Krieg oder Frieden? Und das Ende der französischen Suprematie.
Selbst die Freunde der Ruhe und Ordnung, die von der letzten Revolution den größten Gewinn gehabt zu haben glauben, da sie ihr erst ihre jetzige unbedingte Herrschaft zu verdanken haben, sehen sich getäuscht. Die ersehnte Ruhe will nicht kommen und mitten im Genuss einer mit systematischer Entschiedenheit aufrecht erhaltenen Ordnung befürchten sie von jedem nächsten Augenblick den Ausbruch einer allgemeinen europäischen Erschütterung.
Furcht und Hoffnung setzen noch Europa in Bewegung, also leben wir noch mitten in der Revolution. Das Feuer, welches die Kollision von Furcht und Hoffnung in der Seele der Einzelnen erzeugt und welches aus der Reibung der entgegengesetzten Parteien neue Kraft und Intensivität zieht, erzeugt in revolutionären Epochen jene glühende Atmosphäre, in der die alten Institutionen sich rettungslos verzehren. Wenn die Flamme niedergesunken ist, geht der Verzehrungsprozess stiller, aber gründlich vorwärts. Die Glut verkohlt die Stoffe — bald werden sie Asche sein.
Die Furcht vor der Macht der alten Autoritäten und Institutionen, die in der Bewegung von 48 die Hoffnung auf eine neue Organisation in allen Gebieten des menschlichen Lebens ungewiss und schwankend machte, ist seit dem Staatsstreich vom 2. Dezember in Scham über ein Fatum verwandelt, auf welches, in dieser ungeheuren Form, die Volksparteien nicht gefasst waren — jene Hoffnung dagegen in den passiven Trost, dass dieses Resultat der revolutionären Bewegung nicht ihren definitiven Schluss bilden könne; — genug, um die Entfremdung gegen das Bestehende und die Gegenwart zu erhalten und die Regierungen immer noch zu beunruhigen.
Die Furcht vor der revolutionären Bewegung bewirkte es, dass die Regierungen des Kontinents den Streich vom 2. Dezember als das günstigste Ereignis der letzten vier Jahre und als den Schluss der Revolution begrüßten. Aber die nackte Rücksichtslosigkeit, die das französische Gouvernement seitdem entwickelte, erfüllte sie wieder mit Besorgnis und ließ sie befürchten, dass das Geheimnis ihrer eigenen Gewalt verraten würde. Im Medusenhaupt dieser Regierung erblickten sie mit Schrecken den übertriebenen Typus ihrer eigenen Autorität — einen Typus, den zu erreichen sie sich unfähig fühlten. Die Herrscher des Kontinents, des westlichen Kontinents wenigstens — ja die Regierungen von ganz Europa, die russische ausgenommen, möchten mit derselben Rücksichtslosigkeit, als es in Frankreich geschieht, gegen die Presse und alle politischen Parteien verfahren, aber es fehlt ihnen die Kraft und die Kälte der Berechnung; — Grund genug, um das französische Ereignis mit Besorgnis zu betrachten; Grund genug zur Befürchtung, dass es besondere, noch nicht offen hervorgetretene Kräfte enthalten und beherbergen möge, die sich zuletzt gegen die Sicherheit und den Besitz der Zuschauenden richten können.
Es ist, mit Einem Wort, der Imperialismus, der die europäischen Regierungen von dem Schrecken befreit hat, mit dem sie das Jahr 52 bedrohte, und der ihnen dafür einen neuen, unerwarteten und gefährlicheren Schrecken entgegenhält. Das sozialistische Schreckbild ist gefallen, die Eine Partei, mit der Frankreich selber kämpfte, ist gestürzt, — dafür steht das einige, imperialisierte Frankreich da und versetzt ganz Europa in Spannung auf die Folgen, die diese gewaltsame und revolutionäre Einigung einer unruhigen, von großen Erinnerungen gemarterten Nation haben wird.
