An meine Kritiker II

Ich habe in meiner Schrift angeführt, dass die Begleiterscheinung der russischen Herrschaft in Finnland die Wiedergeburt der national-finnischen Elemente sei, eine Erscheinung, der die russische Regierung ihre tatkräftigste Hilfe zu teil werden liess. Um meine Behauptungen als falsch zu beweisen und die Herrschaft der Schwedomanen in einem besseren Lichte erscheinen zu lassen, verkünden meine Gegner, dass in Finnland auf 1365 Schulen mit finnischer Unterrichtssprache 274 mit schwedischer entfallen. Dann fragt man mich triumphierend, wo die Bedrückung und der Zwang von Seiten der Schwedomanen blieben.

Diese, von meinen Widersachern angeführte Tatsache beweist jedoch gerade, dass die russische Regierung ihr Möglichstes getan hat, um das Nationalbewusstsein bei den Finnen zu heben. Der russischen Regierung in der Person Alexanders II. ist es zu verdanken, dass an der Universität Helsingfors der erste Lehrstuhl für finnische Sprache gegründet wurde. Dies geschah zu einer Zeit, wo die Führer der Schwedomanen die Finnomanen mit der Bezeichnung „diese abscheuliche Kanaille“ beehrten. Der Ausdruck ist von dem Vizekanzler der Universität Helsingfors, Baron Koten, gebraucht worden.


Die russische Regierung hat die prinzipielle Gleichberechtigung der schwedischen und finnischen Sprache eingeführt, während sich 20 Jahre später hochgestellte Schwedomanen wie der Senator Brunnow und der Senatsprokurator Montgomery bestrebten, die finnische Sprache zu einer „fremdländischen“ zu stempeln. Zu gleicher Zeit, auf dem Landtage von 1883, nannte Baron Born den Widerstand, den die Schwedomanen den finnischen Bestrebungen nach Gleichberechtigung entgegensetzten, „Kampf der Zivilisation mit der Barbarei.“ Aber das Resultat der Bestrebungen dieser Barbaren bestand darin, dass die Zahl der finnischen Schulen auf 1356 anwuchs gegen 274 schwedische. Ja, noch mehr: Die Schwedomanen, die sich am Staatsruder befanden, haben, wie ich in meiner Schrift mitteilte, den finnischen Schulen jede Staatsbeihilfe versagt, so dass die „Barbaren“ ihre Schulen mit ihren eigenen Mitteln unterhalten mussten. Und wissen Sie auch, wer am meisten zur Entwicklung der finnischen Schulen beigetragen hat? Baron Irie-Koskinen, der alle seine Tatkraft zur Hebung und Entwicklung der finnischen Schule angespannt hat. Dass ein früherer Führer der finnischen Partei, wie es Koskinen war, ein von der russischen Regierung ernannter Senator, diese Schulreform durchführen konnte, preisen meine Gegner als Beweis höchster Unparteilichkeit der Schwedomanen. Tatsächlich gilt Koskinen als Erzverräter, von dem meine Widersacher nur mit der tiefsten Verachtung sprechen und den die Schwedomanen mit Schmutz bewerfen. Dieser selbe Mann hat infolge der wütenden Angriffe seitens der Schwedomanen und der von diesen beeinflussten Jung-Finnen seinen Abschied nehmen müssen.

Ich hatte eigentlich die Absicht, hier meine Darstellung schliessen zu lassen. Leider sind die Irrtümer meiner Gegner so zahlreich, dass ich mich gezwungen sehe, noch einige Worte auf die Berichtigung einiger der eklatantesten falschen Behauptungen zu verwenden.

Man behauptet z. B.: „Die wirkliche Bedrückung wird erst in nächster Zeit beginnen, sobald der Gebrauch der russischen Sprache obligatorisch geworden ist und russische Schulen mit Gewalt an die Stelle schwedischer und finnischer gesetzt worden sind.“ Die Herren wissen also noch nicht einmal, dass die Erlernung der russischen Sprache seit nun bald einem Jahrhundert in den finnländischen Schulen obligatorisch ist. Kein russischer Herrscher hat mit einem solchen Nachdrucke wie gerade Alexander II. darauf bestanden, dass die Finnländer Russisch lernten. Er rechnete ganz richtig, dass die Kenntnis der russischen Sprache zur Annäherung zwischen der Bevölkerung Finnlands und dem russischen Volke beitragen müsse. Leider blieben die Wünsche und Verfügungen dieses Kaisers, dessen Standbild zum Zeichen des Protestes gegen die heutigen Regierungsmaßregeln zuweilen mit Blumen bekränzt wird, toter Buchstabe, ebenso wie die Bestimmungen, die der finnischen Sprache bei den Verwaltungsbehörden das Bürgerrecht verliehen. Die Herren Schwedomanen wollten nichts vom Finnischen noch vom Russischen wissen. Am letzten Ende jedoch haben die Finnen mit Hülfe der russischen Regierung den Sieg davongetragen. Der allerhöchste Befehl vom 12. Juni 1902 hat diesen Sieg endgültig entschieden! Wollte man jetzt noch von einer Verdrängung der schwedischen und finnischen Schulen durch russische sprechen, so müsste das einfach als Naivetät bezeichnet werden. Aber wenn die Erlernung der russischen Sprache in den Schulen auch obligatorisch ist, so sind im öffentlichen Leben nur die Beamten verpflichtet, ihrer mächtig zu sein.

Bei der Berichtigung anderer Irrtümer meiner Gegner will ich mich kurz fassen: Zuzugeben ist, dass finnische Zeitschriften, weil sie, auf Lehren schwedischen Ursprunges fußend, die Maßregeln der russischen Regierung angriffen, unterdrückt wurden. Dafür ist aber die Erlaubnis zur Neugründung einiger zwanzig finnischer und sogar schwedischer Zeitschritten erteilt worden. Die russische Regierung hat ferner zwar Beamten, die sich der Durchführung ihrer Anordnungen widersetzten, den Abschied gegeben, aber dabei handelte sie nach dem Vorbilde der dritten französischen Republik. Deren Regierung hat unter Gambetta Beamte, die aus gesetzlichen Gründen nicht abgesetzt werden konnten, aus dem Dienste entfernt. Das freie Versammlungsrecht ist bis dato von keinem Gesetze für Finnland bestätigt worden. Daher ist die russische Regierung auch vollkommen berechtigt, diese Materie durch Gesetz zu regeln. Auch die sog. „finnländische Flagge“ entbehrte einer gesetzlichen Bestätigung; überhaupt erschien sie als solche erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf der Bildfläche, pp. pp.

Nun noch einige Worte über die Auswanderung. Man hatte in Finnland die Auswanderung immer als ein Unglück betrachtet. Bis in die jüngste Zeit hinein waren denn auch alle Bestrebungen der amtlichen Behörden darauf gerichtet, dem Abflüsse arbeitsfähiger Elemente die nötigen Schranken zu setzen. Leider zählt Finnland , auf dessen hohe Kultur Lobeshymnen in allen Sprachen der Welt gesungen werden, bei einer Gesamtbevölkerung von 2 1/2 Millionen beinahe 1 Million (sic!) Enterbter. Das sind Leute, die keinen Grundbesitz ihr Eigen nennen 'oder die teilweise unter sklavenähnlichen Bedingungen fremde Felder bearbeiten. So waren in Finnland zu allen Zeiten Tausende von Männern und Frauen geneigt, auszuwandern; nur der Mangel an Mitteln hinderte sie, ihr Vaterland zu verlassen. Auch mochten sie durch die Ungewissheit über die Lebensbedingungen, die ihrer im Auslande harrten, von der Auswanderung abgeschreckt worden sein.

