Russland als Gegner Deutschlands

Zwischen Krieg und Frieden.
Autor: Dr. Otto Hoetzsch Professor an der Universität Berlin, Erscheinungsjahr: 1914

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Deutschland, Deutsche, England, Frankreich, Engländer, Franzosen, Polen, Krieg, Soldaten, Kaiser Wilhelm II.,
Wie ist Russland zum Gegner Deutschlands geworden? und: Wie ist Russland als Gegner Deutschlands zu werten?
In seinem Telegramm an den russischen Zaren vom 31. Juli dieses Jahres hat Kaiser Wilhelm verwiesen auf die „von meinem Großvater auf dem Totenbett überkommene Freundschaft für Dich und Dein Reich“, die ihm immer heilig gewesen sei. Fürwahr, die Hohenzollerntradition guter Beziehungen zu Russland, sie hat Kaiser Wilhelm II. fest und treu gehalten, und nichts hat im Anfang dieses Krieges unser Volk so erbittert wie die perfide Art, in der diese ehrliche, bis zum Äußersten treu bleibende Freundschaft unseres Kaisers von der anderen Seite hintergangen wurde.

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Fassen wir das Thema „Deutschland und Russland“, das in den Monaten vor dem Kriege so viel erörtert werden musste, zunächst nur von der politischen Seite, von der Seite der Beziehungen der beiden Staaten zueinander, so sind diese bis 1914 nur ausnahmsweise direkt feindlich gewesen. Schon unter dem Großen Kurfürsten haben freundliche Beziehungen mit den Romanows in Moskau bestanden. Damals wurde Russland ein immer wichtigerer Faktor in den großen Kämpfen um das baltische Meer und das baltische Land, Kämpfen, in denen die Interessengemeinschaft zwischen ihm und Preußen gegenüber den beiden anderen Rivalen, gegen Polen und Schweden, bald stark hervortrat. Diese wird nur auf eine verhältnismäßig kurze Zeit unterbrochen, als Russland, ohne in seinen Interessen dazu eine Begründung und Veranlassung zu finden, in die Koalition des Fürsten Kaunitz eintrat. Sonst sehen wir Gemeinsamkeit der Politik und der Interessen zwischen Peter dem Großen und Friedrich Wilhelm I., zwischen Katharina II. und Friedrich dem Großen, in den Befreiungskriegen und danach, bis diese Interessengemeinschaft durch die Heirat des späteren Zaren Nikolaus I. mit der Prinzessin Charlotte, der Schwester unseres alten Kaisers, auch zu enger persönlicher Freundschaft zwischen den Herrscherhäusern Hohenzollern und Romanow führte. Eine Herzenssache waren dadurch die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland für die Söhne Friedrich Wilhelms III. geworden. So hat auch Kaiser Wilhelm I. an ihnen festgehalten, und dem entsprach die Empfindung ebenso herzlicher und pietätvoller Verehrung, die Alexander II. seinen, Oheim in Berlin entgegenbrachte. Unter Alexander III. hat sich darin freilich schon manches geändert: der Zar fühlte sich als Nationalrusse und wurde gegen Deutschland durch seine preußenfeindliche Gemahlin, die Kaiserin Maria Feodorowna, beeinflusst. Die allgemeine Abneigung gegen die Deutschen kam mit den panslawistischen, österreichfeindlichen Bestrebungen zusammen, um die Orientierung der russischen Politik anders zu beeinflussen. Trotzdem aber hat sich Alexander III. zum Kriege mit Deutschland niemals drängen lassen und dem Fürsten Bismarck sein Vertrauen immer bewahrt. Und trotzdem wollen wir nicht vergessen, wie 1828 auf 29, in den polnischen Aufständen von 1830 auf 31 und 1863, im Krimkriege, im türkischen Kriege 1877 auf 78 Preußen und Deutschland freundschaftlich neben Russland standen, und dass die russische Politik dafür mit dem Gleichen erwiderte in den Kämpfen 1866 und 1870, wie das Kaiser Wilhelm I. immer besonders gern und dank bar anerkannt hat. In der Erinnerung unserer Gegenwart schließlich steht noch die Zeit des russisch-japanischen Krieges, in dem Deutschland Russland den Rücken in einer sehr freundschaftlichen Neutralität deckte. Wer damals in Russland reiste, spürte gar wohl, dass die deutsche Freundschaft hoch im Kurse stand und wie der um sein revolutionsdurchschüttertes Vaterland bangende Russe Kaiser Wilhelm II. die Zusammenkunft von Björkö mit seinem Zaren dankte.