Die Regierungen des Kontinents, natürlich wiederum die russische ausgenommen, die von Hause aus der reinste Ausdruck des modernen Imperialismus ist, — alle Regierungen, selbst die englische, fühlen es, dass sie auf dem Wege sind, imperialistisch zu werden, aber die royalistische Erinnerung an das Vertrauen, den gegenseitigen Glauben und den Gemütszusammenhang, der bisher die Autorität mit den Untergebenen verband; die Reminiszenz der ständischen Gliederung, die Vertrauen, Autorität und Unterordnung durch alle Lebensverhältnisse hindurchführte und an einander kettete und in jedem Glied, in jeder Schicht der Gesellschaft in einander schmolz, so dass es keine Autorität gab, die nicht einem Höheren sich verpflichtet fühlte, und keinen Untergebenen, der sich nicht in seinem Kreise als eine persönlich bedeutsame Autorität betrachtete, — diese Reminiszenz, die vergeblich nach ihrer Wiederherstellung trachtet, hält ihre moderne, imperialistische Entwicklung auf, macht sie zu halben und gebrochenen Wesen und lässt sie mit der Unsicherheit, die dem Halben gegen das Ganze eigen ist, auf das französische Drama und dessen Ausgang hinschauen.
Und der Heros dieses Dramas? Rechtfertigt er wirklich die Besorgnis, die die Regierungen von ihm hegen? d. h. versteht er seine Bestimmung und sein Ziel? Oder teilt er das Los der revolutionären Helden? Ist er auch jener Notwendigkeit unterworfen, von der sie sonst immer beherrscht sind? Ist er auch von revolutionären Illusionen bestimmt, die die geschichtlichen Helden immer weit über das Ziel hinaustreiben, das allein erreichbar war und welches die Weltverhältnisse im Auge hatten — von jenen revolutionären Illusionen, die allein die Kraft zur wirklichen Erreichung dieses diesseits des Extrems liegenden Zieles geben?
Über die Eine Seite des Imperialismus ist er sich vollkommen klar. Ganz wie sein Oheim die Revolution dadurch schloss, dass er alle Parteien nivellierte und der Diktatur unterwarf, so hat auch er ganz Frankreich zu Einer Ebene gemacht, die kein Parteiunterschied mehr unterbricht. Im Vergleich mit der Kraft, Entschiedenheit und rücksichtlosen Sicherheit, mit der er die revolutionäre Kraft des Landes in seiner Hand vereinigt hat und sich als die einzige Autorität behauptet, kann sogar, was sein Oheim getan und geleistet hat, nur als ein Vorspiel zu seinem Unternehmen bezeichnet werden.
Aber die andere Seite des Imperialismus? Der Krieg gegen Europa — die revolutionäre Propaganda gegen die monarchischen Überreste des Kontinents?
Auch in diesem Punkte kennt der kalte, leidenschaftslose Rechner seine Zeit und Stellung — er hat so klar, so bestimmt wie möglich es ausgesprochen, dass sein, dass der moderne Imperialismus nicht an Eroberungen oder an eine bewaffnete Propaganda denken könne.
Und doch ist Europa nicht ruhig? Dennoch Besorgnis vor Krieg? Dennoch dieser ungeheure militärische Apparat in ganz Europa, der eben so groß wie der zur Zeit der Napoleonischen Kriege ist? Millionen von Soldaten auf den Beinen und von England bis Russland der Eine Gedanke, dass diese Wachsamkeit und Bereitschaft gegen Frankreich und den neuen Kaiser notwendig sei?
Es ist nicht anders möglich, wenn auch der Krieg nicht möglich ist. Die europäische Illusion über die Kriegsgefahr ist notwendig, um die französische Illusion über die vermeintliche kriegerische Aussicht bei der „großen Nation" gründlich und vollends zu zerstören. Der bewaffnete Zustand ist nötig, um die Resultate der Revolution von 48 sicher zu stellen, und Eins dieser Resultate betrifft Frankreich und ist für die ganze Zukunft der europäischen Entwicklung von Bedeutung.
Als Russland und England seit der Juli-Revolution bis 48 in Paris herrschten und die auswärtige Politik Frankreichs bestimmten, hielten die unzufriedenen Liberalen diese Abhängigkeit der revolutionären Nation nur für eine Folge von der Schwäche und prekären Lage Louis Philipps. Eins der größten Fakten aber, welches die Revolution von 48 festgestellt hat, ist dasjenige, dass diese Ohnmacht Frankreichs nicht nur durch Louis Philipps Scheu vor einem Krieg, der seinen Thron in Gefahr bringen konnte, und nicht nur durch seine ängstliche Deference gegen Russland herbeigeführt war. Nach Louis Philipps Sturz hatte Frankreich sein Geschick, seinen freien Willen, noch mehr, seine revolutionäre Kraft in seiner eignen Hand und es ordnete sich England und Russland fast noch mehr unter, als es Louis Philipp getan hatte. Es gab es deutlich und unumwunden zu erkennen, dass es an eine europäische Suprematie nicht mehr denken, dass es nach einem Einfluss in Deutschland und Italien nicht mehr streben und noch weniger eine revolutionäre Kraft in die Kämpfe des Kontinents werfen könne. Es tat sogar das Seinige dazu, um revolutionäre Veränderungen in Deutschland, in Italien und im Verhältnis von Schleswig-Holstein zu Dänemark zu verhindern — aber auch das nur im Bunde mit den andern Mächten und in ihrem Gefolge.
Und doch frönt Louis Napoleon trotz der wiederholten Beteuerungen, dass sein Imperialismus nur ein friedlicher sein werde, den Erinnerungen an das kriegerische Kaisertum seines Oheims und wirft den Franzosen nach seinen früheren Phrasen die letzte hin, dass Europa nur ruhig ist, wenn Frankreich befriedigt ist, d. h. die kaiserliche Beute, die ihm die Fremden abgenommen haben, zurückerhalten hat? Obwohl er den Großmächten versichert, dass er nicht daran denke, die Traktate von 1815 anzugreifen, will er durch seine Verationen Belgien an seine Herrschaft gewöhnen, lässt er die katholischen Irländer durch die Aussicht auf sein Protektorat betören, lässt er seine Frommen, seine Jesuiten, die Rheinlande für Frankreich reklamieren und müssen seine Journale von den heißen Wünschen der Savoyer berichten, die mit der großen Nation wieder vereinigt werden wollen?
Ja, er kann nicht anders. Das Kaisertum seines Oheims hat ihm seine Eroberung Frankreichs möglich gemacht und erleichtert — dasselbe Kaisertum wird ihm die Behauptung seiner Eroberung erschweren und wird ihn zwingen, jedem Wort, jedem Gedanken, den ihm seine verständige Ansicht der Verhältnisse eingibt, eine schielende Wendung zu geben, die seiner eigenen Überzeugung von dem Ernst, dem dringenden Ernst der europäischen Verhältnisse widerspricht. Er hat das französische Volk und seine hoch beteuernden und deklamierenden Repräsentanten richtig gewürdigt, als er diese aus einander jagte und jenes durch seine Soldaten und Jesuiten zu einer gefügigen und auf das Wort gehorchenden Horde erniedrigter Subjekte umwandelte, und doch zwingt ihn das Kaisertum seines Onkels, welches ihm den Rechtstitel zu seinem Einschreiten gibt und seine Eroberung legitimieren soll, zu dem Widerspruch, dass er derselben keltischen Horde, die er gedemütigt und von der drückenden Last ihrer Prätensionen befreit hat, die Wiederherstellung der unverjährbaren Rechte verspricht, die ihr als der großen Nation zukommen.
Der Künstler wird das eine tragische Kollision nennen, der fromme Zelot wird in dieser Verwicklung die Strafe für die Sünde illegitimer Usurpation erblicken — vom kritischen, d. h. vom positiven Standpunkte aus, wird man in diesen Widersprüchen und Schwierigkeiten den Ausdruck der Schwierigkeit finden, mit der die erste konsequente Substitution des modernen Kaisertums unter ein abgelebtes Königtum zu kämpfen hat und außerdem den Ausdruck des inneren Seelenkampfes, den der französischen Nation die Resignation auf alle Suprematiegedanken bereiten muss.
Das bewaffnete Europa wird diese Resignation zu einer Tatsache machen.
Die stehenden Heere sind von ihrem Ursprung her eine kritische Institution. Gebildet als eine Waffe gegen die abgelebte Organisation der geistlichen Gewalt und der Feudalaristokratie, werden sie auch die Kritik gegen die verfallene und abgelebte Aristokratie der Nationen ausüben. Wie sie zugleich innerhalb der einzelnen Staaten unreife revolutionäre Organisationen niederwerfen und den Völkern die falsche und trügerische Befriedigung rauben, die den Fortschritt zu wirklich neuen Kulturschöpfungen hindern würde, so wird die bewaffnete Macht Europas auch unreife Bewegungen verhindern, die einer abgelebten Idee nur eine kindische Befriedigung und der revolutionären Idee nur eine unnütze Aufregung geben würden.
Eins ist gewiss. Trotz seiner offiziellen Deklamationen und trotz der übertreibenden Phrasen seiner Revolutionäre — Frankreich hat nicht mehr den wirklichen lebendigen Glauben an sein Recht zur Suprematie, und um einer Deklamation willen kann der Friede Europas nicht auf eine ernstliche Weise gestört werden.
Ja, 1789 war es anders — die Constituante wollte den Frieden und Frankreichs Isolierung und dennoch ward die Legislative zur agressiven Politik getrieben; — aber damals kämpfte auch Frankreich für die negative Aufklärung, an der fünf Jahrhunderte gearbeitet hatten und der es selbst zuletzt ihre populäre Ausarbeitung verschafft hatte. Die girondistische Partei gründete ihre propagandistische und räuberische Politik auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen das Feudalsystem des Mittelalters — aber welches wäre die Idee, die jetzt Frankreich allein angehörte, die es allein zur letzten populären Vollendung gebracht hätte, — welches wäre die Idee, die jene Reife der Vollendung hätte, dass sie Frankreich das Recht zur Eroberung geben könnte?
Karl V., der die katholische Weltmonarchie gründete, Ludwig XIV., der die absolute Monarchie etablierte, Wilhelm der Dritte, der den protestantischen Staat gegen Ludwigs Diktatur zur Anerkennung brachte — sie hatten alle eine historische Idee, die ihnen Kraft und Mittel zu ihren Kriegen gab — aber das jetzige Frankreich?
Für erstorbene Reminiszenzen lässt sich kein ernsthafter Krieg führen. Frankreich wird zurücktreten und innerhalb der europäischen Familie die bescheidene Stellung einnehmen müssen, die einem Familienmitglied gegen das andere zukommt. Für jetzt wenigstens wird in der Glut, die seine Ansprüche in ganz Europa unterhalten, nur manches Altertum, darunter auch das Altertum seiner Reminiszenzen zerglimmen und in Asche zerfallen. Die Glut des bewaffneten Zustandes, der allgemeinen Spannung und Erwartung, Furcht und Hoffnung ist dazu für jetzt wenigstens groß genug.
Furcht und Hoffnung setzen noch Europa in Bewegung, also leben wir noch mitten in der Revolution. Das Feuer, welches die Kollision von Furcht und Hoffnung in der Seele der Einzelnen erzeugt und welches aus der Reibung der entgegengesetzten Parteien neue Kraft und Intensivität zieht, erzeugt in revolutionären Epochen jene glühende Atmosphäre, in der die alten Institutionen sich rettungslos verzehren. Wenn die Flamme niedergesunken ist, geht der Verzehrungsprozess stiller, aber gründlich vorwärts. Die Glut verkohlt die Stoffe — bald werden sie Asche sein.
Die Furcht vor der Macht der alten Autoritäten und Institutionen, die in der Bewegung von 48 die Hoffnung auf eine neue Organisation in allen Gebieten des menschlichen Lebens ungewiss und schwankend machte, ist seit dem Staatsstreich vom 2. Dezember in Scham über ein Fatum verwandelt, auf welches, in dieser ungeheuren Form, die Volksparteien nicht gefasst waren — jene Hoffnung dagegen in den passiven Trost, dass dieses Resultat der revolutionären Bewegung nicht ihren definitiven Schluss bilden könne; — genug, um die Entfremdung gegen das Bestehende und die Gegenwart zu erhalten und die Regierungen immer noch zu beunruhigen.
Die Furcht vor der revolutionären Bewegung bewirkte es, dass die Regierungen des Kontinents den Streich vom 2. Dezember als das günstigste Ereignis der letzten vier Jahre und als den Schluss der Revolution begrüßten. Aber die nackte Rücksichtslosigkeit, die das französische Gouvernement seitdem entwickelte, erfüllte sie wieder mit Besorgnis und ließ sie befürchten, dass das Geheimnis ihrer eigenen Gewalt verraten würde. Im Medusenhaupt dieser Regierung erblickten sie mit Schrecken den übertriebenen Typus ihrer eigenen Autorität — einen Typus, den zu erreichen sie sich unfähig fühlten. Die Herrscher des Kontinents, des westlichen Kontinents wenigstens — ja die Regierungen von ganz Europa, die russische ausgenommen, möchten mit derselben Rücksichtslosigkeit, als es in Frankreich geschieht, gegen die Presse und alle politischen Parteien verfahren, aber es fehlt ihnen die Kraft und die Kälte der Berechnung; — Grund genug, um das französische Ereignis mit Besorgnis zu betrachten; Grund genug zur Befürchtung, dass es besondere, noch nicht offen hervorgetretene Kräfte enthalten und beherbergen möge, die sich zuletzt gegen die Sicherheit und den Besitz der Zuschauenden richten können.
Es ist, mit Einem Wort, der Imperialismus, der die europäischen Regierungen von dem Schrecken befreit hat, mit dem sie das Jahr 52 bedrohte, und der ihnen dafür einen neuen, unerwarteten und gefährlicheren Schrecken entgegenhält. Das sozialistische Schreckbild ist gefallen, die Eine Partei, mit der Frankreich selber kämpfte, ist gestürzt, — dafür steht das einige, imperialisierte Frankreich da und versetzt ganz Europa in Spannung auf die Folgen, die diese gewaltsame und revolutionäre Einigung einer unruhigen, von großen Erinnerungen gemarterten Nation haben wird.
Die Regierungen des Kontinents, natürlich wiederum die russische ausgenommen, die von Hause aus der reinste Ausdruck des modernen Imperialismus ist, — alle Regierungen, selbst die englische, fühlen es, dass sie auf dem Wege sind, imperialistisch zu werden, aber die royalistische Erinnerung an das Vertrauen, den gegenseitigen Glauben und den Gemütszusammenhang, der bisher die Autorität mit den Untergebenen verband; die Reminiszenz der ständischen Gliederung, die Vertrauen, Autorität und Unterordnung durch alle Lebensverhältnisse hindurchführte und an einander kettete und in jedem Glied, in jeder Schicht der Gesellschaft in einander schmolz, so dass es keine Autorität gab, die nicht einem Höheren sich verpflichtet fühlte, und keinen Untergebenen, der sich nicht in seinem Kreise als eine persönlich bedeutsame Autorität betrachtete, — diese Reminiszenz, die vergeblich nach ihrer Wiederherstellung trachtet, hält ihre moderne, imperialistische Entwicklung auf, macht sie zu halben und gebrochenen Wesen und lässt sie mit der Unsicherheit, die dem Halben gegen das Ganze eigen ist, auf das französische Drama und dessen Ausgang hinschauen.
Und der Heros dieses Dramas? Rechtfertigt er wirklich die Besorgnis, die die Regierungen von ihm hegen? d. h. versteht er seine Bestimmung und sein Ziel? Oder teilt er das Los der revolutionären Helden? Ist er auch jener Notwendigkeit unterworfen, von der sie sonst immer beherrscht sind? Ist er auch von revolutionären Illusionen bestimmt, die die geschichtlichen Helden immer weit über das Ziel hinaustreiben, das allein erreichbar war und welches die Weltverhältnisse im Auge hatten — von jenen revolutionären Illusionen, die allein die Kraft zur wirklichen Erreichung dieses diesseits des Extrems liegenden Zieles geben?
Über die Eine Seite des Imperialismus ist er sich vollkommen klar. Ganz wie sein Oheim die Revolution dadurch schloss, dass er alle Parteien nivellierte und der Diktatur unterwarf, so hat auch er ganz Frankreich zu Einer Ebene gemacht, die kein Parteiunterschied mehr unterbricht. Im Vergleich mit der Kraft, Entschiedenheit und rücksichtlosen Sicherheit, mit der er die revolutionäre Kraft des Landes in seiner Hand vereinigt hat und sich als die einzige Autorität behauptet, kann sogar, was sein Oheim getan und geleistet hat, nur als ein Vorspiel zu seinem Unternehmen bezeichnet werden.
Aber die andere Seite des Imperialismus? Der Krieg gegen Europa — die revolutionäre Propaganda gegen die monarchischen Überreste des Kontinents?
Auch in diesem Punkte kennt der kalte, leidenschaftslose Rechner seine Zeit und Stellung — er hat so klar, so bestimmt wie möglich es ausgesprochen, dass sein, dass der moderne Imperialismus nicht an Eroberungen oder an eine bewaffnete Propaganda denken könne.
Und doch ist Europa nicht ruhig? Dennoch Besorgnis vor Krieg? Dennoch dieser ungeheure militärische Apparat in ganz Europa, der eben so groß wie der zur Zeit der Napoleonischen Kriege ist? Millionen von Soldaten auf den Beinen und von England bis Russland der Eine Gedanke, dass diese Wachsamkeit und Bereitschaft gegen Frankreich und den neuen Kaiser notwendig sei?
Es ist nicht anders möglich, wenn auch der Krieg nicht möglich ist. Die europäische Illusion über die Kriegsgefahr ist notwendig, um die französische Illusion über die vermeintliche kriegerische Aussicht bei der „großen Nation" gründlich und vollends zu zerstören. Der bewaffnete Zustand ist nötig, um die Resultate der Revolution von 48 sicher zu stellen, und Eins dieser Resultate betrifft Frankreich und ist für die ganze Zukunft der europäischen Entwicklung von Bedeutung.
Als Russland und England seit der Juli-Revolution bis 48 in Paris herrschten und die auswärtige Politik Frankreichs bestimmten, hielten die unzufriedenen Liberalen diese Abhängigkeit der revolutionären Nation nur für eine Folge von der Schwäche und prekären Lage Louis Philipps. Eins der größten Fakten aber, welches die Revolution von 48 festgestellt hat, ist dasjenige, dass diese Ohnmacht Frankreichs nicht nur durch Louis Philipps Scheu vor einem Krieg, der seinen Thron in Gefahr bringen konnte, und nicht nur durch seine ängstliche Deference gegen Russland herbeigeführt war. Nach Louis Philipps Sturz hatte Frankreich sein Geschick, seinen freien Willen, noch mehr, seine revolutionäre Kraft in seiner eignen Hand und es ordnete sich England und Russland fast noch mehr unter, als es Louis Philipp getan hatte. Es gab es deutlich und unumwunden zu erkennen, dass es an eine europäische Suprematie nicht mehr denken, dass es nach einem Einfluss in Deutschland und Italien nicht mehr streben und noch weniger eine revolutionäre Kraft in die Kämpfe des Kontinents werfen könne. Es tat sogar das Seinige dazu, um revolutionäre Veränderungen in Deutschland, in Italien und im Verhältnis von Schleswig-Holstein zu Dänemark zu verhindern — aber auch das nur im Bunde mit den andern Mächten und in ihrem Gefolge.
Und doch frönt Louis Napoleon trotz der wiederholten Beteuerungen, dass sein Imperialismus nur ein friedlicher sein werde, den Erinnerungen an das kriegerische Kaisertum seines Oheims und wirft den Franzosen nach seinen früheren Phrasen die letzte hin, dass Europa nur ruhig ist, wenn Frankreich befriedigt ist, d. h. die kaiserliche Beute, die ihm die Fremden abgenommen haben, zurückerhalten hat? Obwohl er den Großmächten versichert, dass er nicht daran denke, die Traktate von 1815 anzugreifen, will er durch seine Verationen Belgien an seine Herrschaft gewöhnen, lässt er die katholischen Irländer durch die Aussicht auf sein Protektorat betören, lässt er seine Frommen, seine Jesuiten, die Rheinlande für Frankreich reklamieren und müssen seine Journale von den heißen Wünschen der Savoyer berichten, die mit der großen Nation wieder vereinigt werden wollen?
