitschestwo zu Kraft besteht, erst sein Ende ist auch ihr Ende.

Der Adel athmete auf, als der schreckliche Iwan Iv. 1584 beim Dambretspiele verschieden war. Sein schwacher Nachfolger, Feodor I. Iwanowitsch, schien nicht zu fürchten, doch ergriff sein Schwager, der Bojar Boris Godunow, das Scepter, während Jener betete oder die Kirchenglocke läutete. Godunow war dem nach politischer Macht strebenden Adel entschieden entgegen, suchte ihn am Hofe und in Moskau zu beseitigen und entging schlau den Anschlägen, die der alte Adel im Vertrauen auf die Hilfe des hohen Clerus gegen ihn plante. Januar 1598 verschied der unbedeutende Czar Feodor und da Boris 1591 den Czarewitsch Dimitri hatte ermorden lassen, so war die ältere Linie Ruriks, d. h. das Czarenhaus in Moskau, erloschen — Boris wurde Czar. Als solcher setzte er die Politik des Reichsverwesers fort, unterdrückte die Geschlechter, verbannte die ihm gefährlichen oder verdächtigen Grossen wie die Familie Romanow - Jurjew, suchte seinen Thron zu sichern und Russland in moderne Bahnen zu lenken. Da erhob sich gegen ihn, auf Polen und die Jesuiten gestützt, der falsche Dimitri, es kam zum Bürgerkriege, Boris starb plötzlich 1605 — Dimitri siegte und wurde in Moskau gekrönt. Der russische Adel ging haufen- weise zu dem Betrüger über, nahm Gnadengaben aus seiner Hand und als dieser schon 1606 in einem Volksaufstande den Tod gefunden, stellten Nachkommen Ruriks einen zweiten Pseudo-Dimitri 1606 auf, dem noch ein dritter folgte. So vaterlandslos, so unedel, so feil war die Gesinnung dieser Knäse.

Eine Gruppe von hohen Adeligen erhob einen aus ihrer Mitte zum Czaren, Wassilij V. Schuiski, aber keineswegs bedingungslos. Wassilij musste das bisher Unerhörte eingehen, sich eidlich zu einer Capitulation verstehen; seine czarische Gewalt wurde in einigen Punkten eingeengt und er an die Mitwirkung der Bojaren verwiesen. Schon 1610 war Russland seiner elenden Regierung müde, die falschen Dimitri verheerten das Land, die Polen kamen herein, das heilige Moskau wurde belagert, eine Partei in Moskau stiess den Czaren ins Kloster. Der Adel, d. h. der Bojarenrath, regierte; bald zerfiel er in mehrere Gruppen, die Einen wollten die Vereinigung Russlands mit Polen unter einem Hute, die Anderen hingen an dem „Diebe von Tuschino“, Dimitri II., wieder Andere dachten an den und jenen Bojaren als Czaren, das Volk aber und wenige Adelige entschieden sich mit dem Patriarchen Hermogenes für den Verwandten des verblichenen Czaren Feodor I., für Michail Feodorowitsch Romanow. In furchtbaren Kämpfen rang das herrenlose Russland um sein Heiligstes, um Nationalität und Kirche, mit dem katholischen Erbfeinde Polen und ging glorreich aus dem Kampfe um Tod und Leben hervor.

Czar Michail, ein Mitglied des alten Bojarenadels von Moskau, bestieg den Thron 14. März 1613. Man war ähnlich zu Werke gegangen wie in Deutschland bei der Wahl Rudolph’s von Habsburg und hatte sich wohl gehütet, einen Schuiski, Galitzin oder Trubetzkoi, einen Mstislawski oder Odojewski zu küren, denn diesen mächtigen durch das Meest- nitschestwo hervorragenden Geschlechtem wollte man sich nicht mit gebundenen Händen überliefern. Das verhältniss- mässig unbedeutende und junge Haus Romanow würde — so dachten die Bojaren — ihnen nicht gefährlich werden, zu- mal der bescheidene jugendliche Czar sofort auf eine Capitulation einging, die ihn an die Mitwirkung des Bojarenrathes noch weit mehr band als einst Wassilij V.

Bis auf Peter den Grossen gab es jetzt eine Art Zweikammersystem, die Bojaren und einige vom Czaren ernannte Würdenträger bildeten die erste und Deputirte des Clerus, des Adels und der Städte die zweite Kammer, alle Ukase begannen:

„Der Czar hat befohlen und die Bojaren haben beschlossen.“ Peter schaffte dies Alles ab, wollte absoluter Gebieter sein.

Des Adels Stellung war jetzt eine mächtige und hervorleuchtende, denn er stand gebietend neben dem Czarenstuhle — dies änderte sich von Grund aus mit dem Jahre 1618. Aus der polnischen Gefangenschaft kehrte Michail’s Vater, der neue Patriarch Philaret, nach Moskau heim und der ehrgeizige Priester benutzte die Unzufriedenheit des kleinen Adels und des Volkes gegen die Bojaren wie auch die gegenseitige Eifersucht der letzteren so meisterhaft, dass er in aller Kürze die Regierung in Händen hielt und dem Bojarenrathe nur seine Verordnungen zu bestätigen überliess. Wie der alte Vockerodt sagt, „gouvernirte er im ganzen Reiche alles despotiquement.“ Philaret war dem Namen nach Mitregent, in der That Czar in Russland, eine Art Papst-König, Michail stand gänzlich unter seinem Einflusse, seine Vorstellungen waren dem Sohne Gesetze. Hochangesehene Bojaren sandte der Patriarch in entfernte Gegenden als Beamte, um allein zu herrschen und liess den Adel nirgends zu rechtem Einflüsse gelangen. Erst nach seinem Tode 1634 wurde die Lage des hohen Adels eine freiere und erwünschtere, die Bojaren waren wieder die ersten Berather des Czaren und damit privilegierte Sklaven in einem Lande allgemeiner Sklaverei; sie ergeben sich der Völlerei und Ausschweifung und leisten in ihrer Eigenschaft als Staatsangehörige möglichst wenig; sie suchen sich den Kriegslasten zu entziehen, stellen von ihren Dienst- und Erbgütern keine Truppen, geben davon auch nicht die gebührliche Abgabe zur Lohnung der Soldaten, verheimlichen die Zahl ihrer Bauern, um sie nicht zu Kriegsdiensten etc. etc. verwendet zu sehen. Diese Periode bevorrechteten Nichtsthuens Seitens der Grossen des Reiches und ihrer Erschlaffung war die Zeit, in der Feodor III. Alexejewitsch und Peter der Grosse heranwuchsen. Michaliks Nachfolger Alexei Michailowitsch (1645 — 1676) stand von Kindesbeinen an unter bojarischem Verschlusse, sein Günstling Morosow — zugleich sein Schwager — war die Brücke, die man zu ihm passiren musste, und dessen gute Freunde vom Adel bereicherten sich durch Raub und Nichtswürdigkeiten aller Art. Aber die steten Rangzwiste machten dem Adel ein einiges Auftreten und die Begründung einer politischen Machtstellung unmöglich, im grossen Ganzen blieb er der Krone ungefährlich.

Diese Schäden nun sah Czar Feodor III. Alexejewitsch mit Fug und Recht als unheilbar an und beschloss daher den Baum des Unheils zu fällen, das Meestnitschestwo musste aufgehoben werden. Feodor berief die grosse Versammlung vom 24. Januar 1682, die sich einstimmig seiner Ansicht anschloss: als vollendeter Autokrat befahl er die Rosraedsbücher, worin die Streitigkeiten der verschiedenen Familien um den Vorrang officiell verzeichnet waren, herbeizubringen und warf sie ins Feuer. So war dieser Hader aus der Welt geschafft. Gleichzeitig gestattete er die Wiederausgabe des goldenen Adelsbuches, welches wegen seines sammetnen Einbandes das Sammetbuch (barchatnaja kniga) genannt wird und sich auf der heraldischen Kammer des Senats in Petersburg befindet, aber keine neue Familie wurde darin eingetragen, obgleich z. B. die Narischkin sich alle erdenkliche Mühe gaben. Alle russischen Adeligen waren nun gleich an Rechten, ohne Rücksicht auf Titel oder Ursprung. Feodor war ohne Wahlcapitulation auf den Thron gelangt und herrschte nach Belieben, an keine Einschränkung gebunden, die Bojaren griffen an ihren Bart und schwiegen, die in Gestalt der Geheimpolizei von seinem Vater errichtete Inquisition band ihnen die Zunge, denn auch Bojaren standen unter der Controle der Kammer der geheimen Angelegenheiten, die etwa heute der dritten Abtheilung der geheimen Kanzlei Sr. Maj. des Kaisers entspricht.

Der vollendete Selbstherrscher war Peter der Grosse, Feodor’s Stiefbruder; mit eiserner Faust riss er Russland aus den asiatischen Bahnen in europäische, kein Mittel des rohesten Despotismus verschmähend. Voll massloser Verachtung gegen das in seiner Ungebildetheit selbstgefällige Mandarinenthum des alten Adels trat er diesen mit Füssen, prügelte und knutete ihn nach Herzenslust oft sogar eigenhändig, schonte Niemanden; wer den Sohn opferte, nahm natürlich auf die Bojaren keine Rücksichten. Um den verdummten Adel, der sich gegen die moderne Bildung verschloss, in’s Angesicht zu höhnen, zwang Peter ihn zu Narrendiensten, zu seinen Spassmachern und Hofnarren nahm er Adelige, bei den Maskenzügen und Possenfesten erschienen Fürst Romadonowski und Frau Buturlin als Fürst Cäsar und Fürstin Cäsarin, Buturlin als Fürstpapst und mussten sich die plumpsten Spässe gefallen lassen. Aber Peter beraubte den hohen Adel nicht nur seines Selbstgefühles und zwang ihn in den Knechtsdienst, er that mehr. Der Mann, der eine livische Magd auf den Kaiserthron erhob, demüthigte seinen verdienstlosen Adel dadurch, dass er fremde Elemente in ihn einführte, um im Staate ihre Kraft zu erproben; er zwang die stolzen Geschlechter Leute fraglichster Herkunft in ihren Kreis aufzunehmen, und wenn sie überhaupt Einfluss behalten und nicht zu nichtsbedeutendem Landadel herabsinken wollten, so mussten die Abkömmlinge Buriks und der uralten Bojaren des Meestnitschestwo in Freundschaft mit den Menschikow und Schaffirow leben, ja sich mit ihnen vermischen. Peter ist auch der erste russische Herrscher, der Adelige creirte. Den Fürstentitel, welcher bisher nur von den Nachkommen der früheren Theilfürsten getragen wurde, verlieh er an Menschikow, schuf überdies russische Grafen und Barone, etwas bis dahin Unbekanntes; zum Theile fielen diese Titel an Sprossen alter Häuser, zum Theile an Neulinge. Uebrigens erhielt der Adel keine Vorrechte im Staatsdienste, während jeder Bürgerliche durch den Staatsdienst die Rechte des Adeligen sich erwerben konnte, und jeder Soldat, sobald er höherer Officier wurde, den erblichen Adel erlangte. Die dies verfügende Rangordnung vom 22. Januar 1722 blieb bis auf Kaiser Nikolaus in Kraft und nach ihr verlor jeder Edelmann ohne Ausnahme, sobald eine entehrende Strafe auf ihm lastete, Titel und Rang. Besonderer Werth wurde auf das Erbrecht nach der Erstgeburt von Peter gelegt, um den Adel vor der Verarmung zu sichern — nur aus Egoismus wegen des Kriegsdienstes wollte er ihn vor dem Untergange bewahrt sehen.

Als Peter der Grosse 1725 starb, hielt Menschikow die Geschlechter zurück, die die alte Bojarenwirthschaft wieder herstellen wollten; Katharina I. trat die Regierung an. Als sie aber 1727 in die Gruft hinabgesunken war, erhob sich die kaum gebeugte Aristokratie von neuem. Das uralte Haus Dolgoruki entriss unter dem Knaben PeterII. dem Fürsten Menschikow das Scepter und führte, mit den Galitzin um den Vorrang kämpfend, den Kaiser in sein Lager. Die Czarengewalt zu beschränken zu Gunsten des hohen Adels, wurde die Losung sowohl der Galitzin als der Dolgoniki, als Peter, der letzte Mann aus dem Hause Romanow, 30. Januar 1730 *) gestorben war. Ohne jeden politischen Takt liessen sie aber die köstliche Zeit verstreichen, dachten nicht an die Erzeugung constitutioneller Staatsformen und übertrugen schliesslich unter Bedingungen die Krone an Peters I. jüngere Nichte, Anna Iwanowna von Kurland. Anna unterzeichnete ruhig die Bedingungen und zerriss in Petersburg 8. März 1730 die Urkunde, um als Selbstherrscherin zu regieren. Dem Adel, der ihre Macht hatte einschränken wollen, bereitete sie schwere Zeiten. Die Dolgoruki, die selbst auf den Thron den lüsternen Blick geworfen, verfielen der Verbannung und als sie später das Haupt nochmals erhoben, dem Henkerbeile, ein Tscherkaski kam nach Kamtschatka in ewiges Gefängniss, ein Galitzin nach Schlüsselburg, Wolynski’s Verschwörung wurde siegreich bewältigt und ein Schaffot trank sein Blut. Während ein elender Günstling das Herz der Kaiserin besass und ihre Grossen mit frechem Uebermuthe behandelte, wurde der alte Adel von Anna I. in jeder Weise gekränkt. Unter ihren Hofnarren waren ein Apraxin, ein Fürst Wolkonski und ein Fürst Galitzin. Da Letzterer auf seinen Reisen im Auslande katholisch geworden war, musste er zur Strafe Narr werden und 1739 in einem Eispalaste auf der Newa eine Magd heirathen. So verfuhr die Kaiserin mit ihren privilegirten Sklaven, die dem Winke ihrer Augen sich fügen mussten.