Diese ganze Kette guter Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist also nicht, wie man jetzt häufiger gesagt hat, eine Legende, sondern ist unbestreitbare historische Wahrheit. Der Hinweis, dass Deutschland und Russland seit 200 Jahren im Widerstreit gestanden hätten, kehrt unberechtigt nur eine Seite der Beziehungen hervor. Natürlich sind in solchen Beziehungen zweier mächtiger Staaten stets Möglichkeiten zu Konflikten und Reibungen gewesen. Aber in den Beziehungen dieser beiden Staaten zueinander waren sie das Wesentliche und Grundlegende nicht. Sondern diese wurden getragen von der Einsicht auf beiden Seiten, dass tatsächlich, um das abgenutzte, aber richtige Schlagwort zu wiederholen, politische Reibungsflächen zwischen Deutschland und Russland nicht bestanden und nicht bestehen. Ja, man kann eher das Umgekehrte sagen: wenn keine politischen Reibungsflächen vorhanden waren, so konnte das wohl einen ernsthaften Konflikt, wie die ganze Geschichte der letzten anderthalb Jahrhunderte zeigt, zwischen Deutschland und Russland verhindern, aber darin lag, wie stets in solcher politischen Lage zweier Staaten zueinander, geradezu eine Schwäche, nämlich, dass beide einander dann auch politisch nichts zu bieten hatten. Diese Schwäche hat sich in den deutsch-russischen Beziehungen auch häufiger fühlbar gemacht. Sie ist, manchmal mit Recht, manchmal mit Unrecht — Bismarck weist, als der Bund mit Österreich im Werke war, seinen kaiserlichen Herrn einmal, in den Bemerkungen zum Schreiben Alexanders II. (vom 15. August 1879), nachdrücklich auf diesen Zusammenhang hin —begreiflicherweise von Russland mehr empfunden und betont worden, als bei uns. Aber sie ließ die Grundtatsache in den politischen Beziehungen beider Staaten doch deutlich erkennen. Es wäre auch schwer gewesen, wenn in den 80er und 90er Jahren an irgendeinem der sich damals bietenden Anlässe der Zwei frontenkrieg für uns ausgebrochen wäre, zu bezeichnen, wo dabei der reale Gegensatz zwischen Deutschland und Russland gelegen hätte, und was, da Deutschland an einen Krieg gegen Russland von sich aus nicht dachte, das praktische Ziel Russlands in einem Kriege gegen Deutschland gewesen wäre. Man muss schon weit in die Geschichte zurückgreifen, etwa das sogenannte, bekanntlich gefälschte, Testament Peters des Großen und die Idee einer Eroberung des deutschen Weichsellandes wieder aufleben lassen, wenn man darauf eine Antwort geben will. Aber diese Träumereien sind auch in der erhitztesten russischen Publizistik, auch in den letzten Jahren zunehmender Spannung zwischen Deutschland und Russland, als maßgebende politische Idee nicht betrachtet worden. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, rund ein Jahr zehnt diese russische Publizistik verfolgt hat, wird bestätigen, dass in ihr zwar fortwährend und in der sinnlosesten Weise gegen den sogenannten deutschen „Drang nach dem Osten“ gehetzt worden ist, dass aber kaum jemals im Ernst die Rede davon war, Russland nach Westen und Nordwesten auszudehnen. Daran hat auch der wildeste russische Panslawist nicht gedacht, denn dazu war und ist der heutigen Generation russischer Politiker und Zeitungsschreiber die eherne Tatsache zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass dem das Deutsche Reich als ein unzerbrechlicher „Rocher de bronce“ entgegenstünde.

1-001 Wilhelm II. Deutsche Kaiser

1-001 Wilhelm II. Deutsche Kaiser

1-002 Franz Josef I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn

1-002 Franz Josef I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn

Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

Russland 003. Petersburg, Denkmal Peters des Großen

Russland 003. Petersburg, Denkmal Peters des Großen

Russland 004. Petersburg, Blick von der Newa auf die Isaakskathedrale und den Palast des Heiligen Synod

Russland 004. Petersburg, Blick von der Newa auf die Isaakskathedrale und den Palast des Heiligen Synod

Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale

Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale