Überblick des Zustandes von Europa vor dem russischen Kriege

Die pomphafte Zusammenkunft zu Erfurt hatte Napoleon in seinem vollen Ruhm, in allem Gaukelwerke seines Glanzes gezeigt. Der neue österreichische Feldzug, der bald darauf eröffnet ward, hatte ihn, wo möglich, noch mehr erhöht, und das französische Reich -war auf dem Gipfelpunkte seiner Macht angelangt.

Um diese Zeit kam ich zum ersten Male nach Frankreich, und unter der Gewalt der Eindrücke, die ich in Deutschland in mich aufgenommen, betrachtete ich nicht ohne eine Art Schrecken die furchtbare Macht, welche damals die Geschicke jener Nation lenkte, und die Geschicke von ganz Europa ebenfalls in der Hand zu haben schien.


Ich hatte schon in Erfurt Napoleon gesehen, damals aber machte seine Größe weniger Eindruck auf mich, als die untergeordnete Stellung Alexanders. Ein vielleicht ziemlich unverständiges Gefühl ließ mich mein Land in der Erniedrigung seines Kaisers auch erniedrigt sehen. In der Tat brauchte man nicht erst zu wissen, was in dem Innern der Kabinette vorging, um mit aller Welt klar zu erkennen, wer von beiden Herrschern damals, in Erfurt wie in Europa, der Herr war.

Das zweite Mal sah ich den Kaiser der Franzosen an seinem Namenstage, in dem Park von Versailles. Ich irrte unter der übrigen Menge umher, als plötzlich eine große Bewegung entstand. Napoleon erschien, begleitet von der zweiten Kaiserin und seinem glänzenden Gefolge von Marschällen. Man hatte ihn nicht erwartet. Das ganze Volk schrie: „Es lebe der Kaiser!“ und ich, der allgemeinen Bewegung nachgebend, vereinigte meinen Ruf mit dem der Franzosen. Dieses unschuldige Nachgeben habe ich mir damals lange zum Vorwurfe gemacht, jetzt verursacht es mir keinen Kummer mehr.

Doch muss ich gestehen: Die Gefühle, die ich anfangs in der Umgebung der Franzosen empfand, waren gewissermaßen feindseliger Art gegen die Letzteren: kaum vermochte ich mich von den peinlichen Erinnerungen loszumachein die ich jenseits des Rheines gesammelt, und, wenig an den Umgang mit Menschen gewöhnt, wie ich es damals war, bedurfte es aller Artigkeit, alles Wohlwollens, ja selbst aller Freimütigkeit, die ich überall vorfand, um mich an Frankreich und die Franzosen zu gewöhnen. Das Schauspiel der tiefen Erniedrigung Deutschlands hatte mich schmerzlich erschüttert, und man wird zugestehen, dass es auch völlig dazu geeignet war, jedes redliche Herz zu betrüben.

Österreich, das während des Kampfes eine so bewundernswürdige Energie entwickelt hatte, schien das Gefühl seines Daseins verloren zu haben; die Vernichtung seiner moralischen Kräfte war eben so vollständig, wie die seiner materiellen Hilfsmittel. Das Ehebündnis mit Frankreichs Herrscher charakterisierte vollends das neue und traurige Los des Reiches, und ließ ahnen, dass fortan das Heil des Überrestes von Österreich nur von dem guten Willen, von dem Edelmute seines früheren Gegners und jetzigen Herrn abhängen könnte. Auch gab sich der Minister, dem damals die Leitung der Angelegenheiten anvertraut war, nur allzuviel Mühe, sich bei jeder Veranlassung in die Notwendigkeit dieser Lage zu fügen, in die man sich zu ergeben schien, ohne an die Möglichkeit, sich durch eine edle und mächtige Anstrengung wieder zu heben, auch nur zu denken. Das Land war erschöpft, das Kontinentalsystem machte sich mit aller Strenge geltend, der Bankerott war nahe. Was das Staatsoberhaupt betrifft, so hatte das Unglück sein Gemüt nicht erreicht: Franz II. war damals eben so gefühllos gegen das Schicksal Hofers, jenes tapferen Anführers des Tirolischen Aufstandes, wie er späterhin gegen Confalonieri grausam war.

Preußen, schon vernichtet, hatte während des ruhmvollen, aber für Österreich verderblichen Kampfes, nur ohnmächtige Wünsche tun können. Die Schwankungen des Krieges hatten seine Hoffnungen einen Augenblick neu belebt, aber nur, um es in noch tiefere Entmutigung zu versenken. Wenn von einigen preußischen Patrioten Insurrectionsbewegungen gemacht wurden, so hatten diese Männer offenbar weniger in Hoffnung auf Erfolg gehandelt, als vielmehr, um einem gebieterischen Antriebe nachzugeben, um das, was sie als eine Pflicht betrachteten, zu erfüllen. Edelherzige und hingebende Opfer, weihten sie sich dem Untergange, um Europa zu beweisen, dass noch nicht jeder Freiheits- und Widerstandsgedanke in den deutschen Herzen erloschen war. Die Einen, den heldenmütigen Schill an ihrer Spitze, fielen auf dem Felde der Ehre; Andere zogen unter Bewachung deutscher Gensdarmen als Gefangene durch eben die Länder, welche sie hatten befreien wollen. Obwohl sie das Los, das ihrer harrte, sehr wohl kannten, hatte sich doch Alle eine ruhige, würdige Miene voll edlen Stolzes. Sie gelangten nicht bis über Wesel hinaus!

So verzweifelt aber auch diese Anstrengungen Preußens waren, so bewiesen sie doch wenigstens, dass in den Herzen seiner Kinder noch nicht alles Gefühl für Nationalität abgestorben war, und versprachen für die Zukunft eine sichere und ruhmvolle Erhebung.

Der Überrest des alten Deutschen Reichskörpers bildete den Rheinbund, und befand sich gänzlich unter dem Einflusse seines allmächtigen „Beschützers“, diese neue Einrichtung Deutschlands ließ auch die letzten Spuren des heiligen römischen Reiches verschwinden.

Am unerträglichsten war die Lage der Bevölkerung des neugebildeten Königreiches Westphalen, auch hätte sie ihr Land lieber geradezu Frankreich als eine Provinz einverleibt gesehen, statt dass sie auf solche Art als ein besonderes Königreich ausgebeutet würde. Indessen muss man anerkennen, dass mehre Franzosen sich die allgemeine Achtung zu erwerben wussten. Unter den Würdenträgern, welche der Kaiser seinem Bruder Hieronymus beigesellte, erscheint der Minister Simon meiner Erinnerung stets als ein überall geehrter Mann. Zwar ein Fremdling, sympathisierte er dennoch in Gedanken und Gefühlen mit den Bewohnern - Jedermann sprach von ihm nur mit einem eigentümlichen Ausdrucke von Verehrung. Auch hatte die französische Herrschaft mehre veraltete und drückende Missbräuche abgeschafft, sie hatte mehre nützliche Einrichtungen begründet, z. B. das Geschworenengericht, welches späterhin die wieder eingesetzten alten Regierungen eiligst wieder unterdrückten. Aber die Westphalen zeigten deshalb nicht weniger Ungeduld, das Joch abzuschütteln.

Diese Stimmung war nicht bloß Deutschland eigen. Als ich Frankreich verließ, und die Schweiz und Italien besuchte, bemerkte ich fast überall wohin die französische Herrschaft sich erstreckte, eine mehr oder weniger lebhafte Opposition gegen diese Herrschaft. Namentlich in Rom, und besonders bei den Geistlichen, zeigte sich die feindseligste Gesinnung gegen Frankreich. Im Vergleich mit dem Deutschen Gehorsam glich die römische Unterwürfigkeit fast der Empörung.

In Neapel dagegen war es anders, als im übrigen Italien. Man schien sich hier in der neuen Regierung zu gefallen, wenigstens fühlte man keine Sehnsucht nach der alten. Es ist bekannt, dass Murat nach einer gewissen Unabhängigkeit strebte. Er behauptete, wie man sagte, mit gleichem Rechte König zu sein, wie Napoleon Kaiser war, durch das Recht des Siegers nämlich.

Fünfzehn Jahre später sah ich Italien wieder. Nirgends sehnte man sich so nach der französischen Herrschaft zurück, als in Neapel, und zwar mit Recht. Im Allgemeinen hat diese Herrschaft abgesehen von ihrem Einfluss auf die Entwickelung der politischen Ideen, für die Italiener weit fruchtbarer an guten Resultaten sein müssen, als für die Deutschen. Seiner Unabhängigkeit beraubt, zog das italienische Volk wenigstens Nutzen aus dem materiellen Wohlstande, den ihm die von den Franzosen eingeführte Ordnung bereitete.

***

Das war die Lage Europas zu Ende des Jahres 1811. Von Spanien sprechen wir nicht; Jedermann kennt den heldenmütigen Widerstand des spanischen Volkes, das wohl geschlagen, aber nie besiegt werden konnte.

Was Russland anlangt, so war dort schon seit geraumer Zeit auf die freundschaftliche Gesinnung, die Alexander von Erfurt mitgebracht, ein lebhaftes Missvergnügen gefolgt. Die Verstimmung, welche zwischen den beiden Reichen herrschte, und zu der die Besetzung des Großherzogtums Oldenburg die erste Veranlassung gab, nahm täglich einen für den Frieden Europas beunruhigenderen Charakter an; es bedurfte nur eines Funkens, um einen allgemeinen Brand herbeizuführen.

Eine Streitigkeit, die zwischen dem russischen und französischen Gesandten am Hofe von Neapel ausbrach, und mit einem Zweikampfe zwischen den beiden Diplomaten endigte, wurde als Symptom eines baldigen Bruches zwischen den beiden Kaisern betrachtet. Indessen hatte, nach der Ansicht des russischen Ministers, jener Zank seinen Grund nur in dem übertriebenen Eifer, womit Joachim einige Anwandlungen von Ungehorsam gegen Napoleon wieder gut machen wollte. Wenigstens drückte Dolgoruki diese Ansicht in einer Depesche aus, die er den Tag nach dem Ereignisse an seinen Hof sendete (den 1. Januar 1812).

Dem sei, wie ihm wolle, Alles verkündete das Herannahen des Krieges. Vor Aller Augen machte Frankreich ungeheure Rüstungen, und ergriff alle Maßregeln, die ihm seine geschickte Politik eingab, um ganz Europa unter seinen Fahnen zu versammeln, und der letzten Kontinentalmacht, die noch gegen Napoleons stets wachsende Ehrfurcht kämpfen konnte, einen entscheidenden Schlag beizubringen.

Russland seinerseits war nicht untätig geblieben. Als ich dahin zurückkehrte, sah ich die Provinzen, durch die mich mein Weg führte, mit Truppen angefüllt. Ihr Anblick war imposant; aber weder in der Disposition, noch in den Bewegungen dieser furchtbaren Massen, bemerkte man jenen verständigen Gedanken, der mit Voraussicht nach einem festen Ziele strebt, und aus vielfachen und verschiedenen Teilen ein übereinstimmendes Ganzes zu bilden weiß. Man sah gleichsam den Körper, die Materie; aber den Geist, der sie beleben sollte, suchte man vergebens. In den französischen Heeren dagegen waltete eine Seele, welche Alles belebte, sich überall kundgab, in den Vorbereitungen, wie in der Ausführung: es war Napoleons Genie.

Trotz dieser Vorbereitungen behaupteten mehre Personen hartnäckig, der Krieg werde nicht Statt finden, Alexander und Napoleon suchten sich gegenseitig vielmehr Furcht einzujagen, als dass sie Lust zum Kampfe hätten. Das war z. B. der Gedanke des Kanzlers Rumianzoff, des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten; seine Überzeugung, es werde sich Alles auf diese Demonstrationen beschränken, ging so weit, dass, als ihm die Nachricht von den ersten Bewegungen der Franzosen gegen den Niemen von einem Beamten einer russischen Gesandtschaft in Deutschland überbracht wurde, er über die Falschheit und Übertreibung dieser Nachricht einen großen Lärm erhob.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russland und die Russen Bd1
3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

Elb-National-Husaren-Regiment. Preußen. 1813-1815

Elb-National-Husaren-Regiment. Preußen. 1813-1815

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Fürst Kutusow, Oberbefehlshaber der russischen Armee 1745-1813.

Fürst Kutusow, Oberbefehlshaber der russischen Armee 1745-1813.

Louis Nicolas Davout (Davoust) Marschall von Frankreich Führer des I. französichen Armeekorps 1770-1823.

Louis Nicolas Davout (Davoust) Marschall von Frankreich Führer des I. französichen Armeekorps 1770-1823.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

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