Diese Hindernisse für eine Auswanderung schwanden, als die Oppositionspartei im Jahre 1899, zum Zeichen des Protestes gegen das neue Militärdienstgesetz, im Volke den Gedanken an eine Massenauswanderung zu verbreiten begannen. Die finnische Presse bezeichnete derartige Ratschläge als reinen Irrsinn, als ein Verbrechen gegen das Vaterland. Die Oppositionspartei aber hat auch in diesem Falle oder wie immer den Sieg davongetragen. Man tat sich zu Kommissionen zusammen, die die Auswanderung erleichtern sollten. Zu demselben Zwecke wurden in schwedischen Blättern Annoncen veröffentlicht. Man entsandte Leute nach Amerika und Kanada, um finnländische Kolonien zu gründen. Natürlich ließen sich auch die Agenten der transatlantischen Dampfergesellschaften nicht zweimal bitten, wo die Gelegenheit winkte, ihre Passagierzahl zu vergrößern. Gewiss waren viele der jungen Auswanderer von dem Wunsche getrieben, sich ihren Militärpflichten zu entziehen. Solche Leute hat es ja zu allen Zeiten gegeben. Aber der größte Teil der Auswanderer lebte von seiner Hände Arbeit, und für diese Leute waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Großfürstentume völlig unerträglich geworden. Da Finnland äußerst arm an Bodenreichtümern ist und sich selbst nicht genügen kann, so wirken die Schwankungen des Weltmarktes auf das Großfürstentum in viel intensiverer Weise ein als auf irgend ein anderes Land. Der wirtschaftliche Niedergang, in den Europa durch den südafrikanischen Krieg geriet, erstreckte sich auch auf Finnland. Die Lebensmittel wurden unerschwinglich teuer. Die Fabriken mussten geschlossen werden. Die Hauptindustrie des Landes, die Holzindustrie, kam durch einen rapiden Preisfall ins Stocken. Tausende und aber tausende von Arbeitern sahen dem bittersten Elend entgegen.

Zieht man auch in Betracht, dass Finnland in den zwei letzten Jahren teilweise von Missernten, in diesem Jahre sogar von einer Hungersnot heimgesucht wurde, dann lässt sich das rapide Anwachsen der Zahl der Auswanderer, die im letzten Jahre 20.000 Personen erreicht haben soll, leicht begreifen. Die Hauptursache für die verstärkte Auswanderung aus Finnland ist in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Großfürstentums zu suchen. Wer von der hohen Kultur Finnlands redet, kennt nicht die Kehrseite der Medaille.

Wenn meine Gegner noch immer ungläubig den Kopf schütteln, so mögen sie mir doch sagen, worin bei Schweden und Norwegen, die sich in einer ähnlichen und doch noch viel vorteilhafteren Lage als Finnland befinden, die Ursache der verstärkten Auswanderung zu suchen ist. Ist doch im verflossenen Jahre die Auswanderung aus Norwegen auf 20.000 Köpfe, d. h. auf beinahe 2 % der Gesamtbevölkerung gestiegen.

Zum Schluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, neues Licht in die russisch-finnländische Frage gebracht und damit versöhnende Aufklärung geschaffen zu haben. Ich würde mich freuen, wenn dies geschähe.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russland und Finnland
Finnisches Nationaltheater

Finnisches Nationaltheater

J. J. Nervander (1805-1848), finnischer Meteorologe

J. J. Nervander (1805-1848), finnischer Meteorologe

Jean Sibelius (1865-1957), finnischer Komponist

Jean Sibelius (1865-1957), finnischer Komponist

Lappen aus Enotekiö

Lappen aus Enotekiö

M. Calonius (1738-1817), finnischer Jurist

M. Calonius (1738-1817), finnischer Jurist

Schärenbewohner

Schärenbewohner

Tampere

Tampere

alle Kapitel sehen