*) Die Daten gebe ich stets nach dem neuen Style an.

Bei den fortwährenden Palastrevolutionen, die vom Tode Anna’s bis zur Thronbesteigung des Hauses Holstein-Gottorp sich folgten, blieb der Adel durchaus nicht unbetheiligt, aber eine politische Macht erlangte er keineswegs, der Eine oder der Andere trat aus den Reihen hervor, der Stand jedoch blieb in derselben von der herrschenden Person niedergehaltenen Stellung. Peter III. gab dem Adel als Vorrecht, was Jeder als selbstverständlich für Alle ansieht, nämlich Freiheit zu reisen wohin er wolle und zu dienen wo er wolle, mit ruhiger Beibehaltung seiner Stellung in Russland; zugleich hob er die körperlichen Strafen auf. Peter fiel, seine grosse Gemahlin Katharina II. liess ihre Macht nicht beschränken wie Panin gehofft, sondern herrschte unbedingt. Dem Adel gab sie Beschäftigung in den Aemtern und Heeren, fesselte ihn durch Ehren an ihren Hof, vermehrte die Zahl der Orden und schuf eine lange Reihe von neuen Adelsfamilien. Um die Frivolität des Adels zu beseitigen und durch bessere Erziehung zu untergraben, sah sie auf die adelige Jugend, in adeligen Erziehungshäusern wuchsen die Töchter, in militärischer Zucht die Söhne heran. Politische Macht erhielt der Adel nie unter Katharina II. und ebenso wenig unter einem ihrer Nachfolger, der Traum der Oligarchen, eine Institution nach schwedischem Muster in Petersburg eingeführt zu sehen, ist nie in Erfüllung gegangen. Hingegen erlitt der russische Adel im heutigen Jahrhunderte eine ungeheure Einbusse durch die segensreiche Aufhebung der Leibeigenschaft. Seit 1762 lastete diese besonders hart auf der niederen Klasse, da die obige Verfügung Peters III. den Adeligen ermöglichte jederzeit auf dem Lande zu leben — seitdem sah sich der kleine Mann in einer Weise bedrückt und geplagt, dass immer vernehmlicher der Wunsch laut wurde, die Sklaverei beendet zu sehen. Schon Katharina II. war dafür, erreichte aber nichts — der Adel erhob sich tumultuarisch dagegen, nur der reichste Privatmann in Russland, Graf Scheremetew, der 120,000 Bauern besass und jährlich 600,000 Rubel einnahm, war edelmüthig bereit, die Leibeigenen frei zu geben, wenn die Kaiserin den Beschluss durchsetze. Unter Alexander I. und Nikolaus bereitete dann Speranski die Wege, auf denen Alexander II. zur endlichen Aufhebung der Leibeigenschaft; vorschreiten konnte: 3. März 1861 erfolgte sie. Die Gutsherren wurden entschädigt, aber ihr Wohlstand war dahin, eine Reihe adeliger Familien, plötzlich tausender von fleissigen Händen beraubt, versank in Armuth. Alexanders Name wird um des Manifestes vom 8. März willen ewig gepriesen werden, Millionen wurden zu freien Menschen. Der Adel empfing die Strafe, die er für die Knechtung des niederen Mannes verdient hatte; ohne selbst fürderhin Herr der Bauern zu sein, steht er wie Jene unter dem Gebote des gleichen Gebieters, des weisen Czaren.

Dies etwa sind die Geschicke des russischen Adels im Allgemeinen; überschauen wir nun seine hervorragendsten Familien, beginnen mit den Descendenten Ruriks und Gedimins und zwar zuerst mit den erloschenen Familien.

Moskau - Basilius-Kathedrale

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Moskau - Blick auf den Kreml

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Moskau - Die Börse

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Moskau - Der Kreml

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Moskau - Im Kreml 1921

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Moskau - Im Kreml

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Moskau - Kaiser-Proklamation

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Moskau - Kaiserkrönung

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