Ja, er kann nicht anders. Das Kaisertum seines Oheims hat ihm seine Eroberung Frankreichs möglich gemacht und erleichtert — dasselbe Kaisertum wird ihm die Behauptung seiner Eroberung erschweren und wird ihn zwingen, jedem Wort, jedem Gedanken, den ihm seine verständige Ansicht der Verhältnisse eingibt, eine schielende Wendung zu geben, die seiner eigenen Überzeugung von dem Ernst, dem dringenden Ernst der europäischen Verhältnisse widerspricht. Er hat das französische Volk und seine hoch beteuernden und deklamierenden Repräsentanten richtig gewürdigt, als er diese aus einander jagte und jenes durch seine Soldaten und Jesuiten zu einer gefügigen und auf das Wort gehorchenden Horde erniedrigter Subjekte umwandelte, und doch zwingt ihn das Kaisertum seines Onkels, welches ihm den Rechtstitel zu seinem Einschreiten gibt und seine Eroberung legitimieren soll, zu dem Widerspruch, dass er derselben keltischen Horde, die er gedemütigt und von der drückenden Last ihrer Prätensionen befreit hat, die Wiederherstellung der unverjährbaren Rechte verspricht, die ihr als der großen Nation zukommen.
Der Künstler wird das eine tragische Kollision nennen, der fromme Zelot wird in dieser Verwicklung die Strafe für die Sünde illegitimer Usurpation erblicken — vom kritischen, d. h. vom positiven Standpunkte aus, wird man in diesen Widersprüchen und Schwierigkeiten den Ausdruck der Schwierigkeit finden, mit der die erste konsequente Substitution des modernen Kaisertums unter ein abgelebtes Königtum zu kämpfen hat und außerdem den Ausdruck des inneren Seelenkampfes, den der französischen Nation die Resignation auf alle Suprematiegedanken bereiten muss.
Das bewaffnete Europa wird diese Resignation zu einer Tatsache machen.
Die stehenden Heere sind von ihrem Ursprung her eine kritische Institution. Gebildet als eine Waffe gegen die abgelebte Organisation der geistlichen Gewalt und der Feudalaristokratie, werden sie auch die Kritik gegen die verfallene und abgelebte Aristokratie der Nationen ausüben. Wie sie zugleich innerhalb der einzelnen Staaten unreife revolutionäre Organisationen niederwerfen und den Völkern die falsche und trügerische Befriedigung rauben, die den Fortschritt zu wirklich neuen Kulturschöpfungen hindern würde, so wird die bewaffnete Macht Europas auch unreife Bewegungen verhindern, die einer abgelebten Idee nur eine kindische Befriedigung und der revolutionären Idee nur eine unnütze Aufregung geben würden.
Eins ist gewiss. Trotz seiner offiziellen Deklamationen und trotz der übertreibenden Phrasen seiner Revolutionäre — Frankreich hat nicht mehr den wirklichen lebendigen Glauben an sein Recht zur Suprematie, und um einer Deklamation willen kann der Friede Europas nicht auf eine ernstliche Weise gestört werden.
Ja, 1789 war es anders — die Constituante wollte den Frieden und Frankreichs Isolierung und dennoch ward die Legislative zur agressiven Politik getrieben; — aber damals kämpfte auch Frankreich für die negative Aufklärung, an der fünf Jahrhunderte gearbeitet hatten und der es selbst zuletzt ihre populäre Ausarbeitung verschafft hatte. Die girondistische Partei gründete ihre propagandistische und räuberische Politik auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen das Feudalsystem des Mittelalters — aber welches wäre die Idee, die jetzt Frankreich allein angehörte, die es allein zur letzten populären Vollendung gebracht hätte, — welches wäre die Idee, die jene Reife der Vollendung hätte, dass sie Frankreich das Recht zur Eroberung geben könnte?
Karl V., der die katholische Weltmonarchie gründete, Ludwig XIV., der die absolute Monarchie etablierte, Wilhelm der Dritte, der den protestantischen Staat gegen Ludwigs Diktatur zur Anerkennung brachte — sie hatten alle eine historische Idee, die ihnen Kraft und Mittel zu ihren Kriegen gab — aber das jetzige Frankreich?
Für erstorbene Reminiszenzen lässt sich kein ernsthafter Krieg führen. Frankreich wird zurücktreten und innerhalb der europäischen Familie die bescheidene Stellung einnehmen müssen, die einem Familienmitglied gegen das andere zukommt. Für jetzt wenigstens wird in der Glut, die seine Ansprüche in ganz Europa unterhalten, nur manches Altertum, darunter auch das Altertum seiner Reminiszenzen zerglimmen und in Asche zerfallen. Die Glut des bewaffneten Zustandes, der allgemeinen Spannung und Erwartung, Furcht und Hoffnung ist dazu für jetzt wenigstens groß genug.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russland und das Germanentum - Band 1